F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Ferdinand, plötzlich stehen bleibend, rief »Herein!« warf aber seinen Kopf unmuthig in die Höhe, da sich der Thürdrücker wohl bewegte, die Thür sich aber nicht öffnete, weil der vorsichtige Herr Schmetterer von innen abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hatte. Er erhob sich aber rasch, um nachzusehen, wer draußen sei, und Ferdinand hörte ihn in der Thür, die er halb hinter sich zugezogen hatte, sagen: »Ich bedauere sehr, Herr Welkermann ist verhindert, Besuche anzunehmen.«

»Ich weiß es, doch gibt es auch Ausnahmen von der Regel,« hörte Ferdinand eine Stimme sagen, deren bekannter Klang ihn unangenehm berührte.

»Eine Ausnahme würde nur auf schriftlichen Befehl des Herrn Polizeiraths Merkel zu machen erlaubt sein.«

»Den habe ich gerade – da, überzeugen Sie sich.«

»Richtig, aber ohne Datum und nicht erst heute Morgen geschrieben; doch da ich Sie neulich bei dem Herrn Polizeirath gesehen, so will ich das Papier gelten lassen.«

Herr Schmetterer öffnete die Thür, und Welden trat in das Zimmer.

Es war ein eigenthümliches Wiedersehen, das dieser beiden jungen Leute. Welden blieb nach einem tiefen Athemzuge nicht weit vom Eingange des Zimmers stehen, und man sah, welche Gewalt er sich anthat, um die Unterhaltung mit einer gewöhnlichen Phrase zu beginnen. Doch kam ihm Ferdinand zu Hülfe, indem er rasch auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und sagte:

»Seien Sie mir willkommen, Herr Welden, ich schätze mich glücklich, Ihnen sagen zu können, daß ich Aufklärung über eine gewisse Sache erhalten, die mich für meine Person vollkommen von der Ehrenhaftigkeit Ihres ganzen Betragens überzeugt – wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen das schriftlich.«

Über den bleichen Zügen des Ingenieurs zeigte sich ein trübes Lächeln, als er erwiederte: »Ob schriftlich, ob mündlich, Ihr Zeugniß wird nimmermehr im Stande sein, meine vor der Welt ruinirte Ehre herzustellen. Ich fühlte das soeben wieder, als ich in Ihr Haus eintrat: ich las Erbitterung, ja, Verachtung in den Mienen Ihrer Dienerschaft, ich sah es wohl, mit welcher Geberde des Abscheues Ihre mir sonst so freundlich gesinnte Mutter bei meinem Anblicke rasch die Thür verschloß – nur Ihre Schwester Elise gönnte mir ein ernstes, gütiges Wort, doch auch sie hätte mich ohne dieses Papier nicht zu Ihnen gelassen – ah, es ist entsetzlich, so gänzlich unschuldig gebrandmarkt zu sein!«

Wie hatte sich Welden in den wenigen Tagen verändert; die sonst so feinen Züge seines Gesichtes erschienen tief gefurcht und dadurch entstellt, seine Augen leuchteten nicht mehr in ruhiger Klarheit, sondern sie brannten fieberhaft unter den gerötheten Lidern.

Ferdinand, der seine eigene Angelegenheit für den Augenblick vergessen, hatte inniges Mitleiden mit ihm und sagte in tröstendem Tone: »Das wird vorübergehen; man spricht vielleicht noch vier Wochen davon, dann ist die ganze Angelegenheit vergessen.«

»Die Angelegenheit vergißt sich vielleicht, aber nicht, was diese Angelegenheit auf mich gehäuft; man würde möglicher Weise nach Jahren sich ihrer kaum mehr erinnern, aber Niemand wird es vergessen, wie niederträchtig, wie erbärmlich und feige sich damals ein gewisser Welden benommen!«

»Ah, die Stimme der Wahrheit wird auch das aufklären – erlauben Sie mir, lieber Welden, daß ich jedes Zeugniß dafür ausstelle, das heißt, sowie ich wieder in der Lage bin, das zu thun,« setzte er mit eigenthümlich bewegter Stimme und mit einem bezeichnenden Blicke auf Herrn Schmetterer hinzu, welcher sich wieder ruhig auf seinen Stuhl neben der Thür niedergelassen.

Welden, der Wort und Blick verstand, sagte: »Das alles versetzt mich in das größte Erstaunen; ich erfuhr allerdings, daß ein anderer Grund, als unser Duell, für Ihre Zimmerhaft vorliege – welcher Grund aber triftig genug ist, um Ihnen eine verschlossene Thür und diese Gesellschaft zu verschaffen, das verstehe ich in der That nicht.«

»Ja, das sind seltsame Sachen,« gab Ferdinand mit einem düstern Blicke zur Antwort; »wenn ich Ihnen den Grund mittheile, so werden Sie mir als einem Leidensbruder kräftig die Hand schütteln, und was die Verleumdung anbelangt, der ich dadurch anheimfalle, so habe ich Ihnen ein Doublé vorgegeben – doch davon nachher; ich möchte Ihnen wirklich helfen, so lange ich Ihnen noch helfen kann.«

»Ich bin in der äußersten Bestürzung über Ihre Worte. Ich ahnte wohl, daß etwas gegen Sie im Werke sei; ich hörte darüber einige Worte von unserem gemeinschaftlichen Freunde, dem Herrn Polizeirath Merkel; ich war schon mehrere Male in Ihrem Hause, aber man wies mich jedes Mal ab, unter dem Vorgeben, Sie seien krank.«

Der Polizeiagent that so, als widme er diesem Gespräche nur sehr geringe Aufmerksamkeit, doch bei Nennung des Namens seines Chefs blitzte es aus seinen halb zugeschlossenen Augen hervor.

»Sagen Sie mir doch,« fragte jetzt Welden, »kennen Sie einen gewissen Steffler?«

»Ein anrüchiger Kerl – ja, ich kenne ihn; ich habe ihm Geld gegeben, damit er auswandern kann – eines der Dienstmädchen unseres Hauses hatte sich unbegreiflicher Weise mit ihm eingelassen – sehr unbegreiflicher Weise, nachdem – doch davon ein anderes Mal – ich hatte Ursache, ihm zu seiner Reise behülflich zu sein – was ist's mit Steffler?«

»Darüber könnte Ihnen jener Herr bessere Auskunft geben, als ich,« antwortete Welden mit einer Bewegung seines Kopfes gegen Schmetterer hin, der aber durchaus keine Miene machte, als nehme er das geringste Interesse an dieser Unterredung.

»Wie so?« fragte Ferdinand.

»Nun, weil Steffler durch eben diesen Herrn hier zu dem Polizeirath Merkel gebracht wurde, als ich zufällig bei ihm war – man wies jenem eine Wohnung auf der Polizeidirektion an, und ehe er das Zimmer verließ, nannte er zwei Namen seiner Gönner, die man, wie er wünschte, von seiner Rückkehr in Kenntniß setzen möge – Ihren Namen und den des Freiherrn von Rivola.«

»Ein verfluchter Kerl, dieser Steffler, ein großthuerischer, nichtsnutziger Schuft! Mir ist aber in der That recht unangenehm zu Muthe, denn warum soll ich Ihnen ein Geheimniß machen aus dem Stande meiner Angelegenheit; auch für mich hält der gütige Polizeirath eine Wohnung bereit!«

Welden fuhr unwillkürlich einen Schritt zurück, indem er im höchsten Schrecken die Worte hervorstieß: »Wie ist das möglich? Ah, Sie treiben Ihren Scherz mit mir!«

»Durchaus nicht, das sehen Sie aus der Gesellschaft dieses würdigen Mannes sowie an der verschlossenen Thür meines Zimmers, die Ihnen ja ebenfalls aufgefallen ist. Trotz allem dem sehen Sie mich ziemlich ruhig, denn ich bin so überzeugt, daß sich diese Sache in Kurzem zu meinen Gunsten aufklären wird, daß ich jetzt schon darüber lachen könnte, wenn ich nicht überzeugt wäre, Ihr Leidensbruder in der vollsten Bedeutung des Wortes zu sein – keine Macht der Erde wird es vermögen, meinen Namen von dem Verdachte rein zu waschen, mit dem man ihn belastet, und wenn auch mein Name allerdings der eines leichtsinnigen jungen Menschen, eines Spielers und Verschwenders ist, so glaube ich doch nie Veranlassung gegeben zu haben, mich für einen Fälscher der schlimmsten Art zu halten!«

»Was sprachen Sie da eben?«

»Nun, für Jemanden, der wissentlich falsche Banknoten verbreitet hat, freilich nur für einen Hehler, der aber in diesem sauberen Gewerbe der Schlimmste ist!«

»Sie sehen, wie bestürzt ich bin – treiben Sie in der That keinen Scherz mit mir?«

»Ich bin wahrhaftig nicht zum Scherzen aufgelegt – ich habe die volle Wahrheit gesagt! Reichen Sie mir Ihre Hand; wir Beide sind ein prächtiges Fressen für die tausendköpfige Schlange Verleumdung, die ich schon an allen Ecken und Enden pfeifen höre! Ah, wie schade, daß unser Duell gestört wurde; ich glaube, wir waren erbost genug auf einander, um gegenseitig fest drauf zu halten – ich hätte es dieser Polizei wahrhaftig gegönnt, einen stillen Mann, wie ich hätte sein können, in's Verhör zu nehmen!«

»Ah, jetzt wird es mir klar,« rief der Ingenieur, »warum mir Merkel sagte, Ihr Leben sei ihm zu kostbar, um es mir Preis zu geben!«

»Schade, daß Sie ihm damals Ihr Ehrenwort gaben!«

»Nur für drei Tage,« antwortete Welden und setzte mit einem düstern Blicke hinzu: »Ehrlich gesagt, suchte ich Sie am vierten Tage auf, um unsere Angelegenheit wieder aufzunehmen.«

»Ich war verblendet, wie alle Übrigen – hätte ich gewußt, wie schuldlos Sie an Allem waren und was sich hier begeben würde, ich wäre mit Freuden für Sie bereit gewesen, um so jeden Makel, der auf Ihrer Ehre hätte haften können, gründlich zu zerstören.«

»Wohl das einzige Mittel, aber furchtbar ernst für Einen von uns Beiden, denn nur der ernsteste Ausgang hätte der Welt beweisen können, daß ich nicht aus Feigheit, ja, daß ich überhaupt nicht zum Verräther an Ihnen geworden bin!«

Ferdinand fuhr sich mit der Hand über die Augen und sagte dann: »Schade, daß es so gekommen ist, ja, jetzt doppelt schade, denn mir wäre alles, alles recht gewesen, das mich vor dem, was hier geschehen, bewahrt hätte – o, könnte ich durch etwas, sei es, was es wolle, jenen Morgen zurückerkaufen, an welchem ich Sie erwartet, mit einem bösen Fluche gegen Sie auf den Lippen – lieber ein gesundes Duell mit jedem Ausgange, als das – was vor mir!«

Er lehnte den Kopf gegen das Fenster, und man sah an seinen heftigen Athemzügen und an dem unmuthigen Zucken seines Körpers, wie gewaltig er mit dem, was er eben sagte, beschäftigt war.

Herr Schmetterer auf seinem Stuhle an der Thür schien sich nicht ganz behaglich bei dieser Unterredung zu befinden, ohne daß man übrigens hiervon etwas auf seinem vollkommen gleichgültigen Gesichte hatte lesen können; doch dachte er bei sich: »Es ist mir ganz unbegreiflich, wie der Herr Polizeirath, nachdem er sich einmal dafür ausgesprochen, diesen jungen Herrn mit Niemanden verkehren zu lassen, nun doch Erlaubniß gibt, daß der Andere ihn besucht, wobei ich für sehr unnöthig halte, daß er ihm erzählte, jener Steffler sei zurückgebracht worden – ganz unnöthig, und wenn jener junge Herr sich nicht bald von selbst entfernt, so werde ich die Ausrede gebrauchen, daß eine Unterredung, selbst auf schriftliche Erlaubniß, nicht länger als eine halbe Stunde dauern dürfe.«

Ferdinand fuhr heftig aus seiner Stellung am Fenster herum und rief: »Es ist förmlich zum Tollwerden, wenn ich bedenke, was in der letzten Stunde mit mir vorgegangen ist, und wenn ich hinzusetze, daß, obgleich schuldlos wie ein neugeborenes Kind, doch diesen schwarzen Flecken Niemand mehr von mir und meinem Namen nehmen wird, so kann ich es wiederholt nur auf's innigste bedauern, daß unsere Zusammenkunft nicht stattgefunden hat, wobei es am besten gewesen, wenn ich auf dem Platze geblieben wäre!«

»Ich würde mir jetzt den Vorrang darin nicht gern streitig machen lassen,« sagte Welden in ruhigem, leidenschaftslosem Tone; »ich mußte zuerst und eben so unschuldig leiden, wie Sie, also gebührt mir auch zuerst eine gründliche Änderung dieser unausstehlichen Lage.«

»Es wäre eigentlich originell,« rief der Andere mit einem Anfluge seines gewöhnlichen Leichtsinns in Blick und Stimme, »wenn wir uns diesen aufgedrungenen Zeugen dort zu Nutzen und ihn zu unserem beiderseitigen Secundanten machten, wenigstens zum unparteiischen Zuschauer, der später bestätigen müßte, daß der Zweikampf zwischen uns, den ich Ihnen vollkommen schuldig bin, auf die ehrlichste Art von der Welt stattgefunden habe – was meinen Sie dazu, Herr – wie ist doch Ihr Name?«

»Mein Name ist Schmetterer,« entgegnete der Polizeiagent, aufstehend, und setzte mit gesenktem Haupte und in sehr bescheidenem Tone hinzu: »Machen Sie sich selbst, Herr Welkermann, und mir keine Ungelegenheiten – Sie wissen wohl, daß ich das, was Sie jenem Herrn da vorschlugen, unter keiner Bedingung leiden würde; überhaupt hat diese Unterredung schon recht lange gedauert.«

»Ich glaube, daß Sie das durchaus nichts angeht!« brauste Ferdinand auf. »Und was meinen Vorschlag anbelangt, den ich, allerdings mit sehr ernstem Hintergrunde, im Scherze gethan, so habe ich leider keine Degen bei der Hand und halte den Knall von Pistolen hier in unserem stillen, friedlichen Hause selbst für unanständig und compromittirend, wobei es andererseits das Richtigste wäre, wenn wir uns gegenseitig eine Kugel vor den Kopf schössen – meinen Sie nicht auch, Welden?«

»Gewiß!«

»Unser Handel muß aus- und abgemacht werden; es liegt zu sehr in Ihrem Interesse, und wenn Sie auch heute die gelindeste Erklärung meinerseits als genügend zur Ausgleichung annehmen würden, so müßte ich mich doch weigern, eine derartige Erklärung zu geben – man kann als gute Freunde auf den Kampfplatz gehen und doch vor der Welt verpflichtet sein, auf einander zu schießen – meinen Sie nicht auch?«

»Gewiß!«

»Man kann sich eben so gut vorher die Hand schütteln, wie nachher, beim Vorrücken gegen die Barriere geräth unser Blut doch in Wallung. Habe ich Recht?«

»Sie sprechen ganz meine Meinung aus,« erwiederte der Ingenieur, mit einem aufleuchtenden Blicke näher tretend und mit seinen beiden Händen die Rechte des Anderen ergreifend und herzlich schüttelnd; »ja, unsere Angelegenheit muß abgemacht werden!«

»Und so ernsthaft, wie möglich, ich bin dafür, keine Spielerei!«

»Nein, keine Spielerei!«

»Und welche Freude wird es mir gewähren,« rief Ferdinand, in eine wilde Heiterkeit ausbrechend, »der still lauernden Gerechtigkeit eine Nase zu drehen – wie gesagt, Degen habe ich keine, Pistolen knallen zu sehr – wir könnten aber ein wenig auf spanische Art mit Messern auf einander losgehen – ich wäre dazu wahrhaftig ganz in der Laune.«

»Meine Herren,« sagte der Polizeiagent, indem er sich zwischen die beiden jungen Leute stellte, »obgleich ich fest überzeugt bin, daß Sie nur im Scherze diese Redensarten führen, so kann ich das doch unmöglich dulden, und wenn Sie in diesem Tone fortfahren wollten, so muß ich entweder Herrn Welden bitten, das Zimmer zu verlassen, oder mich, wenn dem nicht Folge geleistet wird, nach Hülfe umsehen.«

»Der Mann hat Recht,« meinte Welden.

»Aber ist es nicht schade?« rief Ferdinand, der in immer größere Aufregung gerieth. »Es wäre dies eine so günstige Gelegenheit, unsere Sache abzumachen, und gerade vor diesem Herrn abzumachen, der alsdann auf seinen Amtseid bezeugen könnte, wie richtig Alles zugegangen – schade darum, diese spanische Art des Zweikampfes hat immer etwas Poetisches, ja Ritterliches, doch – wüßte ich noch eine andere, die noch weniger Geräusch und Aussehen machen würde.«

»Mir wäre jede recht, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

»Jede?«

»Jede!«

»So schlage ich Ihnen die amerikanische Art des Duells vor, etwas roh zwar, etwas nervenaufregend, aber recht passend für unsere Verhältnisse, – sind Sie damit einverstanden?«

»Warum nicht?«

»Natürlich sind wir Beide so vernünftig, die Ansicht des braven Herrn Schmetterer zu theilen, daß es unthunlich ist, die Sache hier im Zimmer vor seinen Augen auszumachen – wir sind ihm das für die Artigkeit schuldig, mit der er unsere Unterredung bis jetzt so gut wie ungestört ließ; aber verbieten kann er es uns nicht, daß wir einen Zeitraum festsetzen, bis wann mir unseren Handel ganz endgültig für Einen von uns Beiden abmachen – was meinen Sie heute über vier Wochen – wir haben heute den zwölften April, also am zwölften Mai – Morgens um eilf Uhr?« fügte er bei, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen.

»Am zwölften Mai, Morgens um eilf Uhr,« stimmte Welden in ruhigem Tone bei.

»Auf Ehrenwort!«

»Versteht sich von selbst, auf Ehrenwort!«

Welkermann legte seine Rechte in die des jungen Ingenieurs, und während Beider Hände ein paar Sekunden lang vereinigt blieben, schaute Einer dem Anderen fest in die Augen.

»So wollen wir würfeln,« sagte Ferdinand, sich abwendend, »und der, welcher den niedrigsten Wurf thut, hat den Vortritt – der Andere kann ihm ja folgen, wenn es ihm Spaß macht oder wenn ihn die Verhältnisse dazu bestimmen.«

Herr Schmetterer hatte schweigend zugehört, und wenn es ihm auch nicht ganz klar war, was unter amerikanischem Duell zu verstehen sei, so hielt er es doch für seine Pflicht und für sein Recht, das Würfeln eines Gefangenen zu verhüten, und er that dies mit kurzen und bestimmten Worten.

»Sie sind in der That komisch,« fuhr ihn Ferdinand an, welcher schon einen Würfelbecher von seinem Schreibtische herbeigeholt hatte – »spielen wir denn um Geld oder Geldeswerth?«

»Vielleicht um etwas Kostbareres, was ich nicht weiß, was mich auch im Grunde nichts angeht, da ich es nur mit der Gegenwart zu thun habe und ich es in derselben nicht gestatten kann, daß ein Gefangener mit einem Besuche würfelt. Mein lieber Herr Welkermann,« fuhr er bittend fort, »zwingen Sie mich nicht dazu, ein unangenehmes Aufsehen im Hause Ihres Herrn Vaters machen zu müssen, indem ich Hülfe herbeirufe und alsdann thue, was mir und Ihnen nicht lieb ist.«

»Ah bah, mit Ihrer Hülfe,« rief Ferdinand trotzig, »glauben Sie denn, ich fürchte mich vor Ihnen und Ihren Helfern – ich bliebe überhaupt gutwillig hier in meinem Zimmer, wenn ich nicht wüßte, daß die Komödie meiner Gefangenschaft bald ausgespielt hat? Ah,« setzte er zähneknirschend hinzu, »wenn sich auch alles Andere so in Ordnung bringen und wieder gänzlich verwischen ließe! Kommen Sie, Welden, wollen Sie, daß ich zuerst werfe?«

Doch mit einer Kraft, die man dem kleinen, schmächtigen Manne nicht zugetraut hätte, legte Schmetterer seine Hand auf den Würfelbecher, und dabei hatten sich seine schlaffen Züge belebt und aus seinen Augen leuchtete Muth und Entschlossenheit. »Noch schone ich Sie und Ihr Haus,« rief er mit einer Stimme, welche ganz anders klang, als der Ton, in welchem er bisher gesprochen; »zwingen Sie mich nicht, die Thür zu öffnen!«

»Und dann, wenn ich bitten darf?« fragte Ferdinand mit einem verächtlichen Blicke.

»Meine Leute von draußen hereinzurufen und Ihnen, wenn das nöthig sein sollte, Handeisen anzulegen.«

Ferdinand fühlte, wie ihn bei diesen Worten ein Schauer überflog; auch Weldens Gesicht wurde bleicher, wie bisher. Beide hatten den gleichen Gedanken; wenn der Mann berechtigt war, so zu sprechen und vielleicht auch so zu handeln, wie er sprach, so mußte allerdings der Verdacht eines schweren Verbrechens vorliegen.

»Aber es bleibt bei unserer Absprache!« rief Welkermann mit düster blitzendem Auge und etwas heiserer Stimme. »Kommen Sie an's Fenster, Welden, das wird uns doch wohl erlaubt sein – oder nicht?«

Herr Schmetterer, der nicht ganz mit sich im Reinen war, folgte ihnen dorthin, wo von dem vorübergezogenen Gewitter noch immer schwere Tropfen gegen die Scheiben geworfen wurden; er traute diesen beiden unbesonnenen jungen Leuten, von denen besonders der Eine sich in einer furchtbaren Aufregung befand, jede mögliche Thorheit zu – wer weiß, ob der Sohn des Stadtschultheißen nicht die Absicht hatte, das Fenster zu öffnen und sich auf die Straße hinabzustürzen?

Doch sah der Polizeiagent im nächsten Augenblicke, daß er sich in dieser Voraussetzung getäuscht, denn Beide lehnten ruhig an der Fensterbrüstung und führten ein ganz harmloses Gespräch.

»Sehen Sie diese beiden schweren Tropfen,« sagte Ferdinand zu Welden, »die soeben in gleicher Höhe gegen die Scheibe geworfen wurden und die sich zu besinnen scheinen, ob sie abwärts rollen sollen? Ich wette, daß der auf meiner Seite zuerst unten ankommt.«

»Gut, so nehme ich den anderen.«

»Und der, welcher zuerst ankommt,« sagte Welkermann in englischer Sprache, »hat den Vortritt.«

Es hätte für einen eingeweihten Zuschauer etwas Grauenhaftes sein müssen, die starren Blicke der jungen Leute zu beobachten, wie sie bald den einen, bald den anderen der Wassertropfen mit gleichem Interesse betrachteten. Derjenige des Ingenieurs fing zuerst an, langsam abwärts zu rollen, doch eine Sekunde später folgte der andere rascher und überholte ihn um ein paar Linien: Beider Athem ging schwer und ein gleichförmiges, eigenthümliches Lächeln zeigte sich auf ihren Zügen.

Welden kam etwas vor, jetzt hatte ihn der Andere wieder erreicht und war dicht neben ihm.

Die Wolken am Himmel waren verschwunden, fortgejagt von einem leichten Winde, und der heitere, fröhliche Sonnenschein blitzte gegen das Fenster und ließ die beiden Tropfen erglänzen wie Edelsteine oder wie Thränen.

Sie sahen nichts davon, sondern achteten nur, schwer athmend, auf das langsame Fortschreiten der Zeiger dieser furchtbaren Todtenuhr.

Es wurde an die Thür geklopft; sie hörten eben so wenig davon, als daß Herr Schmetterer den Schlüssel im Schlosse umdrehte und sie öffnete.

Noch einen halben Zoll hatten die beiden Regentropfen zu durchlaufen, und als fürchteten sie selbst eine Unterbrechung, beeilten sie sich, das zu thun.

Da wurde der Welden's, auf welchen er jetzt seine heißen, starren Blicke richtete, plötzlich aufgehalten, wahrscheinlich durch ein unbedeutendes Korn im Glase, während der andere Wassertropfen sich zwar langsam aber stetig fortbewegte.

»Ferdinand! – Ferdinand!« hörte man in diesem Augenblicke eine laute Stimme in jammerndem, herzzerreißendem Tone ausrufen – in einem Tone, welcher die Nerven erzittern machte und der selbst den jungen Mann, dem dieser Ruf galt, trotz des furchtbar ernsten Augenblickes vermochte, seinen Kopf umzuwenden.

Ehe er das aber that, streiften seine düstern Augen das bleiche Gesicht des Anderen, während er ihm zuflüsterte: »Die Sache ist entschieden – Sie liegen fest vor Anker – noch eine Sekunde, und ich habe ausgelebt – sei es drum, Sie werden nicht daran zweifeln; daß ich mein Wort halte!«

»Ferdinand! Ferdinand!« rief Frau Welkermann verzweiflungsvoll aus, indem sie sich an den Hals ihres Sohnes warf und sein Gesicht mit ihren heißen Thränen überschwemmte. »Was hast du dir selbst gethan? Was hast du uns gethan? O mein Gott, ist es denn wahr?«

Hinter ihr war der Stadtschultheiß in das Zimmer getreten; sein ernstes, ja, düsteres Gesicht tief in die weiße Halsbinde vergraben, blieb er an der Thür stehen, während er seine rechte Hand an die Augen brachte, in denen es seltsam zu zwinkern begann.

»So sprich doch, Ferdinand, sprich ein Wort zu deiner unglücklichen Mutter, sage ihr, daß Alles nicht wahr, daß du unschuldig bist!«

»Und würdest du mir glauben?« entgegnete Ferdinand mit dumpfer Stimme. »Ich zweifle daran – man hat euch allerlei Schlimmes, allerlei Furchtbares über mich gesagt – man hat mir dort vielversprechende Gesellschaft gegeben – man ladet mich ein, die Polizeidirektion zu besuchen; das ist allerdings sehr gravirend, und wenn ich mir die Sache näher überlege,« setzte er mit einem Blicke aus Welden, welcher immer noch die Fensterscheiben anstarrte, hinzu, »so ist allerdings Alles verloren.«

»Nichts ist verloren,« rief der Ingenieur auf einmal in jubelndem Tone, »nichts – gar nichts – es wäre aber auch entsetzlich gewesen, wenn dieses frevelhafte Spiel zu einem Ergebnisse geführt hätte!«

»Ah, Sie haben mich zum Besten,« erwiederte Ferdinand, während die Anderen verwundert aufschauten, »Sie wollen sich selbst und mich täuschen – fehlte doch kaum eine Linie!«

»Sehen Sie her: hier hielt Ihr Tropfen, während der meinige, seitwärts überfließend, sich mit dem Ihrigen vereinigte.«

»Ah bah,« rief der junge Welkermann, »eine Ausrede, deren Grund ich verstehe!«

»Ein Wort, für das ich in der That ernstliche Händel mit Ihnen anfangen möchte!«

»Aber Ferdinand, Ferdinand,« rief Frau Welkermann, die Hände zusammenschlagend, »ich glaube wirklich, daß Alles verloren ist – und, Herr Welden, auch Sie – Sie, dem ich bisher stets das Wort redete, der sich stets so freundlich, so wohlwollend, so feinfühlend benahm!«

»Es erscheint mir das alles wie ein böser Traum,« sagte der Stadtschultheiß, näher tretend; »die uns bewilligte halbe Stunde wird in unnützen Redensarten vergehen, und ich erlaube mir, Ihnen zu sagen, Herr Welden,« wandte er sich mit bebender Stimme an den Ingenieur, »daß ich mit meinem Sohne Einiges zu besprechen wünschte und deßhalb für jetzt auf Ihre angenehme Gesellschaft verzichten muß.«

Der also Angeredete biß sich auf die Lippen und schloß in tief schmerzlicher Bewegung einen Moment lang seine Augen, als er sich vor dem Stadtschultheißen verbeugte und dann ebenfalls vor Frau Welkermann, die aber, sich rasch von ihm wendend, ihr Gesicht auf der Schulter Ferdinand's verbarg, welch' letzterer, ihm zum Abschiede mit der Hand winkend, sagte:

»Gehen Sie in Frieden, Welden – ich hoffe, daß wir uns vorher noch einmal wiedersehen.«

Dieses einfache Wort »vorher« traf ihn wie ein Keulenschlag, ließ ihn erbeben und betäubte ihn derart, daß er nicht wußte, wie er aus dem Zimmer gekommen, noch auf den ersten Stock des Hauses gelangt war. Hier blieb er, tief Athem holend, stehen, und als er sich recht besonnen auf die Bedeutung des Wortes, welches er soeben aus Ferdinand's Munde gehört, wollte er wieder hinauf stürmen und an seiner Seite bleiben, bis jener ihm geschworen, daß er nicht an seinem Worte zweifle.

Da ward er zurückgehalten durch eine Hand, die sich auf seinen Arm legte, und sah, sich rasch umwendend, in Elisens ernstes, blasses Gesicht.

»Wollen Sie wohl die Güte haben, Herr Welden, mir einen Augenblick in den Garten zu folgen? Ich und noch jemand Anderes möchten mit Ihnen reden. Hier oben kann das nicht geschehen, da ich jeden Augenblick meine Eltern zurück erwarte – wollen Sie mir folgen?«

Der Ingenieur machte eine stumme Verbeugung und ging mit langsamen Schritten an der Seite Elisens die Treppen hinab.


 << zurück weiter >>