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VI. Dichtkunst im Mittelalter.

 

Herr Walther von der Vogelweide (1207 n. Chr.).

 

1.

Dieser gefeierte Minnesänger stammt von Würzburg, aus dem Hof zur Vogelweide, und wurde um's Jahr 1170 geboren. Er war adeligen Geschlechts, wie die Beinamen »Herr«, »Ritter« zeigen, während die bürgerliche Abkunft durch das Wort »Meister« ausgedrückt wurde. Ob er aus dem an Dichtern reichen Thurgau, von den Vogelweiden in St. Gallen oder aus Oestreich stammte, ist nicht mit Gewißheit zu ermitteln. Sein Wappen ist der Vogel im Käfig und Oestreich bezeichnet er selbst als das Land, wo er Dichten und Singen gelernt. Die dort regierenden Babenberger gehörten wie die Hohenstaufen zu den sangesfreudigen Fürstenhäusern. Walther war arm und trieb seine Kunst als Erwerb. Auf einem Rößlein reitend, mit einem Saitenspiel auf dem Rücken, zog er umher an den Höfen und auf den Ritterburgen, wo jeder Sänger willkommen war und wo sich der Adel zu großen Festen versammelte. Mit dem Babenberger Herzog Friedrich dem Katholischen starb ihm eine große Stütze; Walther erzählt, daß er nun seine Kraniche (Schnabelschuhe) tief in die Erde gedrückt und schleichend wie ein Pfau und gesenkten Hauptes von dannen gezogen sei. Er mag weit umhergekommen sein, denn – wie er selbst erzählt – er kam von der Seine bis in's Ungarland, von der Elbe bis zur Mur, vom Po bis an die Drave. So, als ein vielgewanderter Odysseus, erkundete er die Länder und Sitten der Menschen und wußte anmuthig zu singen und zu sagen von Allem, was er gesehn und erlebt hatte.

Um das Jahr 1200begann in Deutschland jener Funke unseliger Zwietracht zwischen Kaiser und Papst zur hellen Flamme empor zu lodern. Der trostlose Bürgerkrieg in Deutschland preßte dem wackeren Ritter Walther bittere Klagen aus; sein Herz ist dem Hohenstaufenfürsten Philipp zugethan und als dieser in Mainz gekrönt wird, ist er selbst dabei und feiert mit seinem Liede das Fest. Er richtet an den neugesalbten Herrscher die Bitte, daß er sich nun des deutschen Reiches gegen die zudringlichen Mitbewerber kräftig annehmen möge, denn die Kaiserkrone passe nur ihm allein. Er möge aber mild regieren wie Richard Löwenherz und der Sultan Saladin. In einer Zeit, wo so viel Streit und Unfrieden war, wo die Geistlichkeit gegen die Könige stritt, wo Zucht und Ehrbarkeit zu verschwinden drohte, mußten auch seine Gedichte ernst werden. Er zeichnete sich selbst, auf einem Steine sitzend, Bein über Bein geschlagen, den Ellenbogen darauf gestützt, Kinn und Wange in die Hand geschmiegt und so über die Welt nachdenkend. So tief aber auch sein Schmerz ist über die hinwelkende Kraft des deutschen Reiches, so liebt sein Herz doch fort und fort das herrliche deutsche Volk und sein Mund weiß dessen Vorzüge zu preisen.

Tiutsche man sint wolgezogen.
Als engel sint diu wib getan.
Swer si schildet (schilt), der ist betrogen,
Ichen kan sie anders niht verstan.
Tugend und reine minne (Liebe) swer die suochen wil,
Der soll kommen in unser lant, da ist wunna vil,
Lange muesse ich leben dar inne.

Ich han lante viel gesehen
Und nam der besten gerne war,
Uibel musse mir geschehen,
Kunde ich ja mein Herze bringen dar (dazu),
Daß ime wolde wohlgefallen frömder Sitte.
Was hülfe mich ob ich unrehte stritte,
Tiutschiu zuht (deutsche Zucht) gat vor in allen.

 

2.

Unter den Fürsten, welche edle Sänger hegten und pflegten, zeichnete sich damals Landgraf Hermann von Thüringen aus. Thüringen galt für das lebensfroheste Land, für die Heimath lustiger Tanzmusik, und in Eisenach und auf der hohen Wartburg, erbaut von Ludwig dem Springer (Salier), fanden sich zu jener Zeit die ausgezeichnetsten Dichter zusammen. Da fuhr die eine Dichterschaar ein, die andere aus, so Nacht als Tag, und hätte ein Fuder Wein auch tausend Pfund gegolten – meint Herr Walther, – des Ritters Becher hätte doch nicht leer gestanden.

Daß es unter den Minnesängern verschiedene Schulen gab, die von verschiedenen Fürsten unterstützt, oft sehr feindlich gegen einander standen, erkennen wir aus folgender Sage: Im Jahre 1207 ereignete es sich, daß fünf edle Sänger auf der Wartburg zusammentrafen, um mit dem jungen Heinrich von Ofterdingen einen poetischen Wettkampf zu streiten. Die Sänger waren, nächst Walther, Wolfram von Eschenbach, Reinmar von Zweter, Heinrich von Risbach (der Kanzler des Landgrafen Hermann) und Biterolf (vom landgräflichen Hofgesinde). Der Streit galt dem Lobe des würdigsten Fürsten; da pries Heinrich von Ofterdingen den glorreichen Leopold VII. von Oestreich, alle übrigen aber rühmen den Thüringer Landgrafen und ihnen schließt sich Walther an, nachdem er zuvor das Lob des Königs von Frankreich gesungen. Die Merker führten die Aufsicht und es war festgesetzt, daß der Besiegte den Tod von der Hand des Scharfrichters erleiden sollte. Gegen die fünf Gegner konnte Heinrich nicht aufkommen, die Merker erklärten ihn für besiegt und schon sollte der Stempfel (Scharfrichter) ihn aufknüpfen, als der junge Dichter sich unter den Mantel der schönen Landgräfin Sophie von Baiern flüchtete. Diese schützte ihn und wirkte die Erlaubniß aus, daß der berühmte Meister Klingsor aus Siebenbürgen als Schiedsrichter herbeigeholt wurde. Nun begann auf's Neue der Wettgesang und Meister Klingsor sang mit Heinrich gegen die Fünfe, bis er sie endlich versöhnte.

So endete im Frieden der Sängerkrieg auf der Wartburg.

 

3.

Nach König Philipp's Untergange wandte sich Landgraf Hermann und mit ihm unser Walther dem König Otto zu; aber dieser war nicht der Mann für Beide, am wenigsten für Walther, da er auf Gesang und Sänger gar nichts gab. Da ward der junge Friedrich von Hohenstaufen aus Italien berufen und Beide, der Landgraf und Walther, hingen nun diesem an. Und welche Freude! Der junge Friedrich beschenkte den Dichter mit einem Ritterlehen, worüber Walther höchlich jubelte, denn er sehnte sich nach vielem Wanderleben nach einer bleibenden Heimath. Er wurde jedoch kein Schmeichler der Großen und gab den Fürsten vortreffliche Lehren.

An die Fürsten.

Ir vürsten, tugend iwer sinne mit reiner güete,
sit gegen vrinnden sanfte, tragt gein vinden hochgemüete,
sterket reht und danket gote der grozen eren,
daz mannir mensch sein lip sin guot muoz iu zu dienste keren;
sit milde, vridebäre, lat in wirde iuch schouwen,
so lobent iuch die reinen suezen vrouwen;
schame, triuwe, erbermde, zuht, die sult ihr gerne tragen,
minnet got, und rithet swaz die armen klagen,
gloubt nicht daz ju die lugenare sagen,
und volget guotem rate: so muog ir in himmelreich bouwen.

Ihr Fürsten, adelt euer Herz durch reine Güte,
Seid gegen Freunde sanft, vor Feinden tragt Hochgemüthe,
Stärket das Recht und danket Gott der großen Ehren,
Daß Gut und Blut so Mancher muß zu euren Gunsten kehren;
Seid mild, friedfertig, laßt euch stets in Würde schauen,
So loben euch die reinen süßen Frauen;
Scham, Treue, Milde, Zucht sollt ihr mit Freuden tragen,
Minnet Gott und schaffet Recht, wenn Arme klagen;
Glaubt nicht, was euch die Lügenbolde sagen;
Folgt gutem Rath, so dürft ihr auf das Himmelreich vertrauen.

 

Die Meistersänger (1550 n. Chr.). Nach A. Hagen.

 

1.

Ich ging in meiner Stube auf und ab, indem ich auf das Frühstück wartete. Ich sah durch das Fenster und erblickte ein Seil, das von St. Sebald nach dem Rathhause In Nürnberg. gezogen war und woran mitten ein gemaltes Schild hing. Alle Mühe, die ich mir gab, die Figuren darauf zu erkennen, war vergeblich und ich war im Begriff, zum Schenkwirth hinunter zu gehen und mir Bescheid zu holen. In demselben Augenblick trat in mein Zimmer Peter Vischer, der Jüngere, der zum Rathe gehörte und eben so liebenswürdig, als unterrichtet war. Er begrüßte mich und indem er sich darauf berief, was zwischen uns verabredet wäre, meldete er mir, daß heute dem Kaiser zu Ehren eine Festschule gehalten würde. Ich sah ihn stutzig an, dann aber erinnerte ich mich, daß Peter Vischer der holdseligen Meistersängerkunst beflissen wäre und ich wußte mir seine Worte zu erklären und zugleich, was es mit dem Aufhängen der Tafel für ein Bewenden hätte. Peter erzählte mir, daß durch das Schild Alle, die an erbaulichen Festen Theil nehmen, zu der Singschule eingeladen würden.

Unterdessen war das Frühstück hereingetragen und Vischer ließ es sich gefallen, dasselbe mit mir zu theilen. Er erzählte mir über die Entstehung und das Wesen der Meistersängerkunst gar Vieles, dem ich gern ein aufmerksames Ohr lieh. Die unschickliche Frage, die mir entschlüpfte, ob die Handwerker an anderen Orten auch dergleichen Kurzweil trieben, erzürnte ihn nicht, vielmehr hielt er sich dadurch bewogen, mich über die hohe Bedeutung ihres Strebens zu belehren.

Die löbliche Musik und die liebliche Singekunst, fing er etwas feierlich an, dient nicht allein zur Freude und Ergötzung der Menschen, sondern sie ist das erste Erregungsmittel zur Erinnerung göttlicher Wohlthaten und zur Andacht des Herzens. Wie denn auch der heilige Apostel Paulus zur Uebung guter Gesänge gar treulich vermahnt.

Ich unterbrach ihn absichtlich in der Rede und er fuhr also fort: Der Meistersänger hohe Schule ist Mainz und die Töchterschulen sind Nürnberg und Straßburg. Aber in Nürnberg ward seit lange die holdselige Kunst besser gepflegt, als irgendwo. Wie vor 50 Jahren der Briefmaler Hans Rosenplüt und der Barbier Hans Folz berühmt waren, so jetzt der Leinweber Nunnenbeck und vor Allen dessen Schüler, Hans Sachs, der Schuster.

Was haben jene Figuren auf der Tafel zu bedeuten? fragte ich ihn. Auf der Tafel, erwiderte er, seht Ihr oben ein Wappen mit einer Krone, das ist der Meistersänger Wappen, und darunter zwölf Männer, die einen Garten bestellen, deren Mühe aber ein wildes Thier zu nichte macht; die zwölf Männer sind die zwölf berühmten Sänger, die die erste Singschule einrichteten, und das wilde Thier ist der Neid, der von außen her, und die Zwietracht, die von innen her ihrem Gedeihen schadet. Von heiligem Beruf durchdrungen, sangen die zwölf Männer Lieder, die Gott wohlgefällig waren und den Menschen frommten. Der Kaiser Otto der Große, erlauchten Angedenkens, bestätigte ihren Bund und schenkte ihnen ein Wappen mit der Krone.

Weiß man die Namen dieser Wundermänner?

Freilich weiß man sie. Sie waren theils Gelehrte, theils Ritter, theils Bürger. Einer war Schmied, einer Seiler, einer Glasbrenner. Von diesen ist nicht viel zu erzählen, aber desto mehr vom Ritter Wolfram von Eschenbach, von Nikolaus Klingsor, der freien Künste Magister, von Walther von der Vogelweide, von Heinrich von Ofterdingen aus Eisenach und von Heinrich Frauenlob aus Meißen, der heiligen Schrift Doktor zu Mainz. Dieser erhob in unsterblichen Gesängen der Frauen Schönheit und Sittigkeit und zum Dank trugen ihn die Frauen in Mainz zu Grabe, denn nicht dem Lebenden allein, sondern auch dem Todten sollte ihre Tugend offenbar werden. Im Dom ist sein Leichenstein, den die Frauen mit Thränen und mit Wein benetzten.

Die Singekunst, deren ihr euch jetzt befleißigt, leitet ihr also von den zwölf Meistern her?

Ja wohl. Sie unterrichteten Jünglinge und die Schüler wurden wieder Meister und so bis auf unsere Zeit. Wer die Kunst erlernen will, der geht zu einem Meister, der wenigstens einmal in der Singschule den Preis gewonnen hat, und dieser unterweist ihn unentgeltlich. Er lehrt, was es heißt, zur Ehre der Religion singen, und weiht ihn ein in die Geheimnisse der Tabulatur; so nennen wir die Gesetze der Dichtkunst. Hat der Lehrling diese begriffen, so bittet er die Gesellschaft um seine Aufnahme, da er von löblichen Sitten sei und guten Willen zeige. Der Aufgenommene muß alsdann den Singestuhl in der Kirche besteigen und eine Probe seiner Kunst ablegen. Gelingt sie ihm, so wird sein Wunsch gewährt. Feierlich gelobt er, der Kunst stets treu zu sein, die Ehre der Gesellschaft wahrzunehmen, sich stets friedlich zu betragen und kein Meisterlied durch Absingen auf der Gasse zu entweihen. Dann zahlt er das Einschreibegeld und gibt zwei Maß Wein zum Besten. Bei den gewöhnlichen Versammlungen der Meistersänger und wenn sie sich in der Schenke zusammen finden, sind weltliche Lieder wohl erlaubt, nie aber in den Festschulen. Die Festschulen finden drei Mal im Jahre statt: zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten in der Katharinenkirche. Hier werden Gedichte vorgetragen, deren Inhalt aus der Bibel oder den heiligen Sagen geschöpft ist. Wer am fehlerfreisten singt, wird hier mit einer goldenen Kette geschmückt, und mit einem Kranze, wer nach ihm am besten besteht. Wem dagegen grobe Fehler nachgewiesen werden, der muß es durch Strafgeld büßen. So fließt das Leben der Meistersänger unter erbaulichen Gesängen hin, und wenn einer aus dem frohen Kreise abberufen wird, so versammeln sich seine Genossen um sein Grab und singen ihm das letzte Lied.

 

2.

Da jetzt die Rathsuhr schlug, so brach Vischer auf. Ich hatte gemeint, er würde mich zur Katharinenkirche führen. Allein Vischer versprach mir, in einer Stunde zurückzukehren, da er erst andere Tracht anlegen müßte. Er hielt Wort und erschien jetzt ganz in schwarze Seide gehüllt mit einem geschmackvollen Barett. Um das Fehlgehen hatte es keine Noth, da man nur dem Zuge der Menschen zu folgen brauchte, die alle nach der Festschule strömten. Am Eingange des kleinen Kirchleins hielt der Kirchner zu einem Trinkgelde die Mütze auf. Dies geschah darum, daß nicht alles Gesindel sich hinzu drängte und ehrliche Leute um die Erbauung brächte.

Die Kirche war im Innern schön aufgeputzt und vom Chor, den der Kaiser einnehmen sollte, hing eine kostbare Purpurdecke herab. Gar feierlich nahm sich der Verein der edlen Meistersänger aus, so umher auf den Bänken saßen, theils langbärtige Greise, die aber noch alle rüstig schienen, theils glatte Jünglinge, die aber alle so still und ernst waren, als wenn sie zu den sieben Weisen Griechenlands gehörten. Alle prangten in Seidegewändern, grün, blau und schwarz, mit zierlich gefalteten Spitzkragen. Unter den stattlich gekleideten Meistern befand sich auch Hans Sachs und sein Lehrer Nunnenbeck. Größere Ruhe herrscht nicht beim Hochamte. Nur ich und Vischer sprachen, der mir Alles erklären mußte.

Neben der Kanzel befand sich der Singstuhl. Nur kleiner war er, sonst wie eine Kanzel, und heute mit einem bunten Teppich geschmückt. Vorn im Chor sah man ein niedriges Gerüst aufgeschlagen, worauf ein Tisch und ein Pult stand. Dies war das Gemerke; hier hatten Diejenigen einen Platz, die die Fehler anmerken mußten, die die Sänger in der Form, gegen die Gesetze der Tabulatur und im Inhalt gegen die Erzählung der Bibel und der Heiligengeschichte begingen. Diese Leute hießen Merker und ihrer gab es drei. Obgleich das Gemerk mit schwarzen Vorhängen umzogen war, so konnte ich doch von meinem Sitze Alles beobachten, was vorging, und ich sah an der einen Seite des Gerüstes die goldene Kette mit vielen Schaustücken hängen, die der Davidsgewinner hieß, und den Kranz aus seidenen Blumen.

Jetzt erschien der Kaiser Maximilian mit dem ganzen Gefolge und zeigte sich gar gnädig. Aber er verweilte nicht lange, denn ihm schien die holdselige Singkunst nicht sonderlich zu behagen.

Als der Kaiser sich zeigte, gerieth Alles in lebhafte Bewegung. Ein greiser Meister betrat den Singstuhl und vom Gemerke erscholl das Wort: Fanget an! Es war Konrad Nachtigall, ein Schlosser, der so sehnsüchtig und klagend sang, daß er seinen Namen wohl mit Recht führte. Vom himmlischen Jerusalem, von der Gründung des neuen sagte er viel Schönes in gar künstlichen Reimen und Redensarten. Auf dem Gemerke sah ich, wie einer der Meister in der Bibel nachlas, der andere an den Fingern die Silben abzählte und der dritte aufschrieb, was diese beiden ihm von Zeit zu Zeit zuflüsterten. Nach dem Meister Nachtigall kam die Reihe an einen Jüngling, Fritz Kothner, einen Glockengießer; der hatte die Schöpfungsgeschichte zum Gegenstand seines Gedichtes gewählt. Aber hier hieß es nicht: und Gott sah, daß es gut war. Denn der Arme war verlegen, es wollte nicht gehen und ein Merker hieß ihn den Singstuhl verlassen. Der Meister hat versungen, raunte mir Vischer zu, er hat ein Laster begangen. Mit diesem Namen belegten die Kenner der Tabulatur einen Verstoß gegen die Reime. Dergleichen wunderliche Benennungen für Fehler gab es viele, als: blinde Meinung, Klebsilbe, Stütze, Milbe, falsche Blumen. Die Bezeichnung der verschiedenen Tonweisen war ganz absonderlich, als: die Schwarztintenweise, die abgeschiedene Vielfraßweise, die Cupidinis Handbogenweise. In der Hageblüthweise ließ sich jetzt vom Singstuhl herab Leonhard Nunnenbeck vernehmen, ein ehrwürdiger Greis im schwarzen Gewande. Sein Kopf war glatt und nur das Kinn schmückte ein schneeweißer Bart. Alles bewunderte ihn, wie er gemäß der Apokalypse den Herrn beschrieb, an dessen Stuhl der Löwe, Stier, Adler und der Engel ihm Preis und Ehre und Dank gaben, der da thronet und lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Als Nunnenbeck endigte, da waren Alle voller Entzücken und namentlich leuchtete aus Hans Sachsen's Gesicht hell die Freude hervor, der sein dankbarer Schüler war. Er rühmte sich des Lehrers, wie der Lehrer sein. Mir gefiel das Gedicht, das aber mehr erhaben als schön war. Da trat, als der vierte und letzte Sänger, wieder ein Jüngling auf. Was der sagte, war so recht nach meinem Sinn. Er gehörte auch zur Weberzunft und hieß Michael Beheim, der manche Länder gesehen. Sein Vater hatte sich Behaim (Böhme) genannt, da er aus Böhmen nach Franken gezogen war. Mit rastloser Anstrengung übte sich Behaim in der Singkunst und verglich sich mit Recht mit einem Bergmann, der mühsam gräbt und sucht, um edles Gold zu fördern. Nie war er früher in einer Festschule aufgetreten, da er nicht anders als mit Ruhm den Singstuhl besteigen wollte. Sonder Zweifel hätte Behaim den ersten Preis errungen, wenn nicht Nunnenbeck vorher gesungen. Sein Gedicht war gar sinnreich mit künstlichen Reimen.

 

3.

Da Michael Behaim sein Gedicht vorgetragen hatte, so verließen die Merker ihren Sitz. Der erste Merker trat zu Nunnenbeck und mit schmeichelhaftem Glückwunsch hing er ihm den Davidsgewinner um und der zweite Merker zierte Behaim's Haupt mit dem Kranze, der ihm wohl stund. Diese Gaben aber waren nicht Geschenke, sondern nur Auszeichnungen für die Feier des Tages. Das Fest in der Kirche war beendigt, und Alle drängten sich jetzt mit aufrichtiger Theilnahme zu den Begabten, um ihnen freudig die Hände zu drücken. Auch ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, meinen Dank dem wackern Behaim laut darzubringen. In der Nähe stund Hans Sachs, der mich freundlich anredete und den vor Kurzem geschlossenen Freundschaftsbund erneuerte. Ich bedauerte, daß mir nicht das Glück geworden wäre, ihn zu hören, und daß ich Nürnberg verlassen müßte, ohne andere Lieder aus seinem Munde vernommen zu haben, als die er mir auf der Straße zum Besten gegeben, damals, als ich gerade zum Hören nicht aufgelegt gewesen. »Liebster Herr Heller, kommt mit in die Schenke und es soll euch ein Genüge werden«, erwiderte er und ging mit mir Arm in Arm aus der allmälig leer gewordenen Kirche.

Es war Brauch, daß die Meistersänger, insonderheit die jüngeren, sich nach der Festschule in eine nahe gelegene Schenke begaben, wo in demselben Grade frohe Ungebundenheit herrschte, als in der Kirche heiliger Ernst. Hier wurde der Wein getrunken, den der Eine zur Buße, wie der Meister Kothner, der Andere zur Ehre hergeben mußte, wie Meister Behaim, weil er zum ersten Male begabt war. Fünf Maß Wein gab es heute zum Nachschmause. Die Meistersänger, etwa sechszehn an der Zahl, gingen über die Gasse paarweise hintereinander von der Kirche bis zur Schenke. Der bekränzte Behaim eröffnete den Zug. Er hatte die Verpflichtung, für die Aufrechthaltung der Ordnung zu sorgen und wie einem Merker mußten sie ihm Alle folgen. Die geputzten Gäste stachen sonderbar genug von der Schenke ab, die von Außen und Innen gleich beräuchert und verfallen aussah. In dem langen Zimmer standen blos Tische und Bänke von der Art, wie man sie in Landgärten findet. Allein heiterer Muth und ein gutes Glas Wein ließen alle die Mängel übersehen. Tisch an Tisch wurde zusammen geschoben und zu beiden Seiten setzten sich die Sänger. Obenan befand sich Behaim. Sein Thron war ein Lehnstuhl und sein Scepter der Ruhe gebietende Hammer. Ich saß neben Hans Sachs. Als ich, von den Nachbarn gedrängt, hart anrückte, so merkte ich, daß seine Aermel mit Fischbeinstäbchen gesteift waren und dies gab mir Veranlassung, die sonderbare Tracht recht genau anzusehen. Die Jacke war von meergrünem Zeuge mit mehreren Schlitzen auf der Brust, durch die das Hemde vorschimmerte, dessen faltiger Kragen den Hals scheibenförmig umschloß. Die Aermel waren von schwarzem Atlas, in welchem zackige Einschnitte in bestimmten Linien künstlich eingehakt waren, so daß überall das helle Unterzeug hindurchblickte.

Mitten auf der Tafel stand ein Weinfäßchen und einer der Meister hatte das Geschäft des Zapfens, indem ihm ohne Aufhören die leeren Becher gereicht wurden. Als mancherlei besprochen und belacht war, mahnte ich Nürnbergs berühmtesten Sänger an das mir gegebene Versprechen. Er war bereit. Behaim klopfte mit dem Hammer und fragte alsdann die Versammelten, ob sie nicht ein Kampfgespräch versuchen wollten. Niemand wandte etwas dawider ein. Er fragte wieder, wer singen wollte, und drei Meister hoben die Hände auf, es war Behaim selbst, Hans Sachs und Peter Vischer. Hans Sachs sollte eine Streitfrage aufwerfen und um meinetwillen, da er wußte, daß ich mich viel in Künstlerwerkstätten umhergethan hatte, wählte er einen dahin zielenden Gegenstand.

Hans Sachs.

Ihr Freunde, sagt mir, wenn ihr wißt,
Wer der künstlichste Werkmann ist?

Peter Vischer.

Das ist fürwahr der Zimmermann;
Wer hat's ihm jemals gleich gethan?
Durch Schnur und Richtscheit wird ihm kund
Die höchste Zinn und der tiefste Grund;
Ihn loben stattliche Lustgemächer,
Hoch strebt sein Ruhm so wie seine Dächer.
Reich an Erfindungen ist sein Geist,
Mühlwerk und Wasserbau ihn preist;
Er schützt durch Bollwerk dich und Schanz,
Die heil'ge Schrift weiht ihm den Kranz;
Er zimmerte die starke Arch,
Drin Noah war der Patriarch;
Wie rings auch brausete die Fluth,
Er ruht in ihr in sich'rer Hut;
Gerettet mit all' den Seinen er ward,
Mit allen Thieren aller Art.
Er zimmerte nach weisem Rath
Jerusalem, die Gottesstadt;
Des weisen Salomo Königshaus,
Das führt' er gar mächtig und prächtig aus.
Denk an das Labyrinth zum Schluß,
Wer ist geschickt wie Dädalus?

Michael Behaim.

Das Holz verfault, der Stein bleibt Stein,
Der Steinmetz muß d'rum der erste sein,
Ringmauern baut er, kühne Thürme,
Basteien auch zu Schutz und Schirme;
Gewölbe pflanzt er, die sich kühn
Aufrankend in die Lüfte ziehn,
Schwindliche Gänge durchsichtig und fest,
Mit Säulen und Bildwerk geschmücket auf's Best'.
Den schiefen Thurm von Pisa schaut,
Den Wilhelm von Nürnberg hat aufgebaut;
Zu Jerusalem der hohe Tempel,
Der trug der höchsten Vollendung Stempel.
Der himmelhohe Thurm zu Babel,
Das Grab des Mausolus ist keine Fabel;
Die Pyramiden, die künstlichen Berg',
Sie überragen weit alle Werk'.

Hans Sachs.

Vermag auch Beil und Meißel viel,
Schwach sind sie gegen den Pinselkiel.
Er bringt nicht nur Häuser und Städte hervor,
Thürmt Schlösser und schwindlichte Warten empor –
Nein, was im Anfange Gott erschuf
Durch seines göttlichen Wortes Ruf,
Das schafft der Maler zu aller Zeit:
Gras, Laubwerk, Blumen auf Feld und Haid',
Den Vogel, wie in der Luft er schwebt,
Des Menschen Antlitz, als ob er lebt.
Die Elemente beherrscht er all'
Des Feuers Wuth, des Meeres Schwall.
Den Teufel malt er, die Höll' und den Tod,
Das Paradies, die Engel und Gott,
Das macht er durch Farben, dunkel und klar,
Mit geheimen Künsten euch offenbar.
Das hebt sich mächtig durch die Schattirung,
Nach einer schön entworfnen Visirung.
Er kann euch Alles vor Augen stellen,
Nicht deutlicher könnt ihr es je erzählen.
D'rauf muß er brüten Tag und Nacht,
In Traumgebilden sein Geist stets wacht.
Er ist an Phantasien reich,
Und fast dem kühnen Dichter gleich;
Und alle Dinge weiß er wohl,
Weil er sie alle bilden soll.
Wer zu allen Dingen hat Schöpferkraft,
Den rühmt die höchste Meisterschaft.

Michael Behaim.

Du lobst den Maler mir zu hoch,
Nützlicher bleibt der Steinmetz doch.
Des Malers können wir entrathen,
Er schafft von jedem Ding nur den Schatten:
Sein gemaltes Feuer wärmt uns nicht,
Seine Sonne spendet nicht Schein und Licht,
Sein Obst hat weder Schmack noch Saft,
Seine Kräuter nicht Duft und Heilungskraft.
Seine Thiere haben nicht Fleisch und Blut,
Sein Wein verleihet nicht Freud' und Muth.

Hans Sachs.

Das Sprichwort immerdar noch gilt,
Daß, wer die Kunst nicht hat, sie schilt.
Wie nützlich auch ist die Malerei,
So nenn ich euch jetzt nur der Dinge drei.
Was uns die Geschichte als theures Vermächtniß
Bewahrte, prägt sie uns in's Gedächtniß;
Wie der Nürnberger Heer unter Schweppermann glänzte,
Wie den Dichter hier Kaiser Friedrich bekränzte,
Wer sich auch nicht auf die Schrift versteht,
Des Malers Schrift ihm nicht entgeht,
Er lehrt, wie Bosheit und Mißgeschick,
Wie Frömmigkeit bringt Ehr' und Glück.
Zum andern verscheuchet die Malerei
Uns der Einsamkeit Tochter, Melancholei;
Sie lichtet der düstern Schwermuth Schmerz,
Verklärt uns das Auge durch Lust und Scherz.
Zum dritten: Jegliche Kunst erkennt
In des Malers Kunst ihr Fundament.
Der Steinmetz, Goldschmied und der Schreiner,
Formschneider, Weber, der Werkmeister keiner
Entbehrt sie je, weshalb die Alten
Sie für die herrlichste Kunst gehalten.
Wie strahlt der Griechen Name hell,
Zeuxis, Protogenes, Apell,
Gott hat zum Heil dem deutschen Land
Der Künstler manchen mit hohem Verstand,
Wie Albrecht Dürer, uns gegeben.
Deß Kunst verschönernd schmückt das Leben.
Was er mit Fleiß gesä't, erwachs'
Ihm zu reichen Segen, fleht Hans Sachs.

So sang der Poet und die Gegner schwiegen. Voll innern Wohlgefallens klopfte ich ihm auf die Schulter und gab ihm zu verstehen, daß er mir wie aus der Seele gesprochen habe. Alle zollten ihm Beifall und Michael Behaim war nicht der letzte. Er nahm sich den Kranz ab und setzte ihn Hans Sachsen auf's Haupt, Nürnbergs kunstreichem Schuster.

 

Hans Sachs.

Hans Sachs, der einzige Sohn von Veit Sachs, einem ehrsamen, fleißigen Schuhmacher in der freien Stadt Nürnberg, geboren am 5. November 1494 und von seinem Vater, dessen Geschicklichkeit sich einigen Rufes erfreute, ebenfalls für dieses seit zwei Jahrhunderten in der Familie einheimische Handwerk erzogen. Kaum 14 Jahre alt, hatte der junge Hans, der schon als kleiner Knabe eine lebhafte Fassungskraft zeigte, alle Geheimnisse seines Handwerks inne und war ein so vortrefflicher Schustergesell, wie nur einer zu finden war in bairischen und fränkischen Landen. Allein je mehr sich der junge Mensch von dieser seiner, unbestreitbaren Kunstfertigkeit selbst überzeugte, desto unbefriedigter fühlte er sich in seinem innersten Gemüth. Er fühlte und erkannte, daß in ihm noch ein höherer, edlerer Trieb sich regte, als der bloße Eifer für sein niedriges Handwerk. Von Tag zu Tag mehrte sich in seinem Innern dieses noch halb unbewußte Sehnen und Verlangen nach etwas Anderm. Er versank in Träumerei und Traurigkeit und verlebte wüste Tage, schlaflose Nächte, ganz dem Gedanken hingegeben an das Herrlichere, was da kommen sollte und ihm selbst noch nicht einmal deutlich war.

Es war gleichfalls ein ganz schlichter Nürnberger Bürgersmann, welcher dem jungen Hans Sachs in dieser seiner wirren Gemüthslage das richtige Verständniß öffnete, Leonhard Nunnenbeck hieß der Mann, der Hans Sachsens Freund und bald sein Lehrer und Rathgeber wurde; er war ein Leineweber, aber wer von ihm gemeint hätte, er verstehe nur sein Weberschiffchen auf dem Webstuhl hin und her zu werfen, der würde sich in dem wackern Meister sehr getäuscht haben. Meister Leonhard verstand sich auch auf das Schiffchen der Gedanken und der Poeterei, er wußte es so lustig auf der elastischen Welle des Reimes und Verses, auf der spielenden Fläche des Strophenwerks daher schaukeln zu lassen, daß es eine Freude war. Mit einem Worte, der würdige Nunnenbeck war zu gleicher Zeit ein geschickter und berühmter Meistersänger, und in dieser trefflichen Kunst wurde er der Lehrer des jugendlich eifrigen Sachs, dem nun auf einmal wie durch eine Himmelsoffenbarung das, was er längst erwartet und ersehnt hatte, aufgegangen war, dem nun auf einmal in der allbeglückenden Kunst der zierlich sich fügenden Dichtung der rechte Lebenstrost und Seelenweide sich erschlossen hatte. Einen eifrigeren, unermüdlicheren Schüler als unsern Hans Sachs konnte es nicht geben. Jedes Viertelstündlein, das er sich von der freudenlosen Arbeit des Schuhflickens (die er, weil er arm war, nicht ganz aufgeben durfte) abdarben konnte, verwandte er zum eifrigen Studium in der weltberühmten Kunst des Meistergesangs. Ganze Nächte durchwachte er im einsamen Kämmerlein beim trüben Lampenscheine ganz vertieft in die schwierigen, aber lohnenden Regeln seiner neuen Kunst. Es konnte nicht fehlen, daß der Jüngling, je glühender er für diesen edleren Beruf entbrannte, nach und nach desto nachlässiger im väterlichen Handwerk ward. Hans Sachs versprach eine Krone des Meistergesangs zu werden, aber von Tag zu Tag ward er ein unordentlicherer Schuster. Es liefen Klagen ein, und der alte Sachs, der sein Geschäft den Krebsgang gehen sah, ergrimmte heftig wider seinen Sohn und dessen Verführer, wie er ihn nannte, den Leineweber Nunnenbeck. Zuletzt jagte er den Erstern, als unnützes Handwerks- und Familienglied, aus dem Hause, mit dem Bescheid, er möge sein brodloses Gewerbe des Reimschmiedens treiben, wo es ihm beliebe, und nicht früher, als er diesem aus vollem Herzen entsagt, es wagen, das väterliche Haus wieder zu betreten.

Die Sage meldet nun, daß an einem schönen Frühlingsmorgen der sechszehnjährige Hans Sachs mit seinem Bündelchen auf dem Rücken, aber rüstigen Muthes, zum Thore seiner Vaterstadt Nürnberg hinauswanderte, in deren Schooß ihm seine Knabenjahre freudlos genug verstrichen waren. Aber diese Erinnerung trübte seine jugendliche Seele nicht mehr; war ihm ja das hohe Ideal seines Berufs gleich einem leuchtenden Sternbilde im Osten aufgegangen! Hans Sachs pilgerte nun den ganzen Rheinstrom auf und ab, keine Stadt unbesucht lassend, wo die Kunst des Meistergesangs gepflegt ward. Aber vom Singen wird der Mensch nicht satt, so erging es schon in jener Zeit den bedauernswerthen Dichtern. Es half nichts, Hans Sachs mußte wieder zu seinem Handwerk sich wenden und bei tüchtigen Schustermeistern Arbeit suchen, die ihm auch nirgends fehlte, und wenn er nun, auf dem Dreifuß sitzend, den ganzen Tag genäht und gehämmert hatte, dann warf er sich noch spät am Abend in seinen Sonntagsstaat und begab sich nach den Versammlungsorten der Singschulen, wo er Anfangs als lernbegieriger, vielversprechender Schüler, bald aber selbst als wackerer Praktikant und endlich als ein so tüchtiger Meister willkommen war, wie nur einer jemals ein Gesätz und Gegengesätz gefügt hatte. So vergingen einige Jahre, binnen welchen Hans Sachs bekannt und berühmt geworden war bei allen Verständigen und Liebhabern der Kunst in ganz Deutschland. Aber als brodlose Kunst erwies sich denn doch noch für's Erste der herrliche Meistergesang, so wie es Hans Sachsen's Vater vorausgesagt hatte.

Da entschloß sich der Jüngling, im gerechten Stolz auf seinen erworbenen Ruhm, wieder umzukehren nach seiner lieben Vaterstadt und wie zuvor im Hause des Vaters zu arbeiten, als Handwerksgenosse, nebenbei aber der edlen Kunst, von welcher er nun und nimmer lassen konnte, fleißig obzuliegen. Nach langer, mühseliger Wanderschaft langte er an einem späten Abende in Nürnberg an. Er suchte die wohlbekannte Gasse auf, wo das väterliche Häuschen stand; lange mußte der Jüngling erst leise, dann lauter und immer lauter klopfen, bevor im Innern des Hauses Tritte und eine keifende Weiberstimme laut wurden. Endlich öffnete sich das Fenster und ein altes Weib erschien mit Licht, scheltend, wer noch in so später Nacht Einlaß begehre. »Gute Frau,« sagte bescheiden der Jüngling, »wohnt hier nicht Veit Sachs, der Schuster?« Auf diese Frage schalt die Frau nur ärger. »Merkt's Euch, Ihr Tagedieb,« rief sie im heftigsten Unwillen, »daß Veit Sachs, der Schuster, schon vor zwei Jahren das Zeitliche gesegnet und weder Mann noch Maus von seiner Familie an dieser Wohnung mehr Antheil hat.« Wie diese traurige Nachricht den armen Jüngling erschreckte, wollen wir dem Leser nicht schildern; er sank erschüttert nieder auf einen Stein vor der Thüre des gegenüberstehenden Hauses, verbarg das Gesicht in beiden Händen und schluchzte laut.

Armer Sachs, wohin sollst du dich nun wenden, um ein Nachtquartier, um eine gastliche Aufnahme zu finden? Muth gefaßt! Dem Redlichen hilft Gott! Der traurige Hans besann sich zur rechten Zeit auf seinen alten Meister in der Kunst, der er sein ganzes Leben nun gewidmet hatte, auf den alten Weber Nunnenbeck. Zum Hause dieses würdigen Mannes wendet er sich und bald liegt er in den Armen seines einzigen, väterlichen Freundes. »Bleibe bei mir, lieber Sohn,« spricht der wackere Greis, »und liege ohne Scheu und Störung der edlen Kunst ob, welche dir schon so reichlich Früchte der Ehre getragen. Vertraue dabei auf Gottes Rath, er wird das Zukünftige am besten fügen.« Durch diesen Freundestrost gestärkt, verlebte nun der wackere Jüngling im Hause seines alten Lehrers ruhige, glückliche Tage, welche ganz dem Studium der täglich berühmter werdenden Kunst des Meistergesangs gewidmet waren.

Dieses glückliche Leben sollte aber bald getrübt werden. Hans Sachs faßte eine tiefe, herzliche Liebe zu Röschen, der Tochter des reichen Goldschmieds Gulden. Der stolze Vater aber hatte sie einem reichen Rathsherrn bestimmt und wies dem armen Hans auf die demüthigste Art die Thüre. Der Jüngling verließ nun Nürnberg zum zweiten Male und warf sich verzweiflungsvoll in einem Walde nieder, den er Abends betreten. Da wendete sich sein Geschick. Wie oft, wenn die Noth am größten, auch die Hülfe am nächsten ist, wie oft ein schnell eintretender Zufall das trübe Geschick auf das Schnellste und Freudigste wendet, so geschah es, der Sage nach, auch mit unserm wackern Sänger. Kaum war ein Stündlein bei einbrechender Dämmerung im Dickicht des Waldes vorgeschritten, als es in den Zweigen rauschte und nicht lange darauf die hohe, Ehrfurcht gebietende Gestalt eines stattlich gekleideten Mannes dem in schmerzlichen Gedanken vertieften Wanderer in den Weg trat. »Gut, daß ich Euch treffe,« sprach der Fremde in freundlichem Tone, »Ihr scheint mir aus der guten Stadt Nürnberg zu kommen und seid wohl in der Gegend bewandert; ich aber habe mich in diesem Walde von meinem Gefolge verirrt und muß Euch ersuchen, mir für Geld und gute Worte als Führer nach Nürnberg zu dienen, woselbst ich heute noch unfehlbar eintreffen muß.« Wie nun der mißmuthige Jüngling anfangs, aus leicht erklärlichen Gründen, sich weigerte, den Wunsch des Fremden zu erfüllen; wie dieser immer heftiger in ihn drang und sich nach der Ursache seines Herzeleids freundlich erkundigte; wie darauf der arme Hans Sachs, von der freundlichen Zusprache des Fremden, der was gar Vornehmes zu sein schien, bewogen, sich entschloß, ihm Alles getreulich zu berichten; wie er darauf dem Fremden seinen Namen nannte und dieser, der längst von ihm vernommen hatte, ihn mit freundlichem Händedruck als Hans Sachs, den weit berühmten Meister deutschen Gesangs, begrüßte; wie dann das Jagdgefolge sich auch einfand und der Fremde den Jüngling ermahnte, guten Muths zu sein und mit ihm umzukehren, weil er selbst ihn in seinen vermögenden Schutz nehmen und seinetwegen mit dem Vater der Geliebten in aller Frühe, bevor die Vermählungsfeier vor sich gehen könne, sprechen wolle – dies Alles weitläufig zu erzählen, verstattet uns der Raum nicht. Genug, Hans Sachs fühlte sich neu gekräftigt und beruhigt, er kehrte im Gefolge des vornehmen Mannes, der ihm als weitberühmten Meistersänger alle Ehre erwies, nach Nürnberg zurück und ward nach einer vor Freude und Hoffnung schlaflosen Nacht in früher Morgenstunde zum Fremden beschieden, welcher sich dem erstaunten Dichter nun als Kaiser Maximilian zu erkennen gab.

Und so war es denn vergeblich, daß in der Frühe des Hochzeitmorgens der festlich aufgeputzte Rathsherr in das Kämmerlein seiner Braut trat, um ihr als Symbol der bevorstehenden Feier einen ungeheuren Blumenstrauß zu überreichen; denn wenig Minuten darauf erschien ein prachtvoll geschmückter Leibpage und beschied den Goldschmied und sein schönes Töchterlein zum Kaiser Maximilian, wo ihrer bereits mit hochklopfendem Herzen, in freudigster Erwartung der Dichterjüngling harrte. Vor der Majestät des Kaisers schwand die Hoffahrt des alten Goldschmieds, wie man sich denken kann, sogleich und es hielt von diesem Augenblick an nicht schwer, von ihm die Einwilligung zur Vermählung der beiden Liebenden zu erlangen.

Der dichterische Ruf des Mannes, dessen sagenhafte Jugenderlebnisse wir so eben geschildert, ist in der Geschichte deutscher Dichtkunst unsterblich. Seine herrlichen, wahrhaft schönen Gedichte, die in Nürnberg zuerst im Jahre 1558 im Druck erschienen: die einfachen, herzerhebenden Kirchengesänge (unter denen wir jenes: »Warum betrübst du dich, mein Herz!« besonders gedenken), seine mannichfachen Gedichte und Opern zum Preise des großen Reformators Luther und zur Förderung des erhabenen Werks der deutschen Kirchenverbesserung, endlich noch sein reiner, fleckenloser Lebenswandel sichern ihm ein bleibendes Andenken in den Herzen aller Deutschen und in der Geschichte nicht blos deutscher Dichtkunst, sondern überhaupt in der deutschen Kulturgeschichte.

Hans Sachs starb in seiner Vaterstadt Nürnberg allgemein geehrt am 25. Januar 1576 im ehrwürdigen Alter von 82 Jahren, nachdem er schon viele Jahre zuvor zur protestantischen Religion übergetreten war.


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