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11. Hühner unter sich

Amelia war sehr entrüstet, daß Kuh-hong sie so barsch abgefertigt hatte.

Lilli stimmte ihr bei und sprach: »Unerhört, was wir uns von diesem Grobian gefallen lassen müssen!«

»Er hat keine Bildung«, bemerkte Lolo, »sonst würde er sich anders benehmen.«

»Das war das letzte Mal«, schrie Amelia und stampfte auf den Boden, »in Zukunft werde ich die stille Dulderin nicht mehr spielen. Wen glaubt denn der Bursche vor sich zu haben?«

»Ich werde ihn mit Verachtung strafen«, fügte Lolo bei.

Da die Drei so tapfer auf ihren Hausherrn schalten, gesellten sich Fränz und Käth ihnen bei.

»Was hat er gesagt?« verwunderte sich Fränz.

»Wär's möglich!« entsetzte sich Käth, »deinen schönen Namen hat er verschandelt!«

»Wir wollen es ihm zeigen, was wir von ihm halten.«

»Wir sagen es ihm ins Gesicht, daß er ein Lümmel ist.«

»Jawohl!«

»Jawohl!«

»Wir lassen uns nichts mehr von ihm gefallen.«

»Nichts mehr!«

»Gar nichts mehr!«

Nun wurde auch Babette, die eben mit Urschel ging, auf das erregte Gespräch aufmerksam. Die beiden traten näher.

Babette hatte Augen wie ein Sperber. Urschel sah nicht mehr gut und war so taub, daß man ungefähr eine Kanone neben ihr abschießen mußte, bis sie sagte: »Mir scheint, es donnert in der Ferne.«

Babette reckte auf einmal den Hals hoch auf und rief den Hühnern, die ganz in ihren Gesprächsstoff versunken waren, zu: »Schaut doch einmal dort hinüber!«

.

Seite an Seite ging Kuh-hong mit Fluderle über die Wiese spazieren.

Das letzte Wort blieb den schimpfenden Hennen im Halse stecken. Sie streckten die Köpfe, stellten sich auf die Zehen, und es kam wie aus einem Schnabel heraus ein langes:

»Aa – haaa!«

Dann folgte ein wirres Durcheinander von Stimmen, aus dem einzelne Sätze und Worte herausklangen:

»Da kann er freundlich sein!«

»Da kann er schön tun!«

»Mit dem schwarzen Krabb.«

»Dem Kaminfeger.«

»Solche Geschmacksverirrung!«

»Der einfältige Kerl!«

»Der Esel!«

»Solch hergelaufenes Ding!«

»Kaum der Kinderstube entsprungen.«

»Und was für eine Kinderstube!«

»Nanu! bei der Sabin!«

»Bei der Trampel!« …

»Jetzt erst müßt ihr schauen!« rief Babette dazwischen.

Wieder standen sie alle auf den Zehen und sahen, wie Fluderle dem Hahn ein Würmchen vom Schnabel wegpickte und dann mit holdem Augenaufschlag das schwarze Köpfchen zart an die fleischigen Halslappen Kuh-hongs lehnte.

»Oooo!« riefen sie alle.

»Wie süß!«

»Wie lieb!«

»Wie zärtlich!

»Nett!«

»Wundernett!

»Süßholz!«

»Kandiszucker!«

»Honig!«

»Zwei Turteltäubchen!«

»Der läßt sich schön einseifen!«

»Was sagst du?« fragte Urschel, die Halbblinde und Halbtaube.

»Verliebt ist der Kuh-hong!« schrie Fränz ihr ins Ohr und wiederholte noch lauter: » Verliebt!«

»Hab' nichts dagegen, wenn es noch was gibt, ich esse gern noch ein paar Weizenkörner.«

»Ins Fluderle verschossen!« brüllte Fränz noch viel lauter.

Urschel schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, nein! Mich hat heut noch gar nichts verdrossen.«

»Richtig!« sagte Fränz. – »Wer nichts hört und nichts sieht, den kann auch nichts verdrießen. Glücklich die Tauben und Blinden!«

Da kam Kuh-hong mit Fluderle auf die Hühnerschar zugeschritten. Tänzelnden Ganges traten sie näher. Aus der beiden Augen leuchtete das Glück.

»Seht hier unsere neue Freundin!« sprach Kuh-hong. – »Fluderle ist nun groß genug, um mit den Erwachsenen zu gehen. Ich denke, ihr alle werdet das herzige Kind bald lieb gewinnen.«

»Aber sicher! lieber Kuh-hong«, sprach Amelia. – »Deine Freundin wird auch unsere Freundin sein.«

»Sicher! Sicher!« sagten die andern alle.

»Und dir, bester Kuh-hong, geht es offenbar wieder besser?« fuhr Amelia fort.

»Danke, ja, liebste Amelia«, sagte Kuh-hong. – »Ich hatte etwas Gliederreißen. Durch die Bewegung in der warmen Sonne sind die Schmerzen verschwunden.«

»Gott sei Dank!« riefen die Hühner alle.

»Sei uns willkommen, liebes Fluderchen!« sprach Lilli und küßte es.

»Allerliebst ist unsere neue Gefährtin«, sprach Lolo.

Und: »Allerliebst« rief die ganze Schar.

Als sie abends in den Stall gingen, trat Kuh-hong an der Türe zurück und sprach zu Fluderle: »Du zuerst, mein Schnuckelchen!« – Und er ließ es auf der Stange zu seiner rechten Seite sitzen.

Vor dem Einschlafen lispelte Fluderle leise: »Schlaf wohl, mein süßer Freund!«

Und Kuh-hong schlief in dieser Nacht fast gar nicht, weil er das Glück nicht fassen konnte, ein Fluderle zur Freundin zu haben.


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