F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Herr Ferdinand Welkermann ertrug seinen Zimmer-, eigentlich Hausarrest mit großer Gemüthlichkeit, nachdem die ersten, unangenehmsten Tage und Stunden vorüber waren, besonders nachdem er eine ziemlich belebte Unterredung mit seinem in der ganzen Strenge auftretenden Vater hinter sich hatte. Daß der Sohn sich dabei mit der gleichen Offenheit und Rückhaltslosigkeit ausgesprochen hätte wie Herr Welkermann senior, wollen wir gerade nicht behaupten, besonders was den Abschnitt der Passiven des jungen Bankbeamten anbelangte; denn wenn er auch eine recht hübsche Summe an Schulden zugegeben hatte, die er neben den großen Zuschüssen von Seiten der Mama und dem reichlichen Taschengelde von väterlicher Seite contrahirt, so hatte er es doch für unnöthig gehalten, von seinen Geldbeziehungen zu Herrn von Rivola zu sprechen. Hätte er doch, einmal damit angefangen, mit Nennung der ganzen Summe herausgehen müssen, da er sich denken konnte, daß sein Vater wohl Mittel und Wege gefunden hätte, dieselbe zu erfahren, weßhalb er diesen zarten Punkt lieber unberührt ließ, etwas Reue heuchelte, ja, ein wenig Zerknirschung, und dabei das Versprechen gab, künftig in seinen Angelegenheiten geordneter werden zu wollen. Daraufhin hatte der Stadtschultheiß wie auch schon früher die Idee, durch eine Stubenhaft jenes unangenehme Duell zu verhindern, für sehr gut gefunden und diese Ansicht gelegentlich auch dem Polizeirath Merkel zu erkennen gegeben, wobei er aber nicht bemerkte, daß dieser für ihn sonst so wohlwollende Beamte ihm mit einer gewissen Befangenheit versicherte, es sei bei den obwaltenden Verhältnissen doch wohl nöthig, diese häusliche Haft noch um einige Tage zu verlängern. Gewiß nicht auf lange Zeit, hatte er gleich darauf mit seiner gewöhnlichen, heiteren Miene hinzugesetzt; doch traue ich diesem Welden nicht, es ist das ein etwas heftiger, rücksichtsloser Charakter. Sollte aber die Haft für Ihren Herrn Sohn wegen seiner Stellung auf der königlichen Bank Unangenehmes haben, obgleich man dort den Grund derselben genau weiß, so können wir ja einfach sagen, er befände sich unwohl und bliebe nur deßhalb noch einige Zeit zu Hause – nicht wahr, das geht ganz vortrefflich?«

Und so blieb denn Ferdinand unter dem Vorwande eines leichten Unwohlseins zu Hause und vertrieb sich die Zeit, so gut es ihm möglich war; er las, was an neuen Romanen erschien, und leistete darin Unglaubliches; er correspondirte mit seinen Freunden, empfing seine Mutter des Tages einige Male, und die gute Frau, welche ihren Sohn bisher fast nur beim Mittagessen auf kurze Zeit gesehen hatte, fand, daß in dieser Beziehung sein gezwungenes Zuhausebleiben gerade nichts Unangenehmes hatte. Elise sah er nicht und machte sich nichts daraus, daß seine Schwester dies sichtlich vermied; berührten ihn doch deren kalte, strenge Reden stets auf's empfindlichste, und hatte er schon oft erfahren, daß sie mit ihrem richtigen Gefühl seinen Lebenswandel durchschaute und sein Inneres mit einer sehr unangenehmen Wahrheit und Offenheit beurtheilte.

Abends war gewöhnlich Spiel bei Doria, und wenn auch seine Fußböden nicht cyprischen Nektar leckten, so wurde doch Einiges an Champagner verbraucht, natürlicher Weise heimlich, um Mama nicht zu erschrecken, wobei Herr Besenbach eine ungemeine Fertigkeit entwickelte, den Flaschen ohne das mindeste Geräusch den Hals zu brechen, wie er zu sagen pflegte.

Auch am Tage besuchten ihn seine Freunde, so oft sie eine freie Stunde hatten, und nahmen diesen Zimmerarrest für eine ganz verflucht komische Folge des Duells mit Welden, wobei dieser natürlicher Weise übel wegkam, und müssen wir es daher begreiflich finden, daß Ferdinand Welkermann einige Male schon die Meldung des Bedienten, der junge Ingenieur sei drunten und wünsche ihn dringend zu sprechen, mit einem verächtlichen Achselzucken und mit dem Bescheid erwiedert hatte: »Sage ihm, ich sei zu unwohl, um Jemanden sehen zu können.«

Da aber bei unserer veränderlichen Menschennatur alles Ding nur eine Weile schön ist, so fand auch Herr Ferdinand Welkermann seine Haft, nachdem dieselbe bereits eine Woche gedauert, so unerträglich als möglich, und versicherte Herrn Besenbach, wenn diese dumme Komödie nicht bald von selbst aufhöre, werde er schon Mittel und Wege finden, sein gegebenes Ehrenwort, die Wohnung nicht zu verlassen, von dem Polizeirath Merkel zurückzuverlangen. Ja, wenn es noch schlechtes Wetter gewesen wäre! Aber so hatten Regen und Wind dem mildesten Frühlingswetter Platz gemacht, die Bäume trieben Knospen und Blüthen, und was nutzten dem Gefangenen alle die schönen Veilchensträuße, welche ihm von seiner Mutter gebracht wurden – hatte er doch keine Gelegenheit, diese duftenden Blumen als zarte Aufmerksamkeit an geeigneter Stelle niederzulegen!

Nein, nein, das mußte in den nächsten Tagen anders werden! Herr Merkel mußte ihm sein Ehrenwort zurückgeben, wofür er ihm ja ein anderes einhändigen konnte, daß es ihm nämlich nicht mehr in den Sinn komme, sich mit dem, der sich so infam gegen ihn benommen, zu schlagen.

Als er gerade einmal ganz besonders mit solchen Gedanken beschäftigt war, kam ihm nichts erwünschter, als die Meldung des Bedienten, der Herr Polizeirath sei soeben in's Haus getreten, auf der Treppe aber von seiner Frau Mutter aufgehalten worden und würde gewiß sogleich dem jungen Herrn seinen Besuch machen. Ferdinand rüstete sich, ihn auf würdige Art zu empfangen; er warf sich in einen Fauteuil, streckte sich lang in demselben aus, faltete die Hände, ließ den Kopf auf die Brust herabsinken und war dabei so in Gedanken vertieft, daß er einmal und zweimal das Klopfen an der Thür überhörte und erst beim dritten Male mit schwacher Stimme »Herein!« rief.

Der Polizeirath erschien auf der Schwelle, etwas ernster wie gewöhnlich aussehend, zwang aber sein Gesicht zu einiger Heiterkeit, als er sah, daß Ferdinand mühsam seinen Kopf aufrichtete, sich schwerfällig erhob und den Guten Morgen, den ihm der Eintretende bot, begleitet von einem tiefen Seufzer zurückgab.

»Bleiben Sie in Ihrer Ruhe, bleiben Sie ja in Ihrer Ruhe,« sagte er, indem er rasch einen Stuhl nahm und sich neben Ferdinand niederließ. »Sie sind unwohl?«

»Es muß wohl so sein, wird aber auch Niemanden Wunder nehmen; ich fühle eine scheußliche Abspannung, eine niederträchtige Müdigkeit in allen meinen Gliedern, bin kaum im Stande, etwas Vernünftiges zu denken.«

»Die Grippe grassirt wieder stark in der Stadt; Sie werden einen kleinen Anfall davon haben?«

»Ei was, Herr Polizeirath, es ist kein Anfall von Grippe, was mich darniederdrückt, es ist dieser unmotivirte Zimmerarrest, der mich noch ganz krank machen wird! Nehmen Sie mir's nicht übel, aber ich bin am Ende mit meiner ganzen Geduld! Den Teufel auch, was ist das für eine Geschichte – in den ersten zwei Tagen hat es die Welt amusirt und mich auch, aber jetzt findet es Jedermann langweilig und mich dazu, was gerade kein Compliment für einen jungen Menschen meines Schlages ist!«

»Ei, ei, so ungeduldig? Und Sie wissen doch ganz genau, daß nur die besten Motive uns zwangen, Sie ein wenig von Ihrer gewöhnlichen Beschäftigung abzuhalten! Sie wissen ebenfalls, daß auch unser verehrter Herr Stadtschultheiß vollkommen damit einverstanden war.«

»O ja, o ja, wer wollte daran zweifeln? Auch meine Frau Mama findet es wahrscheinlich sehr behaglich, mich auf diese Art für meine kleinen wie großen Sünden büßen zu lassen.«

»Wahrlich keine schwere Buße, acht Tage Zimmerarrest! Sie hätten in der That schon ein wenig mehr verdient, mein lieber Herr Welkermann.«

»Und wofür, wenn ich bitten darf? Weil ich mich zu diesem Duell bereit finden ließ?«

»Auch, mein Verehrtester; aber besonders, weil Sie dieses Duell hervorgerufen, bei verbotenem Spiel hervorgerufen, und bei welch' hohem Spiel! Glauben Sie mir, ich bin davon ganz genau unterrichtet.«

»Ei,« sagte Ferdinand Welkermann, sich lebhaft aufrichtend, »Ihren Worten nach, Herr Polizeirath, lerne ich vielleicht eine neue Seite kennen, unter der ich meine Haft zu betrachten habe?«

»Wer weiß – es ist das in der That sehr möglich, und deßhalb sollten Sie sich auch nicht so kategorisch auf den Standpunkt eines unschuldig Gekränkten stellen, besonders nicht einem wohlwollenden Freunde gegenüber, als welchen ich mich stets für Sie und Ihr Haus bewiesen.«

»Den Teufel auch, Sie sagen das mit sehr ernstem Gesichte! So wäre vielleicht dieses kleine, unschuldige Spiel die Schuld, daß man mich hier eingesponnen hat? Aber sagen Sie mir doch, mein lieber Herr Polizeirath, welchen Paragraphen des Gesetzbuches brachten Sie in dieser Beziehung gegen mich in Anwendung?«

»Das ist nicht so ganz leicht zu beantworten. Es gibt allerdings keinen einzelnen Paragraphen, der dazu berechtigt oder auffordert, aber es gibt Fälle,« setzte Herr Merkel achselzuckend hinzu, »wo man trotz aller möglichen Rücksicht gezwungen ist, ein paar solcher Paragraphen zusammenzusetzen, um eine Verhaftung selbst gegen seinen eigenen Willen etwas in die Länge zu ziehen.«

»Ah, das ist stark!« rief Ferdinand Welkermann aufspringend. »Ich dachte, Sie seien gekommen, um mir zu sagen, daß die ganze Farce vorüber sei und daß ich wieder meiner Wege gehen könne, denn Sie werden ja überzeugt sein, daß es mir nach dem, was vorgefallen oder was die Welt spricht, nicht mehr in den Sinn kommen wird, mich dem Ingenieur Welden zu stellen! Wußten Sie in der That nichts davon, was in dem Hause Ihres Herrn Schwagers, des Oberbauraths Lievens, an jenem denkwürdigen Morgen vorgefallen?«

Der junge Mann hatte dies in einem scharfen Tone gesagt, ja, seine Frage unverkennbar mit dem Ausdrucke der Bosheit gestellt, wobei er im Zimmer auf und ab schlenderte und, äußerst unbefangen thuend, an die Decke hinaufblickte.

Der Polizeirath hatte sich ein klein wenig auf die Lippen gebissen; doch da es wohl nicht in seiner Absicht lag, dies den Anderen sehen zu lassen, so ließ er seine zusammengezogenen Lippen, sobald sich Ferdinand auf seinem Gange umwandte, in ein heiteres Lächeln übergehen, mit welchem er zur Antwort gab: »Es ist mir in der That angenehm, daß Sie von selbst auf dieses Thema kommen; ich wollte es gerade berühren. Glauben Sie mir, mein lieber Herr Welkermann, Sie sind in einem fast sträflichen Irrthume, wenn Sie annehmen, Herr Welden hätte nur eine Ahnung gehabt, daß ich mich veranlaßt sehen würde, Sie an jenem denkwürdigen Morgen, wie Sie sagten, zu verhaften, und ich muß hinzusetzen,« sagte er in einem ernsten Tone, »daß die Vermuthung, Herr Welden habe auf mich eingewirkt und ich hätte auf mich einwirken lassen, ein Verbrechen wäre.«

»Hm,« machte Ferdinand, plötzlich vor dem Polizeirath stehen bleibend und ihn mit einem Blicke betrachtend, in welchem sich Zweifel und Unbehaglichkeit ausdrückte.

»Glauben Sie mir nicht? Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf: Herr Welden ist vollkommen unschuldig an Ihrer Verhaftung, ja, ich habe ihn leider dadurch in eine sehr unangenehme Lage gebracht.«

»Und mich in eine Lage, die mir zu denken gibt,« sagte Ferdinand Welkermann, der, sehr ernst geworden, mit über einander geschlagenen Armen den Polizeirath betrachtete. »Aufrichtig gesagt,« fuhr er nach einer ziemlichen Pause fort, »ich hatte mir meine Stubenhaft allerdings aus dieser etwas unlauteren Quelle abgeleitet. Verstehen Sie mich recht, Herr Polizeirath, ich meinte damit den Ursprung dieser Quelle, denn sowie Sie einmal Kenntniß erhielten, es sei ein Duell in Aussicht, das nicht anders als durch die Verhaftung eines der Betheiligten verhindert werden konnte, so waren Sie in Ihrer amtlichen Eigenschaft vollkommen im Rechte, mir, besonders da mein Vater damit einverstanden war, einen kleinen Zimmerarrest zu geben; wie ich aber jetzt die Sache ansehe, so wäre das Duell vielleicht nicht der einzige Grund dazu gewesen.«

»Mit Offenheit kommt man am weitesten, mein lieber Herr Welkermann, um darin hinter Ihnen nicht zurückzubleiben, will ich Ihnen gestehen, daß allerdings noch ein anderer Grund vorhanden ist, der mich zwang, Sie Ihrer Freiheit zu berauben.«

»Auf den wäre ich wahrhaftig begierig!«

Herr Merkel blickte den vor ihm stehenden jungen Mann mit einem festen, scharfen Blicke an, wobei er sich selbst gestehen mußte, daß in Ferdinands offenem Auge sowie in der unverkennbaren Spannung, mit der er ihn ansah, durchaus nichts Verdächtiges oder Verstecktes lag; ja, er hatte vielmehr das Ansehen Jemandes, der sich darauf freut, einen höchst unhaltbaren Grund ad absurdum führen zu können.

»Nun, Herr Polizeirath? Bitte, lassen Sie mich nicht zu lange warten.«

Herr Merkel hatte langsam sein Schnupftuch hervorgezogen und es bedächtig an seine Nase gebracht, so daß es eine ziemliche Weile dauerte, ehe er zur Antwort gab: »Es ist das eine eigene Sache um die Nennung dieses Grundes; ich gehe schon mehrere Tage mit mir darüber zu Rathe, ob ich Ihnen diesen Grund mittheilen soll und darf.«

»Das könnte ich doch wohl verlangen.«

»Gewiß; aber es verhält sich damit wie mit der Bewegung des Fingers am Drücker eines geladenen Gewehres, dessen Hahn gespannt ist: die Kugel fliegt ihrem Ziele zu – wer kann sie zurückhalten? Sowie ich Ihnen diesen Grund nenne, muß ich diesem Grunde gemäß gegen Sie handeln.«

»Immerhin – ich bin auf Alles gefaßt.«

»Sie spielten neulich im Holländischen Hofe mit großem Unglücke und mit großen Summen?«

»Ah, wir nähern uns Ihrem Grunde!«

»Wir nähern uns allerdings,« fuhr Herr Merkel fort, indem er ebenfalls aufgestanden war und sich, scheinbar ganz unbefangen, so in dem Zimmer aufstellte, daß er sich zwischen Ferdinand und der Thür befand.

»Ei, mir scheint, Ihr Grund hat eine gehörige Tiefe?«

»Nachdem Sie gespielt und etwas in Aufregung gerathen waren, zogen Sie eine Fünfhundertgulden-Note hervor und zündeten dieselbe am Lichte an?«

»Sie sind vortrefflich unterrichtet – ich wußte nicht, daß es einen so bedenklichen Paragraphen gegen Hazardspiele und Verschwendung gäbe; auch dachte ich mir immer, letztere sei eigentlich eine Familienangelegenheit.«

Herr Merkel schien dies durch ein Kopfnicken zuzugeben oder machte diese Pantomime nur, weil es ihm nicht ganz leicht wurde, die nächsten Worte auszusprechen; ja, seine Stimme war etwas bewegt, als er nun, sonst aber mit großer Ruhe, sagte: »Unser Grund liegt noch tiefer – die Fünfhundertgulden-Note, welche Sie anzündeten, aber glücklicher Weise nicht ganz verbrannten, war eine gefälschte, ebenso wie drei der Tausendgulden-Noten, welche Herr von Miltau von Ihnen empfing.«

»Bah, Sie treiben Ihren Spaß mit mir!«

»Sehe ich aus wie Jemand, der scherzt? Glauben Sie mir, Herr Welkermann, ich betrachte diesen Augenblick als furchtbar ernst – bitte, sehen Sie ihn auch so an.«

»Ja, was soll denn das bedeuten? Ich verstehe Sie in der That nicht – falsche Noten kann es allerdings geben; falsche Tausender sind bei der Bank eingelaufen, aber von Fünfhundertern habe ich nie etwas gehört. Doch gesetzt, es wäre eine falsche Fünfhundertgulden-Note gewesen, was ich aber auf's bestimmteste bestreiten möchte, denn ich habe einen Blick dafür – wie kann es mich compromittiren, wenn sie sich zuletzt in meiner Hand befindet?«

»Habe ich gesagt: compromittiren?« fragte Herr Merkel mit einem lauernden Blicke.

»Nun, beim Teufel, auf das Wort kommt es wohl nicht an! Sie sprechen von einem Grunde meiner Verhaftung und in demselben Athem von einer gefälschten Banknote; das, meine ich, wäre compromittirt genug! Treiben Sie bei dieser Zusammenstellung in der That keinen Scherz mit mir?«

»Hören Sie mich weiter, und Sie werden sich diese Frage selbst beantworten. Es sind falsche Banknoten vorhanden, nicht nur von tausend Gulden, sondern auch von fünfhundert Gulden im öffentlichen Verkehr, besonders aber – und ich bitte das wohl zu beachten – in großer Anzahl in der Kasse der Bank.«

»Worüber ich mich nicht wundere, denn diese falschen Tausender sind so vortrefflich gemacht, daß sie im Stande waren, sich dem Argwohn unseres Hauptkassirers zu entziehen, und das will etwas heißen, wenn Sie den Mann kennen.«

»Könnten aber nicht Fälle eingetreten sein, Herr Welkermann,« sagte der Polizeirath mit einer absichtlich scharfen Betonung des Wortes, »daß falsche Banknoten auf einem anderen Wege in die Kasse der Bank gelangt wären, als durch die Hände des Hauptkassirers? Ah, ich sehe, Sie verstehen mich!« setzte er rasch hinzu, als er bemerkte, wie der junge Mann mit einem sehr unbehaglichen Gesichtsausdrucke seine Unterlippe zwischen die Zähne klemmte. Seien Sie offenherzig, es ist gewiß das Beste, was Sie thun können.«

»Offenherzig? Ich wüßte wahrhaftig nicht, worin! Es kann am Ende vorkommen, daß man sich einmal einen Schein in der Kasse selbst umwechselt, doch war das ganz unbedeutend und nicht der Rede werth.«

»Wenn das unbedeutend wäre, würde es allerdings nicht der Rede werth sein, aber wo es einmal geschieht, daß man Tausende auf diese Art umwechselt und daß sich unter diesen Tausenden mehr als die Hälfte falscher Noten befinden, so könnte man doch veranlaßt sein, darüber zu reden.«

Der junge Beamte machte eine unmuthige Bewegung und trat dann rasch an das Fenster, wo er nachdenkend an den Himmel hinaufblickte. Sah er doch da oben das Bild dieser letzten Stunde, denn das ganze Himmelsgewölbe, soeben noch klar, blau, voll Sonnenschein, begann sich mit den Vorläufern eines aufsteigenden Gewitters zu überziehen; es donnerte leise in der Ferne. – Der Fall, von dem der Polizeirath sprach, konnte allerdings der seinige sein; hatte er doch Banknoten in ziemlichem Betrage an der Kasse umgewechselt, und wenn ihm auch Herr von Rivola, dem er so große Verpflichtungen schuldig war, nicht gerade verboten hatte, darüber zu reden, so wäre es doch lächerlich gewesen, den Namen dieses so hochgeachteten Mannes gerade jetzt zu nennen – niemals! Dazu war er fest entschlossen, und antwortete, sich rasch umwendend: »Ich mache durchaus kein Hehl daraus, daß ich gegen die Vorschrift Noten umwechselte, und wenn sich zufällig falsche dabei befanden – was liegt daran? Wie kann man mich dafür zur Verantwortung ziehen wollen?«

»Gewiß nicht, wenn Sie sich vielleicht erinnern wollten, von wem Sie diese Banknoten erhalten haben.«

»Und wenn ich mich dessen nun nicht mehr erinnern könnte?«

»Das wäre allerdings sehr, sehr schlimm, denn in diesem Falle müßte ich mich veranlaßt sehen, Ihre Haft dadurch zu verstärken, daß ich Sie bäte, neben meiner Wohnung ein kleines Zimmer zu beziehen.«

»Den Teufel auch, das ist mir doch ein wenig zu stark! So viel ich weiß, wohnen Sie auf der Polizeidirektion?«

Herr Merkel nickte, statt zu antworten, mit dem Kopfe.

»Und Sie glauben,« fuhr der Andere mit heftiger Stimme fort, »daß ich mich eines so albernen Grundes halber gutwillig bei Ihnen einsperren ließe?«

»Es würde mir leid thun, Ihre Begleitung erzwingen zu müssen. Seien Sie gescheit, mein lieber Herr Welkermann,« fuhr er in zutraulichem Tone fort, indem er, näher tretend, seine Hand auf den Arm des jungen Mannes legte, »wozu unnöthiges Aufsehen machen? Ich handle nach meinem Gewissen und nach meiner Pflicht, Sie sind verdächtig – ich sage es Ihnen gerade heraus – falsche Banknoten wissentlich verbreitet zu haben, deßhalb muß ich mich Ihrer Person versichern auf jede Verantwortung hin, und deßhalb bitte ich Sie, meinen Arm zu nehmen und mich zu begleiten – Sie haben dagegen mein Versprechen, daß ich Ihnen in diesem Falle jede andere Begleitung, die ich in der Nähe habe, ersparen werde.«

»Die Sie in der Nähe haben?« fragte der junge Mann erbleichend.

»Einen meiner vertrautesten Unterbeamten, in bürgerlicher Kleidung, Herrn Schmetterer.«

»Thun Sie, was Sie wollen, ich werde nicht mit Ihnen gehen.«

»Bedenken Sie sich eines Besseren, Herr Welkermann – bringen Sie mich nicht in die furchtbare Verlegenheit, hier, im Hause Ihres so hochverehrten Vaters, eines meiner genauesten Bekannten, ein Aufsehen der unangenehmsten Art erregen zu müssen.«

»Thun Sie, was Sie wollen, ich gehe gutwillig nicht mit Ihnen.«

»So werde ich einen Wagen holen lassen, wenn Sie nicht gehen wollen.«

»Keine Wortklauberei; ich werde weder mit Ihnen gehen, noch fahren, ich werde meinen Vater rufen lassen und den Rechtsfreund unseres Hauses; ich will denselben diesen unerhörten Fall vortragen, und man wird den Schutz des Gesetzes gegen Sie anrufen – das werde ich thun, thun Sie dagegen, was Sie wollen, aber mit Ihnen und Ihrem Herrn Schmetterer freiwillig gehen,« rief er mit einem Blicke auflodernden Zornes, »nie und nimmermehr!«

»Sie setzen mich in eine große Verlegenheit,« sagte Herr Merkel, den Kopf hin- und herwiegend, »und ich verdiene das doch weder um Sie, noch um die Rücksicht, mit der ich hier in Ihrem väterlichen Hause auftrete.«

»Lassen Sie uns darüber keine Worte mehr verlieren,« erwiederte Ferdinand, der seine gewöhnliche phlegmatische Ruhe, ob echt oder geheuchelt, wieder erlangt zu haben schien; »verfahren Sie mit mir, wie Sie wollen, das heißt, bringen Sie mich mit Gewalt in Ihre Polizeidirektion, wenn Sie das Recht dazu haben; ich werde der Gewalt weichen, aber nicht Ihrer Überredung. O, hätte ich mich vor acht Tagen besser vorgesehen, als ich mich gutmüthiger Weise bereit finden ließ, diesen Zimmerarrest anzunehmen!«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes gegen Sie in dieser Angelegenheit.«

»Gut, so werde ich Ihren Vater, den Herrn Stadtschultheißen, aufsuchen und ihm die triftigsten Beweise bringen, daß ich das Recht habe, Sie wegen dringenden Verdachtes, wissentlich bei Verbreitung falscher Banknoten mitgewirkt zu haben, in sicheren Gewahrsam zu nehmen.«

Nachdem der Polizeirath dies gesagt, blieb er einen Augenblick, wie Antwort erwartend, stehen; auch als er sah, wie sich Ferdinand, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, an's Fenster lehnte, ging er nach der Thür, rief Herrn Schmetterer herein und sagte diesem in einem ernsten Tone, durch den aber immer noch etwas wie Wohlwollen klang: »Sie bleiben hier im Zimmer bei Herrn Welkermann, bis ich zurückkomme oder Ihnen einen weiteren Befehl schicke. Sie lassen Niemanden zu ihm, es sei denn, daß ich selbst Jemanden schriftlich dazu ermächtige. Sie lassen ihn mit Niemandem reden, auch nicht mit Mitgliedern seiner Familie, mit Niemandem ohne alle Ausnahme.«

Dann verließ er das Zimmer.

Ferdinand glaubte zu träumen – was war das? Er, ein Beamter der königlichen Bank, beschuldigt, falsche Noten wissentlich verbreitet zu haben? Wachte er oder befand er sich in tiefem Schlafe? Nein, nein, er wachte; das waren die Häuser, welche er jeden Tag aus seinem Fenster sah, das war sein Zimmer – da, auf einem Stuhle an der Thür, saß ein Mensch mit blondem, fahlem Haar und einem einfältigen Gesichtsausdrucke, der ihn bewachen sollte – also befand er sich in der That in ernsterer Haft, als vor einer Stunde. –

Er biß sich auf die Lippen, er knirschte mit den Zähnen, als er nun dachte, daß noch im Laufe des heutigen Tages, spätestens morgen früh, die Welt von dem großen Ereignisse in Kenntniß gesetzt sein würde, er, Ferdinand Welkermann, der Mittelpunkt der eleganten und verschwenderischen jungen Männerwelt, sei wegen Antheils an Banknotenfälschung verhaftet worden.

Und nichts war natürlicher, als daß sich dieses Gerücht wie ein Lauffeuer verbreiten würde. Jetzt schon mußte seine arme, gute Mutter darum wissen, auch die Dienstboten des Hauses und durch diese seine Tante, die Revisorin Welkermann, und dann war die größtmöglichste und schnellste Verbreitung gesichert.

Was aber konnte die ganze Geschichte zu bedeuten haben? Wie konnte er in diesen häßlichen Verdacht kommen? Möglich, daß sich unter den Banknoten, die er für Herrn von Rivola umgewechselt, falsche befunden hatten – wie konnte man aber ihn dafür verantwortlich machen, oder wie Herrn von Rivola, einen reichen Mann aus der besten Gesellschaft – einen so vorsichtigen Mann, so über allen Verdacht erhaben, der, wie Ferdinand häufig gesehen, auf Banknoten von großem Betrage seinen Namen schrieb, um den Beweis zu führen, diese oder jene Note sei durch seine Hände gegangen? Pah, war er doch selbst von seiner Unschuld so sehr überzeugt, daß er über die ganze Geschichte hätte lächeln können, wenn ihm nicht der vorsichtige Charakter des Polizeiraths Merkel, dieses gefürchteten Beamten, eingefallen wäre! Wer weiß, welche verfluchten Umstände zusammengewirkt haben, um einen so garstigen Verdacht auf mich zu werfen, der allerdings verschwinden muß wie Nebel vor der Sonne, Dank des Zeitalters, in dem wir leben, und der Öffentlichkeit unseres ganzen Gerichtswesens, bei welcher es nicht mehr so leicht vorkommen kann, daß man gezwungen ist, eine Suppe auszuessen, die man sich nicht selbst eingebrockt hat – pah, auch das wird vorübergehen!

Und doch hatte er gleich darauf wieder einen anderen Gedanken, bei dem es ihm fröstelnd den Rücken hinaufflog: die Sicherheit, mit der Merkel gegen ihn aufgetreten war, die Aussicht, welche er ihm eröffnet, vielleicht mit Gewalt auf die Polizeidirektion gebracht zu werden – und das alles sollte ohne die triftigsten, wenn auch nur Scheingründe, vor sich gehen können? Und wenn es vor sich ging, welcher Spruch des Gerichts könnte der Verleumdung befehlen, nicht achselzuckend hinzuzusetzen: ›Ja, wenn man Sohn des Stadtschultheißen ist, wenn man mächtige Freunde hat wie Herrn von Rivola, ja, wie den Polizeirath Merkel selbst, so läßt sich Manches vertuschen!‹

Dabei fiel ihm Welden ein, einer der geachtetsten und loyalsten jungen Leute, von dem bisher Jedermann mit der größten Achtung gesprochen und den man nun über die Achsel ansah, weil man Gründe, ja, nach den Worten Merkels auch nur Scheingründe hatte, ihn niederträchtiger Feigheit zu beschuldigen, dessen guter Ruf dadurch wohl für immer vernichtet war.

Das Blut stieg ihm bei diesen Gedanken zu Kopfe, er rieb seine heiße Stirn und wandte sich dann von dem Fenster weg, um hastig in dem Zimmer auf- und abzugehen.

An der Thür saß der Mann mit dem blonden Haar in etwas gebückter Haltung, seine Hände auf den Knieen gefalten, und betrachtete sich, anscheinend mit großer Gleichgültigkeit, die Einrichtung des Gemaches, zuweilen auch mit einem aufleuchtenden, intelligenten Blicke den vor ihm auf- und abwandelnden jungen Mann.

Da wurde ziemlich laut und deutlich an die Zimmerthür geklopft.


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