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4. Kuh-hong und Putt

Über dem Geschrei der Glucke und ihrer Küken wachte Putt auf, der große Hofhund, der neben dem Holunderbaum an der Ecke des Bauernhauses in seiner Hütte lag. Er hatte die vergangene Nacht wenig geschlafen, weil er auf die Diebe, Marder und Füchse aufpassen mußte. Wer will ihm verargen, daß er den verregneten Vormittag benützte, um einen Teil der verlorenen Nachtruhe nachzuholen?

Durch den Lärm der Küken aus dem tiefsten Schlaf gerissen, tat Putt, was jeder ordentliche Hund in diesem Falle tut, er bellte ein paar Mal zur Hütte hinaus. Darauf streckte er sich auf allen Vieren, trat ins Freie, sah das Küken in der Mistlache pusten und flattern und, da er solche Schwimmversuche noch nie gesehen hatte, bellte er das ertrinkende Fluderle schimpfend an.

Kaum hatte Kuh-hong, der Hahn, der mit seiner Familie in der Wiese spazierenging, Putts Bellen gehört, so lief er spornstreichs daher, stellte sich großmächtig auf den Misthaufen, reckte sich hoch auf und krähte laut: Kikeri-kuh-hong.

Kuh-hong? – Ja gewiß! Jeder Hahn ruft seinen Namen in die Welt hinaus, und sein Nachbar gibt ihm in derselben Weise Antwort. Das ist der Fernruf der Hähne. Nun hieß Karlins Hahn wirklich Kuh-hong. Darum krähte er auch in dieser Weise seinen Namen.

Kuh-hong war nämlich Chinese. Karlines Vetter, der Kroppetoni aus dem Simmerswald, der den Krieg mit den Chinesen mitgemacht hatte, war vor der Heimfahrt aus dem fernen Osten auf den klugen Gedanken gekommen, chinesische Hühner und Hähne mitzubringen, um nachher auf seinem Gütchen eine Zucht von Chinesenhühnern anzufangen.

Als Karline an einem Sonntagnachmittag ihren Vetter besuchte und die stolzen Tiere um das Haus herum scharren sah, gefiel ihr ein junger Hahn so sehr, daß sie ihn dem Toni abkaufte. Dies war Kuh-hong, der zu einem so mächtigen Hahn heranwuchs, daß er Karlines Hühner an Größe fast um das doppelte überragte. König der Kikeriki aus der Familie der Hong bedeutet sein Name. Stolz schmetterte er ihn hinaus in das Land.

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»Kikeri-kuh-hong!« schrie der Hahn zum zweiten Male von seinem hohen Sitze herab den Hund Putt an. Er sträubte seine Halsfedern zu einer weiten Krause, senkte raschelnd die Flügel über die Füße herab, schaute Putt mit glühenden Augen an und sprach:

»Warum hast du dieses arme Küken in den See gestoßen?«

»Nicht daß ich wüßte!« sprach der Hund in größter Ruhe, – »das Geschrei hat mich aus dem Schlaf geweckt. Das Wetter war gar nicht schön.«

»Was schert mich dein Schlaf? – Was geht mich das Wetter an? – Du hast das hübsche Küken hineingeworfen, wer sollte es sonst getan haben! Hunde wie du sind schlecht genug zu jeder Niederträchtigkeit.«

»Langsam! langsam! Kuh-hong, nur keine chinesischen Grobheiten!« sprach Putt immer noch sanft, »ich will mit dir keine Händel. Wenn wir uns hier streiten, wird das Küken ertrinken. Gleich hole ich es heraus und lege es aufs Trockene.«

»Was!« fauchte Kuh-hong, »du mit deiner zahnbesetzten Schnauze das zarte nette Kindchen herausholen? – Daß du es totbeißen könntest, du Raubtier! Ich werde dir kommen.«

Kuh-hong sprang in rasender Wut auf Putts Rücken, hieb mit seinem scharfen Schnabel dem friedlichen Hund rücksichtslos auf den Kopf ein, kratzte ihm mit feinen spitzen Sporen links und rechts vom Rücken herab tiefe Wunden in das Fell, daß das Blut bächleinweise herunterlief. Laut heulte Putt, bis es ihm endlich gelang, den wütenden Reiter an einem Flügel zu fassen und vom Rücken herunterzureißen. Aber immer toller hieb Kuh-hong auf ihn ein, und Putt hatte alle Mühe, seine beiden Augen vor der scharfen Schnabelspitze des Hahnes zu schützen. Kuh-hong, der chinesische Teufel, gab nicht nach. Übel wäre es Putt ergangen, wenn nicht Karline aus dem Haus gestürzt wäre. Sie ergriff einen Bohnenstecken und trennte mit wohlgezielten Hieben die beiden Kämpfer.

Der Hahn hatte ziemlich Federn gelassen. Immer noch kollernd vor Zorn zog er sich zu seinen Hennen auf die Wiese zurück und brüllte ein Kuh-hong des Sieges in die weite Nachbarschaft.

Putt schaute seine Wunden an, blickte mit Tränen in den Augen zu seiner Herrin auf und wollte sich still in seine Hütte zurückziehen, als er noch einmal einen heftigen Schlag mit dem Bohnenstecken über seinen Rücken erhielt. Da verkroch er sich in die hinterste Ecke seiner Behausung.

Karline aber, die die schönen Federn ihres Prachthahnes in dem Schmutze liegen sah, schimpfte draußen laut:

»Nichtsnutziger Hund! – Jetzt geht er mir auch noch an die Hühner! Wie hat er meinen stolzen Chinesenhahn zugerichtet! Totprügeln sollte ich dich, Putt, du Lumpenvieh!«

Zornig warf sie den Stecken weg und ging ins Haus, um das Mittagessen zu bereiten.

Putt beleckte die schmerzenden Wunden, die ihm Kuh-hong gepickt und gekratzt hatte. Der Rücken brannte ihm von den Schlägen seiner Herrin. Es zerriß ihm das ehrliche Hundeherz, daß er bei Karline den guten Ruf eines treuen Wächters und Schützers der Hühnerherde verloren hatte.

»Dem Kuh-hong«, sagte er, »kann man nichts übelnehmen. Er ist ein eingebildeter Geck, der ebenso dumm ist wie frech und streitsüchtig. Mit den paar Federn habe ich ihm nicht einen Zoll von seiner meterhohen Einbildung abgerissen. Aber die Herrin! – Ich an die Hühner gehen! – Er hat angefangen. Und sie wollte mich totprügeln. So geht es einem braven Hund. Wachen und aufpassen Tag und Nacht, daß dem Hühnervolk kein Leid geschieht, die Katzen jagen, daß sie keine Küken fressen, Diebe verscheuchen, daß sie keine Hühner stehlen. Das Küken wollte ich herausholen, daß es nicht ertränke. Was habe ich von meiner Gutmütigkeit und von all meiner Arbeit? – Schimpfe und Prügel, Kratzer und Hiebe!«

Fluderle hielt sich während dieser Zeit eben noch über Wasser. Der Ausgang des Zweikampfes zwischen Putt und Kuh-hong hatte ihm solche Freude gemacht, daß es in dem schmutzigen Wasser mit seinen Füßchen Bravo klatschen wollte. Denn es hatte wohl gehört, wie der Hahn gesagt hatte: »Das zarte, nette Kindchen!« – »Ja, Karline mußte recht haben«, dachte es, »er ist ein edler Chinesenhahn, ein tapferer Kämpfer ist Kuh-hong, und Sieger ist er geblieben über den einfältigen Hund.«

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Nun gab Fluderle seine Schwimmversuche auf. Schon stand ihm das Wasser an der Schnabelspitze. Sterbend sagte es noch: »Ein zartes, nettes Kindchen hat er mich geheißen, der edle Chinesenhahn.«


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