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27. Fluderle tot

Durch den schallenden Klatsch auf dem See und durch den rauschenden Wellenschlag des Wassers wachte der Wächter des Mummelsees auf, ein Krebs so groß wie ein Kalb, der schon seit tausend Jahren auf dem Grund des Sees lebte. Er hatte eben seinen Mittagsschlaf gehalten. Nun schob er sich rückwärts unter dem Felsblock hervor, der ihm als Schutzdach diente, sah erst einmal aufwärts durch das klare Wasser und brummte:

»Nun scheint sie endlich zu kommen. – Einen solch störenden Krach hätte sie nicht machen brauchen. – Die bringt mir den ganzen See in Aufruhr.«

Er stieß sich mit seiner wuchtigen Schwanzflosse in die Höhe, kam an den Wasserspiegel, erkannte sofort, als er den schwarzen Vogel sah, daß das nur Fluderle sein konnte, dessen Ankunft ihm die Nixen angekündigt hatten.

»Diesen schwarzen Käfer können sie haben«, brummte er weiter, streckte die rechte Zange aus, faßte Fluderle, wie er meinte, sehr sanft am Halse, zwickte ihm aber in Wirklichkeit den Kopf schier ab. – Nun gab er sich wieder einen Ruck mit der Schwanzflosse und gelangte mit Fluderle auf den Grund des Sees. Hier klopfte er mit der linken Zange kräftig an eine Marmortüre.

Alsbald ging diese auf. Eine Nixe grüßte den Krebs freundlich. Der gab ihr das Fluderle und brummte wieder:

»Da habt ihr sie! – Ein schöner Fang, den ich da für euch gemacht habe. Das nächste Mal laßt ihr mir hoffentlich etwas Besseres vom Himmel fallen.«

Die Nixe nahm Fluderle sorgfältig mit beiden Händen in Empfang, dankte dem Krebs und schloß die Türe wieder zu. Das Wasser vor der Türe war wie eine feste Wand stehen geblieben. Hinter der Türe war alles trocken. Hier wohnten die Nixen in einem prächtigen Haus. Durch die Türe gingen sie in den See zum Baden. Manchmal schwammen sie in der Nacht auf die Oberfläche des Wassers, schaukelten und tanzten im Mondenschein, setzten sich auch bisweilen ans Ufer, erzählten sich Geschichten und sangen Nixenlieder.

Die Mummelseenixen gehörten ins Reich der guten Fee Güldenhaar und hatten von ihr Auftrag erhalten, das Hühnchen Fluderle in den Palast der Fee zu schicken, sobald sie es vom Krebs bekommen hätten.

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Richtig fuhr auch schon vor dem andern Ausgang des Nixenschlosses, der in einen langen Hohlgang des Berges führte, das Fuhrwerk der Fee Güldenhaar an. Mäusel, der Pudel, den ihr schon aus dem Bengele kennt, kutschierte seine dreihundert Paare weißer Mäuse, machte vor dem Nixenschloß eine kunstgerechte Wendung, so daß seine Zugtierchen schon wieder Richtung gegen den Hohlgang hatten, und stand so mit seiner Kutsche vor dem Portale.

Die Nixe bettete Fluderle, das kein Lebenszeichen von sich gab, aus das weiche Polster des Wagens, und Mäusel raste mit seiner Kutsche durch den dunklen Tunnel davon. Er hatte helle Lichter angezündet, aber seine Mäuslein hätten den Weg auch in der Dunkelheit gefunden.

Der Hohlgang führte an das Tor des Feenpalastes. Die goldenen Torflügel waren weit offen. Im Hofe innerhalb des Tores stand Blinkeblitz, der Hofmarschall der Fee Güldenhaar, in seiner wahren Gestalt. Er trug ein Gewand, das aus reinen Gold- und Silberfäden gewoben war, mit Knöpfen aus rotleuchtenden Rubinen, Schuhe von feinstem Mausleder. Ein freundliches Gesicht mit wohlgepflegtem Barte schaute unter seinem dreispitzigen Napoleonshütchen hervor, über dessen Seidenband die Kokarde des Feenreiches in lauter Edelsteinen prangte.

Mäusel, der Kutscher, zog vor dem Hofmarschall die Zügel an. Die Kutsche stand still, der Kutscher sprang vom Bocke, verneigte sich ehrerbietigst vor Blinkeblitz und öffnete ihm den Schlag des Wagens. Der Hofmarschall stieg ein, setzte sich neben das tot daliegende Fluderle und sprach:

»Mäusel, wir fahren gleich zum Krankenhaus.«

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»Jawohl, Herr Hofmarschall«, sagte Mäusel, schloß die Türe des Wagens, setzte sich wieder auf den Bock und fuhr an allen Gebäuden des Feenpalastes vorbei, der wie eine Stadt aussah. Er hielt an dem der Einfahrt entgegengesetzten Ende der Stadt vor einem mit wohlgepflegten Anlagen umgebenen Haus.

Alsbald kamen aus dem Tore vier Zwergkrankenschwestern in weißen Kleidern und weißen Häubchen. Sie brachten eine Bahre, legten Fluderle sanft darauf und trugen es ins Krankenhaus.

Der Hofmarschall schritt hinter ihnen drein.


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