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8. Am Elfenmoor

»Nun komm!« sprach Hektor zu Hoppel in seiner etwas barschen, aber herzlichen Art.

Sie gingen den gleichen Weg zurück. Als sie an der hohen Buche vorbeikamen, war von Rolli nichts mehr zu sehen. Das Häschen zitierte und schmiegte sich eng an Hektor an.

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»Hab keine Angst!« sagte dieser, »der Rolli hat sich längst aus dem Staub gemacht.«

Nach einer Viertelstunde bog Hektor vom Fahrweg ab und führte seinen kleinen Schützling durch dichtes Ginstergestrüpp in die Heide. Bald gelangten sie an eine offene Stelle. Hier wuchsen rings um ein schwarzes Sumpffeld hohe Binsen. Wie ein zarter Schleier lag über dem Moore ein dünnes Wölkchen von Dunst.

Freudig rief Hoppel: »Da muß es sein. – Genau so hat mir die Mutter den Platz beschrieben.«

»Still!« murmelte Hektor. – »Dieser Ort ist voller Geheimnisse.«

»Ist ein böser Zauberer hier versteckt?«

»Nein, nein! mein Lieber, – da unten im Berge ist die Küche des Zwergenreiches. Dort kochen die guten Elfen ihrer Königin, der goldhaarigen Fee, und all den fleißigen Zwergen ihre Mahlzeiten. Der Dampf der Speisen, durch die jene Bewohner des Zwergenreiches immer gesund bleiben und nie sterben, dringt durch den Grund an die Oberfläche der Erde. Dadurch wird der Moorboden an dieser Stelle heilkräftig. Hier können sich kranke Tiere gesund baden. – Das ist das eine Geheimnis.«

»Ach! könnte doch meine kranke Mutter hierher kommen! Dann würde sie auch gesund«, meinte das Häschen.

»Gewiß!« bestätigte Hektor, »aber hier gedeiht auch das Kräutlein Haswohlverlei. Gute Tierchen können es finden. Da du es für deine kranke Mutter suchst, hoffe ich bestimmt, daß dir das Wunderkraul zuteil wird.«

»So wollen wir gleich auf die Suche gehen!«

»Nicht übereilen!« mahnte Hektor. »Erst sehen, ob wir die Elfen nicht stören!«

»Kommen sie hierher?«

»Wenn sie in der Küche fertig sind, alles Geschirr blank gescheuert und jedes Stück an seinen Platz gestellt haben, dann kommen sie manchmal hierher und tanzen ihre Reigen im Mondenschein über dem zarten Dunstwölkchen. Sie singen auch bisweilen in der Tiefe, und wer ein Glückskind ist, kann ihren Gesang vernehmen. – Hörst du nichts?«

Das Häschen machte Männchen, stellte die Lauscher hoch und sprach: »Wirklich! – Ich höre Gesang und Saitenspiel.«

Nun stand auch Hektor mäuschenstill. Vom Moore her klang das Lied:

Es flattert ein Fluderle heiter
In die böse Welt hinein
Und denkt: es geht immer so weiter. –
Was bin ich! – Was werd' ich noch sein!
Räuber belauern's, ein blutdürstig Paar,
Sinnen Verderben ihm, Elend und Not.
Nichts will es wissen von Mutters Gebot.
Trauere, Fee Güldenhaar!

Es rennet Hoppel, das Häslein,
Besorgt in die dunkle Nacht
Und sucht für die Mutter das Gräslein,
Das allein sie gesund wieder macht.
Hektor entriß es der Lebensgefahr. –
Daß es vom Tode die Mutter befrei',
Wächst ihm das Kräutlein Haswohlverlei.
Freue dich, Fee Güldenhaar!

Wie leiser Orgelton verklang das Lied aus der Tiefe des Moores. Lange noch standen die beiden Zuhörer schweigend da. Endlich fragte Hektor: »Hast du das Lied verstanden?«

»Den ersten Teil nicht«, antwortete Hoppel, »es handelte von einem Fluderle. Aber ich kenne keinen Hasen, der Fluderle heißt, und weiß darum auch nicht, was es zu bedeuten hat. Dann aber haben die Elfen von mir gesungen und auch von dir, lieber Hektor, … hast du's gehört: es wächst das Kräutlein Haswohlverlei!«

»Gut!« sagte Hektor, »jetzt dürfen wir danach suchen.«

Sie gingen vorsichtig am Rand des Moores entlang. Plötzlich blieb Hektor stehen: »Sieh da, Hoppelchen, hier ist das Wunderkraut gewachsen!«

Da stand ein Pflänzchen, ähnlich einem Löwenzahn. Aus der Wurzel sproßten drei Reihen zartgrüner gezahnter Blättchen, mitten daraus erhob sich ein Stengel mit einer einzigen blauen Glockenblume. Von der Blüte, die sich eben öffnen wollte, strömte ein Duft aus wie von feinster Vanilleschokolade. … Das Wunderkraut, Haswohlverlei.

Voll drängender Sorge für die kranke Mutter sprach das Häslein: »Hektor, bitte, hilf mit das Kräutchen ausgraben!«

»Ist leicht zu machen«, sagte dieser und schaffte mit seinen starken Pfoten die Erde um die Wurzeln weg. Nun lag das Wunderkräutlein da, und Hoppel wollte es schon zwischen die Zähne nehmen, um es eilends zu seiner Mutter zu tragen.

»Langsam!« sprach Hektor. – »Du mußt zuerst selbst ein Blättchen davon essen.«

»Ach nein!« sagte Hoppel, »alles für die Mutter, daß sie gesund wird!«

»Sie wird gesund, aber ein Blatt ist für dich.«

Hoppel gehorchte. Er biß das unterste Blättchen an der Wurzel ab. Ei, wie das schmeckte! Zart wie Honigkuchen und kräftig wie keine andere Speise.

Als Hoppel sein Blättchen geknuspert hatte, sagte er: »Ich fühle keine Angst mehr, und meine Beine sind so stark, daß ich über einen Berg springen könnte.«

»Du wirst jetzt nie mehr müde werden.«

Hektor begleitete das Häschen bis zum Ende der Heide. Hoppel legte das Wunderkräutchen auf die Erde, stellte sich vor seinen treuen Freund und sprach: »Hektor, ich danke dir, solang ich lebe.« Und er faßte den Wollkopf des großen Hundes mit den Pfötchen und drückte einen herzhaften Kuß auf die schwarze Nase. Nun nahm er sein Kräutchen wieder und sprang wie ein Schnellzug dem Dachsberg zu.

Hektor wußte nicht, wie ihm war. Er hatte Tränen in den Augen und wollte es sich nicht gestehen. So tat er, als hätte er den Schnupfen und nieste laut. Darauf kehrte er um. Als er am Elfenmoor vorbeikam, nahm er ein Fußbad in dem heilsamen Schlamme und lief nun mit schwarzen Stiefeln zu seiner Hütte zurück.

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