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IV. Ritterliche Helden.

 

1. Bertrand du Guesclin (1330 n. Chr.).

 

1.

Bertrand du Guesclin wurde um 1314 auf dem Ritterschloß Motte Broon bei Rennes (in der Bretagne) geboren. Früh zeigte sich seine Heldennatur. Da er mit Lernen nicht geplagt wurde – er hat nie gelesen oder geschrieben – bildete er sich als Knabe aus seinen Altersgenossen eine Kompagnie und übte sie als ihr General in Schlacht und Kampf. Oft schlug die Mutter ihre Hände über den Kopf zusammen, wenn er zerfetzten Gesichts und blutigen Kopfes nach Hause kam. Schon in seinem 17ten Jahre übertraf er viele ältere Ritter an Kraft und Waffenfertigkeit. Aber er wurde von den Damen ausgelacht, weil er so häßlich aussah und ein so schlechtes Pferd ritt. Sie verspotteten ihn und meinten, er sähe mehr wie ein Eseltreiber aus, denn wie ein Ritter und Edelmann, und sein Roß habe er sicherlich von einem Müller geliehen! Bertrand ärgerte sich darob und als einst wieder ein Turnier bevorstand, bat er einen Vetter, ihm Roß und Rüstung zu leihen. Beides ward ihm gewährt und mit jubelndem Herzen begab er sich in die Schranken, wo ihn in der fremden Rüstung, bei herabgelassenem Visir, Niemand, auch sein Vater nicht, erkannte. Ein bekannter tapferer Ritter stellte sich ihm. Das Zeichen wurde gegeben, sie rannten mit Blitzesschnelle wider einander und krachend zersplitterten die Lanzen in Beider Händen. Bertrand jedoch hatte mit solcher Kraft seinen Stoß gegen den Helm seines Gegners geführt, daß dieser alsbald aus dem Sattel flog und mehrere Schritte davon ohnmächtig auf dem Sande liegen blieb und aus den Schranken fortgetragen werden mußte.

Der junge Sieger kehrte mit frischer Lanze auf seinen Platz zurück und erwartete neue Kämpfer. Da stellte sein eigner Vater sich ihm gegenüber. Gegen den mochte er nicht kämpfen, aber eben so wenig wollte er sein Inkognito aufgeben. Also beschloß er, beim Rennen seine Lanze zu senken und den Stoß seines Vaters mit dem Schilde aufzufangen, ohne Widerstand zu leisten. So that er und zwar mit solcher Geschicklichkeit, daß er fest im Sattel bleibend und ohne zu wanken vorüberjagte und nun geradezu erklärte, er werde nicht mehr mit dem Ritter kämpfen. Man wunderte sich, machte aber keine spöttischen Bemerkungen, weil des Ritters Muth schon im vorigen Treffen hinreichend erprobt war. Sein Vater ritt aus den Schranken und machte andern Rittern Platz. Diese warf Guesclin in den Staub und einstimmig wurde er als Sieger anerkannt. Jedermann war begierig, den Helden kennen zu lernen, am meisten sehnte sich der Vater nach der Enthüllung des Geheimnisses. Endlich, nachdem das Turnier geendigt war und Bertrand seinen Ritterdank empfangen hatte, sprengte er zu seinem Vater, schlug den Helmsturz auf und rief: »Kennst du mich nun, Vater?« Der Alte umarmte ihn mit Freudenthränen im Auge und rüstete ihn nun mit Roß und Waffen freigebig aus. Aber der Ruf des jungen Helden erfüllte nun ganz Frankreich.

 

2.

Bisher hatte Bertrand nur immer Siege auf Turnieren erfochten, jetzt sollte auch das ernstere Feld der Schlachten die Erstlingsthaten seines Schwertes erblicken. Herzog Karl von Blois führte gegen Johann von Montfort Krieg um den Besitz der Bretagne. Philipp VI., König von Frankreich, hielt es mit Ersterem, der König von England dagegen unterstützte Montfort. Für Bertrand blieb natürlich keine Wahl, denn er folgte als braver Franzose seinem Könige, wohin dieser ihn führte. Damals war das Schloß Fougeray in den Händen der Engländer und Bertrand beschloß, diesen nicht unbedeutenden Ort ihrer Macht zu entreißen. Zu diesem Ende verkleidete er sich mit sechszig seiner Gefährten in Holzhauer; er theilte diese in vier Haufen, die sich von verschiedenen Seiten dem Platze näherten. Darauf paßte er eine Zeit ab, wo der Befehlshaber des Schlosses mit einem Theile der Besatzung eine Streifpartie machte, ließ während der Nacht seine Leute im nahen Gehölz sich versteckt halten, dann bei Tagesanbruch mit Bündeln Holz und Reisig sich beladen, die Waffen unter den Kleidern verbergen und von da und dort her auf das Schloß zugehen. Bertrand, im weißen Kittel, mit einer gewaltigen Last Holz auf dem Rücken, war der Vorderste, der vor der Zugbrücke zuerst erschien; ohne Bedenken ließ man die Brücke herab. Sogleich warf Bertrand sein Bündel nieder, zog sein Schwert und durchstach den Brückenwächter; dann schrie er mit starker Stimme: »Guesclin!« Auf dieses Zeichen beeilten sich die Uebrigen, ihm zu Hülfe zu kommen und die Brücke zu gewinnen. Da aber wohl 200 Engländer in dem Schlosse waren, so war der Kampf sehr ungleich und es entstand ein fürchterliches Gemetzel. Ein Engländer spaltete mit seiner Streitaxt einem Gefährten Bertrand's den Kopf; dieser hieb ihn dafür zusammen, ergriff die Axt und theilte nach allen Seiten hin Hiebe aus, während er den Rücken an eine Schäferhütte lehnte. So hielt er kämpfend sich eine Zeit lang den Feind vom Leibe, bis zufällig eine Reiterschaar von seiner Partei in die Nähe kam, ihn aus der Noth befreite und den Platz gewinnen half. Es war aber auch hohe Zeit, daß Hülfe kam, denn im Kampf mit zehn Feinden war ihm bereits die Streitaxt entfallen und sein Kopf war so mit Wunden bedeckt, daß das Blut über das Gesicht rann. Durch diese ausgezeichnete Tapferkeit erlangte er den Ruf des unerschrockensten und kühnsten Ritters seiner Zeit.

 

3.

Als der Herzog von Lancaster, der Bruder des schwarzen Prinzen, Dinan belagerte, geschah es, daß während ausbedungener Waffenruhe Bertrand 's Bruder, Olivier du Guesclin, von einem englischen Ritter Thomas von Canterbury wider Fug und Recht gefangen genommen wurde. So wie Bertrand diese Nachricht vernahm, stieg er sogleich zu Pferde und ritt spornstreichs in's englische Lager hinüber. Mit großer Achtung ward er daselbst empfangen und seinem Wunsche gemäß sogleich zum Herzog geführt, der eben mit Lord Chandos und anderen vornehmen Herren beim Schachspiele saß. Diese Herren erwiesen ihm die größte Ehre und als er seine Klagen über die an seinem Bruder verübte Unbill vorgebracht, beschied der Herzog den Ritter Thomas sogleich vor sich und befahl ihm mit einem harten Verweise, seinen Gefangenen sogleich loszugeben. Voll Zorn wandte sich Canterbury gegen Bertrand und warf ihm seinen Handschuh vor die Füße. Bertrand hob ihn nicht nur willig auf, sondern faßte seinen Gegner bei der Hand und betheuerte, er wolle ihm im Kampfe auf Tod und Leben beweisen, daß er ehrlos gehandelt habe durch Verletzung des Völkerrechts. Zornig begehrte Thomas, noch am selbigen Tage zu kämpfen. Lord Chandos bot Bertrand das beste Roß seines Stalles und die beste Rüstung zum Gebrauch an und Bertrand nahm Beides mit Vergnügen. Wie ein Lauffeuer durchdrang das Gerücht des Zweikampfes das Lager und gelangte schnell auch nach Dinan. Die Bürger der Stadt, welche in großer Bedrängniß waren, im Falle sie ihren tapferen Beschützer verloren, und die auch den Engländern nicht recht traueten, schickten ungesäumt an Bertrand einen Boten und ließen ihn bitten, den Zweikampf auf ihren Marktplatz zu verlegen; dabei möchte der Herzog mit 20 Begleitern zugegen sein, für welche sie tüchtige Geiseln stellen wollten. Bertrand setzte zwar nicht den mindesten Zweifel in die Ehrlichkeit der Engländer und in des Herzogs Wort; doch trug er demselben die Wünsche seiner Mitbürger vor. Der Herzog willigte ein und der Kampf ward auf den folgenden Morgen verschoben.

Den andern Tag erschienen die Engländer in aller Frühe. Bertrand, vom Kopf bis zu den Füßen stattlich gerüstet, ritt in vortrefflicher Haltung auf den Kampfplatz. Um die Schranken reiheten sich die hohen Gäste, die Bürgerschaft, das ganze Volk; alle Fenster und Balkone waren rings mit Damen besetzt, um Zeugen des Kampfes der zwei tapfersten Ritter zu sein.

Indeß war aber dem guten Thomas der Muth gesunken. Auf sein Anstiften kamen einige Ritter von des Herzogs Gefolge zu Bertrand, stellten ihm die Größe der Gefahr vor, da er, noch so jung, gegen einen so alten, erfahrenen Kämpfer streiten wolle, und sie erboten sich, die Sache in Güte beizulegen. Allein Bertrand erklärte, der Handel sei schon zu weit gediehen, um beigelegt werden zu können; wollte jedoch Thomas öffentlich ihm seinen Degen überreichen und damit ihm den Sieg zuerkennen, so sei er es zufrieden.

Da nun Thomas sah, daß nichts Anderes zu thun sei, kam ihm der Muth der Verzweiflung und er gedachte sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Die Bahn wurde geöffnet, die beiden Kämpfer ritten gegen einander und hieben zuerst mit den Schwertern wüthend auf einander los. Die blanken Klingen durchschnitten blitzend die Luft und Schlag auf Schlag rauschte hernieder mit immer verdoppelter Kraft. Aber Keiner wankte in den Bügeln. Nachdem sie also geraume Zeit sich mit gleichem Glücke geschlagen, zogen sie die Stoßdegen und kämpften wieder eine Zeit lang, ohne daß Einer dem Andern einen Stich beibringen konnte. Endlich, als der Engländer alle Kraft zusammennahm, flog ihm der Degen aus der Hand. Jetzt schwenkte Bertrand sein Roß und tummelte es, als wie seinem Gegner zum Spaß; auf einmal stieg er ab, hob den gefallenen Degen auf und schleuderte ihn mit aller Kraft bis außerhalb der Schranken, um dann besser über seinen Gegner zu triumphiren. Dieser ritt Anfangs rings um den Plan, um Bertrand auszuweichen, der ihm wegen der Schienen an den Beinen und der schweren Rüstung nicht rasch folgen konnte. Er besann sich aber kurz und setzte sich nieder, um die Schienen abzuschnallen. So wie dies der Engländer sah, sprengte er im Galopp herzu, um ihn zusammen zu reiten; aber Bertrand hatte sich vorgesehen und stieß dem Pferde den Degen in den Leib, daß es stürzte und den Reiter abwarf. Jetzt fiel Bertrand im Nu über ihn her, versetzte ihm erst ein paar Hiebe über's Gesicht und zerbläuete ihn dann mit seinem Panzerhandschuh dergestalt, daß er von Blut triefte. Zehn englische Ritter eilten herzu, ihm Einhalt zu thun, aber Bertrand bedeutete sie, daß sie gar kein Recht hätten, ihn zu hindern, und wenn er auch seinem Gegner das Leben nehmen wollte. Endlich ließ er ihn los, aber so entstellt, daß ihn kaum Jemand kannte. Jedermann eilte herzu, Bertrand Glück zu wünschen; der Herzog von Lancaster aber verurtheilte den Ritter Thomas, die Summe, welche er als Lösegeld für Olivier du Guesclin verlangt hatte, als Buße zu entrichten.

 

2. Die Jungfrau von Orleans (1429 n. Chr.).

 

1.

Ihr eigentlicher Name war Johanna oder Jeanne d'Arc. Sie war in dem Dorfe Domremi bei Vaucouleurs, an der westlichen Grenze Lothringens, geboren, um's Jahr 1412. Ihre Eltern waren gemeine Landleute, wenig bemittelt, aber im Rufe der Arbeitsamkeit, Redlichkeit und Frömmigkeit. Von ihnen ward sie zu allem Guten angehalten. Sie lernte von ihrer Mutter das Vaterunser, den englischen Gruß und den Glauben, aber weder lesen noch schreiben. Alle Geschäfte der Landwirthschaft betrieb sie mit sonderlichem Fleiß; sie spann Wolle, pflügte den Acker, weidete die Heerde, wartete die Pferde. Wie ihr früher Fleiß, so wird auch ihre Sanftmuth, thätige Menschenliebe und Gottesfurcht gerühmt. Sie pflegte die Kranken, war hülfreich gegen Arme, ging täglich zur Kirche und genoß häufig das heilige Abendmahl. Dabei verrieth sie aber auch eine Neigung zur Schwärmerei. In der Nähe ihres Dorfes stand ein Wunderbaum, eine schöne Buche, die nach einer alten Sage von Feen umgeben war, und nicht weit davon war eine eben so merkwürdige Quelle. Dort pflegte sie öfters mit ihren Gespielinnen in schönen Nächten zu singen und zu tanzen. Aber seit ihrem 13ten Jahre vermied sie Gesang und Tanz und lebte mehr in sich gekehrt, auch so eifrig mit Andachtsübungen beschäftigt, daß sie dadurch das Gespötte ihrer Gespielinnen auf sich zog. Engel und Heilige waren ihr, wie sie selber nachmals erzählte, seit dieser Zeit erschienen und wenn sie inbrünstig betete, war sie immer der himmlischen Erscheinung gewiß. Doch redete sie damals mit Niemand über die Offenbarungen, die sie empfing, sondern führte ein stilles, zurückgezogenes Leben, bis der Ruf der Gottheit und der Drang ihres Herzens sie auf den Schauplatz des öffentlichen Lebens führte.

Nur 13 Monate dauerte ihr öffentliches Auftreten, aber welche große und wunderbare Veränderung der Lage Frankreichs hat sie in dieser kurzen Zeit bewirkt!

 

2.

Tief gesunken war Frankreich's Glück! Der ganze nördliche Theil bis zur Loire war in den Händen der Engländer und schon wurde Orleans, der Schlüssel zum südlichen Frankreich, von ihnen belagert (1428 im Oktober). Karl VII., welcher König hieß, ohne es zu sein – denn nicht einmal die Krönung und Salbung zu Rheims hatte er erlangen können – schien rettungslos verloren. Ohne Vertrauen auf sich und seine Sache war er auch ohne Hoffnung. Von Tag zu Tag ward er ärmer an Geld und Truppen und durch neue Unglücksboten erschreckt. Er faßte den Entschluß, das Schloß Chinon, an dem südlichen Ufer der Loire, zu verlassen und in's südliche Frankreich zu ziehen oder gar nach Spanien zu flüchten, um dort eine Freistatt zu suchen. Diese traurige Lage des Reiches und des Königs mußte alle wohlgesinnten Franzosen mit Angst und Mitleiden erfüllen und der Gegenstand ihrer Gespräche und Sorgen sein. Auch Johanna ward von diesem Unglück ihres Vaterlandes tief ergriffen und in ihrer Seele erwachte der Gedanke, König und Vaterland zu retten.

 

3.

Nie darf man die Zeiten einer großen Noth und Aufregung mit dem Maßstabe der Zeiten der Ruhe messen. Wo außerordentliche Umstände eintreten, werden außerordentliche Kräfte wach. Nach dem Glauben der Zeit erschienen Engel und Heilige den Menschen; in der Nähe des Dorfes Domremi wurden allerlei Wundererscheinungen wahrgenommen, dort stand ein Feenbaum, dort sprudelte eine Zauberquelle, und eine alte Weissagung verkündete, daß ein Mädchen von der lothringischen Grenze kommen würde, um Frankreich zu erretten. Johanna fühlte, daß sie dieses Mädchen sei, und der feste Glaube, verbunden mit ihrem kindlichen Gottvertrauen, gab ihr Kraft. Sie wollte das bedrohte Orleans entsetzen, sie wollte den verlassenen König nach Rheims zur Krönung führen.

Von dieser Zuversicht getrieben, verließ sie ihre Eltern, denen sie bis dahin mit kindlichem Gehorsam gedient hatte. Zuerst wandte sie sich nach Vaucouleurs, wo sie bei dem dortigen Befehlshaber, Baudricourt, Zutritt fand (1429). Als sie diesem Manne ihr Vorhaben eröffnete, hielt er sie für eine Schwärmerin und wollte nichts von ihr wissen. Doch entschloß er sich endlich, ihretwegen an den König Karl zu berichten. Die Antwort war, er möchte sie schicken, damit man sie näher prüfen könne. So zog denn Johanna in Mannskleidern, zu Pferde und im Geleite mehrerer Ritter, an den französischen Hof.

Unterwegs erwarb sie sich durch ihre kluge Rede, durch ihre Gottesfurcht und Sittsamkeit große Achtung von Seiten ihrer Begleiter. Als sie in Chinon angekommen war, dauerte es eine lange Zeit, bis sie bei dem Könige vorgelassen wurde. Karl VII. war lange ungewiß, ob er ihren Offenbarungen trauen oder sie für teuflisches Blendwerk halten solle. Endlich ließ er sie vor sich kommen und die Jungfrau erkannte sogleich den König, obgleich sich dieser ohne alle Zeichen seiner Würde unter den Haufen der Hofleute gemischt hatte. Dann entdeckte sie ihm auch ein Geheimniß, das Niemand außer dem Könige wissen konnte. Das erregte großes Aufsehen. Um aber ihre göttliche Sendung außer allen Zweifel zu setzen, ließ Karl VII. zuerst von einer Versammlung Geistlicher, dann von dem Parlament zu Poitiers sie prüfen und Alle thaten den Ausspruch, Johanna sei von Gott zur Rettung Frankreichs gesandt.

 

4.

Nun ward der Entschluß gefaßt, dem wunderbaren Mädchen, als einer göttlichen Prophetin, die Führung des Heeres anzuvertrauen. Sie erhielt, ihrem Verlangen gemäß, ein Schwert, das in der Katharinenkirche zu Fierbois aufbewahrt wurde und das sie genau beschrieb. Dann erbat sie sich eine weiße, mit Lilien gestickte Fahne, worauf Gott mit der Weltkugel in der Hand abgebildet war und die Worte geschrieben standen: »Jesus Maria!« Diese Fahne trug sie, wie sie selbst sich äußerte, um das Schwert nicht brauchen zu dürfen. Hierauf legte sie Mannskleider an, panzerte sich vom Kopf bis zu den Füßen und bestieg dann ein Streitroß. Mit dem Gefolge und Ansehen eines Feldherrn ward sie nach Blois gesendet zu den französischen Truppen, die Orleans entsetzen oder wenigstens mit neuer Zufuhr versehen sollten. Der Glaube an ihre göttliche Sendung zog ihr voran.

Als sie zu Blois angekommen war, drang sie vor Allem bei den Soldaten auf Religionsübung und gute Sitten. Sie befahl, daß Alle beten, die Messe hören, beichten und das heilige Abendmahl genießen sollten; sie beschränkte das Fluchen, Spielen, Plündern; sie vertrieb alle liederlichen Dirnen aus dem Lager und sprach den Soldaten Muth und Trost ein. Den Engländern ließ sie ihre Ankunft verkündigen und befahl ihnen, im Namen Gottes ihr sogleich Platz zu machen. Darauf traf sie Anstalten, um die Zufuhr nach Orleans zu bringen und sich selbst in diese hart bedrängte Stadt zu werfen.

Am 29. April 1429 langte sie vor Orleans an, und während die französische Besatzung nach einer andern Seite hin einen Ausfall that, brachte sie auf der entgegengesetzten die Lebensmittel glücklich in die Stadt. In Orleans ward sie als himmlische Retterin empfangen. Am 4. Mai, als eine zweite Zufuhr vor Orleans erschien, rückte sie mit dem Grafen von Dünois aus und ungestört ging der Zug mitten zwischen zwei Schanzen der Engländer hindurch. Jetzt entflammte sie den Muth der Franzosen zu muthigen Angriffen auf die feindlichen Schanzen; auch diese Angriffe glückten, eine Schanze nach der andern wurde den Engländern entrissen. Es wurden entscheidende Gefechte geliefert und mehrere Tausend Engländer blieben auf dem Platze, so daß die Feinde genöthigt wurden, die Belagerung von Orleans aufzuheben.

 

5.

Vollbracht war das Erste, was Johanna, die nun den Namen »Jungfrau von Orleans« erhielt, versprochen hatte; nun blieb ihr noch die zweite, viel größere Aufgabe zu lösen, den König zur Krönung nach Rheims zu führen. Zuvor mußte noch mancher schwere Kampf bestanden werden. Die Franzosen hatten neue Zuversicht gewonnen, eroberten die Stadt Jargeau, wo der englische General Suffolk gefangen wurde, und schlugen am 18. Juni das englische Heer bei dem Dorfe Patai, wo der tapfere Talbot in ihre Hände fiel. Wo der Kampf am heißesten war, da erschien die Jungfrau und erfüllte die Ihrigen mit neuem Muth; aber die Engländer wurden verzagt, denn sie vermeinten, mit dem Geisterspuk der Hölle zu kämpfen.

Noch war Rheims in den Händen der Feinde und der weite Weg dahin überall von den Engländern besetzt. Dennoch wagten die Franzosen das Unmöglichscheinende, und Karl VII., sonst aus Schlaffheit von dem Schauplatze des Krieges entfernt, stellte sich selber an die Spitze seines Heeres und brach auf nach Rheims. Die von den Engländern besetzten Städte wurden alle bezwungen und unterwarfen sich ohne Schwertstreich. Rheims selbst verjagte die englische Besatzung und sendete Karl die Schlüssel der Stadt entgegen. Triumphirend zog dieser in Rheims ein und am 17. Juli wurde er daselbst feierlich gekrönt und gesalbt. Während dieser Feierlichkeit stand die Jungfrau ihm zur Seite, in voller Rüstung, mit ihrer Fahne in der Hand, und nach geschehener Salbung des Königs warf sie sich ihm zu Füßen, umfaßte seine Kniee und wünschte ihm unter tausend Freudenthränen Glück. »So ist denn endlich – sagte sie – der Wille Gottes erfüllt, daß Ihr, edler König, nach Rheims gekommen seid und die Krönung empfangen habt, zum Zeichen, daß Ihr der wahre König seid, dem das Reich angehören muß.« Der König dankte ihr für die Dienste, die sie ihm geleistet hatte, erhob sie in den Adelstand und befreiete ihr Geburtsdorf von allen Abgaben.

 

6.

Die Jungfrau hielt nun ihre Sendung für erfüllt und wollte nach Domremi zurückkehren; aber man hielt sie noch für unentbehrlich zu fernerer Begeisterung des Heeres. Johanna fühlte, daß sie den Gipfel ihres Glückes erreicht habe und blieb ungern. Ihre Ahnungen wurden nur zu bald gerechtfertigt. Sie zog im September desselben Jahres mit vor Paris, auf welches König Karl einen Angriff thun ließ. Aber die französischen Truppen wurden mit großem Verlust zurückgeschlagen und die Jungfrau selbst verwundet. Im folgenden Jahre warf sie sich in die Stadt Compiegne, welche damals von dem Herzog von Burgund belagert wurde. Gleich am folgenden Tage nach ihrer Ankunft (23. Mai 1430) that sie mit 600 Mann einen Ausfall auf die Seite, wo die Burgunder unter Johann von Luxemburg standen. Aber dieser Ausfall mißglückte und die Franzosen mußten sich zurückziehen. Die Jungfrau, beim Rückzug wie immer die Letzte, ritt langsam hinterdrein, um ihn zu decken, und kehrte sich mehrmals gegen den Feind, um ihn zurück zu treiben. Schon war sie nahe am Thore von Compiegne, als sie, von Freunden verlassen und von Feinden umringt, in die Hände der letzteren gerieth. Ein kühner Kriegsmann erfaßte sie und zog sie vom Pferde. Nach verzweifelter Gegenwehr ergab sie sich dem Bastard von Vendome, dem Vasallen des Herzogs von Burgund.

 

7.

Ihre Gefangennehmung erregte die größte Freude unter den Engländern. Nun glaubten sie, jetzt könnten ihre vorigen Siege, ihre vorige Macht in Frankreich wieder hergestellt werden. Der Herzog von Bedford ließ daher das »Herr Gott, dich loben wir« zu Paris singen, veranstaltete Freudenfeste und erkaufte die Jungfrau für 10,000 Livres von den Burgundern. Ruhig hatte sie das Loos der Gefangenschaft ertragen, auch hatte man sie anfangs sehr anständig behandelt. Als sie aber erfuhr, daß sie nicht in burgundischen Händen bleiben, sondern den Engländern übergeben werden sollte, wagte sie einen gefährlichen Sprung vom Thurme, in dem sie gefangen saß. Vergebens! Schwer verwundet wurde sie ergriffen und ihren Todfeinden, den Engländern, übergeben. Diese, hocherfreut über den herrlichen Fang, schleppten das arme Mädchen nach Rouen und warfen sie daselbst in einen finstern Kerker. Vier Monate hindurch wurde sie mit Fragen über ihre Offenbarungen gequält, sogar mit der Folter bedroht. Die Universität von Paris, damals in den Händen der Engländer, verlangte ihre Hinrichtung, und der Bischof von Beauvais leitete den Prozeß gegen sie ein, daß sie der Hexerei, Zauberei und Abgötterei sich schuldig gemacht habe. Unerschrocken beantwortete sie alle ihr vorgelegten Fragen und ihre klugen Antworten brachten oft die Richter in Verlegenheit, die sich abmüheten, etwas Böses an ihr zu finden. Endlich ward sie zum Flammentode verdammt.

Am 23. Mai 1431 ward ihr im Gefängniß dies Urtheil vorgelesen. Sie hörte es mit Standhaftigkeit an. Auch als sie am folgenden Tage auf den Richtplatz geführt wurde und schon neben dem Scheiterhaufen stand, blieb sie unverzagt. Erst als ein Geistlicher sie ermahnte, ihrem Irrthum zu entsagen und sich der Kirche zu unterwerfen, und als ihr dann das Urtheil nochmals vorgelesen wurde, brach ihr der Muth. Sie rief: »Ich will mich der Kirche unterwerfen und Alles thun, was sie befiehlt!« Nun mußte sie ihre Zaubereien nach einer Formel, die man ihr vorlas, abschwören und sodann diese Formel mit einem Kreuz unterzeichnen. Hierauf wurde sie in ihr voriges Gefängniß zurück gebracht, wo sie auf immer bei Wasser und Brod bleiben sollte. Aber der unmenschlichen Wuth ihrer Verfolger war das nicht genug, sie sollte den martervollen Tod erleiden und es ward ihnen leicht, denselben herbeizuführen.

Johanna hatte bei ihrem Widerruf auch versprechen müssen, nie wieder Mannskleider anzulegen; aber man hatte, vielleicht um sie zur Untreue gegen dieses Versprechen zu reizen, die Mannskleider in ihrem Gefängniß gelassen. Als sie nun dennoch die Mannskleider anlegte, um den schamlosen Zudringlichkeiten der Soldaten zu entgehen, so galt dies als ein Rückfall in ihre vorige Ketzerei, und abermals wurde das Urtheil des Feuertodes über sie ausgesprochen. Bei Ankündigung desselben that sie einen Schrei des Entsetzens, sie jammerte, daß sie so grausam behandelt werden sollte. Aber das war auch der einzige Tribut, den sie der natürlichen Liebe zum Leben zollte. Bald kehrte ihr Glaubensmuth zurück und verherrlichte ihr schmerzvolles Ende. Am 30. Mai 1431, früh 9 Uhr, wurde sie mit einer Mütze, auf der die Worte »Abtrünnige und Ketzerin« zu lesen waren, auf den Altmarkt der Stadt Rouen geführt und dem weltlichen Arm übergeben. Auf dem Wege zum Scheiterhaufen sagte sie zu ihren Begleitern: »Noch heute werde ich durch Gottes Gnade im Paradiese sein!« Man ließ die Flamme nur langsam sich ihr nähern, um ihre Todesqual zu vermehren; noch lange hörte man, wie sie die Heiligen anrief, und der Name »Jesus« war der letzte, den man vernahm. Sie mochte fühlen, was der Dichter sie sagen läßt: »Kurz ist der Schmerz und ewig währt die Freude!« Ihre Asche wurde in die Seine gestreut, um ihr Andenken zu vertilgen.

Aber aus tiefer Herabwürdigung erhob sich ihr Andenken zu der verdienten Verherrlichung. Nach 24 Jahren gelang es ihren Verwandten, den Papst Kalixtus III. zu einer Prüfung ihres Prozesses zu bewegen. Bei der Untersuchung, die deshalb angestellt wurde, kam das ungerechte Verfahren der bösen Richter an den Tag. Sie wurde darauf (1456) zwar nicht für eine Heilige, aber für unschuldig, unsträflich und rechtgläubig erklärt. Nun wurden ihr zu Ehren in Rouen feierliche Umzüge veranstaltet und auf dem Platze ihrer Hinrichtung ward ein Kreuz errichtet und späterhin eine Ehrensäule. Aber noch schöner und für alle Zeiten bleibend hat die Dichtkunst ihren Ruhm verherrlicht.

 

3. Bayard, der Ritter ohne Furcht und Tadel († 1524).

 

1.

Pierre du Terrail, gewöhnlich der Ritter Bayard genannt, war der Sohn eines Edelmanns, der ein Schloß und ein mäßiges Gütchen in der Dauphiné besaß. Die Heldentugend schien erblich in diesem Geschlechte zu sein, denn Großvater und Urgroßvater des Ritters hatten ihr Leben auf dem Schlachtfelde geendigt. Auch Bayard, ein starker, muthiger Knabe, wiewohl fast immer von magerem und blassem Ansehen, kannte von Jugend auf kein anderes Vergnügen, als wilde Pferde zu tummeln, und keinen größeren Ehrgeiz, als der Bravste unter seines Gleichen genannt zu werden. Im 15ten Jahre nahm ihn sein Oheim, der Bischof von Grenoble, zu sich und ließ ihn in den Wissenschaften unterrichten. In seinen Freistunden waren wieder Fechten und Reiten seine einzige Erholung.

Nach einigen Jahren treuen Fleißes brachte ihn sein Oheim als Pagen an den Savoyischen Hof. Er war noch nicht lange in Chambery, als er schon wegen seiner ungemeinen Geschicklichkeit in Reiterkämpfen berühmt zu werden anfing. Bald darauf besuchte König Karl VIII. von Frankreich den Herzog von Savoyen, und da er ein Freund von solchen Künsten war, so ward ihm der junge Bayard bald bekannt, ja er mußte einmal zwei Stunden lang auf einer Wiese Karoussel reiten, woran sich der König gar nicht müde sehen konnte und wobei er rief: Piquez, piquez encore une fois! (Stecht nur noch ein Mal.)

Der Graf von Ligny, Karl's Günstling, glaubte dem König dadurch zu schmeicheln, daß er den herrlichen Pagen in seine Dienste nahm, und so kam Bayard nach Lyon. Hier wollte während der Anwesenheit des Königs ein Edelmann von Bourgogne, Herr von Baudrey, seine Stärke zeigen und bat den König um Erlaubniß, mit der Lanze, dem Schwert und der Streitaxt eine Probe ablegen zu dürfen, und als man es ihm bewilligt hatte, stellte er an einem öffentlichen Platze seinen Schild aus, wodurch er jeden waffenkundigen Edelmann herausforderte, sich mit ihm zu messen. Die stärksten Kämpfer meldeten sich, doch als auch der blasse, kaum 18jährige Bayard seinen Namen aufschreiben lassen wollte, trug man Bedenken, einen so schwächlich scheinenden Jüngling zuzulassen. Aber der König, ein Freund kühner Unternehmungen, munterte ihn selbst dazu auf, und siehe, als das Turnier begann und nach und nach die Stärksten besiegt waren, bekämpfte der schlanke Page jenen Riesen mit solcher Geschicklichkeit, daß ihm lauter Beifall zugerufen wurde. Die Verwunderung ging in Erstaunen über, als die Kämpfer zuletzt der Sitte gemäß mit aufgehobenem Visir vor den Damen vorüberritten und des Siegers jugendliches und kränklich scheinendes Antlitz sichtbar ward. Der König nahm ihn nun förmlich in seine Dienste, schenkte ihm ein Pferd aus seinem Stalle und etwas Reisegeld, und wies ihm einen Platz in einer Kompagnie Gensd'armes an, die zu Aire in Artois stand.

 

2.

Auch hier verbreitete sich bald der Ruf von seiner Tapferkeit, den er noch dadurch vermehrte, daß er unter den Edelleuten in Aire und den benachbarten Garnisonen kleine Turniere ausschrieb, in denen er gewöhnlich den Preis davon trug. Sein erster Kriegszug war derjenige, den Karl VIII. im Jahre 1494 nach Italien unternahm, um Neapel zu erobern. In dem Treffen wurden dem allzukühnen Bayard zwei Pferde unter dem Leibe getödtet. Er selbst focht hier zum ersten Male unter den Augen des trefflichen Ritters von Ars, dessen Feldherrnklugheit und Tapferkeit damals in Aller Mund lebte. Auch den Feldzug von 1499 zur Eroberung Mailands machten Beide zusammen. Als im folgenden Jahre die Mailänder das französische Joch wieder abwarfen und ihren Herzog Ludwig Moro zurückriefen, mußte der Marschall la Tremouille das Land noch einmal erobern und Bayard war wieder dabei.

Er hatte erfahren, daß 300 Mann von Ludwig Moro's Truppen, unter der Anführung des braven Hauptmann Cajazzo, in Binasko lägen, einem Flecken etwa anderthalb Stunden von Mailand. Sogleich besprach er sich mit etwa 50 seiner Kameraden, die seines Sinnes waren, und sie erhielten die Erlaubniß, ohne Anführer nach Binasko zu reiten, um gegen die 300 Italiener ihr Heil zu versuchen. Cajazzo, der von ihrem Anschläge Nachricht erhielt, rückte ihnen entgegen, und der fürchterlichste Kampf begann. Endlich sammelte Cajazzo seine Leute und zog sich ermüdet zurück. Da erst ward Bayard gewahr, daß sie sich kaum noch eine halbe Stunde von Mailand befänden. »Halloh!« rief er, »meine Freunde, meine Kameraden, der Sieg ist unser!« und sogleich griffen Alle die Italiener noch einmal an, die sich indessen auf's Neue geordnet hatten. Auch diesen Angriff hielten Cajazzo's Truppen nicht lange aus, vielmehr suchte sich Jeder, dessen Pferd noch Kraft genug zum Laufen hatte, in die Stadt zu retten. Vergebens rief der brave Cajazzo sie zum Stehen auf, der Tumult ward allgemein und Italiener und Franzosen stürzten in buntem Gewühl auf das Thor zu. Erst dicht vor dem Schlagbaume machten die Letzteren Halt, doch der siegestrunkene Bayard ritt mit hinein und besann sich nicht eher, als bis er vor dem fürstlichen Schlosse hielt. Hier starrte er wie bezaubert vor sich hin, und in Gefahr, von Bürgern, Soldaten und Weibern mit Steinen todt geworfen zu werden, sah er keinen andern Ausweg, als sich Cajazzo zu ergeben. Doch dieser räumte ihm achtungsvoll seine Wohnung ein und lud ihn zum Abendessen beim Herzog, der aus seinem Fenster den ungleichen Kampf des kühnen Ritters mit angesehen hatte.

»Herr Ritter,« redete Ludwig Moro ihn an, »was hat Euch hierher gebracht?« – »Die Lust zu siegen!« antwortete Bayard. – »Aber glaubtet Ihr denn, Mailand allein einzunehmen?« – »Nein, gnädiger Herr, ich glaubte mich von meinen Kameraden begleitet.« – »Auch mit diesen wäre ja das nimmermehr möglich gewesen.« »Es ist wahr,« sagte Bayard bescheiden, »auch sind sie klüger gewesen, als ich, und dafür sind sie frei, und ich gefangen. Doch immerhin, ich bin ja der Gefangene des bravsten und großmüthigsten Mannes.« – Der Herzog erkundigte sich hierauf in einem etwas verächtlichen Tone nach der Stärke des französischen Heeres. »Wir zählen unsere Leute nicht,« antwortete Bayard, »allein, was ich Euch sagen kann, ist, daß die Soldaten meines Herrn lauter ausgesuchte Leute sind, vor welchen die Eurigen nicht Stand halten werden.« – Der Herzog versetzte darauf etwas empfindlich, der Ausgang werde in Kurzem das Gegentheil beweisen. – »Wollte Gott,« rief Bayard, »es käme morgen zur Schlacht und ich wäre frei!« – »Ihr seid es,« entgegnete der Herzog, »ich liebe Euern Muth und Eure Standhaftigkeit und bewillige Euch gern Alles, was Ihr noch sonst von mir verlangen wollt.« Durchdrungen von dieser unerwarteten Güte warf sich Bayard zu Moro's Füßen, bat, ihm in Erwägung seiner Ritterehre seine stolzen Antworten zu verzeihen, gelobte ewige Dankbarkeit und verlangte nichts, als sein Pferd und seine Waffen. Cajazzo ließ Beides auf der Stelle holen, worauf der Ritter sich empfahl, vor Ludwig's Fenster noch eine Lanze brach und dann nach kurzem Gruße lustig zum Thore hinaus ritt. Wenige Tage nachher endigte des Herzogs Gefangenschaft den Krieg.

 

3.

Bald nach seiner Krönung zog der junge König Franz I. wieder nach Italien, von Bayard begleitet. Die zweitägige Schlacht von Marignano ward gewonnen und setzte den König in den Besitz von Mailand. Am Abend des ersten Tages ward Bayard's Rüstung ganz durchlöchert und zuletzt bekam auch sein Pferd einen Hieb, durch den es seine eiserne Kopfbedeckung sammt dem Gebiß verlor. Das freigewordene Thier, wild gemacht durch die Wunde, trug nun seinen Herrn mitten in einen schweizerischen Schlachthaufen hinein, wo er seinen Tod vor Augen sah, ohne ihm entfliehen zu können. Aber das Glück wollte es, daß man ihn nicht erkannte, und dies war um so leichter, da es schon dämmerig war. Endlich stand sein Pferd, nahe bei den Schweizern, unter einem breitastigen Baume still, der nach italienischer Sitte mit Weinreben umschlungen war. Er stieg vorsichtig ab, warf die schwere Rüstung von sich, ließ das müde Pferd stehen und schlich nach der Seite hin, wo er seine Landsleute vermuthete. Wenn er ein Geräusch hörte, warf er sich nieder, und kroch auf den Händen fort. Nachdem er sich im Finstern mehrere Stunden lang durch Gräben, Sümpfe und Gesträuch mühsam durchgearbeitet hatte, hörte er endlich zu seiner Freude in einiger Entfernung »Frankreich« rufen. Das verdoppelte seine Anstrengung, bis er zuletzt ganz erschöpft bei den französischen Vorposten ankam. Der Herzog von Lothringen schenkte ihm sogleich ein Pferd. Andere brachten ihm Waffen und nach einigen Stunden erquickenden Schlafs war er wieder einer der Ersten im Steigbügel.

Erst dieser zweite Tag entschied die Schlacht. Der junge König Franz war so freudetrunken über diesen ersten Sieg, und der Anblick so vieler Krieger, die für ihn an seiner Seite so muthig gekämpft hatten, begeisterte ihn so, daß er nach vielen Danksagungen gegen seine Offiziere das Verlangen äußerte, hier auf dem Schlachtfelde in der Mitte der Helden nach alter Weise zum Ritter geschlagen zu werden. Darauf wandte er sich an Bayard und sagte: »Ich kenne Niemand in dem Heere, der so allgemein geschätzt würde, als dieser Ritter; ich will die öffentliche Stimme in ihm ehren. Ja, Bayard, lieber Freund, von Eurer Hand will ich heute zum Ritter geschlagen werden, weil Derjenige, der sich in so vielen Schlachten und Kämpfen immer als einen vollkommenen Ritter gezeigt hat, am meisten dazu berechtigt ist, Andere zu Rittern zu machen.« Bescheiden blickte Bayard auf die anwesenden Fürsten und Herren und erwiderte, eine solche Ehre komme nur ihnen zu und er werde es nie wagen, sie in ihrer Gegenwart anzunehmen. Umsonst; sie selber munterten ihn dazu auf. Noch immer zögerte er beschämt. Ein König – sagte er – sei ein geborener Ritter. »Nichts, nichts!« rief der König, »ich verlange es!«

»Nun wohlan denn, Sire!« entgegnete Bayard, »und wenn's mit Einem Male nicht genug wäre, würde ich's tausend Mal thun, um nicht dem Willen meines Herrn zu widerstreben.« Hierauf kniete der König nieder, Bayard zog sein Schwert, schlug ihn mit der flachen Klinge sanft auf den Rücken und sagte dazu ganz unvorbereitet: »Sire! Es sei so gut, als ob es Roland wäre, oder Oliver, oder Gottfried von Bouillon. Wahrlich, Ihr seid der erste Fürst, den ich zum Ritter schlage. Der Himmel gebe, daß Ihr im Kriege nie die Flucht nehmet.« Das war die glücklichste Stunde in Franzen's und Bayard's Leben. Schon unter den eben gesprochenen Worten waren dem Letztern die Thränen aus den Augen gestürzt; dann blickte er mit kindlicher Freude auf sein Schwert und rief im herzlichsten Tone: »Auch du, mein lieber Degen, du bist wohl recht glücklich, einem so tugendreichen und mächtigen Könige heute den Ritterschlag gegeben zu haben. Dafür will ich dich auch als Reliquie aufheben und vor allen Schwertern ehren; nie will ich dich anders führen, als gegen Sarazenen und Mauren.«

 

Beschaffenheit des Ritterthums.

 

1.

Die Ritter bildeten einen besonderen Stand. Religion, Ehre, Tapferkeit und Hochachtung gegen das weibliche Geschlecht waren die drei Haupttugenden der Mitglieder. Die, welche ritterbürtig heißen wollten, mußten anfangs durchaus dem Adelstande angehören, wenigstens vier Ahnen aufzuweisen haben und ansehnliche Güter besitzen. Erst in der Folge konnten ehrenwerthe Kriegsmänner überhaupt, ohne Rücksicht auf Herkunft und Reichthum, die Ritterwürde erlangen; ja im dreizehnten Jahrhundert wurde manchmal auch denen, die bürgerliche Gewerbe trieben, ritterliche Ehre zugestanden.

Zur Erlangung der Ritterwürde gehörte gewöhnlich eine lange Vorbereitung und eine feierliche Aufnahme. Schon in seinem siebenten Jahre wurde der Knabe, der einst Ritter werden sollte, aus dem väterlichen Schlosse auf die Burg eines angesehenen Ritters gebracht, wo er als Page oder Edelknabe aufwartete und die ersten Reiterkünste erlernte. Im vierzehnten Jahre seines Alters wurde er wehrhaft gemacht, d. h. vor dem Altar mit dem Wehrgehänge umgürtet. Hiermit trat er in den Stand der Knappen. Nun mußte er die früher begonnenen Roß- und Kampfübungen weiter fortsetzen und dem Ritter, dem er diente, immer zu Händen sein. Er mußte dessen Stall und Rüstung unter Aufsicht nehmen, mußte ihm das Streitroß vorführen, mußte ihn zu allen Kämpfen begleiten, im Gefechte hinter ihm halten und ihn bei feierlichen Gelagen und in vertraulichen Kreisen bedienen. Eine gelehrte Bildung erhielt er nicht; sehr wenige Ritter konnten schreiben. Nur für Ritterehre und Ritterpflicht suchte man sein Gemüth zu begeistern, und dazu schien hinreichend der Dienst, den er leistete, das Beispiel, das ihm voranleuchtete, und Alles, was er an den Rittertafeln von bestandenen Abenteuern und Heldenthaten hörte. Doch ertheilte man ihm bisweilen auch besondere Aufgaben, um ihn zum Gehorsam oder zur Ehrerbietung gegen edle Frauen zu gewöhnen. Manche dienten ihr ganzes Leben hindurch als Knappen; gewöhnlich aber wurde der Knappe nach sieben Jahren, also im 21sten Jahre seines Alters, unter die Ritter aufgenommen.

Diese Aufnahme geschah immer in Gegenwart von Zeugen, aber bald mit, bald ohne große Feierlichkeiten. Wurde z. B. ein ausgezeichneter Kriegsmann nach einem gewonnenen Siege unter die Ritter aufgenommen, so geschah dies blos durch einen Ritterschlag. Ganz anders aber war die feierliche Aufnahme. Da bereitete sich der Knappe durch Baden, Fasten, Beten, Genuß des heiligen Abendmahls und Wachen in einer Kirche dazu vor. Kam dann der feierliche Tag, so mußte er, angethan mit einem weißen Gewande und umgeben von Zeugen oder Pathen vor seinem Erhörer, d. h. demjenigen, der ihm die Ritterwürde ertheilen wollte, erscheinen und knieend um Ertheilung derselben bitten. Hierauf ließ ihn der Erhörer nach einer vorausgeschickten Ermahnung den Rittereid schwören, der die allgemeinen Ritterpflichten umfaßte, und ertheilte ihm dann unter Anrufung Gottes den Ritterschlag, entweder einen Backenstreich oder gewöhnlich drei Schläge mit dem flachen Schwerte auf den Hals oder die Schultern – vielleicht eine Andeutung, daß dies die letzte Beleidigung sei, die er gesetzmäßig dulden dürfe. Geschenke an das Volk und die Kirchen, ferner Ritterspiele, Schmausereien und Ball schlossen gewöhnlich die Feier eines solchen Festes. Auch ertheilte wohl der neue Ritter, als ein Zeichen seiner nunmehrigen Befugniß, den Ritterschlag.

Als Graf Wilhelm von Holland, erst zwanzig Jahre alt, im Jahr 1247 in der Gegend von Köln zum deutschen König erwählt worden war, ohne noch seiner Jugend willen die Ritterwürde erlangt zu haben, ließ er sich gleich nach seiner Wahl in Köln zum Ritter schlagen. Die dortige Kirche ward zu dieser Festlichkeit eingerichtet. An dem bestimmten Tage führte der König von Böhmen, Ottokar I., den Grafen Wilhelm als Knappen zu dem Kardinal Petrus, der im Festgepränge seiner Würde am Altare Messe las, indem er ihn folgendermaßen anredete: »Eurer Herrlichkeit, gütiger Vater, stellen wir diesen auserwählten Knappen vor, bittend, Eure väterliche Liebe möge sein Gelübde annehmen, damit er unserm Ritterstande würdig beigesellt werde.« Der Kardinal stellte nun dem Knappen die Pflichten eines Ritters vor. »Wer Ritter sein will,« sprach er, »muß hochherzig, adelig, wacker sein, hochherzig im Unglück, adelig von Geblüt, wacker als Mann. Ehe du nun dein Gelübde ablegst, so höre mit Nachdenken die Forderung der Ritterregel. Das aber ist Ritterregel: »Zuerst mit andächtiger Erinnerung an die Leiden unseres Herrn täglich die Messe zu hören; dann für den katholischen Glauben täglich Gefahren zu bestehen, die heilige Kirche sammt ihren Dienern von jedem Wütherich befreien, die Wittwen, Waisen und Unmündigen in ihren Drangsalen zu beschützen, ungerechte Kriege zu vermeiden, für die Errettung jedes Unschuldigen in den Kampf zu gehen, die Turniere nur ritterlicher Uebungen willen zu besuchen, dem römischen Kaiser ehrerbietig in weltlichen Dingen zu gehorchen, die Lehnsgüter des Kaiser- und Königthums nicht zu veräußern und untadelig vor Gott und Menschen in dieser Welt zu leben. Wirst du diese Ordnungen der Ritterregel gebührend beobachten und nach Kräften genau erfüllen, so wisse, daß du zeitliche Ehre hier aus Erden und nach diesem Leben ewige Ruhe im Himmel erwirbst.« Nach diesen Worten legte der Kardinal beide Hände des Knappen auf das Evangelienbuch und sprach: »Willst du also dem Ritterstand im Namen des Herrn gebührend beitreten und die Regel, die ich dir wörtlich vorgelegt habe, so viel du kannst, erfüllen?« – »Ich will es,« erwiederte der Knappe. Darauf gab ihm der Kardinal folgendes Bekenntniß, welches der Knappe laut und öffentlich ablas: »Ich, Wilhelm, Graf von Holland, Heerführer und des heiligen Reiches freier Vasall, bekenne eidlich Beobachtung der Ritterregel in Gegenwart meines Herrn, des Kardinals und apostolischen Gesandten Petrus, bei diesem Evangelienbuch, das ich mit meiner Hand berühre.« – »Dieses fromme Gelöbniß,« fügte der Kardinal hinzu, »sei dir eine Erlassung deiner Sünden, Amen!«

Hier führte der König von Böhmen den Ritterschlag gegen den Hals des Knappen unter folgenden Worten: »Zur Ehre des allmächtigen Gottes weihe ich dich zum Ritter und nehme dich mit Freuden in unsere Zunft. Aber merke es dir, da der Heiland der Welt für dich vom Hohenpriester Hannas Backenstreiche empfangen hat, vom Landpfleger Pilatus aber verhöhnt, gegeißelt und mit Dornen gekrönt, vom König Herodes mit einem Schleppgewand angethan und vor allem Volk nackt und verwundet an's Kreuz geschlagen worden ist, so rathe ich dir, an seine Schmach zu denken, sein Kreuz auf dich zu nehmen und seinen Tod zu rächen.« Als nun dies Alles sammt der Messe vollendet war, vollzog der neue Ritter unter dem Geschmetter der Trompeten und Pauken mit dem Sohne des Königs von Böhmen erst ein dreimaliges Lanzenstechen, dann eine Waffenprobe mit blitzenden Schwertern. Auch hielt er mit großen Kosten drei Tage Hof und machte unter reichlichen Geschenken an die Fürsten seine Erhebung kund.

Die Waffen, mit denen ein neuerkorener Ritter geschmückt wurde, waren Schwert, goldene Sporen, Helm und Harnisch, Schild und Lanze, Streitkolben und Dolch. Alle diese Waffen haben eine symbolische Bedeutung erhalten. So war das Schwert als Kreuz gestaltet, ein Zeichen, daß der Ritter Gerechtigkeit schützen und handhaben, der Dolch (ein kurzes Schwert, Misericorde genannt, wozu der Ritter griff, wenn Schwert und Lanze nicht mehr ausreichten) sollte auf die Barmherzigkeit Gottes hindeuten.

Pflichtvergessene Ritter zogen sich nicht nur die öffentliche Verachtung zu, sondern konnten auch ihrer Würde entsetzt werden. Dagegen genossen die Ritter, welche den beschworenen Pflichten treu blieben, hohe Achtung und vielerlei Rechte. Ihr Wort galt statt des Eides; sie durften nur von Rittern gerichtet werden, durften nach vorausgegangener Ankündigung Andere befehden, durften den Knappen die Ritterwürde ertheilen, Ritter und Knappen in ihrem Gefolge haben, an Höfen und Turnieren erscheinen, goldene Sporen tragen, ihren Harnisch, Helm und Schild mit Gold auszieren, Wetterfahnen auf den Thürmen und Helmzierden über den Thoren ihrer Burgen aufstellen. Auch führten sie den Titel »Herr,« den sie ihrem Namen vorsetzen durften, während jeder Andere von hohem Adel, der nicht Ritter war, nur »Jungherr« oder »Junker« hieß.

 

2.

Zur Ausbildung und Befestigung des Ritterthums trugen die glänzenden Waffenspiele und Ritterfeste, »Turniere« genannt, vorzüglich bei. Wie sie entstanden, ist ungewiß. Die Reiterübungen, welche Heinrich I. veranstaltete, um seine Deutschen zum Kampf gegen die gefürchteten Ungarn vorzubereiten, waren noch keine Turniere, obschon sie denselben zur Vorschule dienen konnten; ja, als ein Vorspiel derselben konnte man schon den Waffentanz, den deutsche Jünglinge nackt zwischen bloßen Schwertern vollführten, betrachten. Die eigentlichen Turniere (vom französischen tourner, drehen, wenden) kamen in Frankreich auf, und zwar im 11. Jahrhundert, als schon das Ritterthum sich gebildet hatte. Erst während der Kreuzzüge wurden sie in Deutschland unter Friedrich I. und in England durch Richard Löwenherz eingeführt.

Ein Turnier wurde von regierenden Fürsten oder von der ganzen Ritterschaft eines gewissen Distriktes veranstaltet; gewöhnlich bei großen Städten, im Anfange des Frühlings oder Spätherbstes. Auserwählte Turniervögte oder Turnierwächter, gewöhnlich angesehene Ritter, mußten die dazu nöthigen Vorbereitungen treffen, was man Turnierlegen nannte. Sie mußten Ort und Zeit lange vorher dem turnierfähigen Adel verkünden lassen; sie mußten vor der Stadt, wo das Turnier abgehalten werden sollte, den Turnierhof einrichten, mit doppelten Schranken für die Turnierer und mit Gerüsten für die Frauen und andere Zuschauer; in der Stadt aber einen Tanzsaal bestellen und den Rath der Stadt um Herberge und Bewirthung der Turnierer ansprechen, denn oft war die Anzahl der Hinzuströmenden sehr groß. So waren z. B. (wie Rüxners Turnierbuch meldet) bei dem Turnier, das Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1198 zu Nürnberg hielt, außer dem Kaiser 13 Fürsten, 29 Grafen, 13 Freiherren, 68 Ritter, 497 Edle, zusammen 620, »die alle in diesem Turniere selbst geritten, ohne andere Grafen, Ritter und Adelige, die als Diener der Fürsten auf bemeldetem Turnierhof gewesen sind und turniert haben.« »Desgleichen waren hier 7 Fürstinnen, 15 Gräfinnen, 6 Landfrauen und 148 geschmückte Frauen und Jungfrauen von Adel.« Vorzüglich drängten sich junge Ritter zu den Turnieren, weil sie hier vor den Augen der edelsten Geschlechter Gelegenheit fanden, ihren Ruhm zu gründen oder zu befestigen.

Wenn nun an dem bestimmten Tage die Turnierer eingezogen waren, so wurde am folgenden Tage zur Besetzung der Turnierämter geschritten. Denn außer den Turniervögten gab es daselbst Herolde, deren Oberhaupt der Wappenkönig hieß, Ehrenritter und Ehrenknappen für die Frauen, von denen einer ein Gewand an seinen Lanzenschaft bekam, um es auf den Ritter zu senken, dem die Frauen in mißlichem Kampfe Schonung angedeihen ließen; dann Grieswärtel, die auf dem Gries oder Kampfplatze die allzuheftigen Kämpfer auseinander zu bringen hatten; endlich Prügelknechte zu Bestrafung der Unwürdigen und um das Volk in Ruhe zu halten.

Waren die Turnierämter besetzt, so folgte die Helmschau. Die Turnierer ließen ihre Helme und Paniere an einem öffentlichen Orte, gewöhnlich dort, wo die Turniervögte wohnten, aufstellen; Frauen und Jungfrauen aber nahmen, von Ehrenrittern und Herolden geführt, die aufgestellten Kleinodien in Augenschein. Drei oder vier Mal zogen sie durch die Reihen derselben, und bei jedem Helm rief ein Herold den Namen des Ritters, dem selbiger angehörte.

Verbunden mit dieser Helmschau war die Prüfung der Turnierfähigkeit. Turnieren durfte nämlich nur ein Ritter, der wenigstens vier Ahnen aufzuweisen und seinen Adel nicht durch Mißheirath oder durch unedles Betragen entehrt hatte. Fand sich nun, daß ein Ritter diesen Bedingungen nicht entsprochen hatte, so wurde er nach dem Ausspruche der Turniervögte des Turnierens für unfähig erklärt und mit Hohn und Spott zurückgewiesen. Sein Helm wurde auf die Erde geworfen oder das Pferd ihm genommen. Nur die Fürbitte der Frauen konnte sein Schicksal erleichtern.

An die Helmschau schloß sich endlich auch die Helmtheilung. Es wurde nämlich bestimmt, ob die Ritter zu Einem Kampfe oder zu mehreren abgesondert werden sollten, und in welcher Ordnung die einzelnen Paare mit einander kämpfen sollten. Auf deutschen Turnieren wurden dann die Turniergesetze verlesen und der Turniereid geschworen. Durch diesen verpflichtete sich jeder Ritter, nicht mit einem bissigen oder schlagenden Pferde in den Schranken zu erscheinen; keine andern als landesübliche Waffen zu führen; mit dem Schwerte nur zu hauen, nicht zu stechen; die Hiebe nicht gegen den Unterleib, sondern gegen den Oberleib, der mit dem eisernen Harnisch, oder gegen das Gesicht, welches mit dem eisernen Visir geschützt war, zu führen.

War dies Alles beendigt, so ward am folgenden Tage das Turnier selbst vollzogen. Die Zuschauer, welche an Pracht und Aufwand einander zu übertreffen suchten, nahmen die für sie bestimmten Plätze ein; die Damen, feierlich geschmückt, bildeten einen schönen Kranz. Im feierlichen Zuge mit Trompetern und Pfeifern kamen die Turnierbeamten daher; endlich verkündete das Geschmetter der Trompeten und das Wirbeln der Pauken die Ankunft der Ritter. Auf schnaubenden Rossen, in strahlender Waffenrüstung, mit wehenden Helmbüschen ritten sie in stattlichem Zuge stolz in die Schranken bis an die aufgespannten Seile. Sobald die festgesetzte Stunde ausgeschlagen hatte, wurden die Schranken geschlossen, die Seile durchgehauen. Ein Herold kündigte das Lanzenstechen an und rief mit lauter Stimme diejenigen mit Namen auf, welche sich zuerst mit einander versuchen sollten. Zuweilen erschien wohl auch noch ein Ritter mit geschlossenem Visir, der unbekannt bleiben wollte bis zu Ende des Festes. Ein solcher wurde aufgerufen nach seinem Wappenschilde, z. B. Löwenritter, Drachenritter. Doch mußte er zuvor unter dem Siegel der Verschwiegenheit dem Turniervogt seinen Namen nennen, damit kein Unritterlicher und Unebenbürtiger sich zudränge.

Alles ist still und stumm vor Erwartung. Da geben die Trompeter das Zeichen und auf ihren Schall tummeln die beiden Gegner ihre Rosse, mit eingelegter Lanze, in vollem Galopp, sprengen sie auf einander los. Die Spitze der Lanze steht über des Pferdes linkes Ohr hinaus, das Ende des Schaftes halten sie fest unter dem Arme. Wer gut trifft und fest im Sattel ist, wirft seinen Gegner entweder aus dem Sattel oder er zersplittert seine Lanze an dem stählernen Brustharnisch. Beides gilt als Sieg. Bleibt aber die Lanze des Gegners unversehrt, so ist das ein Zeichen, daß er entweder gar nicht oder nur schlecht getroffen hat. Oft auch vertauscht der Ritter seine gebrochene Lanze mit einer andern, und mancher bricht wohl fünfzig Lanzen an einem Tage. Nach dem ersten Kämpferpaare wird das zweite aufgerufen, dann das dritte und so fort, meist drei Tage lang, aber auch Wochen lang.

In älteren Zeiten kämpften Haufen gegen Haufen, in späteren meist nur Mann mit Mann. Auf deutschen Turnieren schlug man erst mit Kolben gegen einander, dann, auf ein gegebenes Zeichen, ließ man die Kolben fallen, griff zu den Schwertern und suchte einander die Helmkleinodien abzuhauen Wenn der Ritter in voller Rüstung einherritt, bedeckte das vorgeschobene Visir das Gesicht, und es war unmöglich, ihn zu erkennen. Darum wählte er ein äußeres Abzeichen, das ihn kenntlich machte, z. B. einen Hirsch, Löwen, Wolf, Bär, Fuchs, seit den Kreuzzügen häufig das Bild des Kreuzes; diese Abzeichen kamen in vielerlei Gestalten auf die Schilde und hießen Wappen. Durch kühne und tapfere Thaten bekamen diese Schilde eine Geschichte und wurden mit Ehrfurcht angesehen; auch erbten sie fort vom Vater auf den Sohn. Damit man aber die verschiedenen Seitenlinien einer Familie, welche dasselbe Wappen führte, von einander unterscheiden konnte, so brachte man noch besondere Verzierungen, meist von Gold, am Helme an und nannte diese Kleinode.. Ueberall kam es darauf an, durch geschickte Wendungen mit dem Pferde die Hiebe und Schläge des Gegners abzuwehren und dagegen mit Kraft und Gewandtheit demselben Schläge oder Hiebe beizubringen.

Den Beschluß der Ritterspiele machte die Vertheilung des Dankes, d. h. des Preises. Dieser wurde nach dem Ausspruche der Kampfrichter demjenigen Ritter ertheilt, welcher sich am meisten ausgezeichnet hatte. Er galt ebensoviel als ein Sieg auf dem Schlachtfelde. Unter dem Schalle der Pauken und Trompeten wurde der Name des Siegers mit lauter Stimme ausgerufen. Dann nahete dieser sich ehrerbietig den Damen, welche den Dank vertheilten, und empfing auf den Knieen aus schöner Hand irgend ein theures Kleinod, eine goldene Kette, einen Helm oder ein Schwert oder einen Ring. Bisweilen überreichten die Frauen ihren Rittern als besondere Gunstbezeugung ein Band, eine Schleife oder ein Tuch; das trugen nun die Ritter beständig an ihrem Helme und unterließen nie, ihre Dame zu preisen und ihre Tugend und Schönheit gegen Jedermann zu behaupten. War die Preisvertheilung unter dem Klange der Musik beendigt, dann ward der Sieger feierlich unter großem Zulauf der Menge in das Schloß geführt. Hier empfingen ihn die Edelfrauen, nahmen ihm die schwere Rüstung ab und schmückten ihn mit den prachtvollsten Feierkleidern. Am Abend folgte ein kostbarer Schmaus und großer Ball. An der Tafel bekam der Sieger einen Ehrenplatz und wurde zuerst bedient; eröffnete auch am Abend den Ball.

 

3.

Die Turniere waren ein schönes und edles, aber auch ein sehr gefährliches Vergnügen. Oft fiel ein Ritter in seiner schweren Rüstung vom Pferde und war auf der Stelle todt. Mancher wurde von seinem Gegner tödtlich verwundet, wenn nicht getödtet. So hatte noch im Jahre 1559 der König von Frankreich, Heinrich II., das Unglück, einen Lanzenstich durch das rechte Auge zu erhalten und an der Wunde zu sterben. Oft sogar gebrauchten Ritter die Turniere als eine Gelegenheit, frühere Beleidigungen zu rächen, und alsdann glichen die Turnierplätze kleinen Schlachtfeldern. Im Jahre 1240 wurden auf dem Turniere zu Neuß unter Köln gegen sechzig Ritter und Knappen erschlagen oder von dem entsetzlichen Staube erstickt. Aus diesem Grunde eiferte die Geistlichkeit gegen die Turniere und versagte denen, welche darin gefallen waren, ein christliches Begräbniß.

Auf ihren Burgen lebten übrigens die Ritter wie kleine Könige, in Reichthum, Pracht und heiterem Lebensgenusse. Ein Fest drängte das andere. Beim Becherklang ergötzten sie sich an den Erzählungen ihrer Großthaten. Andere, welche kein Eigenthum besaßen, zogen mit ihren Knappen zu Roß von Land zu Land, schmauseten bei andern Rittern und gingen, wie einst die griechischen Helden Herkules, Jason, Theseus, auf Abenteuer aus. Diese nannte man »fahrende Ritter.« Bald kamen wunderbare Erzählungen auf von Abenteuern und Heldenthaten, welche diese Ritter vollbracht haben sollten. Der eine hatte gegen Zauberer, der andere gegen fürchterliche Riesen, der dritte sogar gegen feuerspeiende Drachen gekämpft.

Manche Ritter vergaßen aber die Würde ihres Standes so sehr, daß sie fast nur von Streit und Fehde, von Raub und Plünderung lebten. Da hingen an Bergen und Felsen hundert und hundert trotzige Burgen, die wie eine große Sklavenkette sich durch das ganze Land zogen. Aus ihren Raubnestern machten die Ritter mit ihren Reisigen Ausfälle, überfielen den armen, wehrlosen Wanderer, den Bauer und den Städter, warfen die Knechte der Kaufleute nieder und führten den Raub frohlockend mit sich auf ihre Burg. Auch an den Felsenufern der Flüsse erhoben sich drohend ihre Schlösser und Burgen und die vorüberfahrenden Schiffe mußten harten Zoll erlegen. In den häufigen Fehden der Ritter untereinander wurden nicht selten die blühendsten Saatfelder von den Hufen der wilden Streitrosse zertreten. Die Kaiser waren schwach und vermochten selten dem Uebermuthe der Adeligen mit kräftigem Arme zu steuern. Das waren die traurigen Zeiten des Faustrechts, wo derjenige Recht behielt, der die Gewalt besaß.


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