F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Zweiter Band.

Zehntes Kapitel.

Es mochten vielleicht vierzehn Tage nach diesen Vorfällen verflossen sein, um die bewegteste Zeit des gesellschaftlichen Lebens der Residenz, wo Abendgesellschaften aller Art, mit und ohne Spiel und Souperrouts, kleine und große Bälle im üppigsten Flor standen, als die Frau Staats-Hauptkassen-Schuldentilgungs-Revisorin Welkermann Einladungen zu einer Kaffeegesellschaft ergehen ließ, um auch das Ihrige zum allgemeinen Vergnügen beizutragen und sich für Genossenes zu revanchiren.

Sie that es gerade an einem Tage, von dem sie wußte, daß ihre Schwägerin, die Frau Stadtschultheißin Welkermann, schon anderweitig gebeten war, um alsdann mit Achselzucken sagen zu können: Die Frau ist vornehm und hochmüthig geworden und findet es unter ihrer Würde, bei armen Revisorsleuten, die nicht so mit Teppichen und Silbergeschirr dienen können, ein harmloses Schälchen Kaffee anzunehmen!

Deßhalb fehlte es der Gastgeberin aber nicht an Namen von gutem Klange, deren Trägerinnen sich um den runden Tisch versammelten, – doch bemerkte man hier meistens Gattinnen solcher Männer, welche der Regierung und dem Stadtschultheißen – letzterem besonders in den gemeinderäthlichen Sitzungen – Opposition zu machen pflegten. War doch auch der Revisor selbst ein Mann des Fortschritts und kämpfte wacker mit für das Beste des Volkes, für Freiheit und Aufklärung, wobei wir indessen nicht unterlassen können, zu bemerken, daß er in seinem eigenen Hauswesen diese glänzenden Ziele noch bei Weitem nicht erreicht hatte. Madame Welkermann wollte von persönlicher Freiheit in gewisser Beziehung nichts wissen, und was das Andere anbelangte, so war sie allerdings eifrig darauf aus, über alles, was ihr vorkam, gründlich aufgeklärt zu werden, dagegen sehr parteiisch und einseitig in Aufklärungen, die sie zu geben hatte.

Die armen Revisorsleute, wie Madame Welkermann sich und ihren Gatten in ironischer Weise gern zu bezeichnen pflegte, hatten übrigens eine sehr behaglich aussehende Wohnung. Wenn da auch kein Luxus war in Teppichen, Portièren, kostbaren Bildern, Kronleuchtern und dergleichen, so war doch Alles sehr wohnlich und behaglich eingerichtet und von einer Pünktlichkeit und Reinlichkeit, welche der Stolz der Hausfrau und der Schreck ihrer Dienstmädchen war, denn sie liebte es, wenigstens an jedem Tage einmal, besonders des Morgens, die sogenannte Staubprobe zu machen, wobei sie mit dem Zeigefinger über gewöhnlich sehr versteckte Möbelflächen fuhr, um alsdann etwas darauf hangen Gebliebenes der Betreffenden, und zuweilen sehr dicht, unter die Nase zu halten. Auch liebte sie, die Fenstervorhänge sanft zu schütteln, dies aber gewöhnlich dann, wenn ein heller Sonnenstrahl in's Zimmer drang, und nahm sie hierauf die ohnedies harmlos umherfliegenden Staubatome zum Grundtexte einer erbaulichen Reinlichkeitspredigt. Böse Zungen behaupteten dabei, daß die Revisorin, um ihre Leute stets auf dem Allarmpunkte zu erhalten, zuweilen kleine Unordnungen, wenn solche sich nicht von selbst fanden, eigenhändig und heimlich arrangire, um so Gelegenheit zu finden, über Unordnung im Allgemeinen und Unsauberkeit im Speziellen zu reden.

Herr Welkermann, der in seinen Freiheit athmenden Reden, die er in seinem Club, oder im Rathhause, oder bei Wahlbewegungen gern zu halten pflegte, stets ein heißes Unabhängigkeitsgefühl zur Schau trug, wagte es doch nicht, diese schönen Eigenschaften in sein Hauswesen zu übertragen. Hier stand er in dem zweifelhaften Verhältnisse, eigentlich nur geduldet und der erste Sklave einer tyrannischen Hausordnung zu sein. Saß er doch auf Kohlen, wenn eine Gemeinderathssitzung sich ausnahmsweise einmal über den Mittag ausdehnte, und war es in solchen Fällen wohl schon vorgekommen, daß sein Bruder, der Herr Stadtschultheiß, ihn höchstselbst nach Hause begleitet hatte! Ja, Leute, die boshaft genug waren, an seinem persönlichen Muthe zu Hause zu zweifeln, erinnerten sich seiner Rede, die er bei einer Wahl für seine Partei gehalten, daß er Mittags beim Glockenschlage Zwölf plötzlich mit den begeisterten Worten schloß, obgleich er noch lange nicht alles gesagt hatte, was er sagen wollte: »Doch wozu der weiteren Worte? Mögen die drohenden Schläge der Uhr es verkündigen unseren Feinden, ihnen, die auch zugleich Feinde des Rechtes und der Wahrheit sind, daß auch für sie die zwölfte Stunde in Kurzem schlagen wird!« Ungeheures Bravo, große, allgemeine Begeisterung, unter der Herr Welkermann sich so rasch er konnte nach Hause schlich.

Doch es gibt auch Augenblicke, wo sich selbst das Lamm empört, und ein solcher war es, als die Frau Revisorin in ihrem Reinlichkeitsgefühle den Wunsch äußerte, er möge sich doch dazu entschließen, bei Regenwetter die Stiefel vor der Stubenthür auszuziehen, worauf er allerdings nicht heftig wurde, aber mit einem bezeichnenden Blicke auf das appetitliche Stubenmädchen die bedeutsamen Worte sprach: »Wenn du es für gut findest, in meinem Hause solche orientalische Moscheegebräuche einzuführen, so werde ich mir erlauben, andererseits die Türkei zum Muster zu nehmen.«

Es war kurze Zeit vor der Kaffeestunde, beinahe um drei Uhr Nachmittags, jene günstige Zeit, wo die Verdauung des Mittagessens so weit vorgeschritten ist, um wieder etwas leisten zu können, und wo während der kurzen Tage der Winterzeit bald die Lampen angezündet werden konnten, um mit ihrem traulichen Scheine den Kreis der Damen noch enger zu schließen und ein freieres Wort zu gestatten, welches nach gehöriger Wirkung von der Sonnenseite des Kaffeetisches rasch in die Schatten des Abends und in die Vergessenheit hinüberflog.

In dem blauen Zimmer war der Kaffeetisch mit äußerster Sorgfalt gedeckt und stand da an Kuchen und mürbem Backwerk in einer Auswahl, wie sie ein weibliches Herz nur erfreuen konnte; dabei ganze Berge schneeweißen, in den Bruchtheilen glänzenden Zuckers, sowie dickbäuchige Porzellankannen mit gelbem, fettem, gemüthlichem Rahm.

Die Revisorin hatte ein einfaches schwarzseidenes Kleid an und eine Haube mit langen, gelben Bändern, welche vorn über ihre Schultern herabhingen, die sie aber, wenn bei aufregender Unterhaltung der Gesprächskampf begann, über die Achseln zu werfen pflegte. Man kannte diese Bewegung, und es machte dies auf ihre Gegner fast dieselbe Wirkung, als wenn ein Ritter sein Visir schließt und die Lanze einlegt. Sie traf ihre letzten Anordnungen, wobei sie ihrem Stubenmädchen wiederholte, daß sie überhaupt Alles von der linken Seite anzubieten und dazu, ohne gerade auf dumme Art zu lachen, ein heiteres Gesicht zu zeigen, dabei stets mit den Augen den ganzen Tisch zu übersehen habe und gleich bei der Hand sein müsse, wenn etwas umfalle oder sonst in Unordnung gerathe; auch müsse sie stets eine reine Serviette bei der Hand haben und sich natürlicher Weise niemals unterstehen, irgend etwas, am allerwenigsten ihre Finger an der weißen Schürze abzutrocknen.

Diese Vorbereitung zum Gefechte commandirte die Revisorin mit tiefstem Ernste und einer eisigen Ruhe; ja, sie sah fast finster aus, als sie draußen der etwas leichtfertigen Köchin nochmals einschärfte, keine der Damen vorwitzig anzureden, wie sie es gern zu thun pflege, sondern nur bescheidene Antwort zu geben, auch nicht zum Beispiel zu sagen: »Ja wohl, Madame Krampler«, sondern »Frau Oberzunftmeister«; ferner schade es nichts, die Frau des Vorstandes der Feuerwehr einfach mit »Frau Direktor« anzureden. Vor allen Dingen aber solle sie Damen nicht einen Augenblick auf dem Vorplatze stehen lassen, sondern sogleich zur Ablegung ihrer Mäntel und Shawls in das Schreibzimmer des Herrn führen.

Die Klingel ertönte, und Madame Welkermann huschte in's Zimmer zurück, um gleich darauf mit dem verbindlichsten Lächeln ihren Gästen bis unter die Thür entgegen zu gehen.

»Ah, Frau Oberzunftmeister, Sie sind wie immer die Pünktlichste, freue mich sehr, Sie zu sehen! Bitte, nehmen Sie hier Platz – ich weiß, Sie lieben die Helle des Fensters nicht.«

Madame Krampler war eine stämmige Frau, der es einige Mühe gemacht hatte, die zwei Stockwerke hoch zu steigen, und die sich nun, etwas schwer athmend, ohne viele Worte auf den angewiesenen Sitz niederließ.

Wir müssen es hier dem geneigten Leser unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit anvertrauen, daß Madame Krampler etwas unter dem Niveau der anderen Gäste stand; doch hatte ihr Mann als Oberzunftmeister und Besitzer eines sehr großen Vermögens einen zu bedeutenden Anhang und war dem Revisor bei Parteizwecken sowie auch in Privatangelegenheiten schon zu oft gefällig gewesen, um seine Gattin, die auch in anderen, eben so guten Häusern erschien, nicht gleichfalls einzuladen.

Dabei war sie eine gute, bescheidene Frau, welche, um durchaus kein Aufsehen zu erregen, stets zu früh kam und sehr wenig sprach; aber auch dieses Wenige war häufig noch zu viel, denn da sie etwas langsamen Geistes war, so warf sie gewöhnlich eine Bemerkung erst dann in die Conversation, nachdem das Gesprächsthema bereits auf einen anderen Gegenstand übergegangen war.

Inzwischen läutete die Glocke draußen ununterbrochen und hörte man die flinke Zunge der Köchin mit lauter Stimme alle möglichen Titulaturen des Staatshandbuches aussprechen. Und dann sah man sie nach der Reihe erscheinen, mit freundlich gütigem Lächeln eintreten, von der Wirthin auf's herzlichste empfangen werden und die Frau Staats-Hauptkassen-Schuldentilgungs-Revisorin theils mit herzlichem Händedrucke, theils mit einer gewissen Vornehmheit begrüßen. Dann wurden stehend einige nothwendige Bemerkungen über das Wetter gemacht, rasch ein paar dringende Familienbeziehungen besprochen und das Aussehen im Allgemeinen ganz vortrefflich gefunden und dann, nach den nothwendigsten Complimenten, entwickelte sich eine prächtige Tafelrunde.

Wir bemerken hier einige Bekannte von dem Balle des Stadtschultheißen her: die Ober-Steuerräthin Marx mit ihren beiden Töchtern, die leider schon so ältlich waren, daß sie sogar in diesem Kreise verheiratheter Damen zugelassen wurden und daß man sich in ihrer Gegenwart durchaus nicht genirte, von jenen kleinen, pikanten Anekdoten aus dem Nähkörbchen mitzutheilen; da befand sich ferner, und zwar am Ehrenplatze des Tisches, in der rechten Sophaecke, die streng aussehende Ober-Kriegsräthin Schnapper und schien mit ihrer spitzigen Nase das Ganze, die Hauswirthin inbegriffen, zu beherrschen, denn der Ober-Kriegsräthin noch schlagfertigere und noch schärfere Zunge war wohl die einzige, vor der die Revisorin einigen Respekt hatte; da war natürlich eine Madame Mayer und eine Madame Müller; da war der Kriegerstand vertreten durch die uns ebenfalls schon bekannte, erst kurz vorher verheirathete Lieutenantsfrau, sowie durch eine alte, zweifelhafte Majorin von etwas fadenscheinigem Äußern, zweifelhaft, weil sie als Wittwe eines einfachen Lieutenants eines kaiserlichen Grenzregiments sich ein paar Jahre als Frau Oberlieutenant in Pesth, später als Hauptmännin in einer kleinen österreichischen Stadt aufgehalten und sich nun hier in ihrer Vaterstadt als Majorin zur Ruhe gesetzt hatte; in ihrem Beitrage zur Unterhaltung kam sie selten über die Eingangsworte: »Mein Mann, der Major« – entweder daß sie danach ihre eigene Rede selbst vergessen hatte oder daß ihr das Wort von einer gewandteren Rednerin abgeschnitten wurde. Da waren noch andere Damen, die wir vielleicht im Verlaufe der Unterhaltung kennen lernen werden oder die ohne besonderes Interesse nur zum allgemeinen Ganzen gehörten und deren schüchterne Bemerkungen nicht der Mühe werth sind, um für die Nachwelt aufgezeichnet zu werden.

Tassen und Löffelchen klapperten, das Stubenmädchen bot den von der Revisorin eingeschenkten Kaffee herum, Kuchen und mürbes Backwerk wurden so tapfer in Angriff genommen, daß die Hauswirthin kaum nöthig hatte, mit einigen schüchternen Nöthigungen das ohnehin hitzige Kaffeegefecht anzufeuern.

Die Erste, welche von dem energischen Angriffe auf den überaus delikaten Kaffee abstand, war die Ober-Kriegsräthin, indem sie die strengen Augen auf die Hauswirthin richtete und mit dieser ein kleines Vorpostengeplänkel begann.

»Wo ist denn Ihre liebe Schwägerin, die Frau Stadtschultheißin?« sagte sie mit so sanfter Stimme, als es ihr möglich war. »Ich hatte gehofft, sie hier zu finden – gewiß kommt sie später? Schade, daß sie nicht schon da ist!« Ein Bedauern, welches durch sämmtliche Damen im Chor unter den schmeichelhaftesten Äußerungen für die gute Stadtschultheißin verstärkt wurde.

»Ach, ich habe wirklich Unglück mit meiner lieben Schwägerin!« gab die Revisorin mit einem freundlichen Lächeln zur Antwort. »Daß ich sie natürlicher Weise dringend bat, mir das Vergnügen zu machen, versteht sich von selbst; aber die gute Frau ist so in Anspruch genommen, daß sie sich oft nicht einmal ihrer eigenen Familie widmen kann.«

Die Ober-Kriegsräthin schüttelte mit dem Kopfe, ehe sie trocken zur Antwort gab: »Ei, die Familie sollte immer vorgehen; meine Schwägerin sagt lieber zehn Gesellschaften ab, als daß sie bei mir eine Einladung ausschlägt.«

»Verhältnisse bestimmen den Menschen, liebe Ober-Kriegsräthin,« versetzte Madame Welkermann mit einem leichten, schmerzlichen Tone um die Mundwinkel. »Darf ich wirklich keine Tasse Kaffee mehr anbieten?«

»Danke schön, er war ganz vortrefflich! Da überleg' ich mir eben,« fuhr Madame Schnapper nach einer Pause fort, »wo unsere gute Stadtschultheißin sein könnte; außer unserem Kreise wüßte ich von keiner größeren Einladung, und es müßte auch etwas ganz Außerordentliches sein, um Ihnen abzusagen.«

»Müßte es das wirklich?« fragte die Revisorin in einem etwas gedrückten Tone, wobei die gelben Haubenbänder auf ihrer Schulter ein wenig zu zucken schienen. »Ich nehme das nicht so genau,« setzte sie mit einem leichten Seufzer hinzu, »bin dergleichen schon gewohnt und habe treue Freundinnen genug, die auch eine kleine Zurücksetzung wohl verschmerzen lassen – bitte, Frau Majorin, nehmen Sie noch etwas von diesem mürben Kuchen!« setzte sie mit einer Gewandtheit im Ändern des Gesprächsthema's hinzu, welche ihrem vortrefflichen Herzen alle Ehre machte. »Er ist bei mir nach einem ganz neuen Recepte gebacken.«

»Ganz ausgezeichnet,« sagte Madame Müller.

»Ich habe noch nie etwas Ähnliches gegessen,« pflichtete Madame Mayer bei.

»Mein Mann, der Major . . .«

»Wenn er Ihnen in der That so schmeckt, meine liebe Madame Mayer, so bitte ich, verhelfen Sie sich noch zu einem Stückchen – und auch Sie, Frau Oberzunftmeister – ich sehe beständig Ihren Teller leer.«

Frau Krampler, welche eifrig strickte, fuhr fast erschrocken aus ihrem Nachsinnen auf, und da sie sich doch auch verpflichtet fühlte, etwas zur Unterhaltung beizutragen, so sagte sie, noch mit dem vorigen Gesprächsthema beschäftigt: »Die Köchin der Frau Stadtschultheißin hat der meinigen eine Schwarzwildsulz gelehrt, die ganz vortrefflich ist.«

»Ei, in der That? O . . .«

Über die strengen Züge der Madame Schnapper flog ein bezeichnendes Lächeln, unter dem sie ihrem Gegenüber sagte: »Ich achte und ehre eine gute Sulz zum Schwarzwildpret, aber man kann eine gute Köchin haben und doch nicht immer ganz correkt gegen seine Verwandten sein.«

Dies hatte weder die zweifelhafte Majorin, noch Madame Krampler verstanden, da sie sich keinen Zusammenhang zwischen einem Schwarzwild in Sülze und einer verwandten Familie denken konnten. Deßhalb sagte die Ober-Zunftmeisterin mit einem fragenden Blicke: »Ich sprach doch von Schwarzwild, und ich kann Sie versichern, es ist eine ganz köstliche Sulz; vielleicht wünscht jemand von den Damen das Recept . . .«

Worauf die Majorin hinzusetzte: »Mein Mann, der Major, hatte . . .« (sie wollte sagen: hatte einen wahren Abscheu vor allem Schwarzwild); doch kam sie nicht dazu, die Bemerkung zu vollenden, denn die junge Lieutenantsfrau rief laut über den Tisch hinüber:

»Ach, Frau Ober-Kriegsräthin, die Frau Ober-Steuerräthin erzählt da soeben, daß sie vorhin in der Kirche war und die Trauung des jungen Oberlieutenants Wimmer ansah.«

»Schauderhaft!« meinten beide Fräulein Marx in gleichem Tone. »Es war ein schreckliches Paar!«

»Sie kennen doch den kurzen, dicken Wimmer mit seinem lächelnden Gesichte, auf dem sich unverwüstliche Heiterkeit ausprägt?« sagte die Ober-Steuerräthin. »Denken Sie sich dazu eine wahre Hopfenstange von einem Frauenzimmer, im weißen Kleide decolletirt bei der Kälte, gelb wie eine Citrone von Gesicht und Schultern, und was für Schultern! Nein, ich sage Ihnen, etwas so Mageres und Spitziges habe ich in meinem Leben nicht gesehen!«

»Man hätte darauf schreiben sollen: ›Wir wollen Schultern vorstellen!‹« meinte das jüngere Fräulein Marx.

»Die ganze Figur sah aus wie ein Kleiderständer,« ergänzte die ältere.

»Aber sie hat Geld, meine Damen,« sprach die Ober-Kriegsräthin und setzte hinzu, indem sie ihre Nase eine kleine Wendung gegen die Lieutenantin machen ließ: »Es ist das so eine eigenthümliche Geschichte mit manchen militärischen Heirathen; man kann die Kaution bezahlen, man möchte gern einen Mann haben – die jetzige Madame Wimmer soll reich sein.«

»Mein Mann, der Major . . .«

»Aber wie kann man sich zu so etwas entschließen?« seufzte Madame Müller, eine junge Frau von angenehmem Äußern, welche, wie die böse Welt sagte, ihren Mann verschiedener Umstände halber zu einer Neigungsheirath gezwungen hatte. »Ich meine nämlich, wenn ich Herr Oberlieutenant Wimmer wäre – schrecklich, wenn ich daran denke – ich fürchte, der junge Ehemann wird ein trostloses Erwachen haben!«

Obgleich nun in diesen Worten durchaus nichts besonders Verfängliches lag, so bemühten sich doch beide Fräulein Marx, mit einem Anfluge von Erröthen auf ihre Teller niederzuschauen, und es war ein Glück, daß Madame Krampler die Bemerkung einwarf, daß der selbstgebackene Kuchen der Staats-Hauptkassen-Schuldentilgungs-Revisorin allerdings vortrefflich sei und daß sie gern bereit wäre, das Recept desselben gegen das der mehr erwähnten Sülze umzutauschen.

»Und wie sie nach ihm hinuntergeschmachtet hat!« fuhr die Ober-Steuerräthin fort, die Trauungsfeierlichkeiten in der Kirche zu beschreiben, »und dabei wollte sie verschämt thun wie ein junges Mädchen, dieses alte Gerüst!«

»Ja, es war schrecklich anzusehen!« betheuerten beide Fräulein Marx wie aus Einem Munde, und die ältere setzte hinzu: »Und als es nun zum Jasagen kam, schluckte der arme Wimmer vorher, als vermöge er irgend etwas kaum hinabzuwürgen. Er wird noch mehr zu würgen kriegen, ich kenne ihre Familie; alle ihre Schwestern sind verbissene Wesen, bis auf die jüngste, deren Fehltritt allein Entschuldigung findet in dem Beispiele ihrer Tante, die ja notorisch . . .«

Hier war die Sprecherin so gnädig, sich durch einen Blick der Ober-Steuerräthin unterbrechen zu lassen, mit welchem diese, ihre Töchter betreffend, sagen zu wollen schien: »Schone die Unschuld!« was auch gewiß geschehen wäre, da die Hauswirthin die Unterhaltungsschleuse dadurch voll aufzog, indem sie das Kapitel auf die Verwerflichkeit der Dienstboten heutzutage brachte, wenn nicht, als die Conversation hierüber schon längst im Gange war, Madame Krampler die verfängliche Frage hineingeworfen hätte, ob denn jener Fehltritt von Folgen gewesen sei.

Daraufhin flog für eine Minute lang ein Engel durch das Zimmer, oder ein Polizeidiener, wie man an anderen Orten zu sagen pflegt, und dann bedurfte es der ganzen Energie der Ober-Kriegsräthin, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Allerdings wählte sie hierzu ein die Revisorin etwas nahe berührendes Thema, denn sie erwähnte des neulichen Balles beim Stadtschultheißen, lobte das Fest im Allgemeinen und kam alsdann auf die gemeinderäthliche Sitzung zu sprechen, welche an jenem Tage stattgefunden hatte und die als nicht öffentlich, trotz Amtsgeheimniß, in der Stadt so bekannt geworden war, als sei die Verhandlung darüber gedruckt und vertheilt worden. Es war das für sämmtliche Damen ein so interessantes Thema, daß sich selbst Madame Krampler der Gegenwart hin- und die Versicherung abgab, daß ihr Mann, der Oberzunftmeister, nie so erregt nach Hause gekommen wäre, als gerade nach dieser Sitzung, und doch habe es sich in ihren Augen nur um eine große Kleinigkeit gehandelt.«

»Eine Kleinigkeit?« bemerkte die Hauswirthin mit einem etwas auffallenden Lächeln, und die Ober-Kriegsräthin setzte mit ihrem strengen Blicke und einem entschiedenen Kopfschütteln hinzu: »Eine Kleinigkeit? Das möchte ich nun gerade nicht behaupten.«

»Und warum nicht?« fragte die Ober-Steuerräthin. »Was kann Großes darin liegen, ob ein altes Gitter im Keller des Rathhauses offen bleibt oder zugemauert wird?«

»Dabei kommt doch wohl Alles auf die Gründe an, welche der Herr Stadtschultheiß, mein sehr verehrter Schwager, hatte,« meinte die Revisorin.

»Ja, die Gründe – allerdings, die Gründe sollte man genau kennen.«

»Diese hat ja der Herr Stadtschultheiß durchaus nicht verheimlicht,« gab Madame Krampler zur Antwort, wobei sie so sehr bei der Sache war, daß sie das Strickzeug in den Schooß fallen ließ und ihre fetten Finger auf den Tisch zusammenfaltete. »Gewiß, er hat seine Gründe angegeben, und ich glaube, sie wären vom ganzen Gemeinderathe anerkannt worden, wenn man nicht gedacht hatte, es stecke die Regierung dahinter, welche eine Verbindung zwischen der Hauptwache und dem Rathhause für vorkommende Fälle beseitigen wolle, und deßhalb machten wir die Opposition.«

»Die Regierung?« lief die Ober-Kriegsräthin in sehr entschiedenem Tone aus. »Was kann der Regierung daran liegen, ob ein Gitter im Rathhauskeller vermauert wird oder nicht! Wollte sie dadurch ihre Hauptwache für vorkommende Fälle, wie die Frau Oberzunftmeister sagte, schützen, so brauchte sie ja nur den Gang diesseits verschütten zu lassen, was ja auch längst geschehen ist, wie ich weiß. Nein, nein, meine Liebe,« setzte sie mit einem vielsagenden Lächeln hinzu, »es waren andere Gründe, die den Herrn Stadtschultheißen bestimmten!«

»Gewiß, andere Gründe.«

»Der üble Geruch bei den Sitzungen des Gemeinderaths.«

»Den wird doch eine zugemauerte Thür nicht vertreiben!« sprach ironisch die Kriegsräthin.

»Nein, nein; andere Gründe.«

»Ja, ja, andere Gründe.«

»Mein Mann, der Major . . .«

»Gründe, die Jedermann weiß, denen man aber keine Worte leiht.«

»Unter uns? Sind doch nur ganz gute Freundinnen hier versammelt!«

Die Ober-Steuerräthin, welche nicht nur allen Hochzeitsfeierlichkeiten in der Kirche, allen Taufen daselbst oder allen wichtigen Begräbnissen auf dem Friedhofe, soweit dies möglich war, selbst beiwohnte oder sich durch eine ihrer Töchter vertreten ließ, hatte sehr lange bedeutsam mit dem Kopfe genickt und sagte jetzt: »Meine Damen, wir sind es eigentlich unserer verehrten Wirthin, der Staats-Hauptkassen-Schuldentilgungs-Revisorin schuldig, diese delikaten Punkte nicht weiter zu berühren; es ist das ein Geheimniß der Stadt, und obgleich Jeder es weiß, spricht man doch besonders in gewissen Kreisen nicht gern darüber.«

In diesem Augenblicke nun zeigte die Revisorin ihre ganze Charaktergröße – sie warf das eine ihrer gelben Bänder über die rechte Schulter hinüber, richtete sich stolz und gerade auf und sagte: »Keine Rücksichten, meine Damen, keinen Zwang; Sie wissen wohl, daß es Lagen in diesem Leben gibt, in denen man sich besser an die Freundschaft, als an die Verwandtschaft anschließt.«

»Sehr wahr, Frau Revisorin,« sagte die Ober-Kriegsräthin.

»Auch habe ich wahrlich keine Ursache dazu,« fuhr die Hauswirthin fort, indem sie nun das andere gelbe Band über die betreffende Schulter warf. »Man ist seinen Verwandten nur so lange Rücksicht schuldig, als man von ihnen rücksichtsvoll behandelt wird.«

»Gewiß, gewiß – o gewiß!«

»Ich sagte es ja früher schon,« warf hier die Ober-Kriegsräthin achselzuckend ein, »daß ich durchaus von keiner Gesellschaft wüßte, wo die Frau Stadtschultheißin hätte verpflichtet sein können; ich kenne so ziemlich alle Einladungen in unseren Kreisen.«

»Das wäre am Ende Nebensache. Du lieber Gott, wenn man eine so hohe gesellschaftliche Stellung einnimmt, wie mein Herr Schwager, der Stadtschultheiß, so begreift es sich, daß man sehr von oben auf arme Revisorsleute herabsieht!«

Da diese Worte von einem ironischen Lächeln begleitet waren und die Hauswirthin dabei ihre Blicke über den behaglichen Kaffeetisch gleiten ließ, so erregten dieselben eine laute, ja, fast ausgelassene Heiterkeit.

»Noch das bei Seite,« fuhr Madame Welkermann fort; »auch sonst noch in tausend Dingen – doch reden wir nicht darüber – lassen wir uns durchaus nicht in unserer gemüthlichen Unterhaltung stören. Fahren Sie fort, Frau Ober-Steuerräthin, und seien Sie versichert, daß ich die Letzte war, welche daran glaubt, daß dem Herrn Stadtschultheißen das Zumauern der Thür wegen eines üblen Geruches im Rathhaussaale so wichtig gewesen wäre – darin spielen ganz andere Motive.«

»Gewiß, ganz andere, wichtige Gründe.« Inzwischen hatte sich die Dämmerung herabgelassen, mit dem heiteren Tageslichte waren auch vermittelst der geschäftigen Hände des Stubenmädchens, sowie der Köchin, die gemüthlichen Kaffeekannen und die Reste harmlosen Backwerks abgeräumt, zwei strahlende Lampen auf den Tisch gesetzt und die Fenstervorhänge herabgelassen worden. In den Ecken des Zimmers herrschte jene trauliche Dämmerung, von der wir früher schon einmal sprachen und die wie ein Band den Damenkreis enger zusammenschloß, welcher nun, von vorn so gemüthlich bestrahlt, sich zum Austausche ernsterer Reden viel geneigter fühlte, als früher bei dem Alles durchdringenden Tageslichte. Auch war eine riesenhafte Torte Dame blanche aufgesetzt worden, deren Name schon etwas Gespensterhaftes hatte, und neben derselben funkelte dunkelrother Wein in geschliffenen Karaffen.

»Daß ein Verbindungsgang zwischen dem Rathhause und der Hauptwache besteht, darüber kann kein Zweifel herrschen,« erzählte die Ober-Kriegsräthin. »Mein Mann war vor zwei Jahren bei der Commission, welche diesen finsteren, unterirdischen Weg zu untersuchen hatte.«

»Ah, wie das interessant ist!« sprachen beide Fräulein Marx, und die Majorin setzte hinzu: »Mein Mann, der Major, hatte einen ähnlichen . . .«

»Diese Verbindung führte neben den Kellern der Häuser jenes alten, jetzt etwas ärmlichen Stadtviertels, und zwar so nahe vorüber, daß die Commission damals, wenn sie lauschend stehen blieb, die Leute in den Gewölben arbeiten, klopfen, plaudern, lachen und auch andere Töne hörte, deren Entstehung man sich nicht sogleich erklären konnte. Der Stadtschultheiß führte diese Commission und schien in dem alten Gange sehr bewandert zu sein, denn wo die Anderen sich trotz der Laternen nur tappend und ängstlich fortbewegten, ging er mit einer Sicherheit, als befände er sich in seinem Schreibzimmer.«

»Ah, das ist ja erstaunlich!«

»Überraschend!« meinte Madame Mayer gegen Madame Müller gewandt, indem sie ein sehr erstauntes Gesicht machte.

»Auch kannte der Herr Stadtschultheiß nicht nur alle über den Gang hinlaufenden Straßen und wußte deren Lauf genau zu bezeichnen, sondern auch einzelne Häuser, wie zum Beispiel das an dem alten Thurme am Glockengäßchen, welches dem Herrn Baron von Rivola gehört.«

»Ah, dem Herrn Baron von Rivola!«

»Die runden Fundamente dieses Thurmes,« fuhr die Ober-Kriegsräthin fort, »bildeten eine Biegung in dem Gange, und als die Commission neugieriger Weise das alte, interessante Mauerwerk mit den Laternen beleuchten ließ, sah sie, daß sich hier eine Thür befand, welche nur locker durch eingeschobene Steine zugemacht erschien.«

Alle Damen waren dieser Erzählung mit großer Aufmerksamkeit gefolgt, besonders die Ober-Steuerräthin, welche gierig jedes Wort von den Lippen der Rednerin abzulauschen schien, und zwar mit einem so beistimmenden Gesichtsausdrucke und dabei unruhig auf ihrem Stuhle hin und her rückend, daß man deutlich sah, sie warte nur auf einen günstigen Augenblick, um die weitere Erzählung an sich zu reißen.

Dieser war jetzt erschienen, und zwar dadurch, daß die Ober-Kriegsräthin ihr Weinglas an die Lippen setzte, worauf die Andere fortfuhr:

»Es ist ganz so, wie die Frau Ober-Kriegsräthin erzählt hat; ich habe es ebenfalls aus bester Quelle, von meinem Bruder, der damals Stadtbaumeister war. Das Mauerwerk in der Thür des allen Thurmes war so locker eingesetzt, daß man es mit der Schulter hätte eindrücken können, worauf man auch den Herrn Stadtschultheißen aufmerksam machte, der aber, weiterschreitend, erwiederte, eine wirkliche Öffnung sei hier nie gewesen.«

»Wobei er aber, wie mein Mann versichert hat, eine etwas verlegene Miene gemacht habe.«

»So ist es, meine Damen, ganz genau so,« fuhr die Ober-Steuerräthin in sehr lautem Tone fort, »und nun bitte ich Sie, mußte das nicht auffallend erscheinen – eine nothdürftig verschlossene Öffnung mit dem Rathhause in Verbindung stehend durch eine Gitterthür, zu welcher der Stadtschultheiß allein den Schlüssel hatte!«

»Daß er allein diesen Schlüssel hat, weiß ich ganz genau,« bemerkte die Hauswirthin.

»Das ist allerdings auffallend.«

»Und verdächtig,« rief die Ober-Steuerräthin, »wenn man bedenkt, daß der Herr Stadtschultheiß damals schon in einem außerordentlich intimen Verkehr mit jenem Herrn von Rivola, dem Eigenthümer des alten Thurmes, stand, der zu jener Zeit plötzlich erschien und, wie alle Welt weiß, mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet wurde.«

»Als Fremder allerdings, wie das ja gewöhnlich der Fall ist,« warf Madame Müller ein, »sonst aber wohl unverdienter Weise; kam er doch bald in die besten Gesellschaften und wurde gleich damals, wie auch heute noch, sehr gern bei Hofe gesehen.«

»Aber darin liegt gerade etwas Verdächtiges; Herr Baron von Rivola hängt mit allem, was zu Hofe gehört, sehr genau zusammen, bewegt sich überhaupt nur in den höchsten Kreisen, verkehrt nur mit den vornehmsten Häusern, mit alleiniger Ausnahme desjenigen des Stadtschultheißen – und woher kommt das?«

So schloß die Ober-Steuerräthin fragend, wobei sie einen festen, herausfordernden Blick auf sämmtliche Damen warf.

»Ich möchte auch wissen, woher das kommt,« meinte die Revisorin – »vielleicht von der geistreichen Unterhaltung, welche der Baron und die Baronin bei meiner verehrten Schwägerin finden.«

Über diese Äußerung lachten sämmtliche Damen pflichtschuldigst; dann fuhr die Ober-Kriegsräthin fort:

»Über diesen Mann ist allerdings damals sehr viel gesprochen worden, und bei aller Milde, die meinem Charakter eigen ist, muß man diesen intimen Verkehr schon auffallend finden – weniger, was den Herrn Baron von Rivola anbetrifft, als seine Frau, die eine geborene Gräfin Hartenstein ist – damit ist schon genug gesagt.«

»Gewiß, Frau Ober-Kriegsräthin, damit ist genug gesagt – diese Hartenstein sind arm wie die Kirchenmäuse, aber von einem empörenden Hochmuthe.«

»Eine Frau, die nicht einmal weiß, ob sie sich für einen empfangenen Gruß bedanken soll.«

»Die beständig wie eine Puppe ausgestreckt in ihrem Wagen liegt, mit halb geschlossenen Augen, als wolle sie sagen: ihr da unten seid Alle viel zu gering für mich!«

»Eine Frau, die ihre Kammerjungfer hereinklingelt, wenn ihr das Schnupftuch entfallen ist.«

»Ja,« rief hier Madame Mayer eifrig, »die die Gouvernante ihrer Tochter, eines respektablen Pfarrers Tochter und Verwandte von mir, eines Abends, als dieselbe nach vollbrachtem mühevollem Tagewerke vor dem Landhause saß, sich des schönen Abends freuend, dort mit den Worten wegwies: sie gehöre hinter das Haus, aber nicht auf die Terrasse, wo der Platz der Herrschaft sei.«

»Ah, unglaublich, empörend!«

»Und so eine Frau sollte sich so weit herablassen,« fuhr nach diesen Ausrufungen die Ober-Kriegsräthin kopfschüttelnd fort, »und eine Gesellschaft wie die im Hause unseres allverehrten Herrn Stadtschultheißen mit ihrer Gegenwart zu beglücken, wenn dazu nicht ganz besondere Gründe vorlägen? – ganz besondere Gründe, habe ich gesagt.«

»Konnte doch ein Kind sehen,« fiel ihr die Revisorin hier eifrig in's Wort, »daß sie sich so unbehaglich als möglich in jener Gesellschaft fühlte; ließ sie doch ihren Mann gar nicht von der Seite und hätte wahrscheinlich ihrer Tochter den Tanz verboten, wenn das möglich gewesen wäre.«

»Und beim Souper,« sprach die Ober-Steuerräthin, »saß sie in einer Ecke des Sopha's, ihren Mann rechts, ihre Tochter links, damit sie nur ja in keine Berührung käme mit den übrigen, so gar gewöhnlichen Menschen.«

»Und wie sie ihre Nase so hoch erhoben hatte, wenn sie durch die Zimmer ging!«

»Ja, und die Augen halb geschlossen.«

»Selbst gegen Seine Excellenz den Herrn Minister sprach sie sehr von oben herab.«

»Natürlich, er ist ja nicht von Adel.«

Die Ober-Kriegsräthin hatte Mühe, ihre Stimme in diesem Durcheinandersprechen geltend zu machen, als sie ausrief: »Und nun, meine Damen, frage ich Sie, sollten es nicht ganz besondere Gründe sein, welche die Frau vermocht haben, jene Gesellschaft zu besuchen?«

»Gewiß – o, gewiß!«

»Die sie zwangen, dorthin zu gehen, wo es ihr so höchst unbehaglich war?«

»Wer wird daran zweifeln!«

»Also hat dieser Baron von Rivola vielleicht ganz eigenthümliche Verpflichtungen gegen den Stadtschultheißen.«

»Und dieser gegen ihn, das lasse ich mir nicht abstreiten – allerdings heißt es: eine Pensionsfreundschaft der beiden jungen Mädchen, ja, gehorsamer Diener, man kennt das!«

»Zwischen beiden Herren hat von jeher eine Muschelei stattgefunden.«

»Und eine Muschelei, die das Auge der Welt zu scheuen hat.«

»Woher sonst die unterirdische, geheimnißvolle Verbindung zwischen dem Rathhause und dem alten Thurme?«

»Jenem alten Thurme, dem man nie etwas Gutes nachsagt.«

»Man sollte so was nicht wiederholen, aber wir sind ja hier ganz unter uns, unter guten, verschwiegenen Freundinnen,« meinte die Ober-Steuerräthin; »doch ich erinnere mich ganz genau, wie man vor einigen Jahren davon sprach, daß namentlich während der Nacht allerlei seltsames Geräusch in dem alten Thurme gehört worden sei.«

»Und das Haus, das daran gebaut ist, wird obendrein von ganz verdächtigen Leuten bewohnt; meine Büglerin, eine sehr zuverlässige Person, erzählte mir von einer Madame Mayer, die dort mit ihrer sehr hübschen Tochter wohne.«

»Mit mehreren hübschen Töchtern und zwei Nichten.«

»Es ist ein wahres Unglück, wenn man Mayer heißt!« seufzte die aus der Gesellschaft, welche mit dem nämlichen Namen behaftet war.

»Und dazu der alte, geheimnißvolle Diener, der unten wohnt und den Hausherrn spielt; man sagt, er sei seines Handwerks ein Schlosser, aber für gute Häuser und ehrliche Leute hat er noch niemals gearbeitet, ich wenigstens weiß nichts davon.«

»Dieser Mann hatte auch früher eine Frau, aber sie soll seit Jahren spurlos verschwunden sein, ohne daß man von ihrem Tode etwas erfahren; ja, das sind alles so gräuliche Geschichten, über die man eigentlich am besten schweigt.«

»Und mit solchen Menschen steht der Stadtschultheiß in den engsten Beziehungen!« sagte die Revisorin mit einem Blicke gen Himmel. »Mich dauert trotz allem dem doch meine arme Schwägerin, denn wenn sie im Grunde auch keine gescheite und eine sehr übermüthige Frau ist, so ist sie doch gewiß an solch' schrecklichen Geschichten unschuldig und heißt doch einmal Welkermann – o, es ist eine schlechte Welt!«

»Das weiß Gott, Frau Haupt-Staatsschulden-Tilgungskassen-Revisorin, daß es eine schlechte Welt ist,« meinte Madame Mayer, »und wenn man erst die böswilligen Verleumdungen dazu rechnet, denen sich manche Menschen leider Gottes so gern hingeben, was mag da alles über die seltsame Verbindung des Herrn von Rivola mit dem Stadtschultheißen und über das grauenhafte Treiben in dem unterirdischen Gange und dem alten Thurme gefabelt werden!«

»Nun, so ganz Fabel wird es doch wohl nicht sein,« meinte die Ober-Steuerräthin.

»Dazu muß ich auch mit tiefem Schmerze ›leider‹ sagen,« seufzte die Revisorin, »denn die Verbindung zwischen ihm und dem Baron von Rivola ist nun einmal offenkundig, und was den geheimnißvollen Gang anbelangt mit der betreffenden Gitterthür, so hat der Stadtschultheiß den Schlüssel dazu immer in ganz eigener Verwahrung.«

»Grauenhaft!«

»Und es war Alles so still und ruhig darüber geworden – kein Mensch dachte mehr daran, daß sich dort unter der Erde so unerhörte Dinge begeben, bis der Stadtschultheiß nun auf einmal diese Geschichte wieder aufwärmt, indem er verlangt, daß die Thür zugemauert werden soll. Warum verlangt er das eigentlich – ohne allen Grund? O, dieser Mann thut nie etwas ohne Grund!«

So sprach die Ober-Steuerräthin, wobei man deutlich an ihren Blicken sah, daß sie noch ganz andere Dinge mittheilen könne, wenn sie nur wolle, und dann bog sie sich vornüber gegen den Tisch, den anderen Damen ein Zeichen machend, es eben so zu thun, worauf der ganze Kreis die Köpfe zusammenstreckte, als fürchteten sie sich, von etwas Unsichtbarem, das hinter ihnen herumschleiche, belauscht zu werden, worauf sie flüsternd fortfuhr:

»Der Herr Baron von Rivola, der in den letzten Jahren selten mehr in dem alten Hause erschien, kommt jetzt wieder häufig dorthin; auch sagt man – hier dämpfte sie ihre Stimme abermals um ein Bedeutendes, – es stände mit seinem Vermögen durchaus nicht so brillant, als man wohl glaubt – er habe enorme Schulden, es fehle dort häufig an baarem Gelde.«

»Und was du Leute für Aufwand machen!«

»Ja, aber woher nehmen sie das Geld? – Sie versetzen, was sie haben. Mein Adolf, der mit dem Sohne des Juweliers Steiner in der Schloßstraße genau bekannt ist, hat mir erzählt, daß der alte Diener des Barons, derselbe, der in dem Thurme wohnt, neulich auf ein Armband und eine Brosche einige Tausend Gulden entliehen habe – lassen Sie mich ausreden, meine Damen; – diese Brillanten seien aber so wundervoll und groß gewesen, daß Herr Steiner ordentlich darüber erschrack – er hat zu seiner Frau gesagt, die Königin hätte keine schöneren, und hinzugefügt, er wäre anfänglich im Zweifel gewesen, ob sie auch echt seien.«

Bei diesen Worten fuhren die Köpfe sämmtlicher Damen auseinander, als sei jede durch eine besondere Feder in die Höhe geschnellt worden, und eine betrachtete die andere mit der Miene eines eigenthümlichen Erstaunens.

»Aber sie waren echt und hatten dadurch einen solchen Werth, daß der Juwelier Steiner viermal so viel darauf gegeben hätte, als verlangt wurde.«

»Es ist immer eine eigenthümliche Geschichte, daß die Leute, die solchen Aufwand machen, auch in Geldverlegenheit kommen können, denn ihr Aufwand ist über alle Beschreibung, Der Baron hat vor Kurzem für seine Frau und Tochter nicht nur Wagen und neue Pferde gekauft, sondern sogar einen Schlitten mit Ponies für seine Tochter – und wenn ich eine Million hätte, würde ich meine Kinder nicht so verwöhnen!«

»Mein Mann, der Major, hatte – Ponies . . .«

»Leute, die wirklich Millionen besitzen, thun auch selten so etwas, und deßhalb ist das ganze Getreibe in dem Rivola'schen Hause auch, gelinde gesagt, seltsam.«

»Man könnte ohne Weiteres sagen: verdächtig, wenn man an die Verbindung denkt, welche zwischen dem alten Thurme und dem unterirdischen Gange besteht.«

»Wer weiß, was dort alles schon geschehen ist!«

»Und in der nächsten Zeit geschehen wird!«

»Deßhalb war es nicht klug von dem Herrn Stadtschultheißen, so auf das Zumauern jener Thür zu drängen.«

»Seinem Freunde zu lieb, der dort nun treiben kann, was er will, ohne befürchten zu müssen, daß er durch irgend etwas gestört wird.«

»Die Commission, von der Sie, Frau Ober-Kriegsräthin erzählten,« sprach Madame Krampler, welche mit ihren Gedanken noch immer in dem finsteren Gange umherstrich, »meinte damals schon, man könne die Gitterthür im Rathhauskeller ohne Weiteres zumauern.«

»Ganz richtig – aber damals opponirte gerade mein verehrter Herr Schwager dagegen, ich erinnere mich ganz genau – und warum erscheint ihm das nun heute so wünschenswerth, was er damals so hartnäckig verwarf?«

»Das Warum wird offenbar, wenn die Todten auferstehen,« deklamirte die Ober-Steuerräthin in einem ernsten Tone, worauf beide Fräulein Marx ihre Mutter inständig baten, doch nicht so grauliche Sachen zu sprechen, und die zweifelhafte Majorin aus tiefem Herzen seufzte:

»Ach, du lieber Gott, ja, auch mein Mann, der Major, könnte auferstehen und reden!«

Die Unterhaltung bekam hier einen augenblicklichen Riß, weil das Stubenmädchen eintrat um nach allenfallsigen leeren Flaschen und Tellern zu sehen; doch war diese Fürsorge unnöthig, da das lebhaft geführte Gespräch die Damen nicht zum wackeren Angriffe auf die aufgestellten Gottesgaben hatte kommen lassen. Dies sah denn auch die Hauswirthin mit Schrecken und setzte ihre hartnäckigen Nöthigungen so lange fort, bis rings umher die Messer und Löffelchen klirrten, bis die Gläser klangen und bis sich der Ausdruck von Güte und Milde auf den etwas erregten Zügen der Anwesenden gelagert hatte.

Madame Krampler wollte allerdings noch einmal auf den unterirdischen Gang zurückkommen, doch fand dieses Gesprächsthema so wenig Anklang mehr, daß sich die Ober-Kriegsräthin nicht enthalten konnte, ihrer Nachbarin im Tone der Mißbilligung zuzuflüstern:

»Diese Frau« – damit meinte sie die Oberzunftmeisterin – »ist offenbar eine halbe Stunde zu spät auf die Welt gekommen, denn sie schleicht stets mit ihren Bemerkungen hintendrein.«

Überhaupt wollte so recht ein animirtes Gespräch nicht mehr zu Stande kommen, und als nun die Standuhr die siebente Stunde schlug, erinnerten sich die meisten anwesenden Damen, daß sie nun lange genug Zeit und Geduld der guten Revisorin mißbraucht und es unbescheiden wäre, noch länger zu bleiben.

Eine Viertelstunde nachher hatten Alle das Haus verlassen und gingen einzeln oder auch zu Zwei oder Drei ihres Weges dahin; aufgeregt von der Unterhaltung, empfänglich für alles Gute, konnte es nicht fehlen, daß der Samen, welche Eine in das wohlwollende Gemüth der Anderen gesäet, zur üppigsten Saat aufschoß und daß es bald in dem Herzen einer Jeden unzweifelhaft war, daß zwischen dem Stadtschultheißen und dem Baron von Rivola eine geheimnißvolle Verbindung bestehe; daß der alte Thurm mit dem unterirdischen Gange eine sehr dunkle Geschichte habe, in welcher der ehemalige Bediente des Freiherrn, welcher seine Frau heimlich aus der Welt geschafft, eine große Rolle spiele. Manche erinnerten sich auch, daß der Stadtschultheiß ein Lebemann und dem schönen Geschlechte sehr zugethan gewesen, damals öffentlich, jetzt im Geheimen, und wenn er nun, wo Madame Mayer mit vielen schönen Töchtern und zahlreichen Nichten dort ihr Wesen treibe, den Gang zumauern wolle, so geschehe das nur, um die Blicke von seinem Treiben abzulenken.

Was die Juwelen anbelangte, so wußte die gute Ober-Steuerräthin jedenfalls mehr, als sie gesagt, und so viel stand fest, entweder waren diese Juwelen falsch oder Gott weiß durch welches Verbrechen in die Hände des Herrn von Rivola gekommen.


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