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II. Alarich (410 n. Chr.).

 

1.

Als der Kaiser Theodosius auf dem Todtenbette lag, theilte er sein großes Reich unter seine zwei jungen Söhne, Honorius und Arkadius; jener sollte im Abendlande, dieser im Morgenlande herrschen und Konstantinopel zu seiner Residenz erwählen. Weil aber den unerfahrenen Prinzen ein erfahrener Mann noth that, so hatte der sterbende Theodosius seinem Sohne Honorius den Stilicho als obersten Minister gegeben, und seinem Sohne Arkadius den Rufinus. Solches geschah im Jahre 395 n. Chr.

Stilicho, ein Vandale von geringer Herkunft, hatte im römischen Kriegsdienste so außerordentliche Geistesgaben entwickelt, daß er sich bis zum Oberfeldherrn emporarbeitete. Er herrschte jetzt im Namen des elfjährigen Honorius ganz unumschränkt über die Abendländer. Rufinus, der Minister des 18jährigen Arkadius, war ein geborner Gallier, der sich durch Verstellung und Heuchelei das Vertrauen des Kaisers Theodosius erschlichen hatte. Diese beiden Reichsverweser hatten keinen andern Wunsch, als anstatt des halben das ganze Reich nach Willkür zu beherrschen. Sie haßten einander von ganzer Seele und ergriffen begierig jede Gelegenheit, wo der eine dem andern schaden, wo möglich ihn stürzen konnte. Die Armeen, von deren Schutze die Sicherheit der beiden Reiche abhing, bestanden jetzt meistens aus Deutschen; die Obergenerale waren auch Deutsche, und diese ließen sich nicht gern befehlen. That man nicht nach ihrem Willen, so plünderten sie ganze Provinzen.

Das erste Beispiel dieser Art gaben die Gothen. Kaum war der römische Kaiser aus dem Leben geschieden, so standen sie wieder unter den Waffen, und zwar furchtbarer als jemals, weil sie jetzt einem einzigen tapferen und verschlagenen Anführer gehorchten. Dies war Alarich, entsprossen aus einem der edelsten gothischen Geschlechter. Er hatte in früheren Jahren gegen Theodosius, in späteren Jahren unter ihm gedient, und fand sich beleidigt, daß man seine Verdienste nicht mit der Würde eines Oberbefehlshabers belohnt hatte. Unwillig verließ er den römischen Dienst und verleitete die sämmtlichen gothischen Hülfsvölker, zu seiner Fahne zu schwören. Dieses gothische Heer ward noch verstärkt durch eine Anzahl Hunnen, Alanen und Sarmaten, denen die hart gefrorene Donau zu einer sicheren Brücke diente, auf welcher sie in die südlichen Länder hinüber drangen und Alles verwüsteten. Alarich führte hierauf seine Schaaren durch Macedonien und Thessalien nach Griechenland, und gab auch dieses schöne Land der Plünderung preis. Nirgends zeigte sich einiger Widerstand, und wohin die Gothen kamen, da zogen sich die römischen Truppen zurück. Athen, Argos, Korinth, Sparta kapitulirten, das platte Land wurde verheert, Alt und Jung als Sklaven fortgeführt.

Als Stilicho auf solche Weise die schönste Provinz des morgenländischen Kaiserthums den Barbaren überlassen sah, hielt er es für Pflicht, nun selber vor dem Riß zu treten und die Majestät des Reiches zu rächen. Er rüstete eiligst in dem Hafen von Ravenna eine Flotte aus und segelte nach Griechenland. An der Küste von Korinth gelandet, eilte er mit seinem Heere den Gothen entgegen; in Arkadien kam es zur blutigen Schlacht; der edle Stilicho siegte. Die Gothen flohen, und Stilicho zog ihnen nach. Er hätte sie gänzlich aufreiben können, verlor aber die beste Zeit in den griechischen Städten mit Schauspielern, Weibern und Festlichkeiten. So konnten sich die Gothen sammeln und Stilicho kehrte ohne weitere Unternehmung nach Italien zurück.

Vielleicht war er auch aus Haß gegen den Rufinus so bald wieder abgezogen, denn dieser, neidisch auf das Glück Stilicho's, wollte den Helden gar nicht in Griechenland dulden, und Arkadius erklärte dessen Feldzug für eine unverschämte Zudringlichkeit. Dieser feige Kaiser schloß einen Vertrag mit Alarich ab und überließ ihm die Oberbefehlshaberstelle im östlichen Illyrikum, in denselben Provinzen, die er eben verwüstet hatte. Alarich benutzte seine Würde klug, denn die geplagten Einwohner seines Bezirks mußten Tag und Nacht arbeiten, um Helme, Schilder, Spieße und Schwerter zu machen, die vielleicht nächstens zu ihrem eigenen Verderben gebraucht werden sollten. Die Gothen, in Bewunderung der Talente ihres Heerführers, hoben in einer feierlichen Versammlung den Alarich auf einem Schilde empor und riefen ihn einstimmig zu ihrem König aus. So stand jetzt Alarich als König eines tapferen Soldatenvolks und als Feldmarschall des morgenländischen Kaisers an der Grenze zweier verbrüderter Reiche, welche, anstatt sich gegenseitig zu helfen, sich gegenseitig zu vernichten strebten. Theuer genug verkaufte er seine Freundschaft bald diesem, bald jenem, und im Stillen bereitete er seine Gothen zu dem kühnen Unternehmen vor, das den Honorius zittern machte.

Im Jahre 400 n. Chr., bevor man etwas vermuthete, drang er gegen den Po vor, nachdem sein ganzes Heer die Julischen Alpen überstiegen hatte. Er hatte im Sinne, Rom selber zu nehmen und in Italien ein westgothisches Reich zu gründen.

Schrecken und Entsetzen ergriff alle Gemüther, als die barbarischen Gothen über die Alpen kamen und eine Stadt nach der andern nahmen. Die Christen flüchteten sich zu den Gräbern der Märtyrer, die Heiden zu den Altären ihrer Götter; Schaaren von Flüchtlingen bevölkerten die Inseln des Mittelländischen Meeres. Der schwache Kaiser Honorius vernahm mit Entsetzen, daß der furchtbare Alarich sich den Thoren Mailands nähere. Statt zu den Waffen zu greifen, achtete er auf das Zureden seiner zitternden Höflinge, die der Meinung waren, der kaiserliche Hof solle ohne Zeitverlust nach Gallien fliehen. Nur der tapfere Stilicho widersprach mit Nachdruck und traf schnell Anstalten zur Gegenwehr. Er ließ die zerfallnen Mauern Roms wieder herstellen und sammelte Alles, was von streitbarer Mannschaft vorhanden war. In größter Eile ging er über die Alpen, um die römischen Besatzungen vom Rhein, aus Gallien und Britannien zur Erhaltung des Hauptlandes herbeizuführen. Als Alarich indessen vordrang, bat der Kaiser um Frieden und versprach den Gothen ganz Gallien und Spanien zu überlassen, wenn sie nur wieder abziehen wollten. Die Gothen nahmen das Anerbieten an, aber jetzt erschien Stilicho an der Spitze eines Heeres, mit dem er im härtesten Winter über die Alpen gegangen war. Er hatte alle Truppen des abendländischen Reiches aufgeboten, Italien zu retten. Hunnen, Alanen, selbst Gothen standen in seinem Solde. Am ersten Osterfeiertage des Jahres 403 griff Stilicho seinen Feind an und schlug ihn.

Alarich war, obwohl geschlagen, doch noch nicht überwunden, und Stilicho, dem Alles daran lag, die wilden Gothen so schnell als möglich aus dem Herzen des Reiches zu entfernen, bot Unterhandlungen an. Alarich ließ sich darauf ein, hatte aber heimlich im Sinn, Verona zu überrumpeln. Doch Stilicho kam ihm zuvor und schlug ihn zum zweiten Male. Da beschloß der Gothe umzukehren und zog wieder gen Illyrien.

 

2.

Alarich's Einfall in das römische Reich machte großes Aufsehen in ganz Europa. Das Gerücht davon drang auch zu den Bewohnern der nördlichen deutschen Lande und erregte dort allgemeine Gährung. Alles brannte vor Begierde, auszuwandern und Eroberungen zu machen. Es sammelten sich unter Rhadegast (Rhadegais) unzählige deutsche Horden, die im Jahre 405 über die Alpen stiegen und noch mehr Schrecken verbreiteten als selbst Alarich, da dieser ein Christ, Rhadegast aber ein Heide war. Doch Stilicho rettete noch einmal Italien und vernichtete das Heer des Rhadegast bei Florenz, so daß Wenige entkamen. Dies hinderte aber keineswegs andere deutsche Stämme, auch die von Truppen entblößten römischen Grenzen zu überschreiten. Stilicho sah das Schlimmste voraus, denn es regte sich schon wieder Alarich, der unterdeß Kräfte gesammelt hatte und sich nun anschickte, abermals in Italien einzufallen. Stilicho sah nicht ab, wie er mit den erschöpften Kräften seines Landes einem so mächtigen Feinde widerstehen sollte, und er beschloß, den Alarich lieber zu seinem Freunde zu machen. So versprach er ihm denn 4000 Pfund Gold, wenn er von seinem Zuge abstehen wollte. Alarich war es zufrieden, doch der wackere Stilicho zog sich dadurch den Verdacht zu, als stände er mit den Gothen in einem heimlichen Einverständnisse. Unter den Höflingen hatte der kräftige Minister viele Feinde, die schwärzten ihn jetzt bei dem schwachen Honorius an, als ob er nach dem Kaiserthrone strebe und den Kaiser verrathen wolle. Diese Anklagen wurden geglaubt, Stilicho in Verhaft genommen und im Jahre 408 zu Ravenna enthauptet. Sein Andenken wurde geschändet, seine Güter wurden eingezogen und seine Anhänger erwürgt.

Mit Stilicho sank die letzte Stütze des schwachen Thrones dahin und die unklugen Rathgeber des Kaisers verleiteten ihn zu Maßregeln, die das Unglück des Staates beschleunigten. Auf ihren Rath wurden auch die Weiber und Kinder der fremden Truppen, die in römischen Diensten standen, ermordet, denn man wollte sich an den deutschen Barbaren rächen. Nun aber schlossen sich über 30,000 Mann, größtenteils Verwandte der Ermordeten, zusammen und beschlossen, sich mit Alarich zu verbinden. Der gothische König, dem man das versprochene Geld nicht gezahlt hatte, war gern dazu bereit, und im Oktober des Jahres 408 brach er aus Illyrien auf, drang ohne Widerstand in Italien ein und verband sich mit den mißvergnügten Deutschen. Der kaiserliche Hof hatte sich in dem wohlbefestigten Ravenna eingeschlossen, aber Alarich kehrte sich nicht an diese Festung, drang durch die unbewachten Pässe der Apenninen und schlug sein Lager unterhalb der Mauern Roms auf.

Rom war immer noch die erste und vornehmste Stadt des Erdbodens, ob es gleich in den ersten Jahrhunderten nach Christo durch den allgemeinen Verfall des Reichs und durch die Entfernung des kaiserlichen Hoflagers viel verloren hatte. Es zählte in seinen vierzehn Quartieren die ungeheure Anzahl von 40,382 Wohnungen, unter denen 1780 Paläste waren, deren jeder mit seinen Umgebungen wiederum für eine kleine Stadt gelten konnte. Es dehnte sich also die Hauptstadt der Welt in einer viel zu großen Ebene aus, als daß jeder Vertheidigungsposten hätte hinlänglich besetzt werden können. Innerhalb der Mauern gab es wohl Menschen genug, aber keine im Felde und Kriege gestählten Römer mehr. Die Reichen waren durch Ausschweifungen aller Art entnervt; die Armen waren ein faules Bettelvolk ohne Zucht, das durch öffentliche Almosen gefüttert werden mußte.

Bei dem Anblick der Barbaren, die es wagten, die Hauptstadt des Erdkreises zu belagern, brach Alles in Wuth aus. An wem aber rächte man sich? An einer armen, wehrlosen, unschuldigen Frau, an Stilicho's Wittwe, Serena. Sie ward eines geheimen Verständnisses mit Alarich beschuldigt und ohne Untersuchung vom Senat zum Tode verurtheilt und erdrosselt. Damit war alle Wuth gestillt und man hoffte nun, Honorius werde aus Ravenna Hülfe senden, um die Stadt zu retten. Allein dieser elende Regent beschäftigte sich lieber mit einem großen Hahn, den er wegen seiner ansehnlichen Gestalt »Rom« nannte, als mit seinem wirklichen Rom. Er war auch nicht im Stande, etwas für die bedrängten Römer zu thun, da die meisten Soldaten nach Gallien geschickt waren. Weil nun keine auswärtige Hülfe kam, so suchten die bedrängten Römer durch Zauberei dem Himmel seine Blitze zu entlocken, um sie in's feindliche Lager zu schleudern; aber leider war solches Bemühen vergeblich!

Alarich begnügte sich indessen, die Stadt einzuschließen. Durch die möglichst vortheilhafte Vertheilung seiner Truppen gelang es ihm, jeden wichtigen Posten zu besetzen, die zwölf Hauptthore zu bestreichen, alle Zufuhr zu hemmen und die Schifffahrt auf der Tiber durchaus zu hindern. Die Folgen wurden in Kurzem fühlbar. Die Nahrungsmittel wurden seltener und das Korn stieg zu unerschwinglichen Preisen. Die tägliche Austheilung des Brodes und Oeles ward auf die Hälfte, dann auf ein Drittheil herabgesetzt und bald hörte sie ganz auf. Hunderttausende fielen nun dem wüthenden Hunger anheim. In dieser traurigen Lage blieb nichts übrig, als zur Gnade des gothischen Königs seine Zuflucht zu nehmen. Der Senat beorderte zwei Gesandte an ihn, welche erklären sollten: »das römische Volk sei geneigt, den Frieden einzugehen, wenn ihm derselbe unter annehmbaren Bedingungen angetragen würde. Widrigenfalls werde es zeigen, daß die Ehre ihm theurer sei als das Leben. Die Belagerer würden ein zahlreiches, in den Waffen geübtes Volk zum Kampfe bereit finden.« Laut auflachend erwiederte Alarich auf diesen der Noth Roms wenig entsprechenden Antrag: »Je dichter das Gras steht, um so leichter ist es zu mähen.«

Bald ward der Uebermuth der Gesandten um viele Grade herabgestimmt und in einem bescheidenen Tone fragten sie: »Unter welchen Bedingungen die Stadt von der Belagerung loskommen könnte?« Alarich forderte alles Gold und Silber, es möchte nun öffentliches oder Privateigenthum sein; alle kostbaren Geräthschaften, alle Sklaven von deutscher Abkunft. Auf die Frage: »Und was denkst du uns denn zu lassen?« folgte die Antwort: »Euer Leben!« Doch meinte es Alarich nicht so schlimm. Er begnügte sich mit 5000 Pfund Gold, 30,000 Pfund Silber, 4000 seidenen Kleidern, 3000 Häuten Saffian und 3000 Pfund Pfeffer. Dafür hielt er auch strenge Mannszucht und nahm in dem nahen Tuscien seine Winterquartiere. Hier kam sein Schwager Athaulf (Adolph) mit einer ansehnlichen Verstärkung von Gothen und Hunnen zu ihm; diese Schaaren hatten sich mit Gewalt den Weg von der Donau her geöffnet. Nun liefen auch eine Menge Sklaven aus Rom davon und sammelten sich unter Alarich's Fahnen, so daß dessen Heeresmacht bis auf 150,000 Mann anwuchs.

 

3.

Als Honorius in Ravenna von den Vorgängen in Rom Nachricht erhielt, wagte er es wenigstens, dagegen zu protestiren. Mehrere von den Bedingungen, die man dem Gothenkönige zugestanden hatte, verwarf er wieder. An seinem Hofe befand sich Alles in der größten Unordnung und Unentschlossenheit. Heute herrschte dieser, morgen jener Günstling, und was man heute beschloß, ward morgen widerrufen. Wenn man nicht mehr aus und ein wußte, schwur man den Gothen in Verzweiflung ewige Rache! Als ob die Worte Thaten wären! Die Römer, denen nichts Gutes ahnte und die sich vor einem zweiten Besuche Alarich's fürchteten, thaten wiederholt die dringendsten Vorstellungen bei dem Kaiser und baten flehentlich, er möchte sich doch mit dem furchtbaren Feinde ausgleichen. Aber Honorius, von blinden Rathgebern irre geführt, war nicht zu bewegen. Er sandte den Römern 6000 Dalmatiner zu Hülfe, die aber unterwegs von Alarich so übel empfangen wurden, daß kaum 100 mit dem Leben davon kamen.

Zu verwundern ist, daß Alarich im Gefühl seiner Ueberlegenheit sich nicht verleiten ließ, härtere Forderungen an den Hof zu Ravenna zu stellen. Er that es nicht. Immer noch nannte er sich einen Freund des Friedens und der Römer.

Es lag ihm wirklich daran, mit Honorius in Güte sich zu vergleichen. Er verlangte außer einem bestimmten Jahrgelde und einer Lieferung von Proviant, daß ihm Venetien, Norikum und Dalmatien eingeräumt werden sollten. Aber die letztere Bedingung wollte Honorius durchaus nicht eingehen. Und obschon Alarich zuletzt seine Forderungen bloß auf Norikum Das Land vom Kalenberge in Unteröstreich bis zum Innstrom. und auf eine jährliche Lieferung von Lebensmitteln einschränkte und dagegen versprach, dem Kaiser gegen alle Reichsfeinde beizustehen, so wurde gleichwohl auch diese billige Bedingung verworfen.

Alarich zog nun zum zweiten Male (409) mit seinem Heere nach Rom und zwar furchtbarer als das erste Mal (408). In Kurzem brachte er die Belagerung so weit, daß sie ihm nicht nur die Thore öffnen, sondern auch dem Honorius den Gehorsam aufkündigen und ihren bisherigen Statthalter Attalus zum Kaiser erklären mußten.

Nun schien das Schicksal der Römer wirklich sich zu bessern. Attalus, der die Liebe des Volkes besaß, besetzte sogleich die wichtigsten Staatsämter mit anderen Personen; dem Alarich aber mußte er das Oberkommando über die ganze kaiserliche Kriegsmacht übertragen. Rom war entzückt über die glücklichen Regierungsanstalten des neuen Kaisers, der dem Volke zu schmeicheln wußte, denn gleich nach seinem Regierungsantritt erklärte Attalus im Senate, daß er den ganzen Erdkreis den Römern zu unterwerfen gedächte. Ein Jubel verbreitete sich durch alle Stände. Man sprach mit einer Zuversicht von der Wiederherstellung des alten römischen Reichs in seinem vollen Glanze, von einer Erneuerung der Herrschaft über die Welt, als ob die Sache schon gewiß wäre. Alarich verlangt vom neuen Kaiser Attalus, ihm alle die Mittel zu bewilligen, um sich in Besitz von Afrika, als der Kornkammer Italiens, zu setzen. Aus falschem Mißtrauen gegen die Gothen ward dieser Antrag verworfen. Ueberhaupt konnte Alarich deutlich genug merken, daß die Gesinnung des Attalus gegen ihn sehr sich geändert hätte und daß dieser ihn gern los sein wollte. Darüber ward der Gothenkönig so unwillig, daß er dem neuen Kaiser den Purpur wieder auszog und ihn in den Privatstand zurückversetzte.

Rom war inzwischen von den Gothen wieder geräumt worden und nun, nach dem Sturz des Attalus, hätte der kaiserliche Hof die günstige Gelegenheit benutzen sollen, sich mit dem Gothenkönige in ein gutes Einvernehmen zu setzen. Allein Honorius, der bei dem geringsten Schein von Hoffnung wieder übermüthig wurde, war jetzt durchaus nicht geneigt, zu einer Aussöhnung die Hand zu bieten. War doch der Gegenkaiser abgesetzt, ihm selber aber ein neuer Zug von Soldaten versprochen worden. Da aber riß dem Alarich die Geduld; er wandte sich zum dritten Mal nach Rom; denn Ravenna war ihm vermuthlich zu fest und mit Belagerungen hielten sich die Deutschen nicht gern auf. Rom war hingegen ohne große Mühe einzunehmen und dann war hier auch mehr Beute zu machen. Verräther öffneten den Gothen um Mitternacht die Thore, das Heer stürmte hinein, und die stolze Stadt, welche 1100 Jahre lang den Völkern der Erde furchtbar gewesen war und 800 Jahre lang keinen Feind in ihren Mauern gesehen hatte, ward nun eine Beute der »Barbaren«, wie sie die fremden Völker nannte. Viele schöne Gebäude wurden in Asche gelegt, aber die Gothen betrugen sich doch menschlich und verübten keine Grausamkeit. Alles, was sich in die vielen Kirchen geflüchtet hatte, wurde verschont. Alarich ließ sogar einige aus der Peterskirche geraubte kostbare Gefäße wieder zurückgeben. Grausam aber rächten sich 40,000 Deutsche, welche die Römer als ihre Sklaven sehr unbarmherzig behandelt hatten. Wer von den ehemaligen Herren sich nicht in die Kirche oder durch die Flucht rettete, wurde als Sklave verkauft.

Roms Eroberung verursachte eine allgemeine Bestürzung. Alle Kirchen ertönten von den Gebeten und Wehklagen der Bußprediger, und man betrachtete dieses Unglück als einen Vorboten vom nahen Untergange der Welt. Die Einwohner der Stadt selbst vergrößerten noch in ihren Erzählungen das Unglück, welches sie betroffen, und wollten nicht mehr in die von Gott verlassene Stadt zurückkehren. Von diesem Zeitpunkte an wurde Rom immer öder. Am gleichgültigsten bei dem Allen war der Kaiser Honorius. Als die Nachricht in Ravenna anlangte, Rom sei in den Händen der Feinde, lief der Diener, welcher die Aufsicht über das kaiserliche Vogelhaus führte, voller Bestürzung zu seinem Herrn und rief: »Rom ist verloren!« Der Kaiser erschrak heftig, weil er glaubte, sein großer Hahn sei gestorben; doch tröstete er sich bald, als man ihm sagte, nicht sein Hahn, sondern die Hauptstadt der Welt sei verloren.

Am 24. August des Jahres 410 war Alarich in Rom eingezogen; aber er blieb nicht müßig, schon am 6. Tage zog er mit seinem Heere ab, nach Sicilien zu, um dann auch nach Afrika überzusetzen. Schon wurden viele Fahrzeuge ausgerüstet, um das Heer über die Meerenge von Messina zu bringen; da erkrankte der Held in Kosenza am Busento und starb in einem Alter von 34 Jahren. Sein Volk trug ihn wehklagend an den Fluß, leitete das Wasser ab und in dem trockenen Bette grub es seinem König das Grab. In voller Rüstung, das Schwert in der Hand und mit einem kostbaren Schatze senkte es ihn hinab, und nachdem es den Sarg mit Erde bedeckt, opferte es die Gefangenen, die bei diesem Werke gedient hatten, und dann ließ es den Fluß über das Grabmal wieder hinströmen. Keine Menschenseele hat die Stätte erkundet, wo der Gothenheld von seiner Arbeit ruhet.


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