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III. Die Städte am Schlusse des 13. Jahrhunderts. Nach Barthold.

Hohe, oft doppelte Mauern, Gräben und Wälle umgürteten das streitbare Geschlecht in den Städten, das immer des Angriffs gewärtig sein mußte. Wehrthürme krönten die Mauern. Sie ragten in gemessenen Abständen empor und waren von mannigfacher Bauart, rund, eckig, spitz, flach. Um die Stadt war das ganze Weichbild mit einem Graben, einer Landwehr, umzogen, deren Zugänge feste Warten bezeichneten. Wächter lugten aus ihnen nach den Landstraßen hinaus und meldeten durch Zeichen jede Gefahr oder das Herannahen reisender Kaufmannszüge, denen in unsicherer Zeit ein bewaffnetes Geleit entgegen ging. Inwendig an der Mauer der Stadt durfte sich Niemand anbauen; dergleichen Anbauten droheten Gefahr des Verraths oder hinderten das Besteigen der Zinnen. In den meisten Städten wandten sich die Straßen gekrümmt, oft im Sacke endend, hin und her. Seitdem die Zünfte oder Handwerkerklassen mit einander kämpften, schloß man sogar einzelne Gassen durch Thore, oder hing des Nachts Sperrketten ein. Das Rathhaus, auch wohl Bürgerhaus genannt, ragte über alle Gebäude weltlichen Gebrauchs hervor; auf seinem schlanken Thurme hing die Glocke mit dem Glöcklein, die zur Raths- und Gemeindeversammlung oder sonst zu wichtigen Dingen riefen. Auf dem Rathhausthurme lugte der Wächter in's Weichbild aus. Kirchen und Rathhäuser, Kaufhallen und Zunfthäuser wurden von der ganzen Bürgerschaft mit großer Ausdauer prachtvoll aufgebaut, besonders die Kirchen und Kapellen. Himmelhoch erhoben sich die Thürme Soëst, das in neuerer Zeit fast bis zu einem Dorfe herabsank, zählt noch jetzt sechs bethürmte Kirchen und Kapellen. Zur Zeit seiner Blüthe zählte es zehn stattliche Gotteshäuser und gegen 27 Kapellen, die Krankenhäuser, Pilgerherbergen, Mariengärten und anderen kirchlichen Anstalten nicht gerechnet.

Die Bürgerhäuser blieben Jahrhunderte hindurch sehr einfach. Sie bestanden nur aus Fachwerk und ragten mit dem Giebel nach der Straße. Die oberen Stockwerke traten über die unteren hervor und verengten die schmalen Gassen so sehr, daß sie kaum den Himmel blicken ließen. So leichte, enge Bauart begünstigte die ungeheuern Feuersbrünste, welche alle unsere Städte so oft heimsuchten, aus denen sie aber eben so schnell sich wieder erhoben.

Die häusliche Einrichtung entsprach der Einfalt des Zeitalters. Der Hausrath, ohne Putz, war dem einfachsten Bedürfniß gemäß und roh gearbeitet. Beim Mahle aßen Mann und Frau aus einem Teller; ein oder zwei Becher dienten der ganzen Familie; Fackeln und Laternen leuchteten bei Nacht den Schmausenden; Kerzen gab es nicht. Die Glasur irdener Gefäße kam um diese Zeit erst auf. Selbst in wohlhabenderen Häusern wohnte der Sohn des Hauses mit seiner jungen Frau im Hinterstübchen bei den Eltern; ohne eigene Wirthschaft ging er bei ihnen zur Kost.

Dennoch aber fand schon das 13. Jahrhundert gesetzliche Beschränkung der Prunkliebe und Schwelgerei nöthig, die besonders bei Festen geübt wurde. Das erste Gesetz der Art finden wir bei den fröhlichen prassenden Wormsern im Jahre 1220. Die Ritter, Richter und Rathleute mit Beistimmung der ganzen Gemeinde, untersagten die Gastmähler und Gelage, welche man im Hause des Gestorbenen zu halten pflegte, wenn dieser zu Grabe getragen war. Wer dagegen fehlte, sollte 30 Schillinge der Stadtbaukasse zur Strafe zahlen. Die strengen Niedersachsen duldeten bei Hochzeiten nicht mehr als zwölf Schüsseln und drei Spielmänner der Stadt, die Breslauer (1290) dreißig Schüsseln und vier Spielleute. Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts setzte der alte und der neue Rath zu Soëst fest, beim Verlöbniß keinen Weinkauf zu trinken, doch dürfe der Bräutigam der Braut ein paar Lederschuhe und ein paar Holzschuhe senden. Bei der Hochzeit waren den Reichsten 50 Schüsseln, aber nur fünf Gerichte gestattet.

Unter den Künsten blühete besonders die Goldschmiedekunst. Sie schuf köstliche Schreine für die Leiber der Heiligen, Kelche mit heiligen Bildern, Kreuze mit der Gestalt des Erlösers. Auch die Kunst des Siegelschneidens stand in hohem Ansehen. Die Städte hatten seit dem Ende des 12. Jahrhunderts überall ein besonderes Wappen, welches meistens das reichverzierte Bild des Patrons der Hauptkirche enthielt. Lübecks Siegel zeigt bedeutsam das Schiff auf hoher Fluth; der alte Steuermann mit spitzer Kappe leitet das Fahrzeug durch die Wogen; ein Jüngling am Tauwerk weiset auf den Beistand nach Oben. Köln hat als ältestes Wappen den heiligen Petrus, mit den Schlüsseln auf dem Stuhle sitzend; Magdeburg hatte seit uralter Zeit eine Jungfrau über den Zinnen sich erwählt; Worms zeigte den Lindwurm und deutete damit vielleicht auf den Drachen, den Siegfried erschlug. Hamburg und vielen anderen Städten behagte das dreifach bethürmte Stadtthor; Berlins ältester Bär schritt aufrecht zum Angriff und trug nicht Halsband noch Kette.

Hinter den düstern Mauern der Städte wurde Gesang und Saitenspiel gepflegt. Auch diese Kunst bildete sich nach der Sitte der Zeit in Zunft und Schule aus und erheiterte das ernste Leben der Bürger. Manche Städte unseres Vaterlandes waren erfüllt mit einer Unzahl von Spielleuten. Fiedel, Harfe, Pfeife und Zinke waren ihre Instrumente. Alte Heldensagen ließ man in Liedern erklingen. Auch die Lust an der Natur war in den dumpfen Gassen erwacht. Ueberall wurde in deutschen Städten das Frühlingsfest mit Lust und Jubel begangen und im Freien ward getanzt. Man dachte sich den Winter als einen feindseligen Riesen, den Sommer als einen knabenhaften, holden und zugleich starken Jüngling, welcher gewaffnet in den Wald zog, um den gehaßten Gegner aufzusuchen und zu überwältigen. Ein Knabe zog daher als Sonnengott, an der Spitze gewaffneter Genossen, in den Wald. Er trug Laub- und Blumenkränze an Stirn, Brust und Schulter und kehrte, nachdem Scheinkämpfe im Walde gehalten waren, als Sieger mit Jubel heim. Sein Gefolge führte zum Beweise des Sieges grüne Birkenzweige mit sich. Ein hoher, glattgeschälter Baum mit grüner Krone wurde aufgepflanzt. Unter allerlei Leibesübungen und Spielen, mit Gesang und Tanz begleitet, verlebte man den Tag. Diese Sitte war aus dem Dorfe mit den eingebürgerten Bauern in die Stadt gezogen, verwandelte sich aber im 14. Jahrhundert in einen Auszug der Schützenbrüderschaften. Ein bunter Frühlingsvogel wurde von der Stange herabgeschossen und der beste Schütze bekränzt. Nur die Rathsherren begingen noch hier und da für sich einen Mairitt unter festlicher Musterung des waffengeübten Volkes. In der Frühe des ersten grünen Maitags ritt der jüngste Rathsherr – ihm voran noch ein schöner bekränzter Knabe – mit den stattlich geputzten Rathsherren in den Wald hinaus, führte den Mai ein und verlebte den Abend mit Weib und Sippschaft im laubgeschmückten Rathhause bei festlicher Kost und bei Tanz. Die Straßburger begingen am 1. Mai ein lustiges Schifferstechen auf dem Rhein, wobei im Jahre 1286 die mit Zuschauern überfüllte Brücke zusammenstürzte.

Das Kriegswesen lag noch den Bürgern ob. Jeder zünftige Meister mußte mit Waffen versehen sein. Diese waren von der verschiedensten Art und den wunderlichsten Namen. Im gewöhnlichen Leben auf Mark und Gasse war das Tragen derselben verboten; auf Reise und Fahrt ging aber Jedermann bewehrt. Jede Zunft war im Besitz eigener Banner und Zeughäuser; die Zunftmeister waren die Führer gegen den Feind. Die gebräuchlichste Waffe war die Armbrust, deren Erfindung dem Morgenlande angehört; die Bürger gebrauchten sie mit großer Wirkung von den Zinnen ihrer Städte herab. Es entstanden nun auch die Schützengilden der Kaufleute und Handwerker. Braunschweig ging in der Ausbildung des Schützenwesens voran. Dort gab es schon im Jahre 1265 eine Schützenstraße und das Armbrustschießen nach dem Vogel auf hoher Stange blieb noch lange neben dem Feuerrohr im Gebrauch. Mit Freudenspielen mancherlei Art ergötzte sich die Bürgerwehr. So baten die Magdeburger den tapferen Bruno von Störenbeck, ein recht besonderes Freudenspiel zu ersinnen. Herr Bruno lud darauf mit seinen wohlgesetzten Briefen die Kaufherren von Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg, Halberstadt und andere Nachbarn zu Pfingsten nach Magdeburg. Die Geladenen fanden sich zahlreich ein, die Goslarer mit verdeckten Rossen, die Braunschweiger in Grün, Andere in besonderer Rüstung und Kleidung. Mit Speeren wurden die gewappneten Gäste empfangen, denn ohne Strauß wollten sie nicht einziehen. Inzwischen erhoben sich auf einer Insel in der Elbe Zeltreihen und auf Schilderbäumen wurden die Wappenschilder aufgehängt. Am folgenden Tage, nach der Messe und dem Mittagsmahl, zog man hinaus und erlaubte jedem Fremden, den Schild dessen zu berühren, mit dem er kämpfen wollte. Ein alter Kaufmann aus Goslar verdiente den schwer erworbenen Kampfpreis.


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