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21. Eine gelehrte Sitzung

In das Studierzimmer des Grafen von Katzenstein traten bei Eintritt der Dunkelheit vier gelehrte Maulwürfe: der Archivdirektor Häufler und die drei Archivräte Graber, Bohrer und Stoßer. Sie machten vor Rolli eine tiefe Verneigung. Dieser erhob sich von seinem Schreibtische und begrüßte die Herren mit den Worten:

»Ich danke Ihnen, meine verehrten Räte, für Ihr Erscheinen und bitte Sie, Platz zu nehmen.«

Sie setzten sich an den Tisch in der Mitte des Zimmers, Rolli zuoberst als Vorsitzender, rechts und links zur Seite je zwei der Maulwürfe. Vor jedem stand auf schwersilbernem Leuchter eine brennende dicke Wachskerze. Umständlich legten die Gelehrten ihre Mappen auf den Tisch, zogen Bündel von Papieren daraus hervor und breiteten ihre Schriften vor sich aus.

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Rolli eröffnete die Sitzung:

»Meine sehr verehrten Vertreter der Wissenschaft im Fürstentum Fuchsenschroffen! – Ich habe Sie heute auf mein Schloß gebeten, um mit Ihnen die wichtigsten Fragen zu besprechen, die augenblicklich unser Staatswesen berühren. – Fürst Fuchs von Fuchsenschroffen, unser allverehrter, geliebter Landesherr, ist durch ein tragisches Ende von uns geschieden. Wir nehmen alle teil an der Trauer des Landes um den erlauchten Lenker seiner Geschicke und gedenken voll Dankbarkeit des Verewigten, der in vorbildlicher Treue gegen sein Volk nur dem Wohle seiner Untertanen lebte. Mir hat der Tod des Fürsten, den ich meinen besondern Gönner, ja meinen Freund, nennen darf, die schmerzlichste Wunde in die Seele gerissen und mich in eine geradezu trostlose Vereinsamung versetzt.

Allein über der allgemeinen Trauer des Landes und über dem persönlichen Leid steht die Sorge um die gedeihliche Weiterentwicklung unseres Staates. Außerordentlich verwickelte Fragen harren der Lösung. – Fürst Fuchs von Fuchsenschroffen hinterließ keinen erbberechtigten Nachfolger im Mannesstamm. Die Seitenlinien derer von Fuchsenschroffen sind, soweit bekannt, alle ausgestorben. Darum muß zuallererst die Frage eine befriedigende Lösung finden: Wer ist nach den verfassungsmäßigen Bestimmungen des Reiches zur Nachfolge des verstorbenen Fürsten berufen?

Ich habe Sie, lieber Graber, gebeten, hierüber eine Denkschrift zu verfassen, und bitte Sie, uns das Ergebnis Ihrer Forschungen vorzulegen.«

Graber hüstelte erst ein bißchen, schob seine Papiere zurecht, setzte seine Brille auf die Nase und sprach:

»Ich werde mich sehr kurz fassen und nur die Ergebnisse meiner Studien vortragen, da die Denkschrift mit der Begründung meiner Darlegung meinen Kollegen später im Drucke zur Verfügung steht.

Bei der Durcharbeitung des sehr reichen Urkundenmaterials stieß ich glücklicherweise auf eine Schrift, die in geradezu einziger Art geeignet ist, helles Licht in unsere dunkle Frage zu bringen.

Im Jahr 1189 zog ein Fürst Fuchs von Fuchsenschroffen mit Kaiser Rotbart nach dem Heiligen Land. Da er nicht verheiratet war und die Frage der Nachfolge nicht ungelöst lassen wollte, als er den gefährlichen Kriegszug unternahm, bestimmte er, daß sein Reichsverweser Graf von Katzenstein zum Fürsten von Fuchsenschroffen ernannt sei, wenn er selbst auf dem Zuge zum Heiligen Land vom Tode ereilt würde. – Er kam allerdings in die Heimat wohlbehalten zurück und brachte eine türkische Füchsin mit.

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Er vermählte sich mit ihr, und die Verfügung mußte damals nicht in Anwendung kommen.

Aber ich glaube, den berechtigten Schluß aus dieser geschichtlichen Tatsache ziehen zu dürfen, daß im gegebenen Fall in Anbetracht des völligen Mangels thronberechtigter Erben dem Reichsgrafen von Katzenstein das Recht auf den Thron von Fuchsenschroffen zusteht.

Da Fürst Fuchs von Fuchsenschroffen, unser leider zu früh verschiedener Herr, noch kurz vor seinem Tode Rolli Freiherrn von Katzenstein zu seinem Reichsgrafen ernannte und die Urkunde über diese Ernennung, gefertigt und von des erlauchten Herrn eigener Hand unterschrieben, im Reichsarchiv vorliegt, kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß Rolli Graf von Katzenstein mit allen Rechten in die Nachfolge unseres verstorbenen Fürsten eintritt.«

»Ich danke Ihnen, lieber Graber, für die ausgezeichneten Darlegungen«, sprach Rolli. – »Allein ich möchte in einer solch wichtigen Sache der Entscheidung nicht vorgreifen. Lassen Sie sich, meine Herren, durch meine persönliche Anwesenheit bei der Behandlung einer Sache, die mich so nahe angeht, durchaus nicht beeinflussen. Äußern Sie sich freimütig zu den Ausführungen unseres trefflichen Grabers!«

»Ich möchte den Ausführungen meines Herrn Kollegen Graber meine volle Anerkennung aussprechen und die Schlußfolgerungen uneingeschränkt gelten lassen«, bemerkte Bohrer.

»Ganz meine Auffassung!« fügte Stoßer bei.

»Und ich schlage vor, daß die zu erwartende Denkschrift unseres Kollegen Graber in einer Massenauflage gedruckt und in Goldschnitt gebunden an alle Untertanen des Reiches verteilt werde.« So schloß der Archivdirektor Häufler diesen ersten Punkt der Beratung.

»Ich danke Ihnen, meine gelehrten Herren«, sprach Rolli, »für die mühevolle Arbeit mit ihren erfreulichen Ergebnissen. Wir kommen jetzt an den zweiten Teil unserer Besprechung. Rat Bohrer wird uns zunächst berichten.«

Bohrer zog aus seinen Papieren einen eng beschriebenen Bogen heraus, hielt ihn nahe an das Kerzenlicht und begann:

»Ich hatte die Ehre, eine Forschungsstudie über den Stammbaum derer von Katzenstein zu machen, und lege Ihnen das Ergebnis meiner Arbeit in gedrängter Kürze vor:

Die Rolli finden, soweit nicht spätere Forschung neue Kenntnisse zu Tage fördert, ihre erste Erwähnung in einer Papyros-Urkunde, die erst kürzlich in dem Grabe Tut-ench-Amuns aufgefunden wurde. Hierin wird Rolli, für uns der erste dieses Geschlechtes, als königlicher Haus- und Mausjäger genannt. Er war dem verstorbenen König besonders teuer, weil er bei großen Veranstaltungen am Hofe schnurrend um den königlichen Thron zu streichen pflegte, hierdurch das Herz seines hohen Gebieters ergötzte und ihn leichter über die langweiligen Reden seiner Hofleute hinwegkommen ließ.

Ein anderer Rolli, für uns Rolli der Zweite, fraglos ein Nachkomme des Haus- und Mausjägers am Hofe Tut-ench-Amuns, zog mit den Juden durch das Rote Meer, und seine Nachkommen werden verschiedentlich als Tempeljäger in Jerusalem erwähnt.

Aus der römischen Kaiserzeit ist uns weiterhin ein Dokument erhalten, aus dem hervorgeht, daß die Familie der Rolli zur Zeit des Kaisers Claudius bei dem Bankier Schalom-Ben-Erez in Diensten stand. Vermutlich wurde die Familie der Rolli durch dieses große Bankgeschäft in eine Niederlassung des Hauses nach Gallien verpflanzt. Jedenfalls steht fest, daß die Linie Rolli, die seit dem zweiten Jahrtausend vor Christus in höfischen Diensten stand und dem ältesten Adel der Welt angehört, keineswegs hinter dem Geschlechte der Füchse von Fuchsenschroffen an Alter und Vornehmheit zurücksteht, wahrscheinlich sogar sie überragt.

Seit der Zeit Karls des Großen ist das Geschlecht der Rolli im Besitze des Schlosses Katzenstein. Eine glückliche Auffrischung des Blutes, die der Familie durch den Übergang von Ägypten über Judäa, Rom, Gallien nach Germanien zuteil wurde, läßt uns erhoffen, daß die Lebenskraft kraft dieses Geschlechtes für die Erhaltung des Thrones von Fuchsenschroffen bis in die fernste Zukunft die besten Sicherheiten bietet.«

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Während Bohrer diesen Vortrag hielt, stützte Rolli seine beiden Ellenbogen auf den Tisch, neigte den Kopf und überdeckte seine Augen nut den Pfoten. Am Ende der Rede seufzte er tief auf und sprach:

»Mein lieber Archivrat! Sie sind gründlich in die geschichtliche Forschung eingedrungen. Allerbesten Dank! Zwar könnte ich Ihre Angaben auf Grund der Studien, die ich selbst dereinst machte, weithin ergänzen. Ihre Forschungsergebnisse sind vollständig richtig. Schade, daß ich meine eigenen Studien Ihnen nicht zur Verfügung stellen kann. Ich konnte sie nicht zu Ende führen und nicht im Drucke erscheinen lassen. Die gelehrte Welt würde aber staunen, wenn dieses einzigartige Werk bekannt würde. Hören Sie nur die eine Kapitelüberschrift: ›Die Familie der Rolli in der Völkerwanderung.‹ – Allein die Zeit der Muse für wissenschaftliche Forschung ist dahin. Berge von Arbeit liegen vor mir, über die ich nicht mehr hinaussehe. Und erst die Zukunft! Sie wird neue Lasten zu den alten häufen, wenn ich Fuchsenschroffen als Fürst übernehmen muß. – Glücklich Sie, meine Herren Gelehrten! Während Sie das süße Gefühl ergebnisreicher Forschung verkosten, werde ich ein rastloser Sklave der Arbeit sein.«

Und er seufzte wieder, fuhr sich noch einmal mit den Pfoten über die Augen und fuhr dann fort:

»Wir kommen zum dritten Teil unserer Besprechung. – Lieber Stoßer, geben Sie uns Ihren Bericht!«

Dieser sprach:

»Leider ist es mir nicht gelungen, die mir übertragene Aufgabe mit einem ebenso glücklichen Resultate zu lösen, wie es meinen Herren Kollegen beschieden war. Unsere Adelsregister deuten nirgends auf eine Familie Fluderle hin. Ich habe einige Dutzend Bände nachgeschlagen, ohne auf diesen Namen zu stoßen. – Daß Fluderle von Adel sei, möchte ich keineswegs bestreiten, aber der wissenschaftliche Nachweis durch entsprechende Urkunden ist mir nicht gelungen. – Ich kann nur eines anführen: Fluderle war die Verlobte des so elend ums Leben gekommenen Kuh-hong. Dieser aus kaiserlich-chinesischem Adel hervorgegangene Hahn hätte sich sicherlich nie mit einer bürgerlichen, ihm nicht ebenbürtigen Henne verlobt. Aber die Urkunden über Fluderles hohe Abkunft sind höchstwahrscheinlich durch Kuh-hongs plötzlichen Tod verloren gegangen.«

Graf Rolli machte ein sehr unfreundliches Gesicht. Graber meldete sich zum Wort und sprach:

»Ich kann glücklicherweise meinem Herrn Kollegen in dieser Sache etwas zu Hilfe kommen. Wohl glaube auch ich, daß Fluderle seine hohe Abkunft durch lange Ahnenreihen beweisen könnte. Aber ich möchte doch eine Tatsache vorbringen, die nicht außer acht gelassen werden darf. Vorgestern traf ich bei meinen Forschungsarbeiten in den Tiefen der Erde meinen Freund, den Zwergen Strupp aus dem Feenreich. Strupp erzählte mir, daß seine Herrin, die Fee Güldenhaar, seit Monaten alle Anstrengungen mache, um Fluderle wieder zu bekommen. Dieses Fluderle heiße eigentlich Rösel, sei die Tochter des Schreiners und Schnitzlers Seppel. Es habe daheim nicht gut getan, wollte nichts arbeiten, sei lieber auf der Straße herumgegangen und vor die Schaufenster gestanden, als daß es bei ihrem Vater die Küche besorgt, Strümpfe gestopft, die schmutzige Wäsche gewaschen habe. Alle Mahnungen von Vater Seppel seien vergebens gewesen. Da habe die Fee das Fluderle in ein Ei eingesperrt. Unglücklicherweise habe Bengele das Ei aufgeschlagen. Fluderle sei davongeflogen und treibe sich seitdem als Küken und Henne in der Welt herum, nicht gerade zur Freude und zur Ehre seiner Gönnerin und Beschützerin, der Fee Güldenhaar. Nun aber sei die Fee des Treibens ihres Schützlings überdrüssig. Sie habe Befehl gegeben, daß jeder Zwerg, sobald er Fluderles habhaft werden könnte, es festhalte und in den Feenpalast verbringe.

So hat mir Strupp erzählt, und ich möchte es meinem geehrten Mitarbeiter Stoßer hiermit zur Kenntnis geben.«

»Meinen allerbesten Dank, lieber Kollege!« erwiderte Stoßer. »Damit geben Sie mir den Schlüssel zur klaren Erkenntnis einer Sache, die bisher für mich nur Vermutung war. – Fluderle steht unter dem Schutze der Fee Güldenhaar. Sie ist somit fraglos eine Prinzeß Feeland. Dadurch vollständig ebenbürtig mit unserem höchsten Adel. Will der Herr Graf von Katzenstein, unser künftiger Fürst von Fuchsenschroffen, der Prinzeß Feeland seine Hand zum Lebensbunde reichen, so wird diese Prinzeß Feeland nach den Grundgesetzen unseres Staates rechtmäßige Fürstin von Fuchsenschroffen.«

Nun erhoben sich die vier Gelehrten von ihren Sitzen, und Archivdirektor Häufler sprach mit feierlichem Ernst:

»So wolle Eure Durchlaucht uns, den Vertretern der Wissenschaft in Ihrem Reiche, gnädig verstatten, daß wir unserem neuen Reichsherrn und Fürsten in aller Ehrfurcht unsere Huldigung bezeigen. Wollen Eure Durchlaucht gütig geruhen, hochderen erlesener Braut, der Prinzeß Fluderle von Feeland, den Ausdruck unserer ehrfurchtsvollen Ergebenheit zu vermitteln. Wir schätzen uns glücklich, die Durchlauchtigsten Hoheiten als erste ihrer getreuen Untertanen beglückwünschen zu dürfen.

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»Heil und Segen unserem Fürsten Rolli von Fuchsenschroffen und seiner erlauchten Gemahlin Fluderle Prinzeß von Feeland!«

Die vier Gelehrten verneigten sich bis auf den Boden.

Rolli dankte ergriffen und sprach:

»Ich werde mich nächste Woche in aller Stille mit Prinzeß Fluderle von Feeland vermählen. In vierzehn Tagen trete ich die Regierung von Fuchsenschroffen an. Wollen Sie, bester Häufler, die nötigen Urkunden über die heutigen Verhandlungen für das Staatsarchiv fertigen. Auch bitte ich Sie, den Aufruf an mein Volk zu verfassen, den mein Staatsminister bei der Feier meines Regierungsantrittes verlesen wird. – Ihnen, lieber Direktor, verleihe ich hiermit den Rolliorden erster Klasse, den übrigen Herren des gleichen Ordens zweite Klasse.«

Huldreich entließ der Fürst seine Gelehrten.


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