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In dem Krankenhaus der Fee Güldenhaar lag Fluderle, das schwarze Hühnchen, auf dem Operationstische.
Drei Zwergärzte standen davor und schauten bald das Hühnchen an, bald maßen sie sich gegenseitig mit scharfen Blicken.
Der eine, Dr. Strauchler, ein bejahrter Herr mit schneeweißem Haar und Bart, trug eine goldene Brille mit großen, kreisrunden Gläsern. Sein Bäuchlein ließ sich auch unter dem weiten weißen Mantel nicht ganz verbergen.
Der andere, Dr. Pfupfer, etwas jünger als sein Kollege, konnte keinen Augenblick ruhig stehen bleiben. Jeder Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, veranlaßte ihn, daß er mit den Händen fuchtelte, sich an die Stirne griff, einen Schritt vorwärts, rückwärts oder seitlich machte.
Der dritte, Dr. Gelassen, trug keinen Bart, eine Mode, die im Zwergenreich erst seit kurzem bei den Gelehrten aufgekommen war. Er hatte ein freundliches, rundes Gesicht und einen wurstartigen Wulst über dem Nacken.
Etwas abseits standen zwei Zwergkrankenschwestern. Noch weiter zurück hatte sich Blinkeblitz in strammer Haltung aufgestellt.
Dr. Strauchler räusperte sich, tastete das tote Hühnchen ab und sprach: »Tot und noch naß. – Also ertrunken.«
»Dann ist unsere Aufgabe bereits erledigt. – Man kann das Huhn ins Totenhäuschen bringen und beerdigen lassen«, bemerkte Dr. Pfupfer.
»Wollwoll!« fügte Dr. Gelassen bei.
»Nichts überstürzen, meine Herren!« warnte Blinkeblitz aus dem Hintergrunde.
»Oder sollte allenfalls«, fing Dr. Strauchler wieder an, »noch Leben hier vorhanden sein, so wäre zu untersuchen, wo dieses Leben versteckt ist.«
Er setzte sein Hörrohr an des Hühnchens Brust, horchte lange, spitzte seinen Mund und riß weit die Augen auf: »Da drinnen ist noch etwas! – Hören Sie doch mal selbst, Herr Kollege!«
Dr. Pfupfer legte das Hörrohr an, horchte ebenso lange und sprach: »Jawohl! Da drinnen ist etwas los. Das müssen wir herausbekommen.«
»Wollwoll!« fügte Dr. Gelassen bei, der auch noch durch sein Hörrohr gehorcht hatte.
»Darf ich Sie, meine Herren Doktoren, einen Augenblick von Ihrer Untersuchung ablenken?« fragte Blinkeblitz.
»Bitte sehr, Herr Hofmarschall!« sagten sie alle drei und machten gegen ihn eine Verneigung.
»So beachten Sie Folgendes: Hinter diesem Huhn, das Fluderle hieß, steckt allerdings etwas, das kann ich Ihnen sagen. Ja es steckt sogar viel dahinter. Gestatten Sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache.«
Wieder machten die drei Herren Ärzte eine Verneigung.
Blinkeblitz fuhr fort: »Unsere gütige und weise Herrin, Fee Güldenhaar, hat Sie, meine Herren, ausdrücklich hierher gebeten, damit Sie herausbekommen, was hinter diesem Fluderle steckt. Denn eben, was dahintersteckt, das möchte unsere Herrin heraushaben.«
Dr. Strauchler erwiderte:
»Das gibt ja der Sache eine ganz andere Wendung, sehr geehrter Herr Hofmarschall. – Könnten Sie uns einige Aufschlüsse über diesen eigenartigen Fall geben, so wären wir Ihnen sehr verpflichtet. Denn es ist mir in meiner jahrhundertelangen Praxis noch nie vorgekommen, daß in einem toten Huhn noch Leben zu finden war.«
»Sehr gern, meine Herren!« sprach Blinkeblitz. »Dieses Huhn Fluderle, ein Schützling unserer weisen und gütigen Fee, hatte schon als Küken Rosinen im Kopf.«
»Das wird sich bei der Sektion ausweisen«, fiel ihm Dr. Pfupfer in die Rede.
Blinkeblitz tat, als hätte er die Unterbrechung nicht bemerkt, und fuhr fort:
»Dieses Huhn Fluderle hat schon als Küken den Schnabel zu weit aufgesperrt und den Leuten Frechheiten zugerufen. – Dieses Huhn Fluderle hat den vornehmen Chinesenhahn Kuh-hong betört und ihn dazu verleitet, mit ihm in dunkler Nacht davonzulaufen, wobei Kuh-hong vom Fuchs gefressen wurde. – Dieses Huhn Fluderle hat Rolli, den sonst so schlauen Kater, zu den größten Dummheiten veranlaßt, daß er sein Reich verlor, daß sein Schloß und seine Burg zerstört wurden und er nach Amerika flüchten mußte. – Dieses Huhn Fluderle hat dies alles sogleich wieder vergessen, als es durch die Liebe der gütigen Fee Güldenhaar gerettet wurde und über den Trümmern von Fuchsenschroffen dem Tode entflog. – Dieses Huhn Fluderle wollte ein Adler sein, stürzte aber in den Mummelsee und ertrank. – Es wurde darauf hierher gebracht, daß es unter Ihren kundigen Händen, meine verehrten Doktoren, seinen flatterhaften Hühnersinn endgültig aufgebe und zu einem neuen Leben erwache.«
»Sehr interessant!« verdankte Dr. Strauchler mit einer Verbeugung die Rede des Hofmarschalls. – »So hätten wir die merkwürdige Erscheinung vor uns, daß konstitutionell bedingte Minderwertigkeitsgefühle durch das Streben nach unerreichbaren Zielen überwertet wurden: mikrothyme Hyperkompensation.«
»Quatsch!« zischte Dr. Pfupfer. – »Das Huhn da hat den Kamm zu hoch getragen!« Er setzte seinen Kneifer auf die Nase und schaute genauer nach. – »Richtig!« erklärte er, »Spuren von Vergoldung am Kamme und Reste von Schminke am Schnabel sind noch festzustellen. – Der Kamm muß weg!« – Er nahm sein Messer und schnitt den Kamm ab. – Es floß kein Tropfen Blut.
»Wollwoll«, sprach Dr. Gelassen.
Dr. Strauchler redete weiter: »Es wäre zu erwägen, ob dieses Huhn Fluderle, von dem Herr Hofmarschall Blinkeblitz erwähnte, daß es schon als Küken Rosinen im Kopfe gehabt habe, nicht etwa an einer durch Gehirnbildung bedingten Überschätzung seines eigenen Wesens gelitten hat.«
»Werden wir gleich sehen«, schnurrte Dr. Pfupfer, und schon hatte er Fluderles Kopf über dem Halse abgeschnitten. Es ging sehr leicht, da der Mummelseekrebs an dieser Stelle den Hals schon beinahe durchgezwickt hatte.
Nun meißelte Dr. Pfupfer den Kopf auf und löste das Gehirn heraus. Es war ein ganz gewöhnliches Hühnerhirn ohne besondere Merkmale. – Wieder floß kein Tropfen Blut.
Nun aber fing das tote Huhn an, sich zu regen.
»Das lebt ja ohne Kopf!« entsetzte sich Dr. Pfupfer.
»Das hat es seiner Lebtag so gehalten!« bemerkte Blinkeblitz aus dem Hintergrunde.
Wieder neigte sich Dr. Strauchler über das tote Hühnchen, wieder setzte er sein Hörrohr an und kam zu dem Ergebnis: »Da drin steckt etwas.«
»So schneiden wir ihm die Haut auf«, sprach Dr. Pfupfer.
»Wollwoll! – Aber vorsichtig!«
Dr. Pfupfer führte einen Schnitt durch die Haut vom Halse über den Leib des toten Hühnchens, und siehe da: der Balg des Hühnchens fiel auseinander wie eine Ledertasche, und darin schlummerte ein Zwergenmädchen. Im dunkelblauen Kleide, mit zwei richtig geflochtenen Zöpfchen, die ihm vom Kopfe über die Achseln fielen, ein Gesichtlein so rotwangig und frisch wie ein Apfel, die Händchen über der Brust gefaltet, so lag es da und atmete gleichmäßig und ruhig, ein Bild der Gesundheit.
Dr. Strauchler sprach: »Nun haben wir gefunden, was darin war. – Herr Hofmarschall, darf ich Sie bitten, der gütigen Fee Güldenhaar zu vermelden, daß die Operation zum günstigsten Ergebnis geführt hat. – Wir haben ein neues Zwergenfräulein für Feeland aus dem Balge des toten Huhnes Fluderle gezogen.«
»Und wer hat es gleich richtig erfaßt?« fragte Dr. Pfupfer und klopfte in selbstgefälliger Befriedigung mit dem Zeigefinger der rechten Hand an seine Brust.
»Wollwoll!« meinte Dr. Gelassen.
Die Ärzte verließen den Operationssaal. Die Zwergschwestern trugen das schlafende Zwergenmädchen auf der Bahre in ein Zimmer des Krankenhauses und legten es dort in ein frisch überzogenes Zwergenbettchen.
Hofmarschall Blinkeblitz ging weg und meldete alles seiner Gebieterin, der weisen und gütigen Fee Güldenhaar.