F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Achtes Kapitel.

Herr von Rivola verschloß die Thür hinter sich, dann ging er langsamen Schrittes zu dem einzigen Fenster des Schreibzimmers, ließ dort den weißen Vorhang herab, obgleich ihm das Sonnenlicht auf dieser nördlichen Seite des Hauses durchaus nicht weh that; dann ließ er sich auf dem Stuhle vor dem Schreibtische nieder, wo er in sich zusammensank, die gefalteten Hände auf den Knieen.

Es verging eine geraume Zeit, daß er so in tiefem Nachsinnen, in finsterem Brüten vor sich hinschaute. Zuweilen entrang sich ein tiefer Seufzer seiner Brust, zuweilen murmelte er ein paar Worte vor sich hin, welche wie eine Frage klangen, die er sich gleich darauf selbst beantwortete. Zuerst waren diese Fragen ziemlich lange gewesen, die Antworten kurz, häufig aus dem einzigen Worte Nein oder Nimmermehr bestehend; dann aber trat das umgekehrte Verhältniß ein, die Fragen wurden kürzer, die Antworten länger, und zuletzt verwandelten sich diese Worte in halblaut gesprochene Reflexionen.

»Und was bleibt mir anders übrig, als es zu thun?« sprach er mit dumpfer Stimme. »O, ich wäre nicht zu feig, mir das Leben zu nehmen, aber ich habe nicht den Muth, die thränenden Augen, den Jammer meiner unglücklichen Elisabeth, meiner armen Lucy mit anzusehen! Nur für sie thue ich, was ich thun muß – Gott weiß es und wird es in meine Rechnung tragen, welch' unsäglich wilden Kampf ich Jahre lang gekämpft, welche Verzweiflung ich so oft, so lange verbergen mußte unter dem Schein froher Laune; wie ich behaglich, gleichgültig erscheinen mußte, in ungetrübter Stimmung, während meine Hände vor tiefem Schmerze krampfhaft zusammenzuckten, während meine Brust vor Schmerz zerspringen wollte.

»Und doch muß es sein – greift doch der Ertrinkende nach einem Strohhalme, nach einer rettenden Hand, wenn er sich auch vielleicht schaudernd sagen muß, diese Hand sei zu schwach, um ihn zu retten, er werde seinen Retter mit sich in den kalten Tod ziehen – es ist doch eine Hoffnung, ein Aufschub, während dessen mir eine wirkliche Rettung erscheinen könnte!«

Hierauf fuhr er sich mit der Hand hastig durch sein graues, immer noch dichtes Haar und legte seine blaue Brille ab, als hinderte ihn diese bei der genauen Durchsicht eines großen Buches, das er aus einem sorgfältig verschlossenen Gemache nun hervorholte.

Langsam schlug er Blatt um Blatt herum und nahm zuweilen die Bleifeder, um hier und da die Grundsumme einer Zahlenreihe nachzurechnen – immer vergebens, wie man wohl an seinem traurigen Kopfschütteln hätte bemerken können. »Hier nichts und dort nichts!« seufzte er. »Es ist mein Rechnungsauszug von der königlichen Bank klar und deutlich abgeschlossen, und wenn mir die Herren von der Verwaltung in ihrem Schreiben auch mit den höflichsten Worten gesagt, die Überreichung dieses Rechnungsauszuges mit einem Saldo zu Gunsten der königlichen Bank geschähe nur, weil vierteljährige Abrechnung in ihrem Dienstreglement liege, so darf ich doch nicht wagen, meinen Credit dort höher anzuspannen.«

Dann schloß er den kleinen Kassenbehälter auf, welcher sich unten in seinem Schreibtische befand, und betrachtete mit trüber Miene den mageren Inhalt derselben, ein paar Dutzend Goldstücke, einige Banknoten von keinem großen Betrage, einige sehr dünne Geldrollen, und wieder richtete er den Blick auf das große Buch, und zwar auf die letztbeschriebene Seite desselben, wo eine Forderung von 1000 Gulden verzeichnet stand, welche er an die Eisenbahnverwaltung für das abgetretene Stückchen Wald gestellt hatte, die aber für gut gefunden, darüber zu prozessiren.

»Und wenn ich auch – handeln wollte, wenn ich auch thun muß, was ich nicht mehr lassen kann, so darf ich es doch nicht eher thun, als bis mir diese elende Summe ausbezahlt worden ist. Gestern sprach mein Advokat davon, daß die Entscheidung, und zwar eine Entscheidung zu meinen Gunsten, in den nächsten Tagen kommen müsse – in den nächsten Tagen, das ginge allenfalls noch an, wenn nicht wieder Wochen und Monate dazwischen lägen – Geld, baares Geld muß ich mir verschaffen, koste es, was es wolle!«

Die Schlüssel in seiner Hand zitterten, als er nun ein anderes Schubladenfach ganz herauszog, um ein dahinter befindliches, sehr sorgfältig gearbeitetes Schloß zu öffnen, welches sich so tief im Hintergrunde des Schreibtisches befand, daß er sich auf den Boden niederkauern mußte, um dasselbe zu erreichen, worauf er sich wieder erhob, an einem der Knöpfe drehte, die sich vorn im Tische befanden, und nun erst im Stande war, eine kleine Kassette von Eisen aus jenem verborgenen Raume hervorzuziehen. Er öffnete diese Kassette, und in derselben lag eine rothe Mappe; auf dieser sah man ein Paar Schmucketuis von violettem Sammt, welche Herr von Rivola zu sich nahm und alsdann hastig mit einem scheuen Blicke auf die rothe Mappe den Deckel der Kassette wieder zudrückte.

Durch einen Druck an der betreffenden Stelle ließ er von diesen beiden Etuis die Deckel aufspringen, und in jedem zeigten sich Stücke eines Schmuckes in alter Fassung, aber mit sehr schönen Brillanten. Er betrachtete einen Augenblick die funkelnden Steine, dann rückte er die Deckel wieder zu, legte die Etuis auf die Seite, zog dann mit einer düsteren Miene die eiserne Kassette zu sich und nahm nach sichtbarem Widerstreben die rothe Mappe heraus.

Es war wohl dieselbe, von welcher der Bediente heute Morgen erzählte, daß er sie gesehen habe; denn als Herr von Rivola auch hier das künstliche Schloß geöffnet und den Deckel aufgeworfen hatte, sah man in der Mappe, auf's pünktlichste geordnet, mit Papierstreifen versehen, mehrere sehr schwere Pakete von Banknoten, und von Banknoten keines kleinen Betrages. Es waren Fünfhunderter und Tausender, wenn auch kein ungeheures Vermögen, wie es Jakob geschätzt, so doch immerhin ein sehr bedeutendes Kapital.

Es war, als müßte sich der alte Mann erst langsam wieder an den Anblick dieses Reichthums gewöhnen, denn es dauerte eine Zeit lang, ehe sich etwas Scheues, Unruhiges in seinen Blicken verloren hatte, ehe er mit festem Auge, allerdings unter den düster zusammengezogenen Brauen, seinen sorgfältig verwahrten Schatz betrachtete, und auch dann währte es wieder ein paar Minuten, ehe er sich, wie es schien, entschließen konnte, die Banknoten mit den Händen zu berühren; ja, ehe er hierauf ein Paket herausnahm, erhob er sich vorher, um zu sehen, ob sich auch Niemand in der anstoßenden Bibliothek befände, ob der Vorhang an seinem Fenster sorgfältig herabgelassen war und ob der Schlüssel im Schlosse der Thür, welche in den Salon führte, so gestellt sei, daß Niemand durchsehen könne.

Dann erst nahm er ein Paket der Fünfhunderter sowie eines der Tausender, zog aus jedem fünf bis sechs Banknoten heraus, legte diese vor sich hin und betrachtete nun aufmerksam die Zeichnungen auf denselben, indem er nicht nur jedes einzelne Blatt dicht vor sein linkes Auge brachte, sondern er holte alsdann auch noch aus einem kleinen Fache im Schreibtische eine Loupe, mit der er Schrift und Zeichnungen auf's genaueste untersuchte. Es schien ihm schwer zu werden, sich auch nur vom kleinsten Theile seines Schatzes zu trennen, und als hierauf seine Untersuchung zu seiner Zufriedenheit beendigt schien, notirte er sich mit einer Bleifeder nicht nur die einzelnen Nummern, sondern er schrieb auch auf die Rückseite von ein paar der Tausender-Banknoten mit flüchtigem Zuge seinen Namen; dann erst legte er sie sorgfältig in eine Brieftasche und steckte diese in die Brusttasche seines Rockes.

Offenbar war Herr von Rivola ein Geizhals von der schlimmsten Art, dem es eine schwere Überwindung kostete, seinen hier aufgestapelten Mammon anzugreifen, und der erst im Stande war, sich ein wenig zu erheitern, nachdem er diesen schweren Entschluß gefaßt und ausgeführt. Ja, nachdem er die Banknoten in seine Brusttasche gelegt, klärte sich seine Miene ein wenig auf, und wenn seine Augenbrauen auch immer noch finster zusammengezogen blieben, so erschien doch jetzt wieder um seine bisher schlaffen Lippen jener Zug von Trotz und Energie, den man so häufig an ihm bemerkte.

Er hatte jetzt den Kopf in beide Hände gestützt, saß in gebeugter Stellung über der geöffneten Kassette und blickte nun mit einem eigenthümlichen Ausdrucke von Wohlbehagen, ja, mit einer Art wilder Freude auf seinen Schatz, und es war, als koste es ihn jetzt Überwindung, seine Augen davon abzuwenden und den Deckel der Kassette wieder zu schließen.

Dann aber fuhr er plötzlich mit einem Ausdrucke jähen Schreckens aus der Behaglichkeit, in die er versunken schien, und zwar aufgescheucht durch den hellen Ton von Lucy's Stimme, die, an der Thür des Schreibzimmers stehend, die Frage that, ob Papa vielleicht Aufträge nach der Stadt habe, denn Mama und sie seien bereit und fertig, um dorthin zu fahren.

War der alte Mann doch in diesem Augenblicke anzuschauen, als habe er so eben einen wüsten, schweren Traum durchgekämpft! Er starrte vor sich hin, drückte dann seine beiden Hände an die pochenden Schläfe, und man hätte deutlich sehen können, welch' furchtbare Anstrengung es ihn kostete, die Frage seines Kindes mit einem natürlichen, ungezwungenen Tone zu beantworten, nachdem er vorher einen scheuen Blick gegen die Stubenthür geworfen.

»Ach, ihr fahret nach der Stadt!«

»Ja, Papa, im Schlitten – wie ich mich darauf freue! Hast du nichts zu besorgen?«

»Ich danke dir, mein Kind.«

»Soll ich hereinkommen und dir einen Kuß geben?«

»Wenn du zurückkommst, will ich ihn doppelt haben, mein liebes Herz; ich habe Wichtiges zu schreiben, und möchte nicht gern gestört sein.«

»Ich habe mir's gedacht, Papa; Mama auch. Sie läßt dich freundlich grüßen, und mit den Einkäufen wollen wir es so gnädig wie möglich machen – Adieu, Papa!«

»Adieu, mein Kind!«

Damit hörte man, wie sich ihr leichter Tritt von der Thür entfernte, und kurze Zeit darauf vernahm man das Klingeln eines Schlittens, der sich vom Stalle aus der Hausthür näherte.

Herr von Rivola hatte indessen mit derselben ängstlichen Hast die Kassette wieder verborgen und verschlossen, und öffnete nun rasch das Fenster, um seiner Frau und Tochter, welche eben davonfuhren, noch mit der Hand nachzuwinken. Frau von Rivola sah heiter und vergnügt aus, und die überglückliche Lucy warf, sich umwendend, ihrem Vater Kußhände zu.

Eine halbe Stunde nach ihnen verließ auch der Freiherr das Landhaus, und zwar zu Fuße. Es that ihm wohl, sich in der frischen Winterluft eine Bewegung zu machen. Er ging ebenfalls nach der Stadt, aber auf einem weit kürzeren Fußwege, auf welchem er fast eben so rasch dorthin gelangte, als der Schlitten auf der Landstraße, welche, vom Terrain gezwungen, große Umwege machte.

Trotzdem er sehr langsam dahinschritt, so war er doch so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er sich bereits nach sehr kurzer Zeit, wie ihm däuchte, plötzlich in dem Gewühle der Wagen und Menschen befand, welches schon eine gute Strecke vor dem Thore die Nähe der Residenz anzeigte.

Hier folgte er eine Zeit lang der belebten Straße, die, langsam aufsteigend, zum Schloßplatze in der königlichen Residenz führte; dann bog er in eine Seitengasse und erreichte nach kurzer Zeit die niedrig gelegenen Stadtviertel, den Marktplatz und das Rathhaus. Von da wandte er sich durch ein wahres Labyrinth von Gäßchen und kam bald an einen Knotenpunkt derselben, dessen viele Ecken auf einer Seite in einen runden Thurm von massivem, dunklem Mauerwerke ausliefen. Neben demselben befand sich ein kleines Haus, welches mit diesem Thurme förmlich verwachsen zu sein schien. Von außen hatte derselbe durchaus nichts Bemerkenswerthes; seine schmalen, unregelmäßig angebrachten Fenster waren mit schweren Eisengittern versehen, und wenn man sich die Mühe gab, um den Blick durch die erblindeten Fensterscheiben dringen zu lassen, so bemerkte man, daß alle weitere Einsicht in das Innere durch eiserne Laden verwehrt war. Nirgends gewahrte man außen ein Thor oder einen sonstigen Eingang, auch keine Verzierung irgend welcher Art; doch war das alte Gemäuer scheinbar gut erhalten bis auf die Zinne, welche ehemals den oberen Rand gekrönt hatte. Diese war unter dem Dache des anstoßenden, bei Weitem jüngeren Hauses, welches Dach sich schützend über den alten Thurm ausbreitete, verborgen und nur noch in ihren unteren Theilen sichtbar. Herr von Rivola zog die Klingel an dem Hause, worauf die Thür von einem alten Manne geöffnet wurde, welcher den Ankommenden mit allen Zeichen der Ehrerbietung in ein Stübchen zu ebener Erde führte.

Die Einrichtung des Stübchens war einfach, ohne ärmlich zu sein; ein großer Lehnstuhl neben dem Ofen, weiße Vorhänge an den Fenstern und einige Kupferstiche an den Wänden zeugten sogar von Wohlhabenheit.

Der alte Mann schien in einem Buche gelesen zu haben, welches noch aufgeschlagen auf einem Tischchen neben denn Lehnsessel lag. Indessen setzte sich Herr von Rivola, während der alte Mann, ein kleines Sammtmützchen in der Hand haltend, vor ihm stehen blieb.

»Was gibt es Neues, Friedrich? Was macht die Frau? Hat mein Advokat weiter nichts für mich geschickt?«

Der alte Mann hatte ein offenes Gesicht, aber mit harten, durchgearbeiteten Zügen, und wenn wir nicht bereits wüßten, daß er während langer Jahre der Kammerdiener des Freiherrn gewesen war, so würden wir diesem Gesichtsausdrucke nach, auch wegen der ganzen Haltung dieser nicht großen aber derbknochigen Gestalt, besonders aber in Betracht seiner großen, rauhen Hände viel eher geglaubt haben, einen Handwerker, einen Schmied oder Schlosser vor uns zu sehen.

Dabei hatte er dichte, buschige Augenbrauen, unter welchen hervor seine grauen Augen mit einem Feuer leuchteten, welches nicht gut in Einklang zu bringen war mit den sonstigen Spuren hohen Alters.

»Das Beste werde ich zuerst beantworten,« erwiederte er in einem tiefen, etwas rauhen Tone. »Der Advokat war heute Morgen da und zeigte mir händereibend an, daß der Prozeß zu Ihren Gunsten entschieden sei, oder, daß ich es besser sage, die Eisenbahnverwaltung habe sich beim letzten Termine gar nicht mehr vertreten lassen, ihm, dem Advokaten, vielmehr die verlangte Summe von 6000 Gulden eingehändigt. Sie können dieselbe erheben, sobald es Ihnen beliebt.«

Herr von Rivola that einen erleichternden Athemzug.

»Sonst gibt es nichts Neues, gnädiger Herr. Mit der Frau ist es die alte, traurige Geschichte; sie verläßt ihr Bett nicht mehr, ist dankbar für alles, was man ihr thut, und daß ich mein Möglichstes für ihre Pflege leiste, wissen Sie.«

»Gewiß, Friedrich auch darin bist du, wie in allen Dingen, zuverläßig und treu wie Gold.«

»Warum sollte ich es auch nicht sein – Untreue schlägt ihren eigenen Herrn, und wer einen Herrn hat, wie Sie es mir stets gewesen sind, der müßte ein durchaus schlechter Kerl sein, wenn er nicht, um Ihren Ausdruck zu gebrauchen, treu wie Gold wäre und anhänglich wie ein guter Hund, wenn ich mich so ausdrücken darf. Noch reden wir darüber nicht weiter, gnädiger Herr; das ist meine Schuldigkeit und gar kein Verdienst.«

Herr von Rivola blickte sinnend vor sich nieder, nachdem er vorher seinem alten Diener, mehrmals mit dem Kopfe nickend, voll in's Gesicht geschaut; dann versank er in ein längeres Stillschweigen, welches sich in einem tiefen und schmerzlichen Seufzer auflöste.

»Friedrich, die Zeiten sind schlecht!«

»Ich weiß es, gnädiger Herr, ich kann es mir wenigstens denken.«

»Das Glück will mir nicht mehr so wohl, wie in früheren Zeiten; ich habe mich vergebens bemüht, irgend etwas zu verdienen, irgend ein neues und schönes Unternehmen in's Leben zu rufen, es ist mir nicht gelungen – ich habe spekulirt und viel dabei verloren.«

»Ich erfuhr das,« sagte der alte Diener in ruhigem Tone.

»Von wem?« fragte hastig Herr von Rivola.

»Von dem alten Nikolas aus Lüttich, der mir zuweilen schreibt – es ist das eine treue Haut und hängt noch mit ganzer Seele an Ihnen.«

»Ja, er kann darum wissen – ich verwandte große Summen, ich muß gestehen, die letzte, welche ich zu verwenden hatte, auf eine neue englische Erfindung, die allerdings erst in ihrer Kindheit ist, die aber ein Riese werden muß, die, wenn sie gelingt, Millionen einträgt.«

»So schrieb auch Nikolas, er hatte auch darein, wie in alles, was Sie unternehmen, großes Vertrauen; aber die Herren lachten darüber, sie verlaborirten die Summen, welche Sie, gnädiger Herr, ihnen zugewiesen, und sagten dann achselzuckend: ›Es geht nicht!‹«

»Ich weiß, ich weiß,« antwortete Herr von Rivola mit einem traurigen Blicke, »war ich doch, wie du weißt, im vergangenen Jahre Monate lang auf dem Eisenwerke und fühlte es wohl, daß ich weniger mit dem spröden Metalle, als mit dem unbeugsamen Widerspruchsgeiste der Betreffenden zu kämpfen hatte; die kleinen Proben gelangen, aber wenn wir etwas Größeres gießen wollten, so war es eben immer kein Gußstahl, der aus den Tiegeln kam, sondern ganz gewöhnliches, hartes, unelastisches Eisen – und doch sage ich dir, Friedrich, man wird dahin können, die größten Massen Gußstahl herzustellen, und von einer Zähigkeit, um sie in Geschützen schwersten Kalibers zu verwenden – ich werde das allerdings wohl nicht mehr erleben, oder wenn ich es erlebe, so werde ich sehen müssen, daß es Andere zu reichen Leuten macht, während ich mein letztes Geld daran verloren.«

»Ihr letztes Geld, Herr Baron? Das wäre ja entsetzlich!«

»Es ist entsetzlich, und ich stehe vor einem Abgrunde, dessen furchtbare Tiefe du allein zu ermessen im Stande bist!«

»Ja, ja, ich verstehe Sie,« versetzte der alte Diener nach einer langen Pause, während welcher er langsam mit der umgekehrten Hand sich zu wiederholten Malen über seine Stirn und seine Augenbrauen gewischt.

»Es kann uns doch Niemand hier hören?«

»O nein – die arme, alte Frau liegt im dritten Zimmer, sie schläft, und das kleine Mädchen, welches für unsere Bedürfnisse sorgt, habe ich auf den Markt geschickt.«

»Die Dampfschifffahrts-Gesellschaft, welche ich in's Leben rief,« fuhr der alte Freiherr in einem traurigen Tone fort, »mußte ebenfalls liquidiren, und nur dadurch, daß ich all den Summen, die ich hinein gesteckt, freiwillig entsagte, war es möglich, daß die übrigen Aktionäre ohne größeren Schaden davonkamen – auch da wird ein Anderer ernten, was ich gesäet.«

»Wie es schon bei den Wasch- und Badehäusern geschehen; dieses Unternehmen mußten Sie ebenfalls mit großem Schaden abwickeln, und nun trägt es seine zwanzig Procent.«

Herr von Rivola schaute seinen ehemaligen Diener mit einem traurigen Lächeln an, ehe er kopfnickend sagte: »Und so sind alle diese reellen, gut durchdachten, soliden Unternehmungen für mich zu Grunde gegangen, und wenn ich nicht selbst mit untergehen will, so muß ich mich dem Einzigen wieder zuwenden, von dem ich mich schon damals mit Schaudern abgewandt.«

Über die harten Züge des Anderen zuckte es auf eine eigenthümlich schmerzliche Art; dann blinzelte er mit den Augen und preßte seine dünnen Lippen fest aufeinander.

Herr von Rivola hatte sich rasch erhoben und einen Gang durch das kleine Zimmer gemacht; dann blieb er vor seinem alten Diener stehen, stützte seinen Kopf an dessen Schulter und sagte: »Es ist ja nicht für mich, gewiß nicht für mich – nur für meine Frau und für meine arme Lucy! O, könnte ich mein Haus verlassen, in meinem Innern ungekränkt, ohne mein Gewissen auf's Neue zu belasten; lieber möchte ich an der Schwelle den Staub von meinen Füßen schütteln, keinen Blick mehr rückwärts werfen und noch einmal anfangen, wie wir damals begonnen, ich mit der Feder, du mit Hammer und Feile in der Hand, um so im ehrlichen Gewerbe ein, wenn auch kärgliches Brod zu verdienen, ehrlich, unbescholten!«

»Das ist nun leider vorbei,« erwiederte Friedrich in einem eigenthümlich rauhen Tone, »wir können nicht wieder anfangen, wie damals, auch meine Knochen sind alt geworden, und es thäte mir leid um die arme, alte Frau da drinnen, wenn ich sie für die letzten Wochen ihres Lebens, fürchte ich, wieder mit hinauszerren müßte in das rauhe Leben, und wenn auch – und wenn wir auch mit unserer Hände Arbeit ein mageres Brod verdienen könnten, – die Erinnerung an das, was geschehen, würde uns bleiben; man kann sein Gewissen nicht reinigen wie ein Stück Eisen von Rost und Schlacken.«

»Und doch hatte ich gedacht, das zu können,« entgegnete eifrig Herr von Rivola, »und hatte auch dazu gethan, was in meiner Macht lag; du weißt es ganz genau, welche Summen ich damals, als meine Unternehmungen glänzenden Ertrag abwarfen, dazu verwandte, um – die Zeugen unserer Thätigkeit wieder in meine Hände zu bekommen.«

»Ja, ja, ich weiß das.«

»Gestehen darf ich dir wohl, daß ich mit einer gewissen Beruhigung, ja, mit Stolz die zerknitterten Blätter betrachtete, wenn sie sich nach und nach zu ansehnlichen Haufen in meiner rothen Mappe wieder ansammelten. Es hatte das mein Gewissen sehr erleichtert. Kam es mir doch vor wie eine allerdings leichtsinnige Anleihe, die ich gemacht und die vollkommen solid geworden war, nachdem ich sie zurückbezahlt; war es doch am Ende nichts Anderes, als ein allerdings unerlaubtes und gefährliches Wechselgeschäft, welches ich trieb mit einem reichen Geschäftshause, dem der Verlust einer Million im schlimmen Falle keinen großen Schaden machen würde.«

»Und warum wollen Sie die gleiche Sache nicht heute wieder gerade so ansehen?«

»Weil ich alt geworden bin, Friedrich, weil ich nicht mehr, wie damals, lange Jahre vor mir habe und die volle Kraft des Mannes in körperlicher und geistiger Beziehung, um meine Vergehen wieder gut zu machen – mein Geist hat seine Elasticität verloren, wie meine Augen die Schärfe der Sehkraft. Heute Morgen, als ich mit der Loupe diese haarscharf sich durcheinander kreuzenden Linien betrachtete, verdunkelte das Wasser sogleich meine Blicke; das hat mich sehr traurig gemacht.«

»Wozu ich keinen Grund einsehe, sagte der Andere kopfschüttelnd, denn Sie hatten doch gewiß nicht die Absicht, eine so mühsame und gefährliche Arbeit wieder zu beginnen.«

Herr von Rivola blieb hierauf die Antwort ein paar Minuten lang schuldig, während welcher er gegen das Fenster gewandt stand, die Hände auf den Rücken gelegt.

»Und doch,« sagte er, sich rasch gegen Friedrich umwendend, »wäre es mir eine Erleichterung meines Gewissens gewesen, wenn ich erst wieder durch unsäglich mühevolle, angestrengte Arbeit zu jenem Ziele gelangt wäre; ich hätte gewissermaßen Leib und Leben eingesetzt, statt daß ich jetzt die Frucht des Verbrechens ernten kann, ohne Arbeit, ohne Mühe, indem ich faul die Hände in den Schooß lege.«

»Denken Sie an jene Zeit, gnädiger Herr – denken Sie an jene schreckliche Zeit, wo Sie nach tage- und nächtelanger Arbeit vor Ihrem Tische zusammensanken, unvermögend, dem Schlafe zu widerstehen, und doch wieder zu aufgeregt, um sich demselben hingeben zu können – denken Sie, wenn ich Sie zuweilen gefunden, einen Schweißtropfen an jedem Haare, körperlich und geistig aufgerieben – o, das war eine gräßliche Zeit, und wenn ich mir alles das vergegenwärtige, so würde ich mir durchaus kein Gewissen daraus machen, heute einmal diese Frucht ohne Mühe zu pflücken!«

Der alte Freiherr hatte sich langsam in seinen Lehnsessel niedergelassen und saß nun da, nachdenklich den Kopf auf die Brust gesenkt. Dann sagte er nach einer längeren Pause: »Und doch bedauere ich es, daß mein Auge stumpf geworden ist, daß meine Hand zittert; auf dem Wege hieher – ich kam nämlich zu Fuße – ist mir eine äußerst glückliche Idee gekommen, eine Manipulation zu noch größerer Sicherheit gegen jede Entdeckung.«

»Sollte das nöthig sein – sollte Ihnen eine Sorge kommen, nachdem unsere Arbeit jahrelang durch die Welt gelaufen, ohne je beanstandet worden zu sein – gewiß vielfältig untersucht und geprüft, um eben so gültig wie ihre echten Brüder weiter zu wandern? Ah,« fuhr Friedrich lächelnd fort, »was eine Entdeckung anbelangt, wie man sie gewöhnlich fürchtet, darüber können Sie ganz ruhig sein!«

»Kunst und Wissenschaft, auch in diesem Zweige, sind seit jener Zeit bedeutend fortgeschritten; wenn auch gerade keine neuen Platten hergestellt wurden, so ist es doch möglich, daß den vorhandenen irgend eine kleine, bedeutende Änderung angefügt wurde, die wir nicht kennen, und daß, wenn nun plötzlich eine größere Menge erschien ohne jene Änderung, man aufmerksam werden würde, sorgfältig nachforschen und – o, laß mich meinen Gedanken nicht weiter aussprechen, Friedrich!«

»Das sind nur Muthmaßungen, gnädiger Herr,« versetzte der alte Diener in ruhigem Tone, »Befürchtungen, wie Sie sie öfter hatten, die sich aber stets grundlos erwiesen; nein, nein, ich glaube nicht, daß sich irgend etwas geändert habe. Sie sind von Ihrer kunstvollen Arbeit zu überzeugt; ich machte mir früher häufig und auch jetzt noch zuweilen das Vergnügen, in meinen müßigen Stunden, deren ich ja so viele habe, eines jener echten Papiere mit einem anderen vermittelst der schärfsten Loupe zu untersuchen – und was meine Augen anbelangt, darin leistete ich was damals –, nun war es mir aber niemals möglich, auch nur einen Unterschied zu entdecken von der Größe einer Haarspitze. Wie gesagt, darin können wir ganz sicher sein.«

»Ja, wenn die Zahlen nicht wären,« sprach Herr von Rivola mehr zu sich selber, als zu dem Anderen.

»Wenn ich vorhin von Abweichungen sprach, so meine ich solche, die wir selbst nicht schon längst erkannt haben.«

»Darum handelt es sich eben,« sagte Herr von Rivola eifrig, »und gerade auf jener Abweichung beruht die Manipulation, von der ich vorhin sprach.«

»Sie ist so unbedeutend, daß sie von Anderen nie entdeckt wurde; sie befindet sich in der linken Ecke der Tausender, dort, wo die Arabeske in Schneckenform endigt.«

»So ist es, das haarscharfe Ende jener Verzierung läuft bei den echten genau parallel mit dem letzten Ringe, bei den unseren aber biegt es sich um eine Idee nach einwärts, ist auch vielleicht eine halbe Linie länger. Sobald nun durch die Ausgabe neuer Papiere irgend ein Verdacht rege werden könnte, wird man diese auf's genaueste untersuchen und dann vielleicht auf jene noch unmerklichere Abweichung in den Wasserzeichen kommen – eine Abweichung, die allerdings so unbedeutend ist, daß ich vor Jahren schon den Direktor der königlichen Bank eines Tages darauf aufmerksam machte, welcher aber so gütig war, mich vollkommen zu beruhigen; trotzdem aber wäre es möglich, daß man bei einer schärferen Untersuchung auch jene zu lange und zu eingebogene Arabeske entdeckte, und diese nun den echten Papieren, so viele ich derselben durch Umtausch hier und dort in meine Hände bekommen kann, ebenfalls anzufügen, ist eine Vorsichtsmaßregel, welche du gewiß nicht verwerfen wirst.«

»Gewiß nicht, aber dieses Anfügen hat seine Schwierigkeit, ohne dadurch gerade die Blicke auf diesen Punkt hinzulenken.«

»Mit der Feder könnte es nicht geschehen, nein, es dürfte nur auf mechanischem Wege mit einem Stempel hergestellt werden, in welchem die verlängerte und eingebogene Arabeskenspitze auf's genaueste geschnitten ist, und das zu thun, bin ich mit meinem Auge nicht mehr im Stande; auch ist meine Hand nicht mehr sicher genug, um zu einer so haarscharfen Linie den Grabstichel zu führen.«

»Was das Auge anbelangt, damit könnte ich schon aushelfen,« meinte der alte Diener, »aber hier mit diesen Händen wäre es wohl eine Unmöglichkeit.«

Damit betrachtete er seine groben, knochigen Finger.

Herr von Rivola hatte sich rasch wieder erhoben und ging mit weit leichterem und sichererem Schritte, als er früher gethan, in dem kleinen Zimmer hin und her. Auch erschien seine Miene jetzt, wo er diese Angelegenheit, die ihn vorhin noch so tief niedergebeugt hatte, nun rein geschäftlich, wir möchten sagen: technisch behandelte, belebt, fast aufgeheitert; die tiefen Furchen seiner Stirn hatten sich zu den gewöhnlichen Falten geglättet und das schmerzliche, fast ängstliche Zucken um seine Mundwinkel hatte jetzt dem energischen Zuge wieder Platz gemacht.

»Die Zahlung der Eisenbahnverwaltung, von der du mir vorhin sprachst,« sagte er auf- und abgehend in ruhigem, geschäftsmäßigem Tone, »hilft mir allerdings etwas, aber wenig, nutzt mir dagegen immerhin dadurch, daß ich öffentlich aus der Staatshauptkasse Gelder einzunehmen habe, und ich will schon dafür sorgen, daß man mich in Tausendern und Fünfhundertern ausbezahlt. Hier habe ich auch noch zwei Pretiosen mitgebracht – er holte bei diesen Worten das Etuis aus seiner Tasche hervor –, die ich dir da lassen werde und auf welche du mir bei dem Juwelenhändler in der Schloßstraße, nur nicht beim Hof-Juwelier, wohl verstanden, die Summe von 4000 Gulden aufnehmen sollst – sie sind das Vierfache werth. Dabei brauchst Du gar kein Geheimniß daraus zu machen, daß ich es bin, der sie für ein paar Tage in Versatz gibt; er wird durchaus keine Schwierigkeiten machen, und du läßt dir dafür Tausender geben.«

»Das soll alles pünktlich, wie immer, besorgt werden, gnädiger Herr.«

»Ich bin davon überzeugt, Friedrich, und du kannst mir glauben,« sagte Herr von Rivola mit einem leichten Seufzer, »daß ich so schonend, wie möglich, mit der Ausgabe jener Papiere sein werde – der Himmel ist mein Zeuge, wie glücklich ich wäre, nicht mehr zu diesen Mitteln meine Zuflucht nehmen zu müssen, aber ich kann nicht anders, ich habe Schulden, die mich drücken, ich habe sehr große Ausgaben vor mir, denen ich nicht entgehen kann.« Während Herr von Rivola so sprach, war er in die Nähe des Fensters gekommen und fragte nun plötzlich, hinausblickend: »Ah, wen haben wir da an der Hausthür?«


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