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16. Kuh-hongs Ende

»Liebes Fluderle, heute ist der Tag, an dem wir in den Burgwald ziehen. Ich habe es dir versprochen, und alles ist bereit.« So sprach Kuh-hong, und er dachte nicht anders, als daß sein geliebtes Hühnchen vor hellem Entzücken einen Luftsprung mache.

Aber weit gefehlt. Fluderle machte ein krummes Gesicht und wisperte vor sich hin: »Als ob das solche Eile hätte!«

Kuh-hong traute seinen Ohren nicht und fragte: »Ja …? ist es dir nicht angenehm?«

»Warum gerade heute?«

»So haben wir es abgemacht.«

»Ganz gleich!« sagte Fluderle entschieden, »mir paßt es heute nicht.«

Kuh-hong kam in Verlegenheit: »Ich habe dir geschworen.«

»Hast du mir vielleicht auf heute geschworen?«

.

»Das nicht, aber …«

»Also! – Dann ist auch noch später Zeit.«

»Und die Abmachung?«

»Hast du doch mit den Fasanen gesprochen?«

»Ganz gewiß nicht, mein Liebling, aber Rolli, Freiherr von Katzenstein, will uns zunächst Unterkunft auf seinem Schlosse gewähren.«

» Der kann auch bis morgen oder übermorgen warten. Ich will mir die Sache noch einmal überlegen«, sagte Fluderle, ließ den Hahn stehen und ging auf der Wiese spazieren.

Im Laufe des Nachmittags versuchte Kuh-hong noch einmal, Fluderle umzustimmen. Er habe Rolli sein Wort gegeben, auf dem Schloß in der Höhe finde Fluderle alles, was es zur Kräftigung seiner Gesundheit brauche, auch sei bessere Umgebung dort, kurz alles, was es sich gewünscht habe. Er mußte sehr lange reden, bis Fluderle endlich sagte:

»Nun ja, wenn es eben sein muß, so gehe ich mit. Sollte es aber schief ausgehen, will ich keine Vorwürfe hören. Du trägst die ganze Verantwortung.«

»Ich will sie tragen«, sagte der Hahn, und es war ihm nicht mehr behaglich zu Mute. – »Hätte ich doch nicht geschworen! – Nun dreht sie mir die ganze Sache herum«, dachte er bei sich selbst.

Armer Kuh-hong! Hättest du dich vor Fluderle hingestellt und sie scharf angeschrien: »So bleibst du eben da, und ich bleibe auch da. Und in Zukunft kannst du mir mit allen Plänen für die Sommerfrische gestohlen werden!« – Ja, wenn Kuh-hong so gesprochen hätte, dann wäre alles anders gekommen. Aber Kuh-hong blieb Kuh-hong und konnte Fluderle gegenüber nicht auftreten.

Als die Sonne untergegangen war, saß Kuh-hong mit seinem Fluderle im Haselstrauch am Bach.

Karline schloß in der Dämmerung den Hühnerstall und war überzeugt, daß der Hahn mit all seinen Hennen drinnen auf den Stangen sitze. Wer sollte vermuten, daß ein Hahn beabsichtigte, mit einer Henne durchzubrennen!

Der Mond stieg über den Mauerresten des alten Schlosses auf. Rolli strich auf den Haselstrauch zu, begrüßte Kuh-hong und dankte ihm noch einmal, daß er Wort gehalten habe. Dann wandte er sich an Fluderle und sprach:

»Sehr verehrtes Fräulein Fluderle! – Ich hatte bisher nicht das Vergnügen, deine geschätzte Bekanntschaft zu machen, aber ich freue mich außerordentlich, dich heute kennen zu lernen. Von deinem lieben Freund Kuh-hong bin ich unterrichtet, daß du äußerer Verhältnisse wegen und im Hinblick auf deine geschwächte Gesundheit einer Luftveränderung bedarfst. Ich schätze mich glücklich, dir und deinem Freunde Kuh-hong mein Schloß Katzenstein zur Verfügung zu stellen. Alles ist zum Empfang bereit. Betrachtet euch von heute ab als meine Gäste und seid sicher, daß ihr unter meiner Obhut vor Gefahren aller Art geschützt seid.«

Rolli machte eine vornehme Verbeugung. Fluderle war entzückt über die Rede, die Rolli gehalten, und über die feine Art, mit der er sie begrüßt hatte. Sie erwiderte dem Kater:

»Ich danke dir tausendmal, Freiherr von Katzenstein. Der Tag, an dem ich durch deine Güte aus den bisherigen unerträglichen Verhältnissen herausgerissen werde, soll mir nie vergessen sein. Ich bin bereit, unter deiner kundigen Führung den Weg zum Schlosse anzutreten.«

»Ein sehr verständiges Fräulein!« dachte Rolli und sprach: »So gehen wir!«

Hell schien der Mond durch den lichten Laubwald. Fröhlich stiegen die Drei den Berg hinan. Bald hörte der Buchenwald aus, und sie gelangten zu einer jungen Tannenpflanzung, die sehr dicht war. Aber ein Einschnitt wie ein kleiner Tunnel zeigte, daß da der Weg weiterführte.

.

»Hier müssen wir durch«, sagte Rolli. »Das ist der nächste und sicherste Weg zum Schloß.«

»Hier innen ist es furchtbar dunkel«, rief Kuh-hong aus. Und er hatte recht. Denn die dichten Tannen ließen keinen Schimmer von Licht durch ihr Geäste auf den Erdboden dringen.

»Der Durchgang ist gut und kurz«, sprach Rolli. – »Geh nur voran, Freund Kuh-hong, ich werde zwischen dir und deiner Freundin in der Mitte bleiben, damit wir uns nicht verlieren.«

Kuh-hong ging mutig voran. Rolli hielt sich vorsichtig etwas zurück. Er streckte seinen langen Schwanz gerade aus und mahnte Fluderle, es möchte immer den Schnabel an die Schwanzspitze halten, damit es nicht vom Wege abkomme.

Auf einmal krachte es durch die Zweige. Ein Schrei von Kuh-hong: »O Flu...«, rief der Hahn. »Fluderle« hatte er noch sagen wollen, da war er schon tot. Der Fuchs hatte ihm den Hals durchgebissen und rannte mit seinem Raub davon.

Fluderle sank vor Schreck zu Boden und jammerte: »Jetzt muß ich auch sterben.«

Rolli aber, der Kater, stand da, pfauchte und schimpfte: »Unerhört! – Nun treibt sich hier ein Straßenräuber herum und stiehlt mir den edlen Kuh-hong, den ich zu meinem Obersthofhahn ernennen wollte. Es ist wahrhaftig eine Schande, daß solches Gesindel ungestraft im Lande leben darf.«

»Der arme Kuh-hong!« jammerte Fluderle, … »entsetzlich!« Und zu Rolli gewandt: »Bester Freiherr, führe mich zurück!«

»Wo denkst du hin?« sagte Rolli. – »Wir sind gleich auf dem Schlosse. Der Räuber wird sich nicht getrauen, an mich heranzutreten. – Wäre Kuh-hong nicht so weit vorausgegangen, wäre ihm nichts geschehen. Ich hätte es mit dem Wegelagerer aufgenommen.«

»Und ich mußte mich von Kuh-hong zu dieser gefährlichen Reise verleiten lassen!« klagte Fluderle. – »Mich trifft bestimmt kein Vorwurf. Er hatte alle Verantwortung auf sich genommen. Er war kein übler Hahn, aber etwas eigensinnig. Hätte er auf mich gehorcht, so wäre alles nicht vorgekommen.«

Ohne weiter belästigt zu werden, kamen die beiden auf Schloß Katzenstein an. Rolli geleitete Fluderle in ein Fremdenzimmer und sprach: »Nun schlafe wohl, Fluderle! Du wirst sehr müde sein, und ein erquickender Schlaf wird dich beruhigen nach dem Schrecken, den du erleben mußtest. Es tut mir wirklich leid.«

Und Fluderle schlief bald ein.

Rolli aber zog noch nach Burg Fuchsenschroffen. Hier war sein Freund, der Fuchs, eben daran, den Kuh-hong aufzufressen, roh, wie er ihn gefangen hatte. So schmecke er am besten, meinte er, und warf dem Kater Kuh-hongs Kopf und Füße hin mit den Worten: »Das ist das Beste, ich habe es für dich aufgehoben.«

»Ich danke dir sehr, erlauchter Fürst«, sagte Rolli und nagte an den ihm zugedachten Brocken mit stiller Wut.

Fuchs Fürst von Fuchsenschroffen wischte sich die Schnauze ab und sprach:

»Mein lieber Rolli, du hast die ganze Sache hervorragend eingefädelt. Hiermit ernenne ich dich zum Grafen von Katzenstein. Die Urkunde wird dir morgen von meinem Hofmarschall ausgehändigt.«

»Und die Abgaben?« fragte Rolli.

»Davon kann ich dich nicht ganz befreien. Du wirst mir als Graf künftighin alljährlich einen Hahn mehr liefern.«

Rolli dankte und schien sehr gerührt. Als er aber nach Hause trottete und ganz allein im Walde war, schimpfte er:

»Der alte Geizhals! … Wie muß ich es anfangen, daß ich diesen Fürsten Habenichts mit allen Abgaben loswerde?«

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