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Schon lange leuchtete der helle Tag durch das Fenster des Kükenstalles. Unruhig trippelten die Hühnchen um ihre Mutter herum und piepsten lärmend dem Ausgang zu, denn sie hatten alle Hunger.
Das Schwarze allein kauerte still in einer Ecke. Sein erster Gedanke am frühen Morgen war: »der schlechte Goldkäfer«, der zweite: »ich soll ein Küken sein!«, der dritte: »und ich mag nicht«. – Das war ein böser Anfang. Ein Glück, daß in dem Kükenstall kein Spiegel hing. Hätte das Schwarze sich darin beschauen können, so wäre es über sich selbst gleich in der Morgenfrühe in vollen Zorn geraten.
Endlich schloß die schwarze Karline den Stall auf und lockte die Glucke mit ihren Jungen auf die Laube, die sich vor dem Hause wie ein langer Balkon unter dem weit herabreichenden Dache hinzog. Hier sollten die Kleinen im Trockenen ihr Frühstück erhalten, denn es regnete in dichten Strömen.
»Auch das noch!« sagte das Schwarze, als es in die Gegend hinaussah. Das Regenwetter verdarb ihm völlig die Stimmung.
Karline stellte auf die Laube den Untersatz von einem Blumentopf, gehäuft voll Quark, den man dortzulande Bibbeleskäs nennt, weil man die Küken Bibbele heißt, und diese ihn gern fressen. Es war auch eingeweichtes Brot darunter gemischt und feiner Grieß. Denn Karline liebte ihre Hühner und zumal die Bibbele so innig, daß man in der ganzen Gegend davon sprach. Wenn eine Magd in dem Bauernhause gut gehalten war, hieß es: der geht es so gut wie den Hühnern bei der Karline.
Mit Eifer machte sich die Glucke über das Frühstück her, zerrte mit dem Schnabel die größten Brocken aus dem Geschirr und zerhieb sie zu kleinen Stücken, lockte dabei immerzu die Kleinen her und schob ihnen die zugerichteten Bissen vor ihre Schnäbelchen.
Das Schwarze versuchte Käse und Weichbrot, würgte ein paar Bissen hinunter und drückte sich darauf schmollend beiseite.
»Bibbeleskäs!« räusperte es sich verächtlich, »nicht einmal mit Rahm und Schnittlauch angemacht! – Ist das auch ein Fressen für ein Küken, wie ich eines bin?! – Hätte die Karline wenigstens einen Käsekuchen daraus gemacht, obenauf schön gebräunt und Rosinen drin! Und eine Tasse Milch dazu! – Das hieße Frühstück!«
Das Schwarze sprach etwas laut vor sich hin. Es war gut, daß Karline die Kükensprache nicht verstand. Die Glucke hörte etwas von Kuchen und Rosinen, meinte aber, es seien lateinische Wörter. Darum schaute sie sich nur kurz nach dem Schwarzen um und kollerte vor sich hin:
»Wahrlich! das hergelaufene Schwarze hat Rosinen im Kopf.«
Nach dem Essen wußte die Glucke nichts anderes zu tun, als sich bei diesem Regenwetter auf der trockenen Laube hinzusetzen und ihre Kinder unter ihre Flügel schlüpfen zu lassen, daß sie, wohlbehütet und warm untergebracht, zufrieden verdauen und wachsen konnten. Das Schwarze drückte sich unter die äußersten Schwingen der mütterlichen Flügel und blieb schlecht aufgelegt.
Als es gegen Mittag ging, ließ der Regen nach. Vom Holunderstrauch an der Hausecke und von den Pflaumenbäumen fielen noch einzelne dicke Tropfen, ein paar große Wasserlachen standen auf dem Platz zwischen dem Haus und dem Garten. Die Glucke hielt ihre Kinder immer noch unter den Federn.
Aber das Schwarze hatte Langeweile und wollte spazierengehen. Es trat vorsichtig auf eine Wasserlache zu, schaute hinein und schüttelte sich vor Ärger, als es darin sein Spiegelbild erblickte.
Rasch drehte es sich um und ging zur Gartentüre hin, die zwar geschlossen war, aber einem Küken zwischen den Latten immer noch Platz genug zum Durchschauen und Durchschlüpfen ließ. – Da stand das Schwarze nun im Gartenweg, der sich zwischen zwei Reihen wohlgepflegten grünen Buchses hinzog.
»Wenigstens eine anständige und saubere Straße zu einem Morgenspaziergang in dieser dreckigen Gegend!« dachte das Hühnchen.
Die Karline hatte nämlich tags zuvor das Gras aus dem Wege gehackt und frischen Sand eingestreut.
Die Sonne war unterdessen aus den Wolken herausgekommen, und da sie die Erde so freundlich beleuchtete, kam auch ein warmer Strahl in die gallige Seele des Schwarzen, daß es etwas fröhlicher wurde und sagte: »Hier läßt sich's fast ebenso gut spazierengehen wie in dem Kurgarten zu Baden-Baden.«
Hoch hob es den Kopf, setzte ein Füßchen vor das andere wie im Tanzschritt, wackelte auch ein bißchen mit den allerdings noch sehr kurzen Schwanzfederchen, warf Blicke nach rechts und links, ob nicht ein Schmetterling, eine Biene oder ein Käfer ihm zuschaue und sich darüber verwundere, wie vornehm ein Küken daherschreiten könne.
»Tock – tock!« rief die Glucke, die das Schwarze nicht aus den Augen verloren hatte, »gehe nicht zu weit weg! – Es gibt Katzen genug ums Haus herum, die ein Küken zum Neunuhrbrot mit Haut und Flaum verzehren.«
»Dummes Zeug!« piepste das Schwarze, »ich hab' schon Katzen genug gesehen, und es hat mich noch keine gefressen.«
»Rrriii – rrruuuh!« weit auf pusterte sich die Alte, rannte von ihren Kleinen weg, gebärdete sich wie toll vor der Gartentüre, durch die sie nicht durchkommen konnte, und schrie wütend in den Garten hinein. – Das Schwarze war eben noch durch die Türe zurückgeschlüpft, als ein rot-weiß getigerter Kater sich hinter dem Buchse niederduckte.
Die Karline kam zum Haus herausgestürzt, sah die Katze eben noch über den Gartenzaun steigen, hob einen Stein auf und warf ihn mit den Worten:
»Schon wieder die freche Katze vom Guckinstal! – Im letzten Jahr hat sie mir drei Bibbele geholt. Mit dem Guckinstaler werd' ich einmal ein ernstes Wörtchen reden müssen. – Oder ich gebe dem Schütz ein Trinkgeld, daß er den Räuber totschießt.«
Sie zählte ihre Küken: mit dem Schwarzen dreizehn!
Die Glucke schimpfte noch eine Weile über das Küken, das sich nicht warnen lassen wollte und beinahe von der Katze gefressen worden wäre. Da aber die Sonne immer wärmer schien und die gelben Küken von allen Seiten her nach der Mutter piepsten, vergaß sie rasch ihren gerechten Zorn, lockte die ganze Schar zusammen mit lautem tock–tock und zog dem Misthaufen zu.
Fröhlich rannten die Kleinen alle der Mutter nach. Die Glucke scharrte mit ihren kräftigen Füßen an dem kostbaren Berge, der den Hühnern die besten Leckerbissen liefert. Immer wieder pickend legte sie dem einen von ihren Kindern eine fette Fliegenlarve, dem andern einen saftigen Käfer vor das Schnäbelchen. – Wie das mundete! – Gutsel für Kükenschnäbel.
Und das Schwarze? – »Nein!« sagte es (habt ihr nicht schon bemerkt, daß es fast immer »nein« sagte?), »nein! … ich danke.«
Und es schritt in weitem Bogen um den Misthaufen herum dem Holunderbusche zu.
»Ich will mir die Welt einmal von dort oben ansehen«, dachte es, und hüpfte auf den untersten Ast des Strauches, von da auf den nächsten, immer höher, bis es zu einem Ast kam, der aus dem Strauche weit herausragte. Auf diesem kletterte das Kleine bis zu den äußersten Zweigen und sah von dort ins Land hinaus.
Herrlich! Tief hinab senkt sich das Tal und verliert sich in der weiten Ebene. Drüben der Felsgipfel des Berges mit zerbröckelten Mauerresten, an der Flanke des Berges eine alte Burg und ein Schloß im Hintergrund.
»Dorthin fliege ich«, sagt es laut und flattert und fludert mit seinen kurzen flaumigen Flügeln, an denen die Schwungfedern noch nicht einmal aus den Kielen gerutscht sind. – Aber es will einfach fliegen, es flattert und schreit in einem fort. Die Glucke, die Küken schauen hinauf, und eben will die Alte rufen:
»Mach keine Dummheiten, sonst …«
Da war es schon geschehen. Das Schwarze, ausgleitend auf dem glatten Zweige, stürzte kopfüber in die trübe Lache neben dem Misthaufen.
»Geschieht ihm recht«, sprach Tupf, das Hühnchen, »fliegen will es können und ist doch nur ein Fluderle.«
»Jawohl, ein Fluderle ist es, das hergelaufene Schwarze«, bestätigte Kicker, das freche Hähnchen, und die ganze Schar der Küken schrie: »Fluderle, Fluderle.«
Und ob es auch am Ertrinken war, das arme Schwarze, sie schrien immer noch: »Fluderle, Fluderle!«
Meine kleinen Leser haben, das darf ich erwarten, Mitleid mit dem sterbenden Küken, aber sie sollen sich doch mit mir freuen, daß wir nun endlich wissen, welchen Namen es bekam. Und der Name blieb ihm hängen, solange es ein Küken war.
Ja denket nur: Fluderle hieß es auch noch, als es eine Henne wurde.