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IV. Rudolph und Albrecht.

 

1. Rudolph von Habsburg (1273 n. Chr.).

 

1. Der fromme Graf. Nach der Chronik von Aegidius Tschudi.

Graf Rudolph von Habsburg ritt einmal mit seinen Dienern auf's Waidwerk zum Beizen und Jagen, und wie er in eine Aue kam, er allein mit seinem Pferde, so hörte er eine Schelle klingen. Er ritt dem Getön nach durch das Gesträuch, zu erfahren, was da wäre. Da fand er einen Priester mit dem hochwürdigen Sakrament und seinen Meßner, der ihm das Glöcklein vortrug; da stieg Graf Rudolph von seinem Pferde, knieete nieder und bewies dem heiligen Sakramente seine Verehrung. Nun war es an einem Wässerlein und der Priester stellte das heilige Sakrament neben sich, fing an, seine Schuhe auszuziehen, und wollte durch den Bach, der sehr angeschwollen, hindurchwaten, denn der Steg war durch Anwachsen des Wassers hinweggerissen. Der Graf fragte den Priester, wo er hinauswolle. Der Priester antwortete: »Ich trage das heilige Sakrament zu einem Siechen, der in großer Krankheit liegt, und da ich an das Wasser gekommen, ist der Steg hinweggerissen, muß also hindurchwaten, damit der Kranke nicht verkürzt werde.«

Da hieß Graf Rudolph den Priester mit dem hochwürdigen Sakramente auf sein Pferd sich setzen und damit bis zum Kranken reiten, damit er nicht versäumt werde. Bald kam der Diener einer zum Grafen, auf dessen Pferd setzte er sich und ritt der Waidlust nach.

Da nun der Priester wieder heim kam, brachte er selber dem Grafen Rudolph das Pferd wieder mit großer Danksagung für die Gnade und Tugend, die er ihm erzeigt. Da sprach Graf Rudolph: »Das wolle Gott nimmer, daß ich oder meiner Diener einer mit Wissen ein Pferd besteige, das meinen Herrn und Schöpfer getragen hat. Dünket Euch, daß Ihr's mit Gott und Recht nicht haben möget, so bestimmt es zum Gottesdienst, denn ich habe es dem gegeben, von dem ich Leib, Seele, Ehre und Gut zu Lehen habe.« Der Priester sprach: »Herr, so wolle Gott Ehre und Würdigkeit hier in Zeit und dort in Ewigkeit Euch schenken.«

Am folgenden Morgen ritt Rudolph in ein Kloster. Dort sagte ihm die Klosterfrau: »Darum wird Gott der Allmächtige Euch und Eure Nachkommen hinwiederum begaben und sollet fürwahr wissen, daß Ihr und Eure Nachkommen zu höchster zeitlicher Ehre gelangen werdet!«

Der Priester wird Kaplan des Erzbischofs von Mainz und hat ihm und anderen Herren von solcher Tugend, auch von der Mannheit des Grafen Rudolph so rühmend gesprochen, daß sein Name im ganzen Reich bekannt und berühmt ward, so daß er nachmals zum römischen König erwählt wurde.

 

2. Rudolph wird zum König erwählt.

Während Rudolph Basel belagerte (1273), empfing er die Nachricht von seiner Erhebung auf den deutschen Thron. Er selbst war durch das Unerwartete überrascht und noch mehr seine Feinde. Unwirsch schlug sich der Bischof von Basel vor die Stirn und rief: »Sitze nur fest, Herr Gott, oder Rudolph wird deinen Platz einnehmen.« Die baseler Bürgerschaft aber machte sogleich mit ihm Frieden, öffnete ihm die Thore und leistete ihm den Eid der Treue. Er ging darauf nach Mainz, wo er die Reichsinsignien in Empfang nahm bis auf das Reichsscepter, das in den Zeiten der Verwirrung abhanden gekommen war; dann zog er nach Aachen, wo er von dem Erzbischof von Köln feierlichst gekrönt wurde (3. Nov. 1273). Gleich darauf forderte er die deutschen Fürsten auf, ihm wegen der Lande, die sie vom Reiche zu Lehen trugen, zu huldigen. Viele der anwesenden Fürsten suchten sich dieser Aufforderung zu entziehen, weil, wie sie sagten, das Reichsscepter fehlte, auf welches diese Huldigung gewöhnlich geleistet wurde. Aber mit der Geistesgegenwart, die überall eingreifend wirkt, ergriff Rudolph ein nahes Kruzifix, hob es in die Höhe und sprach: »Dieses Zeichen, das die Erlösung bedeutet, mag wohl das Scepter ersetzen und es soll mir zum Scepter dienen gegen Alle, die mir und dem Reiche treulos sind!« Darauf reichte er das Kruzifix den Fürsten hin. Sie küßten es und leisteten darauf die verlangte Huldigung.

 

3. Wie Rudolph Ordnung schafft.

Die kaiserlose Zeit war eine schreckliche Zeit gewesen für das arme Deutschland; kein Recht und keine Sitte hatte mehr gegolten, nur das Faustrecht hatte geblühet. Rudolph zog nun selbst gegen die Raubritter aus und schleifte ihre Burgen. In Thüringen allein schleifte er sechzig solcher Raubnester. Die adeligen Räuber ließ er insgesammt hängen. Den Zollaufsehern schrieb er: »Ich höre, daß ihr Reisende zu ungebührlichen Abgaben zwingt und unerträgliche Lasten ihnen auflegt; aber ich sage euch, haltet eure Hände rein von ungerechtem Gut und nehmet nur, was euch zukommt, denn ihr sollt wissen, daß ich mit aller meiner Macht mich bestreben werde, Gerechtigkeit zu üben und Ordnung und Ruhe zu erhalten.« Den trotzigen Herzog von Niederbaiern und die Grafen in Schwaben und Burgund zwang er mit den Waffen in der Hand zur Unterwerfung. Aber vor Allem richtete er seine Macht gegen den mächtigen, stolzen und kampflustigen Ottokar, König von Böhmen und Mähren und Herrn von Oestreich, Steiermark, Kärnthen und Krain. Dieser war ergrimmt, daß er nicht zum deutschen König erwählt worden war, und wollte dem neuen Kaiser nicht huldigen. Dreimal forderte ihn Rudolph auf, vor ihm zu erscheinen und den Lehnseid abzulegen; aber Ottokar kam nicht. Da griff Rudolph zum Schwerte und zog mit Heeresmacht gegen den Widerspenstigen aus. Auf dem Marchfelde, einige Meilen von Wien, kam es im Jahre 1278 zur entscheidenden Schlacht. Auf beiden Seiten wurde mit gleicher Erbitterung und gleicher Tapferkeit gefochten. Selbst des Kaisers Leben kam in Gefahr. Ein polnischer Ritter sprengte in wildem Ungestüm mitten durch die feindlichen Schaaren gerade auf Rudolph zu und hatte schon dessen Pferd niedergestoßen, als noch zum Glück habsburgische Reiter herbeieilten und ihren Herrn aus der nahen Gefahr erretteten. Ottokar selbst focht an der Spitze der Seinigen mit einer Tapferkeit, die ein besseres Schicksal verdient hätte. Allein das Glück verließ ihn, seine Schaaren wichen überall zurück, er selbst ward im Gedränge niedergestoßen. Zwei steiermärkische Ritter, die er einst hart behandelt hatte, versetzten ihm den Todesstreich. Sein Leichnam ward nachher in der Prager Schloßkapelle beigesetzt. Auf der Wahlstatt fand man auch noch jenen polnischen Ritter schwer verwundet, und wollte ihn seinen Frevel mit dem Tode büßen lassen, aber Rudolph sprach: »Das wolle Gott verhüten! Einen so herzhaften Ritter tödten, hieße dem ganzen Reiche einen unersetzlichen Schaden zufügen!« und ließ ihn auf das Sorgfältigste pflegen. Ebenso großmüthig zeigte er sich auch gegen Ottokar's unmündigen Sohn, dem er das Königreich Böhmen ließ. Die östreichischen Länder aber gab er mit Bewilligung der Kurfürsten seinem Sohne Albrecht, und wurde so der Stammvater des östreichischen Hauses. Bei so großer Macht verschmähte Rudolph den Prunk der römischen Kaiserkrone; er ging nicht nach Italien, wie seine Vorfahren, welche die Kraft deutscher Jugend der römischen Hinterlist opferten; er unternahm auch keinen Kreuzzug, wie Papst Gregor X. wünschte. Wohl aber brachte er mit starker Hand die königliche Macht in Ehren und die Gesetze wieder in Achtung. Darum sagte auch ein gleichzeitiger Schriftsteller, Volkmar: »Ruhe und Friede folgte auf Krieg und Zerrüttung. Der Landmann nimmt den Pflug wieder zur Hand, der lange Zeit ungebraucht im Winkel lag; der Kaufmann, der aus Furcht vor Räubern zu Hause blieb, durchreiset jetzt das Land mit großer Sicherheit und die Räuber und Bösewichter, die zuvor öffentlich und ohne Scheu herumschwärmten, suchen sich in wüste Gegenden zu verbergen.«

 

4. Rudolph's Sinnesart.

Rudolph verachtete allen eitlen Schimmer, alle Ueppigkeit und Weichlichkeit. Befand er sich mit seinen Kriegern auf dem Marsche, so schämte er sich nicht, seinen zerrissenen grauen Rock selbst auszubessern, und fehlte es an Lebensmitteln, so war er der Erste, welcher eine Rübe aus den Aeckern zog, um seinen Hunger damit zu stillen. Nie vergaß er auf dem Throne, daß er Mensch sei. Jedermann hatte Zutritt zu dem menschenfreundlichen Herrscher. Einst, da die Wache einen gemeinen Mann, der ihn zu sprechen wünschte, nicht zu ihm lassen wollte, rief er ihr zu: »Ei, laß ihn doch herein! Bin ich denn zum Kaiser erwählt, daß man mich einschließe?«

Rudolph behielt bis in sein hohes Alter einen sehr lebhaften Geist, war ein Freund muntern Scherzes und machte bisweilen selbst ganz erfreuliche Späßchen. Einmal wurde er von einem Bettler mit den Worten angeredet: »Bruder Rudolph! Beschenke doch einen armen Mann mit einer kleinen Gabe!« – »Seit wann sind wir denn Brüder?« fragte ihn der Kaiser, dem diese Anrede von einem Bettler etwas Neues war. »Ei« – antwortete der Arme – »sind wir denn nicht alle Brüder von Adam her?« – »Du hast Recht,« sprach Rudolph, »ich dachte nur nicht gleich daran.« Mit diesen Worten langte er in die Tasche und drückte ihm einen Pfennig in die Hand. »Aber ein Pfennig ist doch für einen großen Kaiser gar zu wenig,« antwortete der Bettler. »Was« – entgegnete Rudolph – »zu wenig? Freund, wenn dir alle deine Brüder von Adam her so viel schenkten, als ich, so würdest du bald der reichste Mann sein.« Nach diesem brüderlichen Geschenke gab er ihm vermuthlich noch ein kaiserliches.

Da Rudolph meist sehr schlecht gekleidet ging, so wurde er oft verkannt und hatte manche, bisweilen ganz unangenehme Abenteuer. Er verzieh aber gern kleine Beleidigungen, die ihm unter solchen Umständen widerfuhren. Einst, da er sein Hoflager in der Nähe der Stadt Mainz hatte, kam er in seinem gewöhnlichen schlechten Anzuge in die Stadt. Es war ein kalter Morgen und ihm froren die Hände. Daher freuete er sich, daß eben glühende Kohlen aus einem Backofen geworfen wurden und trat hin, sich zu wärmen. Die Bäckerin aber, die eine böse Sieben war und ihn für einen gemeinen Kriegsknecht ansah, wollte das nicht leiden und machte gar keine Umstände mit ihm. »Marsch« – sagte sie – »troll dich fort, du schäbiger Hund, zu deinem Bettelkönig, der mit seinen Pferden und Knechten das ganze Land aufzehrt, oder wenn du nicht gleich gehst, gieße ich dir den Kübel Wasser über den Kopf!« Der Kaiser meinte, sie würde denn doch nicht so böse sein, lachte zu ihren Schimpfreden und blieb ruhig auf seinem Platze. Aber das keifende Weib führte ihre Drohung aus und goß dem vermeintlichen Kriegsknechte das ganze eiskalte Wasser über den Kopf. Rudolph eilte nun so schnell als möglich in das Lager zurück, um seine nassen Kleider zu wechseln und sich wieder zu erwärmen. Bei Tische erzählte er mit der ihm eigenen kurzweiligen Art sein Abenteuer und belachte es lange mit seinen Gästen. Dann nahm er eine Flasche Wein vom Tische und schickte sie sammt einer Schüssel voll der besten Speisen der unfreundlichen Frau, nach deren Namen er sich erkundigt hatte. »Geh,« sagte er dem Boten, »bring ihr das mit meinem Gruße und der alte Landsknecht, den sie diesen Morgen so freundlich getauft hätte, ließe sich für das frische Bad schön bedanken!«

Als die Bäckerin vernahm, wer der arme Kriegsknecht gewesen sei, wollte sie vor Schrecken in den Boden sinken. Sie lief eiligst in's Lager hinaus und warf sich dem Kaiser, der noch bei Tafel saß, zu Füßen. Rudolph aber hieß sie freundlich aufstehen und legte ihr keine andere Strafe auf, als daß sie vor allen anwesenden Herren ihre Schimpfreden wiederholen mußte. Kein Wort durfte sie vergessen und wo sie stockte, half ihr Rudolph nach, was einen höchst komischen Auftritt gab.

Bisweilen meinten des Kaisers Freunde, er sei allzugütig; doch Rudolph antwortete ihnen: »Es hat mich schon öfter gereut, daß ich zu strenge war: nie aber wird es mich reuen, daß ich zu gut gewesen bin!«

 

2. Albrecht I. und die freie Schweiz (1308 n. Chr.).

 

1.

Es war Rudolphen von Habsburg nicht gelungen, seinem Sohne Albrecht die Nachfolge auf dem deutschen Throne zu verschaffen, besonders auf Antrieb der geistlichen Kurfürsten wurde Graf Adolph von Nassau (1291-98) zum König gewählt. Als dieser aber eine bürgerfreundliche Politik befolgte, brachte er die Fürsten wieder sich auf, die ihm Rudolph's Sohn Albrecht von Oestreich entgegenstellten, welchem er im Treffen bei Göllheim erlag (1298). Albrecht I. war thätig, entschlossen und tapfer, wie sein Vater; er hielt das kaiserliche Ansehen aufrecht, befestigte den Landfrieden und zwang die Fürsten am Rhein, die Schifffahrt auf diesem Strome frei zu geben. Aber ihm fehlte seines Vaters Milde, Leutseligkeit und Freundlichkeit, und noch lange war das Wort im Munde des Volkes: »Der hat Rudolph's Biederkeit nicht!« Sein Vater hatte nicht blos Länder, sondern auch Herzen zu gewinnen gewußt. Albrecht wollte nur Länder besitzen und beherrschen. Rudolph hatte große Besitzungen in der Schweiz, und die mitten im Lande gelegenen drei Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden wählten ihn zu ihrem Schirmherrn; Kaiser Albrecht I. aber wollte die Unterwerfung schonungslos vollenden. Da sie ihre alten Gerechtsame sich nicht nehmen lassen wollten, setzte er Landvögte über sie, welche sie sehr hart bedrückten. Der eine dieser Landvögte hieß Beringar von Landenberg, der hatte zu Sarnen in Unterwalden seinen Sitz; der andere hieß Hermann Geßler von Bruneck und hauste zu Küßnacht in Schwyz. Um das Schweizervolk zu schrecken, ließ Geßler in Uri eine Veste bauen, die den Namen »Zwing Uri« führen sollte, und als er einst durch Steinen im Lande Schwyz ritt und das schön gezimmerte Haus sah, das Werner Stauffacher, ein angesehener biederer Landmann, sich erbauet hatte, sagte er mit verachtendem Hohne: »Kann man leiden, daß das Bauernvolk so schön wohnt?« Andererseits ließ Landenberg einem bejahrten Bauer zu Unterwalden, Heinrich von Melchthal, um einer geringen Ursache willen ein Gespann schöner Ochsen wegnehmen. Als der Greis über dies Verfahren jammerte, sagte des Vogtes Knecht: »Wenn die Bauern Brod essen wollen, so können sie selbst den Pflug ziehen.« Ueber diese Rede wurde der Sohn Arnold so aufgebracht, daß er mit seinem Stock den Knecht durchprügelte und ihm einen Finger zerbrach. Da mußte Arnold aus Furcht vor Landenberg's Zorn entfliehen; aber der Vogt ließ den alten Heinrich von Melchthal ergreifen und ihm beide Augen ausstechen.

 

2.

Arnold von Melchthal war zu Walther Fürst geflohen, der im Lande Uri zu Attinghausen wohnte und auch ein biederherziger Landmann war. Am andern Ende des Vierwaldstädtersee's wohnte Werner Stauffacher, der kam über den See gerudert, um seinem Freunde Walther Fürst das Leid zu berichten, das ihm die stolzen Worte des Vogtes erregt. Schon längst waren Boten an den Kaiser abgesandt, ihm die Noth des Landes zu klagen; aber diese waren gar nicht vorgelassen worden. Da meinten die drei Männer, es sei besser zu sterben, als ein so schmähliches Joch geduldig zu tragen. Sie reichten sich die Hand, in Noth und Trübsal treulich aneinander zu halten und mit Gottes Hülfe den Bund zu erneuern, den das Schweizer Volk schon begehrt hatte, als Rudolph gestorben war. Jeder der drei Männer ging nun aus, seine Verwandten und Landsleute zu erforschen. Da fanden sie Alle bereit, für die Ehre und Freiheit des Vaterlandes mannhaft zu streiten. Jeder hatte zehn seiner Vertrautesten zu gemeinsamem Rathe berufen. Diese kamen denn auch in einer Herbstnacht des Jahres 1307 in aller Stille auf dem Rütli, einer baumumkränzten Bergwiese am Vierwaldstädtersee, zusammen. Als nun die dreiunddreißig Männer versammelt waren, hoben sie ihre Augen auf zu den Sternen und dann reichten sie sich die Hände und schwuren zu Gott, mannhaftig ihre Freiheit zu behaupten, aber dabei dem Hause Habsburg nichts an Leuten und Gütern zu beschädigen. So schwuren die Eidgenossen, und ihren Schwur haben sie treulich gehalten.

 

3.

Inzwischen hatte Geßler in seinem Argwohn sich vorgenommen, die Herzen derer zu erforschen, welche seinem Regiment und dem Hause Oestreich am meisten abhold wären. Deshalb ließ er im Lande Uri den Herzogshut von Oestreich auf einer hohen Stange aufrichten mit dem Gebot, Jeder, welcher des Weges käme, müsse sich vor dem Hute neigen und demselben Ehrfurcht beweisen. Da kam Wilhelm Tell, ein Mann aus Bürglen in Uri, der auf dem Rütli mitgeschworen hatte, und weit und breit als ein tapferer Schütz bekannt war. Der weigerte sich, den Hut zu grüßen. Als der Vogt dies vernahm, kam er voll Grimm herzu, ließ den Tell greifen und that in seinem Uebermuth also mit ihm: Er ließ des Tell's Kind an eine Linde stellen und einen Apfel auf des Knaben Haupt legen und dann gebot er dem Vater, weil er ein so guter Schütze sei, solle er zur Stelle den Apfel von dem Haupt des Kindes schießen. Mit Gottes Hülfe unterwarf sich Tell der schweren That und traf glücklich den Apfel, ohne des Söhnleins Haupt zu verletzen. Der Vogt hatte aber genau auf Tell's Miene und Geberde geachtet, und wie Alle Gott priesen, daß er dem braven Mann geholfen, sprach er zu ihm: »Du bist ein wackerer Schütze! Doch sag' mir an: Ich sah, wie du einen andern Pfeil hinten in's Koller stecktest, wofür war der?« Da säumte der Tell mit der Antwort und wollte sich entschuldigen: »Das sei so Schützenbrauch!« Doch der Vogt in seinem Argwohn nahm dies nicht an und sprach: »Tell, es ist ein anderer Grund, den sag' mir frei, du sollst deines Lebens sicher sein.« Da erwiederte der Tell: »Wohlan, Herr, weil Ihr mich meines Lebens versichert habt, so will ich Euch gründlich die Wahrheit sagen. Wenn ich mein Kind getroffen, dann hätte ich Euch selbst mit dem andern Pfeil erschossen und Eurer nicht gefehlt.« Wie der Vogt dies vernahm, sprach er: »Deines Lebens hab' ich dich gesichert und will dies halten. Weil ich aber deinen bösen Willen erkannt, so lass ich dich binden und an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch Mond scheint, auf daß ich vor dir sicher sei.« Und er ließ ihn mit Ketten binden und führte ihn mit sich über den Vierwaldstädtersee; denn er wollte ihn nach Küßnacht bringen auf sein Schloß und dort in den Thurm werfen. Als sie aber auf dem See fuhren und jenseits des Rütli kamen, erhob sich der wilde Wind, welcher der Föhn heißt, und die Wellen schlugen so hoch auf, daß dem Landvogt ein Grausen ankam und ihm bange ward um sein Leben. In solcher Todesnoth ließ er dem Tell, welcher gebunden dalag, die Fesseln lösen, auf daß der im Rudern erfahrene Mann ihn errettete. Nun führte Tell das Fahrzeug mit Macht gegen Wind und Wellen; wie sie aber an den Axenberg kamen und der Tell eine Felsplatte sah, drückte er das Schiff hart daran, ergriff rasch seinen Bogen und dann sprang er auf die Felsplatte, die noch heute die Platte des Tell heißt. Dem Schiffe aber gab er mit kräftigem Fuß einen Stoß, daß es wieder in den See fuhr. Ehe Geßler an's Ufer kam, war Tell schon über alle Berge und legte sich in den Engpaß bei Küßnacht, wo Geßler des Weges kommen sollte. Da kam der Vogt geritten, Böses sinnend; Tell spannte seine Armbrust und der Pfeil flog in das Herz des strengen Herrn, also daß er todt niederfiel. Das war den Schweizern kein Schmerz, aber die auf dem Rütli geschworen hatten, verhielten sich still bis zur Nacht am Ende des Jahres 1307.

 

4.

Und in der Nacht, als das neue Jahr begann, kam ein junger Gesell aus Stanz, der auf dem Rütli mit geschworen hatte, vor die Veste Roßberg, darin eine Magd war, die ihn liebte. Diese ließ ihm ein Seil aus ihrem Fenster herab, woran er sich in ihr Kämmerlein hinaufzog. Das hatten sie so verabredet, aber der junge Gesell hatte noch zwanzig Eidgenossen mitgebracht, und während er mit der Magd kosete, zogen sich die, welche mit ihm gekommen waren, Einer nach dem Andern an dem Seil in's Schloß hinauf. Darin fingen sie den Amtmann und sein Gesinde, und schlossen das Thor zu, daß Niemand hinaus konnte, der es denen zu Sarnen angesagt hätte.

Zu Sarnen ging der Landenberger am Neujahrsmorgen in die Kirche, um die Messe zu hören. Siehe, da traf er am Morgen zwanzig Männer aus Unterwalden, welche ihm nach der Gewohnheit Lämmer, Ziegen, Hasen und Geflügel zum Neujahrsgruß brachten. Er hieß frohen Muthes die Gaben in's Schloß tragen und die Leute seiner warten bis nach der Kirche. Wie er fort war, stieß einer der Verschworenen in's Horn und auf dieses Zeichen steckten die andern scharfe Speereisen, welche sie unter ihren Kleidern verborgen gehalten, auf ihre Stäbe und dreißig andere Eidgenossen eilten herbei, die bis dahin in einem nahen Erlenholze versteckt gewesen; diese Funfzig eroberten die Zwingburg und brachen sie bis auf den Grund. Als dies der Landenberger in der Kirche vernahm, floh er zitternd gen Alpnach. Er ward gefangen, aber die freien Männer verschmähten es, sein Blut zu vergießen und ließen ihn blos schwören, das Land für immer zu meiden.

Als so die Veste genommen war, gaben die Eidgenossen Allen im Lande Unterwalden durch Feuer, das sie auf den Alpen anzündeten, das Zeichen, daß die Freiheit gerettet sei. Nun brachen die im Lande Uri die Burg, die Geßler erbaut und »Zwing Uri« genannt hatte, und in Schwyz zerstörte der Stauffacher mit den Eidgenossen die Herrenburg auf der Insel Schwanau im Lowerzer See. Da war lauter Jubel in den drei Waldstätten, und Alle dankten Gott inbrünstig, daß er ihnen gegen die Zwingherren beigestanden hatte. Der 1. Januar 1308 war der helle Neujahrsmorgen der Freiheit und des Schweizervolkes.

 

5.

Als Kaiser Albrecht hörte, was die Schweizer gethan, entbrannte er vor Zorn und schwur diesen »elenden Hirten« bittere Rache. Aber die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Unter den Vielen, die von Albrecht's Herrschsucht und Ländergier beleidigt wurden, war auch sein eigener Neffe, Johann von Schwaben. Dieser hatte von seinem Vater, einem Bruder des Kaisers, die habsburgischen Herrschaften und Vogteien im Elsaß, in der Schweiz und in Schwaben geerbt, und als er zum Jüngling herangewachsen war, forderte er vom Oheim die Herausgabe der Erbgüter. Doch Albrecht vertröstete den Neffen von einer Zeit auf die andere. Im Frühjahr 1308 war der Kaiser selbst in die habsburgischen Erblande gekommen. Als er zu Baden Mittag hielt – es war gerade der erste Mai – brachten die Einwohner dem Könige Maienkränze. Da nahm Albrecht den schönsten, legte ihn lächelnd auf das Haupt seines Neffen und sprach: »Seht, solch eine Krone mögt Ihr wohl tragen; die andere ist für Euch noch zu schwer!« Dieser Hohn brachte ein schwarzes Vorhaben zur Reife, das schon längst in des Jünglings Brust gekeimt hatte. Vier andere Ritter bestärkten den jungen leidenschaftlichen Mann in seinem Vorsatze; ihre Namen waren Rudolph von der Wart, Walther von Eschenbach, Rudolph von Palm und Konrad von Tegernfeld, Johann's Erzieher.

Von Baden aus wollte Albrecht nach Rheinfelden reiten, wo seine Gemahlin ihn erwartete. Als er an die Reuß gekommen war, drängten sich die Verschworenen auf die schmale Fähre, um zuerst mit ihm hinüber zu kommen. Und als sie drüben waren, fiel Eschenbach dem König in die Zügel und Johann rannte ihm mit den Worten: »Das ist der Lohn deines Unrechts!« den Speer in den Hals, Palm aber durchbohrte ihn mit dem Schwerte. Nach einem lauten Schrei sank er ohnmächtig vom Pferde. Eine arme Frau war in der Nähe und eilte herzu; in ihrem Schooße gab Albrecht seinen Geist auf, nahe am Fuße seiner Stammveste, der alten Habsburg.

Die braven Schweizer wußten aber ihre Freiheit nicht blos zu erobern, sie wußten sich auch gegen die Fürstenmacht und den Andrang des Adels zu behaupten. Leopold, Albrecht's jüngster Sohn, rückte im Jahr 1386 mit einer auserlesenen Schaar gegen die »elenden Bauern« an, die er leicht zu vernichten hoffte. Die geharnischten Ritter hatten sich in langen Reihen mit vorgehaltenen Lanzen aufgestellt; die Schweizer rannten in leichten Wämsern von den Bergen herab und hofften die eiserne Mauer zu durchbrechen, doch plötzlich wandten sich die Ritter, zogen sich in Gestalt eines Halbmondes um die Schweizer und die tapfersten Männer fielen zu den Füßen der Ritter. In dieser Noth warf Arnold von Winkelried Wehr und Waffe hinweg und rief mit lauter Stimme: »Sorget für mein Weib und meine Kinder, liebe Eidgenossen! Ich will eine Gasse machen.« Dann sprang er plötzlich aus den Reihen gerade auf den Feind, umschlang mit seinen Armen so viel Spieße, als er nur konnte, und begrub sie in seine Brust. Im Fallen drückte er die Spieße mit sich auf den Boden, so daß die Ritter, welche die Waffen nicht losließen, sich niederbücken mußten. Sogleich drangen die Schweizer über Winkelried's Leichnam hin und fielen über die Ritter her, deren viele in dem Schrecken und in der Eile sogar unverwundet in den schweren Harnischen erstickten, viele, von den Bauern umringt, erschlagen wurden. Auch Herzog Leopold von Oestreich, ein tapferer junger Herr in blühender Manneskraft, fiel unter den Streichen der Eidgenossen, welche drei Tage lang auf dem Schlachtfelde blieben und ihre Todten begruben oder von den Ihrigen abführen ließen. Von dieser Zeit an wurde die Tapferkeit der Schweizer gerühmt und gefürchtet; überall hieß es, Gott habe zu Gericht gesessen über den muthwilligen Trotz der Herren von Adel.


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