Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

2. Blinkeblitz

Die braune Glucke zog in den Stall, ließ sich in der hintersten Ecke nieder, hielt ihre Flügel weit auf und lockte ihre Jungen zu sich heran. Die dreizehn verschwanden unter den Federn ihrer Mutter. Aber Kicker, ein freches Hähnchen, dem schon das Kämmchen über dem Kopfe wie ein zartes Krönchen sproßte, streckte noch einmal sein Schnäbelchen zwischen den Federn der Glucke heraus, schaute sich im Stalle um und piepste: »Warum denn schon so früh zu Bett? – Ich habe noch keinen Schlaf.«

Unter dem Hals der Alten trippelte das Hühnchen Tupf unruhig einher. »Tock – tock!« sprach die Glucke, »rasch ins Bett! Es wird schon dunkel. – Ordnung muß sein mit euch Knirpsen!«

Sie gab ihm mit dem Schnabel einen leichten Schlag, und Tupf verschwand unter dem warmen Gefieder, fing aber gleich darauf Streit an: »Du fremdes Schwarzes, wenn du mir nicht sofort sagst, wie du heißest, schlafe ich nicht neben dir.«

»Meinen Namen wirst du nie erfahren«, sprach das Schwarze.

»Warum nicht?«

»Darum!«

»Du bildest dir viel ein, du schwarzer Käfer.«

»Sei still und schlafe, gelbe Butterblume!«

»Neben dem da schlafe ich nicht«, sprach Tupf und drängte sich wieder aus den Federn der Glucke heraus.

»Will's denn heute gar keine Ruhe geben?« ärgerte sich die Glucke, »hinein ins warme Bett!« und sie hieb schärfer nach dem kleinen Wollwisch.

Tupf schob sich rasch unter das Federkleid der Mutter, stieß das Schwarze noch ein paar Mal an, murmelte etwas von schwarzem Mistkäfer und schlief schließlich ein. Die Glucke drehte den Kopf herum, streckte ihn unter die Federn des Rückens und schlief auch.

Dunkler und dunkler kam die Nacht das Tal heraufgestiegen. Durch das kleine Fensterloch, das mit einem Drahtgeflecht verschlossen war, zog sie auch in den Kükenstall. Schon war's unter den Federn der Glucke so finster, daß unser Schwarzes, als es sich einen Fuß vor den Schnabel hielt, nicht einmal mehr seine Zehen zählen konnte.

Tief unten im Tal lag die Kirche von Saswallen. Vom Turme klang der Stundenschlag wie ferne Musik herauf. Das Schwarze zählte die Schläge:

Neun! – Es schlief immer noch nicht.

Zehn Uhr. – Es weinte. – »Ach, wäre ich doch kein Hühnchen geworden! – Damals beim Vater Seppel hatte ich es besser. – Lieber wollte ich seine Werkstätte kehren. Nie mehr würde ich verdrießlich sein, wenn ich Gelberüben zum Mittagessen und Sauermilch mit Kartoffeln zum Nachtessen bekäme. Ich würde mich nie mehr auf der Straße herumtreiben, wenn es dunkel wird und die Abendglocke schon geläutet hat. – Ach Gott, ein Hühnchen! Und gar ein schwarzes, ein häßliches Hühnchen!«

Elf Uhr. – Immer noch wachte das Schwarze. Seine Füße trippelten auf dem von Tränen feuchtgewordenen Boden. – »Wenn ich nur wieder fliegen könnte! – Ein Waldvögelein, ja das ließe sich noch ertragen. Bunte Federn, rot, blau und grün. Ein zierliches Nestchen im Dickicht versteckt, eine helle Stimme zum Singen. Aber nur ein Hühnchen, nichts als pieps, pieps! – Die Glucke mag mich nicht. Die Küken, die dummfrechen Dinger, sind zufrieden, wenn sie zu fressen haben und danach der Mutter unter die Federn schlüpfen dürfen. – Das halte ich nicht aus. Ich will kein Küken bleiben, ich will auch nicht wachsen und eine Henne werden. Daß ich womöglich noch Eier legen müßte! Pfui! – Eier legen! – Ich kann kein Ei mehr sehen, seitdem man mich so lange in ein Ei gesperrt hat. Entsetzlich! – Er soll mir nur fortbleiben, der Goldkäfer! Ein bißchen hat er mich fliegen lassen, der falsche Strick, dann ließ er mich fallen. Der war sicher auch daran schuld, daß ich in das Ei gezaubert wurde. Der glitzernde Schwindler!– Und ich mag kein Hühnchen sein! … hohohoho«, schluchzte das Schwarze, als es zwölf Uhr schlug.

Ein Lichtschein spielte plötzlich um die Füße des Kükens. Es war, als ob ein winzig kleines Auto dahergefahren käme mit zwei mächtigen Scheinwerfern. Das Hühnchen schaute ins Licht und war geblendet. Der Lichtschein wurde kleiner, und vor dem Schwarzen stand der goldene Käfer. Er war so groß wie ein Marienkäferchen. Seine Flügel bestanden aus reinstem Bergkristall, überhaucht vom zartesten Goldstaub. Auf silbernen Füßen ging er einher. Seine Fühler, aus kleinsten, dunkelrotschimmernden Edelsteinen zusammengesetzt, zitterten tastend wie Pappellaub im Frühlingswind. Seine Augen, zwei funkelnde Diamanten, konnte er hell leuchten lassen wie Scheinwerfer, oder auf matt blenden, daß sie nicht heller waren als ein Kerzlein, oder auch ganz abstellen, daß sie kein Licht mehr gaben.

Nun stand der Goldkäfer vor dem schwarzen Küchlein und ließ seine Augen nicht heller scheinen als ein Nachtlichtlein.

Die Glucke merkte nichts, die Küken alle schliefen, nur das Schwarze schaute erstaunt den Goldkäfer an und sprach:

»Was willst du hier um diese Zeit?«

»Mich schickt die Fee Güldenhaar«, sagte der Käfer, und seine Stimme klang wie ein silbernes Maiglöcklein, »meine Herrin läßt dir sagen, ein Hühnchen bist du jetzt und sollst als Hühnchen leben. Du wirst wachsen und eine Henne werden, wirst die Sprache der Tiere und der Menschen verstehen, aber du wirst nur dann die Menschensprache reden können, wenn ich bei dir bin. Denn ich bin Blinkeblitz, der Bote der goldhaarigen Fee. Ich werde über dich wachen und meiner Herrin berichten, was ich Gutes und Böses an dir sehe.«

»Aber ich mag kein Hühnchen sein, und ich will noch viel weniger eine Henne werden.«

»Sei nicht unzufrieden!« entgegnete Blinkeblitz. »Freue dich, daß du aus dem engen Gefängnis befreit bist. – Ein Küken ist ein hübsches Tierchen.«

»Hübsch!? … Wer das glaubt! – ein Mistkratzer!«

»Ein Küken wächst heran zu einem nützlichen Geschöpf.«

»Was habe ich von dem Nutzen, wenn ich Eier legen muß?«

»Die Fee wird dich belohnen.«

»Nein, nein! – Ich will keine Henne werden, ich will kein Küken sein. – Hätte die Fee mich zum Adler gemacht, daß ich über die höchsten Berge fliegen könnte und alle Vögel mir gehorchten und vor mir Angst bekämen, dann könnte ich zufrieden sein. Aber sie behandelt mich schlecht, die Goldhaarige, sie liebt mich nicht, und darum will ich auch nichts von ihr wissen. – Sag es ihr nur, Blinkeblitz, ich bleibe kein Küken und will keine Henne werden. – Und in diesem schmutzigen Bauernhaus gefällt es mir nicht. Bei der ersten Gelegenheit laufe ich davon.«

.

»Liebes Küken«, sprach Blinkeblitz mit strengem Ernst, »du wirst lernen müssen, der Fee zu gehorchen, und du wirst es erfahren, daß sie es gut mit dir meint.«

Nun wurde das Schwarze giftig und sprach: »Laß mich in Ruhe mit deinen Ermahnungen, ich habe sie meiner Lebtag nicht ertragen können. – Verzieh dich schleunigst, Blinkeblitzer, sonst fresse ich dich auf mitsamt deinen Blitzaugen!«

Schon wollte das Schwarze nach dem Goldkäfer picken. Dieser aber stellte seine Diamantaugen auf Vollicht. Das Küken, geblendet, hieb mit seinem Schnäbelchen auf den Boden, der Käfer aber schnurrte unter der Glucke weg. Hell erleuchtet war der Stall, als Blinkeblitz wie eine Sternschnuppe durch das Drahtgitter des Fensterloches davonflog.

Die Glucke wachte auf, zog den Kopf aus den Federn und guckte sich um. »Es scheint geblitzt zu haben«, murmelte sie vor sich hin. Da aber alles wieder dunkel war und kein Donnerschlag nachfolgte, dachte sie, sie habe geträumt und überließ sich von neuem der Nachtruhe.

Das Schwarze aber grollte noch eine Zeit lang über den Goldkäfer, den tückischen Unglücksboten der bösen Goldhaarigen, und schlief endlich ein.


 << zurück weiter >>