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Erster Abschnitt.
Deutsche Götter und Helden.

I. Hertha und Odin.

 

1. Hertha. Nach Fr. Henning (Vaterl. Geschichtsbilder).

Es war ein liebliches Eiland, im Baltischen Meere gelegen. Eichen, so alt wie der Boden, auf dem sie entsprossen, und gewaltige Buchen beschatteten dasselbe, das nördliche Ende bildend des großen Hercynischen Waldes, welcher, bei den Nordabhängen der Alpen beginnend, sich bis hierher erstreckte. Von bemoosten Hügeln umgeben lag nicht fern vom Rande der Insel im Schatten der Bäume ein klarer, fast zirkelrunder See. Am nördlichen Ufer desselben erhob sich mit ihren Wällen die Herthaburg. Sie war der Sitz der Göttin Hertha, der Geberin alles Segens in Feld und Wald. Uralte Buchen bildeten rund herum jenen heiligen Hain, dessen Innerstes nur der Fuß des Priesters betrat. Tiefe Stille herrschte in dem dunkeln Schatten der Bäume und kein Uneingeweihter wagte das leise Flüstern der Untergötter zu unterbrechen. Selbst die kecken Urbewohner des Hercynischen Waldes, der gewaltige Ur, das riesige Elenn, der heulende Wolf, wie der grimmige Bär schienen scheu zurückzubleiben von dem heiligen Orte, dem der Mensch nur in tiefster Ehrfurcht sich nahte.

Wenn aber mit dem wiederkehrenden Lenze die erstarrte Erde unter den erwärmenden Strahlen der Sonne erwachte und die schlummernden Kinder des Frühlings von ihrem langen Winterschlafe erstanden, wenn Tausende der befiederten Sänger ihre Lieder erschallen ließen zum Lob der schaffenden Hertha: siehe, dann tauchten ganze Schaaren riesiger Männergestalten aus dem Dunkel der Wälder hervor, in stiller Erwartung dem heiligen Haine sich nahend. Welche Männer! Kühn blitzt das blaue Auge unter den buschigen Brauen und lockig wallt das blonde Haar herab auf die breiten Schultern. Sieben Fuß messend von der Ferse bis zum Scheitel tragen sie die Zeichen des freien Mannes, den breiten Schild und den gewichtigen Speer, in den starken Armen. Ja, man sieht es ihnen an, das sind die Herren der Wälder, die gewaltigen Helden, welche flüchtigen Laufes den Ur im Dickicht ereilen und ihn kämpfend mit dem Speere erlegen. Stolz aus solche glücklich bestandene Kämpfe tragen sie die Zeichen ihrer Siege an ihrem Leibe. Es sind die Häute des erlegten Wildes, mit denen sie sich bekleiden.

Wer sind die Männer? Es sind die Ureinwohner unseres Vaterlandes, die Sueven, und zwar die edelsten Stämme derselben, die Semnonen, welche zwischen der Elbe und Oder wohnten, und ihre Nachbaren, die kriegerischen Longobarden aus der Altmark. Sie und noch andere freie deutsche Männer sind gekommen, um das Frühlingsfest zu feiern zur Ehre ihrer Göttin Hertha. Schon ist diese – das haben die Priester geschaut und verkündigt – herabgestiegen auf ihren Wagen im heiligen Hain; schon haben die Priester den Wagen bespannt mit den geweihten Kühen und ihn bedeckt mit köstlichen Teppichen. Erwartungsvoll steht die Menge. Da nahet der Zug der Priester mit dem Wagen der Göttin, welche, unbemerkt von dem Volke, sich freuet über ihre Schöpfung und über die Zeichen der Verehrung, die man ihr zollt. So fährt sie auf der Insel umher.

Da waren denn die Tage fröhlich und die Orte festlich, welche die Göttin mit ihrer Gegenwart beglückte; man zog in keinen Krieg, ergriff keine Waffe zum Kampf; alles Eisen ruhte, man kannte nur Friede und Freude. War der Wagen mit der Göttin vorüber, dann belustigte man sich aus mancherlei Weise. Dort tanzten nackte Jünglinge zwischen ausgestellten Schwertern; hier unterhielt man sich durch das beliebte Würfelspiel. Da saßen und tranken sie aus dem Horn des Ur den berauschenden Meth und lauschten auf den Gesang des Barden, welcher in Liedern die Heldenthaten der Tapfersten besang.

Wenn aber die Göttin des Umgangs mit den Sterblichen müde war, dann führten die Priester den Wagen zurück in das Innerste des Haines. Dort wurde sie nebst Wagen und Teppichen in dem geheimnißvollen See gebadet. Die Sklaven, welche man dabei gebrauchte, kehrten nie zurück, sie wurden von dem See verschlungen. Daher entstand dann ein geheimes Grauen und eine heilige Scheu vor dem, das nur die schauen durften, welche starben.

Jene Insel »des heiligen Haines« steht noch im Meere, sie ist das lieblichste Eiland der Ostsee. Ihr Name ist Rügen und noch wird germanisch auf ihr gesprochen. Noch zeigen die Eingebornen dem Fremdling den heiligen Hain, wo einst freudige und freie Menschen sich zum Frühlingsfeste der Mutter Erde versammelten und der Priester mit dem Wagen den fröhlichen Umzug hielt. Noch ruht der Herthasee mit seinen tiefen Wassern zirkelrund zwischen bemoosten Hügeln, von dunkeln Buchen beschattet, und in dieser stillen Natur umwehen uns noch immer heilige Schauer. An seinem nördlichen Ende liegt mit ihren hohen Wällen die Burg mit dem Eingange, wo das Bild der Göttin verehrt ward. Sie ist jetzt mit Binsen bewachsen. Umgestürzte Altäre und Opfersteine erinnern an frühere Zeiten, wo dem Germanen das Evangelium Jesu Christi noch nicht verkündet war.

 

2. Wodan oder Odin. Odin hieß der Gott bei den nordischen Völkern.

Im Lande der Semnonen zwischen Oder und Elbe befand sich das größte Bundesheiligthum der suevischen Stämme. Es war dies ein heiliger Hain mit der Bildsäule des Kriegsgottes Wodan. Als mächtiger Lenker der Schlachten, als erhabener Schützer in jedwedem Kampfe galt dieser Gott für den vornehmsten unter den germanischen Asen. Durch ihn nur gab es Sieg und Beute und ohne ihn war kein Himmel. Wer nicht in seinem Dienste stand, d. h. wer nicht im Kampfe sein Leben verlor, dem öffnete er nicht die Pforten Walhalla's. Hatte also Jemand einen ruhigen, natürlichen Tod gefunden, so mußte er als stummer Schatten hinabwandern in die Unterwelt, in das Reich der bleichen Hela. Traurig schritten da die Schatten an einander vorüber und nur durch leises Summen vermochten sie sich gegenseitig ihre Klagen mitzutheilen. Da gab es weder Kampf, noch Spiel, noch Trank. Es war ein trauriger, freudenleerer Ort.

Wie ganz anders erging es den gefallenen Helden! Sie, aber auch nur sie, schwebten hinauf in Wodan's ewige Himmelsräume. Dort lag Walhalla, eine große, schöne Stadt mit 500 Thoren und 50 Pforten. Hier war der Wohnsitz tapferer Männer, hier führten sie ein herrliches Leben, denn sie konnten ihren liebsten Gewohnheiten folgen, ihre Lieblingswünsche erfüllen. Täglich ritt Wodan mit ihnen hinaus vor die Thore der Stadt. Dort tummelten sie ihre Rosse und ergötzten sich in lustigen Kämpfen. Sie durchbohrten sich mit den Sperren, spalteten sich die Köpfe und theilten so gewaltige Hiebe aus, daß Arme und Beine umherflogen. War aber der Kampf beendet, so saßen Alle, als wäre nichts geschehen, wieder gesund und frisch auf ihren Rossen und lustig ging es nach der Stadt zurück. Dort wartete ihrer das Mahl. An langen Tafeln saßen sie da und schmausten ihr Lieblingsgericht, den Schweinebraten. Dessen gab es genug in Walhalla, denn es war dort ein Schwein, Namens Skrimmer, welches immer ganz und unversehrt blieb, wenn man auch täglich viel große Stücke davon abschnitt. Darüber freuten sich die hungrig gewordenen Kämpfer über die Maaßen, sie ließen sich den Braten herrlich munden und tranken in langen Zügen den köstlichen Gerstentrank, den ihnen die ewigen Jungfrauen, Walkyren genannt, in schönen Gefäßen herumreichten. Auch Milch war im Ueberfluß vorhanden; denn die Euter der Ziege Heidrun wurden nie leer.

So dachten sich die alten Germanen das Reich ihres Gottes Wodan. Kein Wunder also, wenn das Leben der freien Sueven fast in beständigem Kampfe bestand, im Kampfe gegen fremde Völker oder gegen die wilden Thiere des heimischen Waldes! Daher galten auch Muth und Ausdauer im Kampfe für die höchsten Tugenden des Mannes! Eben so natürlich war es aber auch, daß die alten Deutschen ihren Wodan über Alles verehrten, da er ihnen die höchsten Güter bescheerte. Und wahrlich, nichts glich der Ehrfurcht, mit welcher die Semnonen und andere suevische Völker dem Haine sich naheten, welcher ihrem Gott Wodan geheiligt war. Ihre tiefe Ehrfurcht glaubten sie durch nichts besser ausdrücken zu können, als wenn sie dem Gotte ihr höchstes Gut zum Opfer brächten. Ihr höchstes Gut war aber die Freiheit. Daher wagte es kein Sueve, dem Haine Wodan's anders zu nahen, als mit gefesselten Gliedern und in demüthigster Stellung. Keiner wagte aufzuschauen, wenn der Priester dem Gott opferte und seinen Willen ihnen verkündete. War das Osterfest vorüber, dann zogen sie sich gebückt zurück und erst außerhalb des Hains entledigten sie sich ihrer Fesseln. Dann aber erhoben sie auch wieder ihr Haupt in stolzem Muthe und schritten dahin, frei und kühn, wie sie gekommen waren. Wodan's Gemahlin war Freya (Frouwa), die holdselige Frau des Himmels, seine zwei Söhne Donar (Thunar oder Thor) der Gott des Donners und Wetters, der den mächtigen Hammer schleuderte, und Ziu oder Tiu gleich seinem Vater ein Kriegsgott und Lenker der Schlachten. Der Tiustag (Dinstag) – dies Martis – hat von ihm den Namen.


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