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Hinter Fürst Rolli von Fuchsenschroffen und seiner Gemahlin Fluderle Prinzeß Feeland schritten in feierlicher Würde die Eingeladenen von der Burgkapelle zwei und zwei zum Rittersaale und stellten sich dort nach der Anweisung der Diener entsprechend der Hofordnung auf. Fürst und Fürstin waren die Stufen emporgestiegen, die zu den erhöhten Thronsesseln führten, und schauten von da aus über die in Samt und Seide rauschende Versammlung hinweg.
Schon in der Burgkapelle hatten die Herrschaften mit Staunen auf Fürst Rolli und seine Gemahlin geschaut. Nun aber waren sie alle geblendet von dem Glanze ihrer Erscheinung.
Rolli trug über blauseidenem Gewand mit viel Gold und Silber einen rotgefütterten Hermelinmantel. Von seiner Brust blinkten die Edelsteine der höchsten Orden seines Reiches. Sein Haupt zierte die goldene Krone derer von Fuchsenschroffen, und in der Rechten hielt er das Zepter des Reiches.
Fluderle hatte sich den Kamm mit Stecknadeln steil gerade gestellt, so daß er mit seinen Zacken ihre natürliche Krone bildete. Sie hatte ihn vergolden lassen und über jede Spitze eine große Perle mit einer Klammer eingesetzt. Das hatte alles ziemlich wehgetan, die Klammern der Perlen zwickten in das empfindliche Fleisch. Aber es war sehr schön.
Der Kanarienpelz hob sich prachtvoll ab von Fluderles schwarzfederigem Halse, die Distelfinksgamaschen wirkten vortrefflich mit ihren bunten Farben. Ein Überwurf von weißer, weichfließender Seide über dem Rücken war das Gegenstück zu Rollis Hermelinmantel. Daß sich Fluderle über dem Hühnerschwanz zwei Pfaufedern einstecken und mit Drähtchen an den Schwanzfedern befestigen ließ, war eine Überladung. Es war auch nicht leicht, die langen Federn immer in der richtigen Höhe zu halten. Aber Fluderle hatte die Anstrengung auf sich genommen, weil sie den Federschmuck sehr schön fand.
Fürst und Fürstin machten vor der Versammlung eine Verneigung und setzten sich auf die Thronsessel, Fluderle zur Rechten ihres Gemahls. – Eine feierliche Stille!
Der Reichsminister von Dachs trat vor, stieg die untersten drei Stufen gegen den Thron hinauf, verbeugte sich erst vor dem Fürsten und der Fürstin und wandte sich darauf mit einer Verneigung gegen die Versammlung:
»Im Allerhöchsten Auftrage habe ich den versammelten Ständen des Reiches Fuchsenschroffen, den anwesenden hohen Gästen und allen Untertanen des Reiches den Text des Aufrufes zu verlesen, den mein Durchlauchtigster Herr am Tage seines Regierungsantrittes an sein Volk zu richten gnädig geruht hat.«
Der Minister wickelte eine große Pergamentrolle auf und fuhr fort:
»Dieses Allerhöchste Handschreiben lautet wie folgt:
Wir, Rolli Fürst von Fuchsenschroffen, haben unter dem Datum des heutigen nach dem Rechte der Erbfolge und kraft der Verfassung die Regierung des uns zugefallenen Reiches Fuchsenschroffen angetreten. Wir geloben, daß Wir allen Unsern geliebten Untertanen, die nach Gesetz und Ordnung Unseres Staates leben, Schützer und Bewahrer ihrer Rechte sein werden, aber auch alle jene, die Recht und Gesetz mißachten, nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit in die Schranken weisen. – Uns zur Seite steht die Erlauchte Gemahlin Fluderle, Prinzeß von Feeland, die uns vor wenigen Tagen angetraut wurde. Die Fürstin wird ihre hauptsächliche Lebensaufgabe darin erblicken, mit milder Frauenseele, zarter Einfühlung in die Not der Armen und Bedrückten tätige Hilfe allen Leidenden zu bringen und …«
»Ach jeh!« unterbrach den Minister ein Jammerruf vom Throne her. Fluderle sank über ihren Thron zu Boden.
Minister von Dachs hielt inne. Aus der Reihe der Versammelten hörte man Angstschreie: »Schrecklich! – Um Gottes willen! – Die Fürstin! –«
Rolli warf sein Zepter zu Boden, stieg vom Thron und neigte sich zu Fluderle. Dabei fiel ihm die Krone vom Haupte.
»Was ist dir, Fluderle?« fragte er leise. – Sie gab keine Antwort. Hilfesuchend schaute der Fürst auf seinen Minister. – Der erblickte in der vorderen Reihe seine Mutter und winkte ihr: »Komm, Mama!«
Die Baronin von Dachs eilte herbei, schnüffelte an Fluderles Schnabel und dachte: »Das riecht alles nach Huhn.«
Indessen stürzten, von Tunker gerufen, die beiden Zofen Nina und Lisa in den Saal und bemühten sich neben dem Fürsten und der von Dachs um ihre Herrin.
Nun tat Fluderle einen tiefen Atemzug und wimmerte: »Es geht etwas besser. – Bringt mich in das Zimmer nebenan!«
Gestützt auf die beiden Rebhühnchen konnte sich Fluderle die Stufen hinab in das anstoßende Zimmer schleppen. Baronin Dachs und Rolli folgten nach.
Nach wenigen Minuten kam Rolli zurück in den Saal und sprach mit bebender Stimme: »Mein hohes Gemahl hat einen kleinen Schwächeanfall bekommen. Die Anstrengungen des Festes überstiegen der Fürstin Kräfte. Ich bitte Sie alle um eine kurze Zeit Geduld.« Rolli vergrub die Augen zwischen den Pfoten und lehnte sich trauernd an das Rückenstück seines Thrones. Schluchzen im Saale unterbrach allein die schauerliche Stille.
Derweilen schrie Baronin von Dachs in dem Zimmer nebenan den Zofen zu: »So macht zuerst einmal die Fenster auf, daß frische Luft hier hereinkomme!«
Als das geschehen war, nahmen Lisa und Nina der auf dem Teppich des Fußbodens hingestreckten Fürstin zuerst den Seidenüberwurf ab, schnürten die Distelfinksgamaschen auf, öffneten die Schließe des Kanarienpelzes, wickelten die Drähtchen auf, mit denen die Pfaufedern befestigt waren, nahmen die zwickenden Perlen von den Zacken des Kammes ab und zogen die geradehaltenden Stecknadeln heraus.
Die Dächsin stand dabei und dachte: »Sieht auch genau aus wie Huhn.«
»Nun geht es besser«, flüsterte Fluderle.
Aber schon fing's wieder an. Die Fürstin sperrte den Schnabel weit auf, schnappte nach Luft, klagte über entsetzliches Leibweh.
»So etwas habe ich noch nie erlebt«, murmelte die Dächsin.
Da plötzlich! – Es war vorbei. – Fluderle hatte ein schneeweißes Ei neben sich auf dem Teppich liegen. Nun war ihm wieder ganz wohl. Es stand auf, hüpfte um das Ei herum, sah es immer wieder an, berührte es mit dem Schnabel und begann zu singen:
»ga – ga – ga – gaak
ga – ga – ga – gaak
ga – ga – ga – gaak!«
Rolli kam in das Zimmer hereingestürzt:
»Was ist hier los?« schrie er die Rebhühnchen an.
Hätten sie reden können, so würden sie ihm gesagt haben: »Durchlaucht! – Dero erlauchte Gemahlin haben ein Ei gelegt.« Aber sie waren ja stumm.
Rolli erkannte nun selbst, was geschehen war, und pfauchte Fluderle an:
»So hör doch endlich einmal auf mit dem einfältigen Gegacks! – Denke doch: unsere Gäste!«
Aber Fluderle hüpfte und tanzte um das Ei herum und rief: »Schau doch, lieber Rolli, schau doch, welch hübsches Ei! – Mein Ei! So schön rund! So reinweiß! Ach, mein Ei! …
ga – ga – ga – gaak
ga – ga – ga – gaak!«
Schon gaben die Hähne von dem gegenüberliegenden Berge, zu denen durch die offenen Fenster der Jubelruf Fluderles gedrungen war, fröhlich Antwort, und die ganze Gegend dröhnte von einem nicht endenden:
ga – ga – ga – gaak
ga – ga – ga – gaak!
Rolli schimpfte, pfauchte, fluchte, brüllte sein Fluderle an. – Das hörte nicht auf zu gacksen, bis es davon müde war.
Nun trat Rolli wieder in den Saal. Er riß sich sehr zusammen und redete die Versammlung an:
»Zu meinem großen Bedauern, meine hochverehrten, lieben Gäste, muß ich Ihnen mitteilen, daß der Zustand meiner erlauchten Gemahlin doch ernster ist, als es zuerst erschien. Ich muß das Fest für heute absagen. Darf ich Sie noch bitten, in aller Stille eine kleine Erfrischung unten im Speisesaale einzunehmen, wo alles bereitsteht. Ich kann Ihnen leider nicht Gesellschaft leisten, da mich die Sorge um meine Gemahlin schier zu Boden drückt.«
Die Versammelten gingen geräuschlos auseinander, verzichteten auf den Imbiß, stiegen in ihre Wagen und fuhren ab.
Allenthalben hieß es: »Na, ja! Der Rolli! – Eine nette Prinzeß Feeland! – Eine gewöhnliche Bibbe hat er geheiratet. – Was der uns vormachen wollte!«
Die von Dachs sagte es allen, die es hören wollten: »Nichts anderes als Bibbe! – Riecht einzig nach Huhn! – Und hat ein Ei gelegt.«
Als die adeligen Herrschaften aus dem Burgtor gefahren waren, drang die Schar des Volkes in den Burghof ein. Sie hatten über dem langen Warten Hunger und Durst bekommen und gaben nicht nach, bis die Wein- und Bierfässer angestochen wurden, holten sich Brot, Wurst und Käse und zogen dann, sehr vergnügt über die guten Speisen und Getränke und höchst zufrieden mit der neuen Herrschaft, nach Hause.
Eichhorn Freiherr vom Grünen Ast, der mit seiner Frau vom Lindenbaum her alles gesehen hatte, sprach: »Mutterle, wir holen uns jetzt noch rasch ein paar Haselnüsse von dem Strauch dort an der Burgmauer. Sie sind gerade am Reifen. Dann gehen wir aus demselben Wege, den wir hergekommen sind, wieder heim.«
So machten sie es.
Als sie auf dem Heimweg über die Äste hüpften, blieb Eichhorn plötzlich sitzen und rief seiner Frau zu:
»Mutterle, Mutterle! ich sag' dir: sie ist eine gewöhnliche Bibbe, ihm ist die Krone vom Kopf gefallen, sie hat ein Unglücksei gelegt! – Das kann unser Lebtag nicht gut ausgehen.«