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12. Fluderle fällt in Ohnmacht

Als Karline am andern Morgen den Hühnerstall öffnete, flog der Hahn als erster zur Türe heraus, hüpfte auf die höchste Spitze des Misthaufens, schlug die Flügel und schmetterte sein Kikeri – kuh – hong in die Morgenluft, daß es über Täler und Höhen wie Festmusik erklang.

Das reizte Kicker, das gelbe Hähnchen der braunen Glucke, daß es zum ersten Male seine Stimme versuchte. Es streckte weit sein Hälschen aus und quietschte: »Dü – dü – dü – düü!«

»Halte deinen Schnabel, kleiner Stöpsler!« brummte ihn Kuh-hong an. – »Solange ich hier bin, hat kein anderer zu krähen, zumal wenn er's nicht besser fertigbringt als du.«

Kicker drückte sich beschämt und ängstlich hinter die Glucke. Aber Tupf, das gelbe Hühnchen, schaute ihn bewundernd an.

Karline stellte ein reichlich mit Futter gefülltes Tröglein auf den Boden. Die Hühner kamen alle aus dem Stalle geflattert und drängten sich um das Futter herum. Eben wollte Fluderle sich einen großen Brocken herausholen, da hatte es einen scharfen Schnabelhieb im Nacken. Mit einem lauten »Au!« ließ es seinen Bissen fallen und zog sich aus dem Knäuel der fressenden Hühner zurück.

Lolo aber, das Stadthuhn, das ihm den Hieb versetzt hatte, sprach: »Nur immer anständig, schwarzer Frechling! – Du hast den Schnabel nicht zuvorderst in das Frühstück zu stecken. Erst kommen wir!«

Fluderle war sehr aufgebracht und wollte sich an Kuh-hong wenden, daß er die unverschämte Lolo zurechtweise. Der Hahn aber stand mitten unter den alten Hühnern und unterhielt sich mit ihnen:

»Hast du gut geschlafen, meine liebe Amelia?«

»Guten Morgen, schöne Lilli!«

»Das wäre ein Brocken für dich, Mimmichen!« Und er holte der Angeredeten einen vollen Schnabel Futter heraus.

»Du siehst heute reizend aus, Finele! – Laß dir's schmecken!«

»Fränzchen, zartes Kind, was hast du heute fröhliche Augen!«

»Schon zum Singen aufgelegt, mein Babettchen? – Hast auch eine gute Stimme.«

»Und das sage ich euch: heute wird ein sonniger Tag wie gestern, wieder ein Fest auf der Wiese!«

Fluderle war indessen von den frühstückenden Hühnern traurig weggegangen. Es hatte kaum ein Schnäbelchen voll erwischt, dafür aber einen schmerzenden Hieb ins Genick bekommen. Ohne Frühstück den Tag anfangen, macht auch ein Huhn verstimmt. Und dann noch die Sprüchlein anhören, die Kuh-hong für die dummen Hühner übrig hatte! – Das war zuviel.

»Um mich kümmert er sich überhaupt nicht, der Tollpatsch!« schimpfte es vor sich hin.– »Die alten Bibben sind ebenso widerwärtig wie die Bibbele. Hier bleibe ich nicht. Eines schönen Tages laufe ich davon. Aber dem einfältigen Kuh-hong muß ich zuvor noch gründlich die Wahrheit sagen.«

Da kam er daher: »Fluderle, mein Liebes, wo steckst du denn?«

»Du brauchst zu fragen! – Hast du mich nicht bei den andern gesehen? – Natürlich vor lauter : mein Liebes, mein Nettes, mein Lillichen, mein Lolochen, hast du keinen Blick mehr für das einfache Fluderle gehabt.«

»Na … aber … ich mußte doch …«

»Was mußtest du, Treuloser? – Nichts mußtest du! – Gestern war ich dein Einziges, dein Kluges, dein Trost, dein Glück. – Und heute … kennst du mich nicht. – Pfui!«

»Liebes, allerliebstes Fluderle!«

»Ich verzichte auf Liebes und Allerliebstes, wenn alle andern ebenso Liebstes und Allerliebstes sind.«

»Das war doch nicht so gemeint, meine einzige Freundin!«

»Nicht so gemeint! – Hast du nicht bemerkt, daß ich keinen Bissen zum Frühstück erhaschen konnte, weil sie mir ihre scharfen Schnäbel in den Nacken hackten?«

»Du Gutes! – Hat es dir weh getan?«

»Solch dumme Frage! – Wo war der starke Hahn, der mich beschützte?«

»Hätte ich es gesehen, so wären ihnen meine Sporen ins Fleisch gefahren.«

»Statt dessen hast du sie mit süßen Koseworten gestreichelt. – Du bist eine Wetterfahne.«

»Sag's nicht wieder, Herzchen! – Es wäre mein Tod.«

»Meinetwegen! – Und ich laufe davon.«

»Tu mir das nicht an, liebes Kind! …«

»Sei still! – Merke dir: wenn du noch ein einziges Mal zu einer andern sagst: Mein Liebes, mein Nettes, oder Lolochen, Mimichen und andere Ichen, dann laufe ich davon und lebe dort drüben auf dem Berge für mich in der Einsamkeit.«

»Ich werde es nicht mehr tun. – Eher lasse ich mir die Zunge ausreißen.«

»Laß mich ausreden! – Du wirst von jetzt an jede andere Henne nur bei ihrem Namen nennen, ob sie Fränz oder Urschel, oder Babett oder Lolo heißt.«

»Dir zulieb, mein einziges Kind, werde ich es tun. Aber wenn ich mich einmal verspreche …«

»Versprechen!! – Du trauriger Wicht. – Bin ich dein einziges Bräutchen oder nicht?«

»Du bist es, freilich bist du es«, sagte Kuh-hong und atmete tief, »aber … höre doch, mein Teuerstes …«

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»O du Nichtswürdiger! Du hast mich zum besten gehalten! Betrüger! … Verräter! … Ich laufe heut noch davon … ich gehe in den Wald. … Wenn mich dort ein Löwe zerreißt, gut! Besser nicht mehr leben. … Das hast du auf dem Gewissen … jawohl, wenn ich st-e-r-b-e.«

Fluderle sank auf die Wiese und war wie tot.


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