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13. Kuh-hong schwört einen Eid

Kuh-hong verfärbte sich. Sein Rosakamm wurde blaß und blasser, so daß er schließlich kaum mehr von den weißen Ohrläppchen zu unterscheiden war. Die Beine wollten den starken Hahn nicht mehr tragen, vor den Augen wurde es ihm dunkel, er brachte keinen Laut mehr aus der Kehle. Wie ein giftiger Stachel drang der Gedanke in seine Seele:

» Fluderle stirbt

Entsetzlich!

» Fluderle stirbt, mein Einziges!«

Furchtbar!

»Grausamer Tod! Nimm mein Leben! Aber gib sie frei!«

Der Schmerz schüttelte Kuh-hong, daß er bebend neben Fluderle niederfiel.

»O Fluderle!« seufzte er jämmerlich.

Da horch! – Ein schwaches Stimmchen:

»Wer hat mich gerufen?«

»Wär's möglich?« sagte Kuh-hong. – »Nicht ganz tot?« Er stellte sich wieder auf die Beine, neigte zitternd den Kopf zu dem leblos daliegenden Huhn herab und lispelte ihm ins Ohr:

»Mein teures Fluderle, lebst du noch?«

»Wer frägt mich?«

»Ich, ich! – Dein unglücklicher Kuh-hong.«

.

Fluderle öffnete die Augen, schloß sie aber gleich wieder und sprach langsam:

»Wo … bin … ich?«

»Auf der abgemähten Wiese, mein Liebstes!«

»Hat es den gesunden Verstand verloren?« dachte der Hahn, und er murmelte: »Gräßlich! wenn es irrsinnig würde!«

Er neigte sich wieder zu Fluderle und sprach:

»Erinnere dich doch! … Wir sind eben über die Wiese gegangen.«

»Ich will an nichts mehr denken«, hauchte es. – Und laut fügte es hinzu: »Besser den Verstand verlieren, als immerzu an sein Unglück denken müssen!«

»Nun wird's doch besser«, dachte der Hahn und sprach:

»Fluderle, mein Einziges, kannst du nicht wieder auf die Füße stehen? – Nur zehn Schritte neben uns fließt ein Bächlein. … Wenn du einen Schluck frischen Wassers nehmen wolltest … oder ein Fußbädchen!«

»Ich will es versuchen«, sagte es kläglich. – »Stütze mich!«

Kuh-hong half ihm, bis es mit vielen Ach und Ojeh auf den Beinen stand. Aber es hielt sich nur aufrecht, weil es sich an den Hahn wie an eine feste Mauer anlehnen konnte.

»Um mich geht alles rund herum«, sagte es.

»Stütze dich auf mich, du Gutes!«

»Ist es schon Nacht?« fragte es weiter.

»Heller Tag«, sagte Kuh-hong, »die Sonne scheint warm, kein Wölkchen steht am Himmel.«

Und er fügte für sich bei: »Ach Gott, wenn es erblindete!«

»Nun kommt mir ein leichter Schimmer. – Wo war ich nur die ganze Zeit?«

»Bei mir, Schatz, aber du lagst wie tot auf der Erde.«

»Richtig! jetzt kommt mir die Erinnerung wieder. … Wäre ich doch lieber gestorben … was habe ich noch von diesem Leben? … Die Hühner hassen mich, … der Hahn ist treulos. … Ich will nicht mehr leben. …« Und das Hühnchen war eben daran, noch einmal umzufallen.

»Fluderle, Fluderle!« schrie der Hahn. – »Stirb mir nicht! … Stirb mir nicht das zweite Mal!«

»Warum soll ich nicht sterben? … Mein Glück, meine Lebensfreude sind dahin. – Wenn ich an die Zukunft denke, fährt es mir wie kalter Schauer durch alle Glieder. … Sterben! – ja sterben …!«

»Fluderle, nein, nein!« jammerte Kuh-hong. »Tu es nicht! – Ich verspreche dir alles, alles, was du willst. Aber stirb mir nicht!«

»Was versprichst du mir?«

»Ich will nie mehr zu einer andern Henne sagen: Liebes, oder Mimichen oder sonst etwas, was du nicht magst.«

»Ist das dein voller Ernst?«

»Mein fester Vorsatz!«

»Und weiter«, sprach Fluderle – es stand dabei auf beide Füße und schaute Kuh-hong scharf in die Augen – »weiter kann ich das Leben hier nicht mehr ertragen. – Ich werde gehen.«

»Um Gottes willen! – Wo willst du hin?«

»Nun schweig aber endlich still und unterbrich mich nicht immer! – Bei deinen Hühnern halte ich es nicht aus, bei dieser heimtückischen, bösartigen Gesellschaft. Alle gehen mir auf die Nerven. – Auf diesem schmutzigen Bauernhof zu leben, hat mir noch keine Stunde Freude gemacht. Da riecht ja alles nach Mist und Kuhstall. Das Hühnerhaus ist ein ungesundes Loch. Schon ist meine Gesundheit untergraben. Ich bekomme Herzbeklemmungen, ich atme so schwer, ich bin am Ende meiner Kraft. Kein Wunder, daß solche Schwächeanfälle über mich kommen!«

Fluderle schwankte wieder bedenklich und schloß die Augen.

Kuh-hong mußte seinen schwachen Liebling aufs neue stützen und sprach: »Hätte ich das geahnt, mein armes, krankes Lieb!«

Fluderle atmete einige Male tief und fuhr fort:

»Nun ist es wieder vorbei. – Aber ich muß unter allen Umständen weg. Ich brauche reinere Luft und bessere Umgebung.«

»Ach! Süßes!« jammerte Kuh-hong.

»Da ist nichts zu jammern. – Hier gilt es zu handeln. – Ich muß in die Sommerfrische.«

»In die Sommerfrische?«

»Jawohl!« – Fluderle schaute hinüber an den hohen Berg, dessen felsiger Gipfel aus dunklen Tannen und hellen Buchenbäumen hervorragte. Es hob den rechten Fuß hoch, streckte die eine Zehe geradeaus und sprach:

»Dort hinauf will ich in die Einsamkeit, in die Höhenluft, in die Würze der schattigen Wälder. – Und ob ich je wieder hierher zurückkehre, das ist eine andere Frage.«

»Welche Pläne!« bemerkte Kuh-hong entsetzt.

»Pläne? … nein! – Notwendigkeiten! – Soll ich hier verkümmern und zu Grunde gehen?«

»Nur das nicht!« meinte Kuh-hong.

»Also werde ich gehen, und du … gehst mit!«

»Ich? … Und meine Hühner?«

» Deine Hühner! Bin ich nicht dein einziges Fluderle? Wir werden glücklich sein.«

»Aber die Karline und das gute Futter!«

»Dort oben gibt es genug zu essen.«

»Ja, schon … aber …«

.

»Kein Wenn und kein Aber! – Ich gehe, und du gehst mit. Willst du oder willst du nicht?«

»Ich möchte schon, ich ginge gern, aber …«

»Schon wieder Aber! – Hast du mir nicht versprochen, alles zu tun, was ich will. – Du liebst mich nicht, Kuh-hong. Dir liegt nichts an meinem Leben!«

»Sprich nicht so, Fluderle, mein Liebes! … Ich gehe mit. Aber doch nicht heute?«

»Nein, in der nächsten Vollmondnacht.«

Der Hahn atmete etwas auf. – »Dann möchte ich doch vorher meine Vettern, die Fasanen, fragen, die dort drüben wohnen.«

»Was! Fasanen sind dort oben? – Haben sie auch Fasaninnen dabei?«

»Wahrscheinlich! Ich habe aber noch keine gesehen. Vor vierzehn Tagen traf ich einen Vetter Fasan, da er abends im Roggenfeld spazierenging.«

»Soso! – Du brauchst nicht fragen! Die Sache ist entschieden. Wir gehen miteinander in den Schloßwald zur Sommerfrische.«

»Wenn du willst, mein Lieb«, sagte der Hahn. Er wußte aber nicht, was Sommerfrische ist.

»Gewiß, ich will«, sagte Fluderle. – »Und du wirst bis dorthin nie mehr einer andern zärtliche Beiwörter geben.«

»Nie mehr!«

»Und du wirst keiner andern eine Silbe von unserem Plane verraten.«

»Ich schweige still wie ein Stein.«

»Und du wirst mich in der nächsten Mondnacht zum Schloßwald begleiten.«

Kuh-hong wußte weder Weg noch Steg, aber er sagte:

»Ganz bestimmt!«

»Schwörst du mir?«

»Ich schwöre es dir.«

»Bei deiner siebenfach gezahnten, steilgeraden Fürstenkrone?«

Das war des Hahnes höchster Schwur. Er besann sich einen Augenblick. Dann erhob er seinen rechten Fuß und sprach feierlich:

»Ich schwöre es dir bei meiner siebenfach gezahnten, steilgeraden Fürstenkrone.«

Fluderle konnte ihren edlen Kuh-hong nicht umarmen, sie umflügelte ihn herzlich und sprach:

»Nun sehe ich, mein Treuester, daß du mich wirklich liebst.« Und still verschämt flüsterte sie ihm ins Ohr: »Und dir, du Bester, gehört die einzige große Liebe meines Herzens.«

Darauf gingen sie miteinander über die Wiese. Kuh-hong schob seinem Fluderle die besten Bissen zu, die er erpicken konnte, damit es für das entgangene Frühstück entschädigt würde.

Die Hühner hatten sich um die beiden nicht gekümmert, da sie mit Fressen zu sehr in Anspruch genommen waren.

Aber dem Hofhund Putt war es nicht entgangen, als Fluderle wie tot auf die Wiese niedersank. Er dachte jedoch an Hektors Mahnung und blieb ruhig vor seiner Hütte in der Sonne liegen. »Von mir aus«, sagte er gleichmütig, »können in Zukunft alle Hühner leben und sterben, wie sie wollen.«


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