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6. Zwei Hunde und ein Kater

Bei's Heinisbärbe lagen zu später Nachtstunde im hellen Lichte des Vollmondes zwei Hunde vor der Hütte und sprachen leise miteinander. Der eine von ihnen war Hektor, ein Hund, der aussah wie ein Eisbär. Er hatte ein blendend weißes Fell von langem Kraushaar. Aus seinem Kopfe schauten zwei braune Äuglein so freundlich in die Welt wie die eines Kindleins in der Wiege. Ein starker Hund war Hektor, und dabei gutmütig und freundlich gegen alle anständigen Menschen und gegen alle guten Tiere. Wenn er aber zu brummen anfing und seinen weiten Rachen aufriß, dann hatten die Diebe und Gauner nichts zu lachen.

Hektor sprach mit Putt, Karlines Hofhund, der gekommen war, um bei seinem treuen Freunde Trost und Rat zu holen.

»Wie gesagt«, schloß er eben seine Rede, »laß dich nicht mehr mit einem Hahne ins Gespräch ein! Hähne sind dumm und händelsüchtig. Wenn unsereiner glaubt im schönsten Frieden zu leben, brechen sie plötzlich einen Streit vom Zaun. Der freche Kuh-hong ist einer der schlimmsten. Hättest du ihm den Hals abgebissen, wäre ihm recht geschehen. Doch das geziemt sich nicht für einen ehrlichen Hofhund.«

»Ich werde es mir merken«, sagte Putt. – »Nun gehe ich nach Hause. Es ist allerdings mondhell. Aber man weiß doch nie, was die Diebe im Sinn haben.«

»Ich werde dich noch ein Stückchen begleiten«, meinte Hektor. »Der Heinisbärber hört heute abend doch nicht auf mit Trompetenblasen. Er hält diese Musik für schön, und mir kratzt das Geheul wie Sand in den Ohren.«

Sie gingen zusammen den Weg am Berg entlang. Auf einmal stand Hektor still, hielt seine Nase schnüffelnd in die Luft, machte drei Sätze und hatte einen rot-weiß getigerten Kater mit seinen scharfen Zähnen am Genick gepackt. Der hatte eben ein halbwüchsiges Häschen würgen wollen. Nun war er selbst gefaßt, und das Häslein lag bewußtlos am Boden.

»Alter Strauchdieb!« brummte Hektor. – »Hab' ich dich endlich erwischt? – Nun hast du ausgewildert.«

»Hab Erbarmen!« winselte der Kater.

»Beiß ihm das Genick durch!« sagte Putt, »es ist der Rolli vom Guckinstal.«

»Tu es nicht!« bettelte der Kater, »hört mich erst an, ich will euch ein großes Geheimnis verraten.«

»Soll ich ihn auslassen?« fragte Hektor.

»Stelle ihn mitten auf den Weg zwischen uns beide!« sagte Putt, denn er war ebenso neugierig wie Hektor. – »Das ist ein durchtriebener Lügner. Aber wir wollen ihn anhören. Uns beiden kommt er aus keinen Fall mehr durch.«

Hektor stellte den Kater vor sich hin und sprach: »Rede!«

»Einen Augenblick nur!« sprach der Kater zitternd am ganzen Leibe, »einen Augenblick, daß ich mich von dem Schrecken erhole.« Er blinzelte nach links und rechts, ob er nicht aus einen Baum springen könnte. Aber es schien ihm unmöglich. So besann er sich und sprach:

»Mächtiger Herr Hektor! Edler Herr Putt! – Mäuse sind die schlimmsten Geschöpfe auf dieser schönen Erde. Sie stehlen, was sie finden. Sie benagen das Brot und den Käse, sie durchwühlen die Fruchtkammern, sie sind imstande, euch das Essen vor der Nase wegzufressen, wenn ihr in eurer Hütte liegt und nicht aufpaßt. – Den Mäusen allein gilt mein Kampf. Sie vertilge ich, wo ich sie treffe. Diese Landplage auszurotten, arbeite ich Tag und Nacht. – Erst kürzlich fehlte wenig, daß eine unverschämte Maus ein großes Unglück ungerichtet hätte. Meine Herrin trug ihr zartes kleines Kindchen auf den Armen und ging die Stube auf und ab. Huscht da eine Maus am hellichten Tage über den Boden, erschreckt die gute Frau so sehr, daß sie nur noch rufen konnte: ›Eine Maus! eine Maus!‹ – Hätte sie ihr Kind fallen lassen, so wäre es tot gewesen. – Ja die bösen Mäuse! Wenn ich euch alles erzählen könnte, was ich von ihnen weiß.«

»Ach was!« sagte Putt ungeduldig, »was hat dies Häschen da mit den Mäusen zu tun?«

»Geduld!« sprach der Kater und schaute wieder scharf nach links, wo auf vier Sprünge Entfernung eine Buche stand. – »Ihr sollt es gleich erfahren. Die Mäuse am Brigittenschloß haben sich mit den Hasen gegen die Hunde verschworen.«

»Flunkere nicht!« brummte Hektor und zeigte seine spitzen Zähne.

»Mächtiger Herr Hektor!« besänftigte der Kater, »ich selbst habe es erst heute erfahren. Passe ich doch seit einer Stunde vor dem Mausloch dort, um einen der übelsten Mäuseriche zu erwischen. Ich weiß bestimmt, es ist der Huscher, der meine Herrin erschreckte, daß ihr Kind fast totgefallen wäre. – Wer kommt daher? – Der junge Hase, der freche, und faucht mich an: ›Was hast du da zu suchen, blutgieriger Kater? Hier wohnt mein Freund Huscher, dem ich eine Botschaft zu überbringen habe. Sofort verziehst du dich, oder …‹, und schon wollte er mich mit seiner Hasenpfote an die Backe schlagen.«

In diesem Augenblick wachte das Häslein aus seiner Betäubung auf und murmelte: »Achjeh! die drei werden mich sicher erwürgen!«

»Er lebt noch«, dachte Hektor, tat zwei Schritte gegen das Häschen zu und sprach: »Fällt uns gar nicht ein, wir werden dich beschützen.«

Putt schaute seinem Freunde nach. Die Katze aber machte einen Sprung und noch einen, und mit dem dritten hatte sie schon die spitzen Krallen in die Rinde des Baumes geschlagen und kletterte, flink wie ein Eichhörnchen, den Stamm der Buche empor. In der ersten Astecke ließ sie sich nieder, schaute mit glühenden Augen herab und höhnte:

»Von zwei Hunden, wie ihr seid, läßt sich Rolli Freiherr von Katzenstein noch lange nicht fangen. Nur schade, daß mir der gute Braten entgangen ist!«

»Rolli«, sagte Putt, »diesmal hast du dich noch einmal durchgelogen. Hüte dich aber, je wieder auf den Hagenberg zu kommen, um nach den Bibbele zu sehen! – Wenn ich dich dort erwische …«

»Auch dort hast du mich noch nicht erwischt«, tönte es vom Baum herab; »aber grüß mir den tapferen Kuh-hong, deinen Freund, und sage ihm, von mir aus könne er dir das nächste Mal beide Augen auspicken!«

Da brummte Hektor: »Den Kerl möchte ich noch einmal zwischen den Zähnen haben.« Und er fletschte grimmig den Kater an.


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