F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Neuntes Kapitel.

Der alte Diener war neben Herrn von Rivola getreten und sagte über die Achseln desselben schauend: »So viel ich mich erinnere, kennen Sie diesen jungen Herrn, den Sohn des Stadtschultheißen.«

»Allerdings kenne ich ihn, nur wundere ich mich darüber, ihn hier, an deiner Hausthür, zu sehen; du siehst, er ist im Begriffe, die Klingel zu ziehen.«

»Und wird das auch thun, gnädiger Herr, doch gilt dieser Besuch nicht mir; Sie werden sich erinnern, daß wir Miethsleute haben.«

»Ach ja, ich vergaß, danach zu fragen, du erzähltest mir von einer Madame Mayer, die, sehr bescheiden auftretend, mit ihrer hübschen Tochter eingezogen sei, welche du für sehr stille Leute gehalten, die aber – ach, jetzt verstehe ich auch, wem der Besuch des Herrn Ferdinand gilt!«

»Allerdings der Mayer, aber nicht der hübschen Tochter wegen. Unsere Mietherin,« fuhr Friedrich fort, nachdem ihn Herr von Rivola forschend angeblickt, »hat ein kleines, stilles Nebengeschäft, das mir unbehaglich ist; sie leiht auf Pfänder her und gibt auch den Söhnen reicher Eltern Geld auf Wechselunterschrift, weßhalb ich derselben auch mit Ihrer Genehmigung wieder kündigen werde.«

»Eine solche Mietherin ist allerdings nicht angenehm.«

Unterdessen hatte Herr Ferdinand – denn er war es wirklich – an dem Hause angeläutet, worauf die Thür von oben durch einen Zug geöffnet wurde.

Der Eintretende warf sie ziemlich stark in's Schloß zurück und ging dann mit lauten Schritten durch den Corridor die Treppe hinauf.

»Er ist häufig hier,« sagte der alte Diener – »es muß ein etwas lockerer junger Herr sein.«

Herr von Rivola antwortete auf diese Bemerkung nichts, sondern schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein; er hatte seinen rechten Arm gegen das Fenster gedrückt und seinen Kopf darauf gelegt. Endlich, nach längerem Stillschweigen, wandte er sich mit der Frage an Friedrich: »Er kommt also häufig hieher?«

»Gewiß; ich kann wohl sagen, daß er einer der besten Kunden der Madame Mayer ist.«

»Vortrefflich,« murmelte Herr von Rivola – »das ist eine gute Idee!«

Er schritt ein paar Mal im Zimmer auf und ab; dann sagte er, vor dem alten Diener stehen bleibend: »Dieser junge Herr ist auf der königlichen Bank angestellt – es ist nicht übel, ihn zum Freunde zu haben; mache dir draußen im Gange etwas zu thun, wenn er herunter kommt, so betrachte ihn genau, siehst du an seiner zufriedenen Miene, daß er seinen Zweck erreicht hat, gut, so laß ihn gehen, hat er aber ein unzufriedenes oder enttäuschtes Gesicht, so sage ihm, ich sei hier, habe ihn gesehen und würde mich sehnen, ein paar Worte mit ihm zu plaudern.«

Friedrich ging hinaus, und Herr von Rivola setzte sich in den großen Lehnstuhl, brauchte aber nicht lange zu warten, denn schon nach wenigen Minuten hörte man droben eine Thür ziemlich heftig zuschlagen, dann rasche, derbe Schritte, und Herr Ferdinand Welkermann, der seinen Zweck bei Madame Mayer auch nicht im entferntesten erreicht haben mußte, trat kurze Zeit darauf in das Zimmer, dessen Thür ihm Friedrich dienstfertig öffnete.

Der junge Mann sah verdrießlich, ja, finster, aber durchaus nicht verlegen aus und begrüßte den Freiherrn auf eine nachlässige, ungezwungene Art, indem er seinen Hut abnahm und darauf dem alten Herrn, der sich ein wenig erhoben hatte, zwei Finger seiner rechten Hand entgegenstreckte.

»Sie verzeihen mir, Herr Welkermann, daß ich mir erlaubte, Sie durch den Bedienten auf meine Anwesenheit hier aufmerksam zu machen, ich dachte mir aber, man läßt gute Freunde nicht so davon gehen, wenn man sich mit ihnen unter Einem Dache befindet; ich sah Sie eintreten und möchte mich gar zu gern nach Ihrem Befinden erkundigen, sowie nach dem Ihren werthen Familie – bitte, sich zu setzen.«

Der alte Herr hatte bei diesen Worten einen Stuhl herbeigezogen und bot dem Anderen seinen Lehnstuhl an, auf dem auch Ferdinand ohne Weiteres Platz nahm.

»Noch heute Morgen sprachen wir von dem charmanten Balle in Ihrem Hause; es war ganz deliciös, und wir amusirten uns vortrefflich, vor Allem meine Tochter Lucy, wie Sie sich wohl denken können.«

Wenn auch Ferdinand durchaus nicht verlegen war, so befand er sich doch augenscheinlich in einer so verdrießlichen, bitteren Stimmung, daß er selbst von dem Restchen Höflichkeit, welches ihm noch geblieben war, hier den allerbescheidensten Gebrauch machte und die freundlichen Worte des alten Herrn mit einem viel oder nichts sagenden Achselzucken beantwortete; allerdings setzte er gleich darauf hinzu, er hoffe, Frau von Rivola und Fräulein Lucy befänden sich wohl, doch war das nur so in's Leere hinein gesprochen, und er schien es gar nicht einmal zu bemerken, daß ihm Herr von Rivola hierauf keine direkte Antwort gab, sondern sich mit einem Kopfnicken begnügte und, seinen Stuhl in vertraulicher Weise näher an den Sessel Ferdinand's herziehend, im freundlichsten Tone sagte:

»Sie haben es mir doch nicht übel genommen, daß ich Sie bat, zu mir herein zu treten? Ich erkannte Sie, als Sie die Klingel zogen, und Friedrich sagte mir, daß Sie Madame Mayer, der Mietherin dieses meines Hauses, zuweilen Ihren Besuch machten – ah, junger Herr, Madame Mayer hat eine schöne Tochter, kommt man so zufällig hinter Ihre kleinen Geheimnisse?«

»Verzeihen Sie mir,« gab Ferdinand mit großer Ruhe zur Antwort, »ich bemühe mich niemals, vor der Welt meine Thorheiten zu verbergen, denn ich habe die gewiß richtige Ansicht, daß man sich selbst ganz allein über das, was man thut, Rechenschaft schuldig ist – verstehen Sie mich recht, Herr Baron – ich spreche das ohne die geringste Anzüglichkeit aus, was ich Ihnen dadurch beweise, indem ich Ihnen sage, daß ich mich um die Schönheit des Fräuleins Mayer noch nicht im geringsten bekümmert, daß ich es leider aber mit der Mutter zu thun habe, welche ein alter, verfluchter Vampyr ist!«

»Ah, ich verstehe Sie recht.«

»Das ist nicht sehr schwer, Herr von Rivola; ich bin ein junger Mensch, der sein Leben genießt, der sich vergnügt, wie und wo er kann. Ich liebe ein gutes Diner inclusive des besten Weines, ich reite und fahre gern und habe, was vielleicht traurig ist, allzu große Leidenschaft für das Spiel; ich kann nun einmal nicht anders, und, ehrlich gesagt, was wäre das Leben ohne diese kleinen, ärmlichen Vergnügungen? In der letzten Zeit habe ich unglücklich gespielt und mich deßhalb häufiger an Madame Mayer wenden müssen, als mir lieb ist.«

»Ah, Madame Mayer vermittelt Geldanleihen?« »Sagen Sie lieber, sie saugt Einem den letzten Tropfen Blutes aus; diese Frau hat die Unverschämtheit, sich mit zwanzig Procent vierteljährlich nicht zu begnügen – das ist denn doch ein wenig zu viel.« »Aber warum sich an eine solche Person wenden?« »Was wollen Sie, Herr Baron – daß man mit dem Bißchen Taschengeld nicht auskommen kann, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen; die laufenden Schulden werden allerdings nach genossener Strafpredigt vom Hause hier und da bezahlt, nun aber kommen andere Ausgaben, die man doch dem Alten unmöglich vorlegen kann. Wie singt der Chor in Robert der Teufel?«

›Der Wein, das Spiel und die verdammte Liebe!‹

»Beinahe so,« entgegnete lachend Herr von Rivola, »und wenn ich an meine Jugend zurück denke, da verstehe ich ganz die Lage, in die Sie bei der Lebhaftigkeit Ihres Temperaments zuweilen gerathen können.«

»Gott lohne es Ihnen! Ich wollte, mein Vater hätte zuweilen auch dieses vernünftige Verständniß, aber weit gefehlt, und wenn ich nicht hier und da einen anständigen Zuschuß von meiner Mutter erhielte, so hätte ich mich schon längst für insolvent erklären müssen, und würde mich auch durchaus nicht geniren, das dem Alten zum Ärger zu thun; aber meine gesellschaftliche Stellung würde ebenfalls damit scheitern, und meine Anstellung an der königlichen Bank gibt einen nicht zu verachtenden Kredit – leider habe ich denselben in letzter Zeit ein wenig zu sehr angestrengt.«

»Ich wollte vorhin sagen,« bemerkte Herr von Rivola mit freundlicher Miene, »daß ich mich aus meiner Jugend ebenfalls erinnere, Schulden gemacht zu haben, und zwar nicht unbedeutende Schulden, daß ich aber so klug war – Sie verzeihen mir den Ausdruck –, mich anstatt an solche Wucherer an gute Freunde meines Hauses zu wenden, an wohlwollende Leute, die selbst gelebt haben und die sich ein Vergnügen daraus machen, junge, anständige Leute aus kleinen Verlegenheiten zu ziehen.«

»Wo wären solche Phönixe zu finden?« fragte Ferdinand achselzuckend. »Glauben Sie mir, Herr Baron, ich habe schon rings um mich her geschaut, um einen solchen Freund zu finden; aber die jungen Leute meiner Bekanntschaft haben selbst nichts, und zu den älteren Herren, die Einem allenfalls helfen könnten, hat man doch nicht das nöthige Vertrauen.«

»Und warum nicht?« fragte Herr von Rivola in so ausdrucksvollem Tone und mit so wohlwollendem Blicke, daß Ferdinand diesen verstehen mußte; in seinen matten Augen blitzte eine leichte Freude auf, er richtete sich empor und erwiederte lächelnd:

»Herr Baron, Sie sprachen da eben so zuversichtlich von guten Freunden, daß ich mir vielleicht die Bitte erlauben könnte, mich die Bekanntschaft eines solchen edlen Mannes machen zu lassen.«

»Danach brauchen wir nicht lange zu suchen, Herr Welkermann; ich schätze Ihre Eltern und kenne deren gesellschaftliche Stellung, ich mag Sie selbst als einen eleganten, lebenslustigen jungen Herrn gut leiden und will nur noch hinzufügen: gebieten Sie über meine Kasse.«

»Ah, Herr Baron, Sie überraschen mich in der That, aber . . .«

»Kein Aber, mein lieber junger Freund; ich war so indiscret, Ihnen Ihre kleinen Geheimnisse zu entreißen, und müßte es jetzt als eine Beleidigung ansehen, wenn Sie meine unbedeutende Hülfe zurückweisen wollten – nun, sagen Sie ehrlich, womit kann ich Ihnen helfen?«

»Helfen?« fragte der junge Mann achselzuckend; »erlauben Sie mir in dieser Richtung ein bescheidenes Stillschweigen – was mich aber augenblicklich drückt, ist allerdings ein kleinerer Posten . . .«

»Nun, wie viel?« fragte Herr von Rivola, als Ferdinand stockte und schwieg.

»So tausend bis zwölfhundert Gulden, dumme Spielschulden und Wetten; aber ich habe mir fest vorgenommen, die Kerls gehörig dafür abzustrafen – ich werde nur noch hoch spielen, wenn ich im Glücke bin.«

»Das ist ein sehr vernünftiger Vorsatz – kleines Spiel, bis man das Wetter ausgekundschaftet, und sobald sich ein paar Sonnenblicke zeigen, mit tüchtigen Schlägen hintendrein; so hielt ich es in meiner Jugend und war gefürchtet, wenn ich an den Spieltisch trat – glauben Sie mir, mein lieber Herr Ferdinand, ich kann Ihnen mancherlei kleine praktische Anleitungen geben; wenn Sie mich draußen wieder einmal besuchen, sprechen wir mehr darüber.«

Während Herr von Rivola dies mit großer Ruhe sagte, hatte er seine Brieftasche herausgezogen, derselben zwei Billets von je tausend Gulden entnommen, und zwar solche, auf die er flüchtig seinen Namen geschrieben, und legte sie vor den jungen Mann auf den Tisch, welcher trotz allem dem, was ihm Herr von Rivola gesagt, doch immer noch in einem kleinen Zweifel geblieben war und nun gegen seine sonstige Gewohnheit etwas befangen sagte:

»Aber, Herr Baron, ich kann das unmöglich annehmen!«

»Und warum nicht? Eine kleine Anleihe unter Freunden gegen Quittung und mäßige Zinsen zu fünf Procent per Jahr; ich glaube, Sie bezifferten Ihre augenblickliche Verlegenheit mit zwölfhundert Gulden, hier sind zweitausend, und wenn Sie den Rest anderswo verwenden wollen, bitte ich, mir über die ganze Summe gelegentlich einen Schein auszustellen.«

»Das auf keinen Fall, Herr Baron,« erwiederte eifrig Herr Welkermann, »die zwölfhundert Gulden acceptire ich, aber keinen Heller weiter, und werde mir erlauben, Ihnen den Rest von achthundert Gulden heute noch zuzuschicken.«

»Wie Sie wollen – damit wir uns aber ganz verstehen, will ich Ihnen auch neben der Freundschaft für Sie und Ihre Eltern noch einen anderen Grund sagen, welcher mich und mit Freuden dazu bestimmt, nicht nur heute, sondern auch später Ihren Banquier zu machen. Als die Person da oben einzog, wußte mein alter Diener nichts von dem Gewerbe, welches dieselbe betreibt; ich erfuhr es so eben erst, als ich Sie eintreten sah, worauf mir Friedrich sagte, daß Sie schon einige Male dort oben gewesen seien. Nun kann's mir aber nicht gleichgültig sein, daß mit dem Sohne eines Freundes in meinem Hause ein so sträflicher Wucher getrieben wird – Sie sehen daraus, wie sehr ich Egoist bin, und ich muß deßhalb Ihren Dank auf's entschiedenste zurückweisen.«

»Darf ich mir also erlauben, Ihnen den Schein und den Rest von achthundert Gulden hieher zu schicken oder hinaus nach Eichenwald?«

»Wohin Sie wollen; sollte es Sie aber im geringsten geniren, diese Tausender wechseln zu lassen, so glaube ich, noch zwölfhundert Gulden in kleinen Banknoten in meiner Brieftasche finden zu können.«

Herr von Rivola griff nach diesen Worten in seine Brusttasche.

»Bitte recht sehr,« sagte Ferdinand lächelnd und setzte in einem Tone hinzu, aus dem zu hören war, wie wohl es ihm that, Herrn von Rivola mit seiner amtlichen Stellung imponiren zu können: »Das Umwechseln der Banknoten ist ja mein tägliches Geschäft, allerdings zuweilen unter Tantalusqualen – aber was will man machen?«

»Ah, richtig, Sie sind auf der Kasse der königlichen Bank selbst beschäftigt.«

»Nur ausnahmsweise, aber häufig – man liebt es, den Sohn des Stadtschultheißen zu diesen Geschäften zu verwenden, die allerdings ein gewisses Zutrauen erheischen.«

»Ich verstehe das vollkommen; es muß ein anstrengendes Geschäft sein, so einen ganzen Tag lang Zahlungen zu machen und Gelder einzuziehen.«

»Das ist das Geschäft des Hauptkassirers; da habe ich gewöhnlich leichtere Arbeit: die Banknoten zu sortiren, die Pakete zu siegeln und einzutragen.«

»So kann ich mich also, wenn ich einmal in den Fall komme, eine größere Summe in kleinere Abschnitte umzuwechseln, direkt auf der Bankkasse an Sie wenden?«

»Das wohl nicht, dazu ist der Hauptkassirer da; aber wenn Sie mir in einem ähnlichen Falle die betreffende Summe anvertrauen wollen, so will ich sie Ihnen unter der Hand umsetzen.«

Herr von Rivola dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Wenn Sie so freundlich sein wollten, Herr Welkermann, so können Sie mir dadurch gerade jetzt einen Gang ersparen; ich brauche für zehntausend Gulden kleinere Scheine: Fünfer, Zehner, Fünfziger, Hunderter, wie Sie es gerade haben – macht es Ihnen keine Mühe, mir diese umzuwechseln?«

»Nicht die geringste, nur hätte ich dabei eine kleine Bitte, die nämlich, nicht darüber zu reden – ich kann durch eine solche Umwechslung unter der Hand durchaus in keine Ungelegenheit kommen, aber es soll gerade nicht sein; wenn Sie also nicht verlangen, daß ich mit dem Hauptkassirer, einem alten, widerwärtigen Brummelbären, der wie ein Angehöriger der heiligen Inquisition zu forschen und zu fragen pflegt, darüber reden soll, so besorge ich Ihnen das selbst, jetzt und so oft Sie wollen.«

»Besten Dank! Hier sind also zehn Stück Tausender, oder zwölf Stück, die ich gerade bei mir habe.«

»Und mit dem Scheine werde ich Ihnen heute noch die Gelder übermachen.«

»Damit Sie aber mit dem Verpacken keine Mühe haben, so bitte ich, das Paket einfach versiegelt meinem alten Diener hier zu übergeben. – Nein, nein, Sie brauchen mir nicht zu danken, es ist das eine so unbedeutende Gefälligkeit, daß Sie mich in der That beschämen – seien Sie versichert, daß es mir ein wahres Vergnügen gewesen ist, einem so angenehmen jungen Manne, dem Sohne eines werthen Bekannten, gefällig zu sein – bitte, zu Hause meine besten Grüße zu sagen!«

Bei diesen Worten hatte Herr von Rivola Ferdinand bis zur Hausthür begleitet und sich hier mit einem herzlichen Händedrucke von ihm verabschiedet; dann trat der alte Mann rasch in das Zimmer zurück und stellte sich an das Fenster, von wo er Herrn Welkermann nachblickte, der mit leichten, elastischen Schritten, in gehobener Haltung seinen Spazierstock schwingend, von dannen eilte.

Doch war Herr von Rivola nicht der einzige, welcher ihm mit den Augen folgte; im oberen Stockwerke hatte auch Madame Mayer den Fenstervorhang etwas auf die Seite geschoben und sagte dann zu ihrer Tochter, welche hinter ihr stand: »Bei wem mag sich der Welkermann unten im Hause so lange aufgehalten haben? Vielleicht hat ihn der Alte ausgeforscht, weiß Gott, ihm am Ende selbst das Geld geliehen, denn der junge Herr läuft davon, als hätte er Kapitalien in seiner Tasche.«

Herr von Rivola drunten schien in diesem Augenblicke von ernsten, ja, finsteren Gedanken überwältigt worden zu sein; der Würfel war gefallen, er hatte eine Saat eingestreut, die verderblich für ihn aufgehen konnte. Er griff mit der Hand hastig nach dem Fensterriegel, um das Fenster zu öffnen; ja, er hatte ein paar Sekunden lang die Absicht, den jungen Mann zurückzurufen – unmöglich – was geschehen war, konnte er nicht mehr ungeschehen machen. Er hatte sein Schiff aus dem stillen, behaglichen Hafen, in welchem es Jahre lang geruht, wieder in die hohe See getrieben, der Wind hatte die Segel erfaßt, und nun, um die Klippen zu vermeiden, die sich allerdings während der Fahrt fürchterlich drohend erheben werden, und um das geträumte Goldland zu erreichen, kam es allerdings darauf an, mit fester, sicherer Hand das Ruder zu führen.

Und dazu war er entschlossen.

Als er sich umwandte, sah er den alten Diener an der Thür des Zimmers stehen, das er wieder betreten hatte, sobald sich Herr Welkermann junior entfernt.

»Es drängt mich jetzt,« sagte Herr von Rivola zu ihm, »einmal wieder einen Gang durch den alten Thurm zu machen; es ist schon eine Zeit lang her, daß ich jene Ruine nicht betreten.«

»Es sind schon manche Jahre, während ich dort aus- und eingehe und gern dort verweile,« erwiederte Friedrich.

Dann nahm er von seinem alten Schreibtische ein paar Schlüssel und schritt seinem Herrn durch den Hausgang voran. Auf der Hälfte der Treppe, die in den oberen Stock führte, war links eine Thür, die an sich selbst und in ihrer Einfachheit so modern aussah, als führe sie in ein Zimmer des gleichen Hauses, in dem wir uns gerade befinden. Diese Thür aber sowie die ganze Wand des Treppenhauses war nur dazu da, um die Rundung des alten Thurmes zu verbergen, welcher mit seinen mächtigen Quadern gleich dahinter begann; hier war auch eine zweite Thür, mit einem rohen Spitzbogen geziert und mit einer eisernen Thür verschlossen, die Friedrich öffnete, worauf beide in ein rundes, leeres Gemach traten, welches eine Treppe enthielt, die aufwärts und abwärts führte. Die Beiden stiegen auf derselben zuerst in den unteren Raum, dessen Decke gewölbt war und welcher ein ziemlich helles Licht durch vier der schon oben erwähnten schmalen und vergitterten Fenster empfing, die so hoch über dem Boden angebracht waren, daß selbst Jemand, der von außen hereingeklettert wäre, nicht bis auf den Grund dieses Gemaches hätte sehen können. Auf einer Seite desselben sah man hier eine Feueresse mit einem ganz vollständigen Schlossergeräthe, mit Amboß und Schraubstöcken, deren Kamin mit einem des angebauten Hauses in Verbindung stand, so daß man selbst wenn hier unten gearbeitet wurde, keinen Rauch aus dem alten Thurme hätte aufsteigen sehen können. Doch schien die ganze Einrichtung lange Jahre nicht gebraucht worden zu sein; auf dem Amboß und den Schraubstöcken lag Staub und an den früher gewiß sehr blank und reinlich gewesenen Werkzeugen hatte sich hier und da der Rost angesetzt.

»Das ist gut so,« bemerkte Herr von Rivola, nachdem er einen aufmerksamen Blick umhergeworfen; »man sieht, daß hier lange Jahre nicht gearbeitet worden ist.«

»Es ist auch schon eine geraume Zeit her, daß ich das Schlosserhandwerk wieder aufgegeben,« gab der alte Diener mit einem eigenthümlichen Lächeln zur Antwort; »es kam nicht viel dabei heraus. Den goldenen Hammer ließ ich über der Thür, zum Zeichen, daß hier einstens viel Geld verdient worden ist.«

Herr von Rivola schien diese Worte überhört zu haben; er ging langsam an der Wand des Gemaches vorbei, indem er an den kleinen Fenstern hinaufschaute.

»Nach dieser Richtung,« sagte er endlich, indem er mit der ausgestreckten Hand die Mauer berührte, »liegt das Bärengäßchen, und dorthin,« fuhr er fort, indem er sich umwandte, »das Rathhaus, und deßhalb muß an jedem Theile des Thurmes der unterirdische Gang vorüberführen, von dem neulich die Rede war.«

Er sagte dieses halblaut, doch hatte Friedrich seine Worte wohl verstanden.

»Allerdings ist dort der unterirdische Gang,« sagte er; »es ist dies auch keine Fabel, wie ich früher geglaubt, und wenn Sie sich in den Keller hinunterbemühen wollen, so kann ich Ihnen deutlich eine Stelle zeigen, wo ehemals der Thurm eine kleine Thür hatte, durch welche man in einen Gang kommen konnte; sie muß später erst, und dann auch sehr nachlässig vermauert worden sein, man könnte sämmtliche Steine mit leichter Mühe herausziehen.«

»Hätte man das vielleicht ändern sollen?« fragte Herr von Rivola, »Es wäre doch möglich, daß Jemand auf den Einfall gekommen wäre, den Gang zu untersuchen, und auf diese Art den alten Eingang da unten gefunden hätte.«

»So leicht, wie Sie denken, gnädiger Herr, läßt er sich doch wohl nicht öffnen; für den Nothfall habe ich aber auch noch ein tüchtiges eisernes Kreuz davor befestigt. Wollen Sie es sehen?«

»Für heute nicht; laß uns hinaufsteigen.« Sie gingen die Treppe durch das mittlere Gemach hinauf in ein oberes Thurmzimmer, welches schon wohnlicher aussah und an dessen Geräthschaften und Wandverzierungen man deutlich wahrnahm, daß hier eine künstlerische Hand geschafft. Eigenthümlich war die Decke dieses Gemaches construirt; sie bestand aus einem Zeltdache von Eisenblech, welches an vier Seiten mattes Glas statt Metall hatte, wodurch das ganze Gemach taghell erleuchtet war. Unter einer dieser Scheiben stand ein Arbeitstisch, wie ihn die Kupferstecher zu gebrauchen pflegen; über diesem bemerkte man eine sehr sinnreiche Einrichtung, um mit leichter Mühe das Licht zu dämpfen oder zu verstärken. In einem Kästchen neben dem Tische, welches mehrere Abtheilungen hatte, waren sorgfältig geordnet einfache und farbige Bleistifte, Rabenfedern und Tuschnäpfchen, Grabstichel, Radir- und Gravirnadeln, daneben in einem anderen Behälter Loupen der verschiedensten Größe und Fassung.

Gegenüber, auf der anderen Seite des Thurmzimmers, sah man eine kleine Bibliothek rein technischer Werke, Schriften über Kupferstecherkunst, Baukunde, Mechanik, Daguerreotypie, Farbendruck, Anleitung zur Papierbereitung. Unter der Etagère, auf welcher diese Bücher standen, war ein kleiner Tisch mit einem Reibsteine für Farben und neben demselben verschiedene Porzellanschüsselchen mit Resten von Druckerschwärze und anderen farbigen Substanzen.

An den Wänden des Gemaches hingen Abdrücke von Radirungen und Lithographieen, alles Arbeiten des Herrn von Rivola aus früheren Jahren; hier war seine Werkstatt, sein Studirzimmer, hier hatte er sich ehedem aus Liebhaberei in den verschiedensten Künsten versucht und auch vor der Welt, d. h. vor Leuten, die sich für so etwas interessirten, durchaus kein Hehl daraus gemacht; ja, er setzte einen Stolz darein, daß seine Bekannten es wußten, er sei ein eben so geschickter Landschafts- wie Portraitmaler, ein tüchtiger Zeichner, Lithograph, Kupferstecher, Drechsler, Chemiker, Uhrmacher, Mechaniker, Schlosser, kurz, in allen derlei Künsten und Wissenschaften außerordentlich bewandert und belesen.

In früheren Zeiten, als Herr von Rivola sich noch mehrere Tage der Woche hier zu seinem Vergnügen beschäftigte, war es ihm sehr angenehm gewesen, Besuche zu empfangen, und er machte sich auch gar nichts daraus, gestört zu werden, wenn er las, laborirte oder seine Landschaften auf der Kupferplatte radirte; es bedurfte alsdann nichts Weiteres, als unten die Frage an Friedrich, ob der Herr Baron auf seinem Atelier sei, worauf der alte Diener die Betreffenden, die er ja meistens persönlich kannte, einfach die Treppe hinaufwies; daß er aber gleich darauf an einer kleinen Feder drückte, die sich unten, für jeden Anderen unsichtbar, in der Mauer befand, die mit einem Drahte und Hammer in Verbindung stand, welcher, droben an eine silberne Glocke schlagend, einen feinen, aber scharfen Ton von sich gab, wußte Niemand.

Der Kupferstechertisch, an welchem Herr von Rivola malte oder gravirte, war durch eine sinnreiche Vorrichtung derartig construirt, daß es ihm möglich war, sobald der Ton jener Glocke erklang, jede Spur seiner wirklichen Beschäftigung zu verbergen. Der Tisch hatte nämlich unter der oberen, jederzeit sichtbaren Platte noch eine zweite verborgen, welche bis zu einer gewissen Breite herausgezogen werden konnte und vor welcher nun Herr von Rivola saß und arbeitete, um, sobald sich Jemand der Thür näherte, sich einfach etwas vorwärts zu neigen und durch diese Bewegung des Oberleibes die untere Tischplatte zurückzuschieben. So konnte Niemand beim Eintritte in's Zimmer bemerken, daß irgend eine Veränderung vorgegangen war, und Herr von Rivola empfing alsdann seine Besuche mit freundlichster, unbefangenster Miene, die Kupferplatte mit irgend einer angefangenen Landschaft vor sich, den Grabstichel oder die Gravirnadel in der Hand, und entschuldigte sich auf die höflichste Art wegen seiner bestaubten oder beschmutzten Fächer.

Neben dem Arbeitstische befand sich eine zierliche Drehbank, welche allein zum Vergnügen der ihn besuchenden Damen seiner Bekanntschaft, die vor Neugierde brannten, das Atelier zu sehen und von Frau von Rivola bereitwilligst eingeführt wurden, zu dienen schien, denn auf derselben machte Herr von Rivola aus zusammengeleimten, buntfarbigen Hölzern die zierlichsten Arbeiten, und es galt damals als Modesache in der hohen und höchsten Gesellschaft der Residenzstadt, etwas von dieser hübschen Arbeit des Freiherrn unter seinen Nippsachen zu besitzen.

Aber auch diese Mode sowie das Verlangen, den vornehmen Künstler in seiner Werkstatt zu besuchen, war, wie so manches Andere, außer Gebrauch gekommen, und es war gerade, als hätte Herr von Rivola mit der Abnahme der allgemeinen Bewunderung, die ihm für seine Talente gezollt wurde, auch die Lust an diesen selbst verloren; er kam weniger auf das Atelier, endlich gar nicht mehr, was seine Bekannten übrigens ganz begreiflich fanden, denn damals hatte sich sein Augenleiden, das Jahre lang unbedeutend zu sein schien, plötzlich so verschlimmert, daß ihm sein Arzt alle und jede anstrengende Thätigkeit der oben beschriebenen Art auf's ernstlichste untersagte.

Heute stand er nun nach langer Zeit zum ersten Male wieder in dem runden Thurmzimmer, und es war ein eigenthümlicher, tiefer Ernst, der sich auf seine Züge gelagert hatte, als er nun alle die bekannten Dinge überschaute. Dabei vermied aber er und auch Friedrich es auf das sorgfältigste, irgend etwas zu berühren, ja, er schien den dicken Staub, der sich hier auf Alles gelagert hatte und der nur Jahren sein Entstehen verdanken konnte, auf's wohlgefälligste zu betrachten, wie er sich denn jetzt mit einem allerdings etwas trüben Lächeln über das Kästchen beugte und den alten Diener auf die schönen, soliden, regelmäßigen Spinngewebe aufmerksam machte, welche mit starken Fäden von jener Einrichtung zur Dämpfung des Lichtes bis herab auf den Arbeitstisch gespannt waren, die dort auf der anderen Seite mit ihren grauen Verzierungen die Titelwand mancher Bücher bedeckten und hier das Tretbrett der Drehbank gefesselt zu haben schienen.

»Das ist ein schöner Staub,« sagte er, nachdem Beide lange geschwiegen, kopfnickend, »ein so natürlicher, schöner Staub, für mich eben so wohlgefällig wie der Edelrost für den Alterthumskenner.«

»Ich habe ihn aber auch gehütet wie meinen Augapfel und bin nach langen Proben so weit gekommen, selbst die leichtesten Fußtapfen auf dem Boden hier wieder verwischen und undeutlich machen zu können.«

Die Wände dieses Thurmzimmers waren nicht tapezirt, ja nicht einmal getüncht, nur mit einer einfach grauen, dem Auge wohlthuenden Farbe angestrichen. Zu beiden Seiten neben der Thür bemerkte man ein Paar schwere Pilaster mit ziemlich rohen Kapitalen als einzige Verzierung des Gemaches. Dorthin schaute Herr von Rivola und sprach alsdann mit leiser Stimme:

»Es ist so, wie ich dir unten gesagt, Friedrich – ich kann mir nicht anders helfen, als daß ich jetzt Gebrauch mache von unserer Arbeit, die wir schon vor langen Jahren beendigt; gäbe es für mich einen Ausweg, ich würde ihn benutzen.«

»Ich hätte nicht so lange damit gewartet,« meinte der alte Diener, »und wenn es am Ende gar nicht dazu gekommen wäre, so hätte mich nur die unsägliche Mühe gedauert, welche Sie sich damals mit dieser Riesenarbeit gegeben.«

Und doch schien Herr von Rivola nochmals einen heftigen Kampf zu bestehen; er blickte unverwandt nach einem der alten, grauen Steinkapitäle, während er die Lippen fest aufeinander preßte und sein Gesicht vor Schmerz, ja vor Angst verzerrt war; dann sagte er in kaum hörbarem Tone: »So wollen wir denn die Platten herausnehmen.«

Friedrich öffnete die Thür des Gemaches langsam und sorgfältig, wobei er von Zeit zu Zeit mit der Hand an eines der Kapitale griff und versuchte, es vom Platze zu bewegen, und endlich, nach längeren Versuchen, hatte er die Thür in die richtige Stellung gebracht, wodurch es ihm möglich war, das Kapital, welches durch einen äußerst feinen Mechanismus mit den Angeln der Thür in Verbindung stand, zu bewegen und wie die Thür eines kleinen Schrankes herauszudrehen. In dem Steine war eine kleine Höhlung, welche etwas in Papier Gewickeltes enthielt, das nun der alte Diener herausnahm und seinem Herrn überreichte.

Dabei wurde weiter kein Wort gewechselt, und Beide verließen stillschweigend das Thurmgemach und stiegen die Treppe wieder hinab in den mittleren Theil des Thurmes, wo Friedrich die Thüren sorgfältig wieder verschloß.

Unten in dem Wohnzimmer angekommen, schaute Herr von Rivola auf seine Uhr und dann entfernte er die feinen Seidenpapiere von dem Gegenstande, den er in der Hand trug. Es waren dies zwei kleine, dünne, äußerst fein gravirte Kupferplatten, die er, an das Fenster tretend, einen Augenblick betrachtete, wobei ein bitteres Lächeln über seine jetzt sehr gefurchten Züge flog.

»Nimm eine Metallscheere, Friedrich,« sagte er alsdann, »und gib mir eine andere.«

Der Diener holte die verlangten Werkzeuge herbei, und Beide begannen nun, die kostbaren Platten, die Frucht jahrelanger Anstrengung, in kleine Stücke zu zerschneiden.

Es dauerte eine ziemliche Zeit, bis sie damit fertig waren; dann scharrte Herr von Rivola die einzelnen Theile sorgfältig zusammen und wandte sein Auge gegen den kleinen Steinkohlenofen, welcher im Zimmer stand und bei dem kalten Wetter draußen eine behagliche Wärme ausströmte.

Friedrich verstand diesen Blick, öffnete die obere Thür des Ofens, worauf Herr von Rivola die Kupferstückchen, sie in beiden Handen tragend, auf die glühenden, intensiv brennenden Kohlen ausleerte. Dann wechselte er einen bezeichnenden Blick mit dem alten Diener, den dieser mit einem Zeichen der Zustimmung erwiederte, worauf Herr von Rivola sagte: »Rücke mir den Sessel hieher und nimm dir auch einen Stuhl; es interessirt mich, das kostbare Metall vergehen zu sehen.« Er ließ sich vor dem Ofen nieder, und nachdem Friedrich neben ihm Platz genommen, blickten Beide unverwandten Auges in die glänzende Helle, welche aus der untersten Ofenthür hervorstrahlte.

»Ich sagte dir damals schon,« bemerkte Herr von Rivola, nachdem er ein paar Minuten schweigend da gesessen, »daß ich die Platten zerstören würde, ehe ich mich entschlossen, von dem ersten Abzuge derselben einen Gebrauch zu machen – von dem ersten Abzuge sollte ich eigentlich nicht sagen, denn ich machte damals einen einzigen, um die Sorgfalt der Arbeit zu probiren, kam aber wieder in seinen Besitz.«

Obgleich diese Worte an den alten Diener gerichtet waren, so sprach doch Herr von Rivola, als rede er mit sich selber, wobei er den rechten Arm auf die Lehne des Stuhles gestützt und den Kopf darauf gelegt hatte, während er in den glühenden Wiederschein des Feuers starrte. »Ich sandte diese Tausend-Gulden-Note an den Polizeidirektor, ohne mich zu nennen – er sammelte damals für die Überschwemmten –, und ich wußte es so einzurichten, daß ich ihm einen Besuch machte, während gerade jener Brief bei ihm einlief, und hatte dabei das ungeheure Glück, den Bankdirektor dort zu finden, welcher, das Erstaunen des Beamten über die reiche Gabe theilend, die Banknote etwas mißtrauisch betrachtete; ja, er nahm sie mit sich und erzählte mir am anderen Abend bei einer Soirée des Kriegsministers, er habe allerdings im ersten Augenblicke die Echtheit dieser Banknote bezweifelt, doch sei dieselbe von dem Hauptkassirer als vollkommen unverdächtig erklärt worden – ob mir das eine Beruhigung war!

»Am anderen Tage wechselte ich zehntausend Gulden auf der Bank und bekam dieselbe Note wieder. Darüber sind nun Jahre verflossen, die Noten in meinem Besitze haben sowohl durch das lange Liegen in meiner Mappe als auch durch kleine Nachhülfe vollkommen das Ansehen von Papiergeld bekommen, welches längst im Umlaufe war, die Platten sind zerstört – von deiner Treue bin ich überzeugt, und so glaube ich denn, was das anbetrifft, der Zukunft mit Ruhe entgegensehen zu können. – Und doch liegt es wie Felsenlast auf meiner Brust, und doch bin ich seit einer Stunde ein ganz anderer Mensch geworden. Zittere ich doch beinahe bei dem Gedanken, meine Frau wiederzusehen und meine Lucy, meine arme, gute Lucy mit den offenen, ehrlichen Augen! Ist es mir doch zu Muthe, als trüge ich das Zeichen des Verbrechens auf der Stirn! Ja, Friedrich, dieses furchtbare Gefühl kann ich nicht los werden, und ich habe in Einem fort das Bedürfniß, mit der Hand über jene Stelle zu fahren, wo ich eine rothe, verrätherische Stelle ahne!«

»Wer wird solchen Gedanken nachhangen, gnädiger Herr? Wenn Sie damals so sprachen, erschöpft, aufgeregt von der Arbeit, so konnte ich das begreifen.«

»O nein, wenn ich damals arbeitete, so konnte ich mir einreden, es sei Laune, das – das – täuschend nachzumachen, und ich war damals ein vermögender Mann und hatte nicht nöthig, mich durch ein Verbrechen zu retten; es war die Grille eines Künstlers – oh, wenn es das geblieben wäre!«

Darauf versank er wieder in tiefes Nachsinnen, die Augen auf die rothe Gluth gerichtet, und erst als dort der erste weißglühende Tropfen sichtbar wurde, der, durch den eisernen Rost fallend, in der unten angehäuften Asche verlosch und verschwand, fuhr er aus seinen Träumereien empor und sagte: »Wie mir bei diesem Anblicke so lebhaft wieder jene Zeit vor die Seele tritt, wo wir Beide unsere Laufbahn begannen, du ein Lehrling in der Maschinenschlosserei, ich der arme Neffe des reichen Hüttenwerksbesitzers – erinnerst du dich, Friedrich, wie oft wir neben dem Gebläse des Hochofens kauerten, dem wilden Rauschen der Blasebälge ängstlich horchend und dabei durch die kleine, runde Öffnung in die Gluth schauten, wo ebenfalls solche glühende Tropfen aus den schmelzenden Eisensteinen herabrannen, ein schwaches Abbild des Höllenfeuers, wie uns der alte Maschinenmeister zu versichern pflegte?«

»Ja, ja,« gab Friedrich kopfnickend zur Antwort, »seit jener Zeit hat sich viel geändert, auch in unseren Ansichten über Dies und Das.«

»Ich möchte wohl noch einmal dort sitzen können, ein kleines, harmloses, unschuldiges Kind!«

»Ich nicht, gnädiger Herr. Wozu auch – um vielleicht die Klippe, welche ich nun kenne, zu vermeiden und dafür an einer anderen um so ärger zu scheitern? Lassen Sie es gut sein mit diesen trüben Gedanken – denken Sie, Sie hätten als Künstler ein großes Werk zu Stande gebracht, für das Ihnen der Staat eine halbe Million bezahlt.«

»O, es wäre gegen das, was ich jetzt fühle, ein entzückender Gedanke! Doch du hast Recht; ich kann nicht mehr zurück, ich will vorwärts, so gut es gehen mag.«

Zuerst waren vereinzelte Tropfen des geschmolzenen Kupfers herabgefallen, dann hatten sich dieselben vermehrt, und jetzt hörte dieser eigenthümliche Regen wieder eben so langsam auf.

»Das ist nun vorüber,« meinte Friedrich, indem er mit dem Schüreisen in der Asche wühlte und dann mit der Hand von den noch heißen, aber zusammengeronnenen Tropfen, die so bunt gefärbt waren, hervorsuchte. »Wir müssen sie hier entfernen,« fuhr er alsdann fort. »Jemand, der die Asche fände, könnte sich doch wundern, woher dieses Metall käme; man kann in der Welt nicht zu vorsichtig sein.« – Er hatte das Aschenfach hervorgezogen, dasselbe auf der Steinplatte vor dem Ofen entleert und in Kurzem die verschiedenen Kupferstücke zusammengesucht.«

»Ich will sie mit mir nehmen, Friedrich,« meinte Herr von Rivola, welcher sich langsam erhoben hatte. »Vergiß nicht, heute Abend die ausgebrannten Kohlen noch einmal zu untersuchen, ob nichts mehr übrig geblieben ist.«

»Unbesorgt; Sie kennen meine Vorsicht.«

»Gewiß, mein alter Friedrich,« antwortete Herr von Rivola, indem er seinem Diener die Hand reichte, »und gerade deine Vorsicht und Treue ist es, welche es mir leichter macht, die Last meines Gewissens zu tragen.«

»Ich trage sie gern mit Ihnen und gewiß ohne Eigennutz,« erwiederte der alte Mann achselzuckend. »Kommen Sie nur zu uns, wenn Sie eines Trostes bedürftig sind.«

»Wie du zu mir kommen sollst, wenn du irgend einen Wunsch hast für dich oder deine arme Frau.«

Friedrich machte eine abwehrende Geberde, was aber sein Herr nicht sah, da er sich in diesem Augenblicke abgewandt hatte, um seinen Hut vom Tische zu nehmen – »wir brauchen so wenig, die alte Frau und ich, und haben so viel!«

»O, ihr seid reich und glücklich!«

»Ich nicht so sehr, als die arme Frau; sie ist reich und glücklich, gnädiger Herr. Sie weiß wenig von der schlimmen Welt und hat in sich einen Schatz, von dem sie mir häufig mittheilt. Deßhalb sagte ich vorhin,« setzte er mit leiser Stimme in bittendem Tone und mit einem seltsam umflorten Blicke hinzu, »kommen Sie zu uns, gnädiger Herr, wenn Sie einmal des Trostes recht bedürftig sind, und verschmähen es nicht, an dem Bette der kranken Frau zu sitzen, wie ich sehr, sehr viele Stunden thue.«

Es hatte sich ein tiefer Schatten auf den Zügen des Freiherrn gezeigt, und er wischte jetzt in der That über seine Stirn, wie er vorhin angedeutet, doch gewiß weniger, um dort einen eingebildeten rothen Flecken zu entfernen, als um seine Gedanken zu verjagen und zu verändern. Dies gelang ihm auch, denn er sagte gleich darauf in geschäftsmäßigem Tone: »Noch Eines, Friedrich. Meine Augen erlauben es mir nicht, die Änderung, von der ich dir früher sprach, selbst zu machen; doch glaube ich einen jungen Menschen gefunden zu haben, der tüchtig und dabei zu verwenden ist. Ich sah ihn neulich zufällig zu gleicher Zeit mit Federzeichnungen, die er gemacht, welche so fein und correkt waren, wie ich lange nichts gesehen; er selbst dagegen scheint aber durchaus nicht fein und correkt, vielmehr ein großer Lump zu sein; es ist das gut oder schlecht, wie man es nimmt.«

»Ah, ich weiß, von wem Sie reden, gnädiger Herr! Der junge Mensch heißt Franz Steffler und ist Gehülfe des Marktschreibers.«

»Ist er bekannt – als Lump oder als geschickter Zeichner?«

»Als Beides; doch nur in einem beschränkten Kreise, ein Kreis, den ich deßhalb zuweilen berühre, weil sich meine Wohnung ja so nah' am Rathhause befindet und ich auf der Marktschreiberei zuweilen einspreche.«

»Gut – sieh, was mit ihm zu machen ist; ich brauche dir gar keine Vorsicht anzuempfehlen. Der Gehülfe des Hof-Friseurs, wo ich Jenen traf, bat mich um meine Protection für Steffler. Natürlicher Weise wird er ihm auch meinen Namen genannt haben, weßhalb du kein Geheimniß daraus zu machen brauchst, daß ich mich für ihn interessiren, ihn vielleicht bei der Geheimen Staatsdruckerei empfehlen wolle. Sage ihm, ich würde eine kleine Probe von ihm verlangen als Beweis für sein scharfes Auge und seine feste Hand, etwas im Grunde sehr Unbedeutendes – du weißt, was ich meine.«

»Gewiß, gnädiger Herr, verlassen Sie sich wie immer auch darin auf mich.«

Herr von Rivola hatte die geschmolzenen Kupferstückchen sorgfältig in einer seiner Taschen verwahrt und nun das Haus verlassen. Er ging durch die Glockengasse fort mit festem Schritte und aufrechter Haltung, wie er immer zu thun pflegte. Friedrich, der im Zimmer geblieben war – sein Herr hatte es so haben wollen – blickte ihm durch das Fenster nach und murmelte vor sich hin: »Es hat ihn hart angegriffen, aber er wird es eben so rasch wieder vergessen in dem Bewußtsein, jetzt wieder über Hunderttausend zu gebieten in den Zerstreuungen und in dem Strudel der sogenannten Welt. Mir dagegen wird es schon schwerer, mit meinem Gewissen zurecht zu kommen. Ist mir doch der alte Thurm beinahe unheimlich geworden, da nun das, was dort so lange geschlummert, in's wirkliche Leben eintritt! Und doch möchte ich nicht mit ihm dahingehen, ich würde mich da draußen fürchten vor einem Schlage, der mich unversehens niederstreckte. Kommt mir doch jetzt die dunkle Hinterstube, wo die alte Frau liegt, mehr als je wie ein sicherer Zufluchtsort vor! Ich will mich zu ihr setzen, und sie soll mit ihrer guten, weichen Stimme von dem erzählen, was man ihr aus guten Büchern gestern Abend vorgelesen.«

So that denn auch der alte Diener des Freiherrn. Er trat mit leisen Schritten in die halbdunkle Hinterstube, wo auf einem reinlichen Bette eine bejahrte Frau mit guten, sanften Zügen lag. Sie reichte ihm ihre schmale, weiße Hand, die er herzlich zwischen seinen knochigen Fingern drückte, und sie schien es gern zu hören, als er ihr nun erzählte, daß der gnädige Herr da gewesen sei, daß er auf's theilnehmendste nach ihr gefragt und sich die Räume des alten Thurmes wieder einmal angesehen habe. »Er hat doch nicht die Absicht, jetzt das Haus zu verkaufen?« fragte sie mit sehr leiser Stimme in ängstlichem Tone. »Jetzt, wo ich so krank bin!«

»Welche Idee – warum er das Haus gerade jetzt verkaufen wolle!«

»Ich habe dir schon erzählt, daß ich neulich von ihm träumte – o, sehr schmerzlich träumte! Ich sah ihn in ärmlichen Kleidern bleich und zitternd die Stadt verlassen; er hatte nichts bei sich, wie einen einzigen Stock, an dem er sich mühsam fortschleppte.«

»Solche Träume bedeuten immer das Gegentheil – o, er ist sehr reich, der gnädige Herr!« – – –

Und das war ja auch der Fall, wenigstens mußte es jeder glauben, der Herrn von Rivola in diesem Augenblicke sah. Er war rasch in den oberen Theil der Stadt gelangt und sah dort vor dem Laden des Hof-Juweliers seinen Schlitten halten. Wie freute sich Frau von Rivola, wie entzückt war Lucy, als der gütige Vater sie hier bei ihren Einkäufen überraschte! Er kam gerade recht, um sich von dem Juwelenhändler die Rechnung über die Gegenstände, welche seine Frau ausgesucht und ihm mit einem fragenden Blicke vorlegte, quittiren lassen zu können; der Betrag war nicht groß, etwas über viertausend Gulden.

Papa wurde aber darauf wieder lachend und in Gnaden entlassen, denn die beiden Damen begaben sich von hier zu der ersten Putzmacherin der Stadt, Madame Pauline, zu wichtiger, geheimer Berathung, bei welcher ihm unmöglich Sitz und Stimme bewilligt werden konnte. Doch war ihm dies durchaus nicht unangenehm; hatte er doch seine eigenen Geschäfte zu besorgen, seinen Rechtsanwalt aufzusuchen, um sich Bericht erstatten zu lassen über die glückliche Beilegung seines Prozesses mit der Eisenbahn-Verwaltung. Hier empfing er auch das Papier über die ihm angewiesenen sechstausend Gulden und begab sich alsdann auf die Staats-Hauptkasse, um dieses Geld in Empfang zu nehmen. Auf seinen Wunsch übermachte man ihm den Betrag in Tausend-Gulden-Noten, und nachdem er darüber quittirt, erbat er sich freundlichst einen Bleistift, um vor den Augen des ersten Kassirers in flüchtigen Zügen seinen Namen auf die Rückseite der Banknoten zu schreiben.


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