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III. Karl der Große (800 n. Chr.).

 

1. Was Karl wollte?

In Karl war der Geist seines Vaters Pipin und die Kraft seiner heldenmüthigen Ahnen, so daß er das Werk, welches sie klug und tapfer begonnen hatten, vollendete. Die Macht der Kirche war mit ihm und drückte seinen Thaten das Siegel der göttlichen Weihe auf. Sein Zweck war aber die Einigung aller Völker des Abendlandes zu einem christlichen Reiche. Diesen Zweck verfolgte er mit eisernem Willen und zermalmend schritt er über Jeden, der ihm in den Weg trat; für diesen Zweck schlachtete er das Theuerste der Völker, die Freiheit, zum Opfer. Für das deutsche Volk aber ward er der Schöpfer einer neuen Zeit und er machte es zum Mittelpunkt, von welchem wie von einer Sonne die übrigen Völker Licht und Wärme empfangen sollten.

Das erste Werk, das ihm gelang, war die Vereinigung des longobardischen Reichs mit dem fränkischen; davon ist bereits erzählt in der Sage vom eisernen Karl. Ein zweites Hauptwerk war die Belehrung und Unterwerfung der Sachsen.

 

2. Die Irmensul.

Im Jahre 772 hielt Karl eine große Reichsversammlung zu Worms und stellte allem Volke vor, wie verdienstlich es wäre, die Sachsen zu zwingen und sie zu Christen zu machen. Die Reichsversammlung rief seinen Worten Beifall zu und es ward alsbald der Heerbann des Frankenreichs aufgeboten. Mit diesem Heere drang Karl in's freie Sachsenland ein und eroberte zuerst die Eresburg, die da gelegen haben soll, wo jetzt Stadtberg an der Diemel liegt. Dann drangen die Franken weiter in einen heiligen Wald der Sachsen und fanden da eine Säule, welche die Sachsen ehrfurchtsvoll verehrten. Das war ein Stamm von Holz, der sich unter freiem Himmel zu bedeutender Höhe erhob und in der Sprache der Sachsen irmin-sûl genannt wurde, d. i. Alles tragende Säule. Denn der Name irmin bedeutet so viel wie »allgemein«. Vielleicht haben die Sachsen bei dieser Säule, die das Weltall trägt, an einen Gott oder Halbgott gedacht. Diese Irminsäule wurde zerstört. Siegreich drang Karl bis an die Weser vor; dort machte er Frieden mit den Sachsen und diese mußten Geiseln geben.

 

3. Sieg der Sachsen über Geilo und Adalgis.

Unterdessen war Wittekind, einer aus den Ersten des Stammes der Westphalen und der angesehenste Mann in seinem Volke, der früher zu den Normannen geflohen war, in sein Vaterland heimgekehrt und reizte auf's Neue die Gemüther der Sachsen zum Abfall. Karl wußte davon noch nichts; aber er erhielt die Nachricht, daß die Sorben und andere Slaven, welche an der Elbe und Saale wohnten, in das benachbarte Land der Thüringer eingebrochen wären und Alles mit Feuer und Schwert verheerten. Darum berief er sogleich seinen Kämmerer Adalgis, seinen Stallmeister Geilo und seinen Pfalzgrafen Worad und trug ihnen auf, im östlichen Franken und im Sachsenlande den Heerbann aufzubieten und sofort die Verwegenheit der räuberischen Slaven zu züchtigen. Als diese Feldherren mit ihren Mannen das sächsische Gebiet betreten hatten, vernahmen sie, daß auf Wittekind's Anstiften die Sachsen zum Kampfe mit den Franken sich bereiteten. Deshalb gaben sie ihren Zug gegen die Slaven auf und zogen mit ihrem Frankenheer derjenigen Gegend zu, wo die Sachsen versammelt sein sollten. Unterwegs vereinigte sich mit ihnen noch Dietrich, ein Verwandter Karl's.

Nicht weit von Rinteln, nördlich von der Weser und dem Gebirg Süntel, hatten die Sachsen ein Lager aufgeschlagen. Am südlichen Abhange des Gebirges lagerte sich Dietrich mit seinem Heerhaufen und die andern Feldherren setzten nach der Verabredung über die Weser, damit sie um so leichter den Berg umgehen könnten, und schlugen an der rechten Seite des Flusses ihr Lager auf. Dann hielten die drei Feldherren einen Kriegsrath und sprachen unter einander die Besorgniß aus, daß, wenn sie in Gemeinschaft mit Dietrich etwas unternähmen, diesem allein die Ehre des Sieges zufallen würde. Darum beschlossen sie ohne seine Mitwirkung die Sachsen anzugreifen. Ihre Krieger nahmen die Waffen in die Hand und gingen auf die Sachsen los, nicht wie auf einen Feind, der in fester Schlachtordnung steht, sondern als wenn sie den fliehenden Feind verfolgten und die Beute erjagten. Ohne alle Ordnung eilte Jeder gegen die Sachsen, wohin ihn sein Roß tragen wollte. So wurde ohne Vorbedacht angegriffen und auch ohne Vorbedacht weiter gekämpft; denn während man sich schlug, schickte Wittekind eine Heeresabtheilung ab, welche die Franken umging, so daß sie beinahe alle getödtet wurden. Die, welche entfliehen konnten, retteten sich nicht in ihr eigenes Lager, sondern in das des Dietrich, welcher an der andern Seite des Berges stand. Aber nicht allein die Mannschaft war verloren, sondern auch zwei von den Feldherren, Geilo und Adalgis, fielen in dem Treffen.

Als der König Karl diese Nachricht vernahm, brach er sogleich mit einem starken Heere nach Sachsenland auf, wo Alle schon wieder in ihre Heimath zurückgekehrt waren. Da ließ Karl die Vornehmsten des Volks vor sich fordern und forschte bei ihnen nach dem Urheber dieser That. Alle gaben einstimmig Wittekind an; doch dieser war längst wieder zu den Normannen entflohen. Von den Uebrigen aber, die auf Wittekind's Anstiften Theil genommen hatten an dem Kampfe wider Karl, wurden ihm viertausend fünfhundert ausgeliefert und diese ließ Karl sammt und sonders an Einem Tage enthaupten. – Diese Blutthat geschah zu Verden an der Aller.

 

4. Wittekind geschlagen

Im folgenden Jahre erhob sich das ganze Sachsenland einmüthig gegen Karl; denn Wittekind eilte überall hin durch das ganze Land und forderte alle Kämpfer auf, um der Freiheit, um des Vaterlandes, um der Götter und alles dessen willen, was ihnen lieb und theuer wäre, noch einmal den Kampf gegen den Frankenkönig zu wagen. Die Ostphalen und die Engern rückten ihm zuerst entgegen und im Monat Mai traf Karl sie bei Detmold in derselben Gegend, wo einst Hermann die Römer geschlagen und vernichtet hatte. Karl lagerte sich an den Höhen, die Sachsen standen im offenen Felde. Es wurde mit großer Erbitterung gekämpft, nur mit Mühe vermochte Karl Stand zu halten und er war so geschwächt, daß er sich erst nach Paderborn zurückziehen mußte, um hier Verstärkungen zu erhalten. Alsdann aber brach er wieder auf gegen das Sachsenheer, das nicht weit von Paderborn an der Hase gelagert war und unter Wittekind's Anführung stand. Die Franken hatten den Vortheil größerer Kriegserfahrung und besserer Bewaffnung, denn viele von ihnen waren mit eisernen Helmen und Panzern bewehrt. Bei den Sachsen dagegen war dies nur den Vornehmen gestattet, denn ihr Land war nicht reich an Eisen. Aber mehr als auf Eisen vertrauten sie auf ihre Sache und ihre Liebe zum Vaterlande. Sechstausend Sachsen lagen erschlagen; da flohen die Uebrigen.

 

5. Sage von der Wittekindsburg.

Karl zog nun mit seinem Heere ostwärts gegen die Wittekindsburg bei Rulle und wollte sie einnehmen. Allein Wittekind war listig und wußte die Franken zu täuschen. Diese wollten nicht gern die Hauptmacht der Sachsen in ihrem befestigten Lager angreifen, zumal wenn Wittekind dabei war, den sie sehr fürchteten. Das sächsische Lager war nämlich in zwei Burgen vertheilt, in die eine bei Rulle und in die andere bei Schagen und die Franken konnten niemals erfahren, in welcher Burg die Hauptmacht wäre. Denn Wittekind ließ seinen Rossen die Hufeisen verkehrt unterschlagen und ritt so des Nachts hin und her zwischen den beiden Burgen, und wenn die Franken meinten, die Spuren der Hufschläge führten nach der andern Seite und nach der andern Burg, so kamen sie in die verkehrte und wurden heimgeschickt mit blutigen Köpfen.

Darüber waren die Franken wieder in großer Bekümmerniß, denn dem großen Heere fing die Nahrung bald an auszugehen, da ringsumher Alles verwüstet war. In dieser Noth ersann ein Priester aus Osnabrück eine List. In der Burg zu Schagen waren zwei Schwestern und Verwandte Wittekind's, die man wohl gewinnen konnte. Deshalb ließ man diesen beiden Frauen sagen, sie sollten in Osnabrück alle ihre Tage bis an ihr Lebensende wohl verpflegt werden und es gut haben, wenn sie einmal offenbaren wollten, wann Wittekind weggeritten wäre nach der andern Burg. Das schien den Frauen lockend und sie versprachen, es den Franken kund zu thun. Eines Morgens in aller Frühe erblickten die Franken auf der Burg zu Schagen das verabredete Zeichen, woraus sie ersahen, daß Wittekind fortgeritten wäre, und sofort begannen sie diese Burg mit aller Macht zu berennen und zu stürmen. Ihren Anstrengungen gelang es endlich, und als Wittekind dieser Burg zuritt, um zu sehen, wie es stünde, erkannte er bald verdächtige Zeichen und wandte sein Roß um zur Flucht. Die Franken, die ihn erblickt hatten, verfolgten ihn und kamen immer näher. An einer Stelle des Weges, den er auf seiner Flucht passiren mußte, hatten sie einen Verhau gemacht und an diesen kam Wittekind, da waren ihm die Franken an den Fersen. Sein braves Pferd hieß Hans und Wittekind sprach zu ihm:

Hensken spring aver,
dann krigstu 'n spint haver,
sprinngstu nich aver,
freten mi un di de raven.

Da sprang Hans hinüber und Wittekind war gerettet. Aber er sah, daß nun Alles verloren und nicht mehr seines Bleibens im Sachsenlande sei, darum floh er weiter und begab sich zu Siegfried, dem Dänenkönig.

 

6. Wittekind wird Christ.

Das Sachsenvolk unterwarf sich aber noch immer nicht dem mächtigen Karl, sondern kämpfte muthig fort für seine Freiheit, während die Franken unablässig das Land mit Feuer und Schwert verwüsteten. Endlich erkannte der König Karl aber doch, daß er mit aller seiner Macht nicht im Stande sei, ein freies Volk zu zwingen, und er gab den Vorsatz auf, den Glauben an Jesum Christum durch Menschenopfer zu erzwingen. In Paderborn hielt er einen feierlichen Reichstag und behandelte hier Alle, die sich ihm unterworfen hatten, sehr milde und gnädig; auch die beiden Sachsenherzoge, Wittekind und Albion, ließ er einladen und versprach ihnen sicheres Geleit; ja er stellte sogar Geiseln zu dessen Bürgschaft. Da kam der Held Wittekind (785) und freuete sich, den Mann von Angesicht zu schauen, gegen welchen er so lange gekämpft hatte. Karl aber empfing ihn mit hohen Ehren, reiste mit ihm und andern Edlen des Sachsenlandes nach Attigny in Frankreich und sprach ihm von der Lehre des Heils so eindringlich und weise, daß Wittekind's Herz von der göttlichen Kraft derselben überwältigt ward. Er nahm die Taufe an und Karl selbst war Pathe. Auch Albion und viele Freie, die auf Wittekind als ihr Vorbild schaueten, thaten desgleichen.

Eine Legende aber erzählt von Wittekind's Taufe also: Als Wittekind am andern Ufer der Elbe in der Nähe des fränkischen Heeres umherstreifte, ward er von Sehnsucht ergriffen, einmal zu schauen, wie die Christen ihren vielgepriesenen Gott verehrten. Das Weihnachtsfest nahte heran; da hüllte sich Wittekind in Bettlerkleider und schlich sich beim ersten Morgenroth in's fränkische Lager. Unerkannt schritt er durch die Reihen der Krieger, die sich zum Gottesdienste anschickten; dann betrat er die Kirche. Da wurden nicht Pferde noch Rinder geopfert, sondern andächtig kniete Karl mit allen seinen Großen vor dem Altare, um das Sacrament zu empfangen. Der Weihrauchduft wallte empor und die Gesänge der Priester verherrlichten die geweihte Nacht, in welcher die Herrlichkeit des Heilandes sich den Menschen offenbarte. Da wurde Wittekind tief ergriffen von dem christlichen Gottesdienste, seine Augen füllten sich mit Thränen und stumm faltete er die Hände. Es war ihm, als wenn das Christuskind auf dem Arme der Jungfrau Maria ihm zuwinkte und spräche: »Komm her zu mir!« Er warf sich vor dem Altare nieder auf die Kniee und als Alle erstaunt und verwundert ihn umringten, sprach er: »Ich bin Wittekind, der Sachsenherzog, gebt auch mir die Taufe, daß ich Christ werde, wie ihr!« Da umarmte ihn Karl und lauter Jubel erscholl durch das Frankenheer.

 

7. Friede mit den Sachsen.

Dreiunddreißig Jahre lang hatten die Sachsen mit Karl gestritten, da endlich nahmen sie dessen Friedensbotschaft an, worin ihnen versprochen ward, sie sollten in Allem mit den Franken gleichgestellt werden und hinfort mit diesen nur Ein Reich unter Einer Herrschaft ausmachen. In Selz an der Saale (803) kamen die Gesandten aus Ostphalen, Engern und Westphalen zusammen, um mit Karl den Frieden abzuschließen. Da versprachen die Sachsen, sie wollten ihren Göttern entsagen und Christum bekennen; den Geistlichen wollten sie den Zehnten entrichten, aber sonst keinen Zins und keine Abgaben bezahlen. Den Geboten der Priester wollten sie gehorchen und ebenso den Richtern folgen, welche der König ihnen setzen würde, aber die alten Sitten und Gewohnheiten der Sachsen sollten bleiben.

Hierauf bestätigte Karl diejenigen Bischofssitze, die er bereits im Sachsenlande eingerichtet hatte, und gründete neue dazu. In Allem waren es sieben und ihre Namen sind: Osnabrück, Bremen, Paderborn, Münster, Minden, Verden, Hildesheim. Die Taufformel, mit welcher die heidnischen Sachsen ihrer Religion entsagten und sich zum christlichen Glauben bekannten, lautete nach einer bereits von Karl Martell 742 auf einer Kirchenversammlung angenommenen Fassung:

Frage des Priesters: Forsachistu diobole? Entsagst du dem Teufel?

Antwort des Täuflings: Ec forsachu diobole. Ich entsage dem Teufel.

Frage: End allum diobol gelde? Und aller Teufelsgilde?

Antwort: End ec forsachu allum diobol gelde. Und ich entsage aller Teufelsgilde.

Frage: End allum dioboles uercum? Und allen Teufelswerken?

Antwort: End ec forsachu allum dioboles uercum end uordum. Thuner ende Wodan end Saxnôte ende allum them unholdum the hiro genôtas sind. Und ich entsage allen Teufelswerken und Worten, Thunar (Thor) und Wodan und allen Unholden, die ihre Genossen sind.

Frage: Gelôbistu in Got almechtigun fadaer? Glaubst du an Gott den allmächtigen Vater?

Antwort: Ec gelôbu in Got almechtigun fadaer. Ich glaube an Gott den allmächtigen Vater.

Frage: Gelôbistu in Crist, Godes suno? Glaubst du an Christ, Gottes Sohn?

Antwort: Ec gelôbu in Crist, Godes suno. Ich glaube an Christ, Gottes Sohn.

Frage: Gelôbistu in hâlogan Gâst? Glaubst du an den heiligen Geist?

Antwort: Ec gelôbu in hâlogan Gâst. Ich glaube an den heiligen Geist.

Es wurden nun viele Kirchen und Klöster im Sachsenlande angelegt und eine neue Zeit begann für das Volk. Dieses erkannte wohl die Ueberlegenheit des Christengottes, aber von manchen heidnischen Ansichten und Gebräuchen konnte es sich doch nicht sobald trennen. Was die Juden und ersten Christen von dem Teufel geglaubt hatten, wurde nun bei den Deutschen auf Wodan, Thor und die andern heidnischen Götter übertragen. Wir sehen dieß z. B. aus der Benennung Meister Hämmerlein, welche der Teufel in einigen Gegenden Deutschlands führt. Der Name kommt von dem Hammer, dem gewöhnlichen Abzeichen Thors. Auch entstammt diesem Gotte unser »Donnerstag,« sowie der Name »Freitag« der lieblichen Göttin Freia.

An ein Leben nach dem Tode hatten die Sachsen schon früher geglaubt, aber das wollte ihnen schwer in den Sinn, daß alle Menschen sich der Unsterblichkeit freuen sollten. Sie hielten dafür, nur den Tapferen in der Schlacht Gefallenen, gebühre es, in die Halle der Gefallenen (Walhalla) zu kommen und dort ein frohes Leben zu führen.

 

8. Karl erobert die spanische Mark.

Der Reichstag zu Paderborn, der in der ersten Zeit des Sachsenkrieges gehalten wurde, war einer der glänzendsten. Es erschien da in Karl's Hoflager eine sonderbare Gesandtschaft, die außerordentliches Aufsehen erregte sowohl bei den Franken, als bei den Sachsen. Araber aus Spanien waren es in ihrer vaterländischen Tracht mit langen Kaftans und mit buntgeschmückten Turbanen auf dem Kopfe. Sie waren von zwei unterdrückten spanischen Emiren nach Paderborn gesandt, um den mächtigen Frankenkönig, dessen Ruf schon über die Pyrenäen gedrungen war, gegen ihren Unterdrücker, den Kalifen Abdorrhaman, um Hülfe zu bitten. Der fromme Karl vernahm in der Bitte der Fürsten aus dem muhamedanischen Spanien den Ruf des Himmels, das Kreuz Christi auch dort aufzupflanzen. Auch lockten jenseits des Pyrenäengebirges so reizende Provinzen. Er brach daher im Jahre 778 an der Spitze seines Heeres auf und stieg mit unbeschreiblicher Anstrengung über die steilen Pyrenäen nach Spanien hinab. Die Mauren wurden geschlagen; Karl bemächtigte sich in kurzer Zeit der wichtigsten Städte und des ganzen Landstrichs, von dem Gebirge bis zum Ebro. Dieser Strich ward von nun an unter dem Namen »spanische Mark« ein Theil des fränkischen Reichs.

Auf dem Rückwege war der König Karl nicht so glücklich. Während sein Heer mit Beute beladen, zerstreut, langsam, in fröhlicher Sorglosigkeit durch die engen Gebirgsschluchten von Ronceval daherzog, ward der Nachtrab von den auflauernden Bergbewohnern überfallen, beraubt und größtentheils niedergehauen. Hier fiel nebst vielen andern Helden der berühmte Markgraf Roland, der Liebling des Kaisers, ein Held, von dessen wunderbaren Waffen und Thaten aller Orten erzählt und gesungen wurde. (Vgl. Abschnitt 7.)

 

9. Karl's Krieg gegen Thassilo, Herzog von Baiern.

In Baiern, über welches sich die fränkischen Könige schon lange die Oberherrschaft anmaßten, herrschte zur Zeit Wittekind's Thassilo, der Schwiegersohn des Desiderius. Dieser wollte den Frankenkönig nicht als seinen Herrn anerkennen. Als aber Karl drei Heere gegen den kühnen Herzog anrücken ließ, gab dieser der Uebermacht nach und unterwarf sich der Gnade des Siegers. Karl verfuhr jedoch großmüthig; er begnügte sich, ihn auf's Neue zur Huldigung zu zwingen und entzog ihm sein Herzogthum nicht.

Jedoch war diese Huldigung nur scheinbar und das Werk augenblicklicher Noth. Denn Thassilo empörte sich von Neuem und reizte sogar die Avaren, ein Volk in Ungarn, zu wiederholten Einfällen in das fränkische Gebiet. Da ergrimmte Karl gegen den Undankbaren, nahm ihn bei Ingelheim am Rhein gefangen und verurtheilte ihn, wie einst den Desiderius, zur ewigen Gefangenschaft im Kloster; denn damals dienten die Klöster zugleich zu Staatsgefängnissen. Auch die räuberischen Avaren blieben nicht ungestraft. Karl griff sie in ihrem eigenen Lande an, besiegte sie im Jahre 799 und vereinigte ihr Land bis jenseits der Raab unter dem Namen »östliche Mark« mit seinem Reiche. Zum Behuf der leichteren Kriegszufuhr hatte der umsichtige König den Plan zur Verbindung des Rheins mit der Donau mittelst des Mains, der Rednitz und Altmühl. Schon war ein Kanal eröffnet, doch natürliche Hindernisse und Ungeschicklichkeit der Arbeiter hemmten das Geschäft; nach Beendigung des Krieges ward es ganz vergessen. Erst in unserer Zeit ist dieser großartige Plan wieder aufgenommen worden.

 

10. Karl, römischer Kaiser.

Der Papst Hadrian, Karl's Freund, war gestorben. Ihm folgte Leo III. Als dieser nach alter Sitte am St. Georgentage des Jahres 799 in feierlicher Prozession aus dem Lateran nach der St. Lorenzkirche zog, wurde er plötzlich von einem Haufen Uebelgesinnter überfallen, vom Pferde gerissen und gemißhandelt. Nur mit genauer Noth ward er von dem herbeieilenden Herzoge von Spoleto gerettet. Da wandte sich Leo an den mächtigen Frankenkönig und begab sich selbst mit einem glänzenden Gefolge nach Paderborn, wo Karl gerade sein Hoflager hielt. Der König empfing nach seiner frommen Weise den heiligen Vater mit aller Ehrerbietung und versprach ihm, bald selbst nach Rom zu kommen, um die Frevler zu bestrafen. Dann ließ er den Papst auf das Feierlichste nach Rom zurückgeleiten. Gegen Ende des Jahres kam Karl, seinem Versprechen gemäß, selbst nach Rom und hielt Gericht, doch auf Fürbitte des Papstes mit großer Milde. Die Ruhe war bald wieder hergestellt und ungestört konnte man jetzt das Weihnachtsfest feiern, mit welchem damals das neue Jahr und dieß Mal noch dazu ein neues Jahrhundert anfing.

Die Anwesenheit des mächtigen Frankenkönigs und der vielen Großen des Reichs erhöhte den Glanz des Festes und zog eine unbeschreibliche Menschenmenge nach Rom. Angethan mit einem Purpurmantel kniete Karl an den Stufen des Hochaltars nieder, um sein Gebet zu verrichten. Dann, als er wieder aufstehen und sich entfernen wollte, siehe, da nahete sich ihm der heilige Vater, im feierlichen Gefolge der hohen Geistlichkeit mit einer goldenen Krone in der Hand, die setzte er dem Frankenkönige auf's Haupt und salbte ihn mit dem heiligen Oel zum römischen Kaiser und weltlichen Oberherrn der gesammten katholischen Christenheit. Das Volk aber jauchzte und rief dreimal laut auf: »Leben und Sieg Karl dem Großen, dem von Gott gekrönten friedbringenden Kaiser der Römer!« Sogleich schmetterten die Trompeten und Posaunen; helle Musik ertönte in den tausendfachen Jubel des Volks und ein zahlreicher Chor stimmte den Krönungsgesang an. Unaufhörliches Entzücken durchströmte die Stadt. Seit 324 Jahren, nachdem Odoaker den Romulus Augustulus entthront, hatte diese Würde geruhet. Wie damals das Kaiserthum der Römer durch Deutsche gestürzt worden war, so wurde es jetzt durch Deutsche neu gegründet, zum großen Verdruß der oströmischen Kaiser, die man jetzt bloß die »griechischen« nannte.

 

11. Karl's des Großen Einrichtungen.

Wäre Karl nur Eroberer gewesen, so würde sein Verdienst gering gewesen sein; denn schon bald nach seinem Tode zerfiel das aus so viel fremdartigen Theilen zusammengesetzte Gebäude seines Reichs. Sein Streben war aber auf etwas Höheres und Edleres gerichtet. Wen er als Held mit dem Schwerte unterworfen hatte, den wollte er als Vater mit Liebe beglücken. Unablässig war er bemüht, seine Völker zu bilden, sie weiser und besser zu machen. Die gelehrtesten Männer seiner Zeit lebten an seinem Hofe und genossen seine Achtung und Freundschaft. Durch sie stiftete er viele Schulen, um der Jugend eine bessere Erziehung zu verschaffen. Er achtete mehr auf erworbene Kenntnisse, die auch den Aermsten adeln, als auf ererbte Standesvorzüge. Einst fand er bei einem Schulbesuche, daß die Söhne der Vornehmen den gemeinen Bürgerkindern an Fleiß und Sittsamkeit weit nachstanden. Da ließ er die Fleißigen zu seiner Rechten, die Faulen zu seiner Linken stellen und sprach zu den armen, aber geschickten Kindern also: »Ich danke euch, meine Kinder, ihr habt nach meinem Wunsche gehandelt, euch zur Ehre und bleibendem Nutzen!« Zürnend wandte er sich hierauf an die Vornehmen: »Ihr aber, ihr Söhne der Edlen, ihr feinen Püppchen, die ihr träg und meinen Befehlen ungehorsam gewesen seid, trotzet nur nicht auf den Stand und Reichthum eurer Eltern, wenn ihr euch nicht bessert, soll keines mir wieder vor die Augen kommen. Beim Könige des Himmels, ich werde euch strafen, wie ihr es verdient.«

Mit ganzer Seele hing er am Christenthum. Deshalb sorgte er für gute Geistliche und untersagte ihnen Alles, was sich mit der Würde ihres Berufes nicht vertrug, z. B. das Jagen. Die Klöster wurden reichlich begabt, denn sie beförderten in ihren stillen Mauern nicht bloß die Bildung der Jugend, sondern sorgten auch für Arme und Kranke und nahmen Fremde gastfreundlich auf, indem man dazumal von Gasthöfen noch wenig wußte. Die Kirchen wurden mit Heiligenbildern geschmückt, denn Karl sah es gern, daß das Leben und die Thaten frommer Männer bei der christlichen Gemeinde in frommem Andenken erhalten würden. Zur Verherrlichung des Gottesdienstes ließ er Sänger und Orgelspieler aus Italien kommen; denn seine Franken hatten eine so rohe und unbeholfene Stimme, daß ihr Gesang fast dem Gebrülle wilder Thiere glich. Die feineren Römer verglichen diese Töne mit dem Dahinrollen eines Lastwagens über einen Knüppeldamm.

Auch liebte Karl seine Muttersprache über Alles. Er arbeitete selbst mit den Gelehrten seines Hofes an einer deutschen Grammatik und ließ auch eine Sammlung altdeutscher Heldenlieder veranstalten. Uns ist leider von diesen ehrenwerthen Bestrebungen des großen Mannes nichts übrig geblieben, als die deutschen Namen, die er den Winden und Monaten gab Den Januar nannte er den Wintermonat; Februar Hornung (vielleicht weil in demselben die Hirsche ihr Gehörn [Geweih] ablegen); März Lenzmonat; April Ostermonat; Mai Wonnemonat; Juni Brachmonat; Juli Heumonat; August Erntemonat; September Herbstmonat; Oktober Weinmonat; November Windmonat; Dezember Christmonat..

Vorzügliche Sorgfalt verwandte er auf die Rechtspflege. Für diese ernannte er angesehene, durch Alter und Erfahrung ausgezeichnete Männer, die den Namen »Grafen,« d. i. Graue, führten, weil sie ihres Alters willen meist schon graues Haar trugen. Diese Grafen hatten verschiedene Namen. Die, welche über einen Gau gesetzt waren, hießen Gaugrafen, über eine Burg, Burggrafen. Die Pfalzgrafen waren über die kaiserlichen Schlösser gesetzt; denn Pfalz bedeutet so viel als Schloß. Die Markgrafen bewachten die Marken oder Grenzen. Dabei forschte er fleißig nach, ob seine Diener auch ihre Pflichten treulich erfüllten. Deshalb sandte er von Zeit zu Zeit noch besondere Sendgrafen in die Provinzen und ließ sich von Allem genauesten Bericht erstatten. Und über den großen Angelegenheiten des Reichs vergaß er nicht die kleinen seines Hauses. Er durchsah mit der größten Genauigkeit die Rechnungen seiner Verwalter über Einnahme und Ausgabe. Es ist noch eine schriftliche Anweisung übrig geblieben, welche er für diese entworfen hatte. Er bestimmte darin ganz genau, wie ein erfahrener Landwirth, wie Butter und Käse, Honig und Wachs bereitet, wie der Wein gekeltert, das Bier gebrauet, wie viel Eier, wie viel Gänse, Enten und Hühner verkauft werden sollten.

Eine bestimmte Residenz hatte Karl nicht. Er war bald hier, bald dort; am liebsten jedoch zu Aachen – wegen der warmen Bäder, die schon von den Römern geschätzt wurden, – dann zu Ingelheim bei Mainz und endlich zu Nymwegen.

 

12. Karl's Persönlichkeit.

Karl war ein ächt deutscher Mann, von starkem Körperbau und schlanker Gestalt. Er hatte eine hohe, klare Stirn und überaus große lebendige Augen, die dem Freunde und Hülfesuchenden freundlich, dem Feinde aber furchtbar leuchteten. In früher Jugend übte er nach fränkischer Sitte seine Körperkraft und wurde der beste Fechter und beste Schwimmer. Ein Hauptvergnügen war die Jagd und wenn er seinem Hofe ein Fest bereiten wollte, wurde ein Treibjagen angestellt. Alles setzte sich zu Pferde und dann ging es unter dem Klange der Hörner und dem Gebelle unzähliger Hunde in lärmendem Jubel hinaus in die Weite der Wälder, wo dann die jungen Edeln sich durch Muth und Geschicklichkeit zu übertreffen suchten. Karl, mitten unter ihnen, bestand manchen heißen Kampf mit wilden Ebern, Bären und Auerochsen. Karl hatte einen starken Appetit, aber er war nicht üppig weder im Essen noch im Trinken. Ein Wildpretbraten, vom Jäger am Spieße auf die Tafel gebracht, war seine Lieblingsspeise. Die Trunkenheit war ihm verhaßt. Des Nachts stand er öfters von seinem Lager auf, nahm Schreibtafel und Griffel, um sich in der früher versäumten Schreibkunst zu üben; oder er betete, oder er stellte sich auch an's Fenster, um mit Ehrfurcht und Bewunderung des Schöpfers den gestirnten Himmel zu betrachten. Die einfache Lebensweise erhöhete außerordentlich die Körperkraft des gewaltigen Mannes und er soll so stark gewesen sein, daß er einen geharnischten Mann aufhob wie ein Kind.

Seine Kleidung war nach deutscher Art einfach. Sein Gewand war von der fleißigen Hand seiner Gemahlin selber verfertigt; er trug Strümpfe und leinene Beinkleider, mit farbigen Bändern kreuzweis umwunden, ein leinenes Wamms und darüber einen einfachen Rock mit seidenem Streife, seltener einen viereckigen Mantel von weißer oder grüner Farbe. Aber stets hing ein großes Schwert mit goldenem Griff und Wehrgehänge an seiner Seite. Nur an Reichstagen und hohen Festen erschien er in voller Majestät, mit einer goldenen, von Diamanten strahlenden Krone auf dem Haupte, angethan mit einem lang herabhängenden Talare, der mit goldenen Bienen besetzt war.

 

13. Karl's Tod und Begräbniß.

Karl genoß bis in sein spätes Alter einer dauerhaften Gesundheit. Erst vier Jahre vor seinem Ende fing dieselbe zu wanken an; beständige Fieberanfälle erschütterten ihn. Schmerzlich berührte ihn der Tod seiner beiden Lieblingssöhne, Pipin und Karl, die in Jahresfrist starben. Gleichwohl fuhr er fort, für das Beste seines Reiches zu sorgen. Als er sich immer schwächer fühlte, berief er den einzigen noch lebenden Sohn, Ludwig, seitherigen König von Aquitanien, zu einer Reichsversammlung nach Aachen (813). Hier ermahnte er die Großen seines Reichs, seinem Sohne Treue zu beweisen, und dann fragte er sie, von dem Größten bis zum Kleinsten, ob sie einwilligten, daß er ihm die Mitregentschaft und den Kaisertitel übertrage? Einmüthig antworteten sie: »das sei Gottes Wille.«

Hierauf zog Karl am nächsten Sonntag mit seinem Sohn in die von ihm erbaute Marienkirche zu Aachen. Er selbst erschien im königlichen Schmucke, mit der Krone auf dem Haupte; eine andere Krone ließ er auf den Altar hinlegen. Vor demselben beteten Beide, Vater und Sohn, lange Zeit in stiller Andacht. Darauf erhob sich der ehrwürdige Greis und ermahnte im Angesicht des ganzen Volkes seinen Sohn, »Gott zu fürchten und zu lieben, seine Gebote in Allem zu halten, für die Kirche zu sorgen und sie gegen Frevler zu schützen, sich gegen die Verwandten immer gütig zu beweisen, die Priester als Väter zu ehren, die ihm anvertrauten Völker als Kinder zu lieben, getreue und gottesfürchtige Beamte zu bestellen und Niemand der Lehen und Ehrenstellen ohne genügende Ursache zu entsetzen.« Nach solchen Ermahnungen fragte Karl seinen Sohn, ob er entschlossen sei, dem Allen nachzuleben? »Gern,« antwortete Ludwig, »gern will ich gehorchen und mit Gottes Hülfe vollbringen, was du mir geboten hast.« Nun befahl ihm Karl – gleichsam zum Zeichen, daß er das Reich nur Gott verdanke – die Krone mit eigenen Händen vom Altar zu nehmen und sich aufzusetzen. Ludwig that, wie ihm geboten war.

Nach beendigter Feierlichkeit zog Karl, auf seinen Sohn gestützt, in die kaiserliche Burg zurück. Hier ertheilte er ihm prächtige Geschenke und entließ ihn dann wieder nach Aquitanien. Beim Abschied umarmten und küßten sich Beide und weinten Thränen der Liebe und Wehmuth. Sie fühlten, daß dieß ihr letztes Zusammensein war; sie sahen sich nie wieder.

Im Januar des folgenden Jahres (814) wurde Karl abermals von einem heftigen Fieber überfallen. Er wollte sich, wie er gewohnt war, durch Fasten heilen; aber umsonst; sein Körper war schon zu sehr geschwächt, er ging seiner Auflösung entgegen. Am siebenten Tage seiner Krankheit ließ er seinen Vertrauten, den Bischof Hildbald, zu sich kommen, um von ihm das heilige Abendmahl zu empfangen. Als er dasselbe genossen hatte, nahm seine Schwäche zu. Am folgenden Morgen merkte er, daß sein Ende nahe sei. Da bezeichnete er sich mit dem Zeichen des Kreuzes, faltete seine Hände über der Brust, schloß seine Augen und betete mit leiser Stimme: »Herr! In deine Hände befehle ich meinen Geist!« Und so entschlief er, sanft und selig, am 28. Januar 814, nachdem er sein Leben auf 72 Jahre gebracht und 47 Jahre sein großes Reich ruhmvoll regiert hatte.


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