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IV. Ludwig der Fromme und seine Söhne.

 

1. Ludwig's Frömmigkeit.

Voll guten Willens ergriff Karl's des Großen Sohn, Ludwig, die Herrschaft. Aber mit dem guten Willen allein ist eines Fürsten Pflicht und Amt noch nicht erfüllt; Verstand muß er dazu haben, immer das Rechte zu erkennen, und Kraft, es durchzuführen. Gerade diese beiden Eigenschaften gingen dem Sohne Karl's des Großen ab; und so ward Ludwig's Milde zur Schwäche und diese Schwäche ihm selbst wie dem Volke zum Verderben.

Als er zu regieren anfing, erschrak er, wie ihm von allen Seiten das Nothgeschrei des Volkes zu Ohren scholl. Da kamen viele Klagen, wie untreu die Beamten gewaltet hätten! So hatte selbst der gewaltige Herrscher Karl das Volk nicht immer von den Bedrückungen der Großen zu schützen vermocht, wie viel weniger konnte es ein Schwächling, wie Ludwig. Dennoch strengte dieser im Anfange alle seine Kräfte an; er schickte Männer, die er für rechtschaffen hielt, als Sendboten in alle Marken des Reichs, um das Recht wieder herzustellen; er gab auch den Adeligen und Freien der Sachsen die Erbgüter wieder, die ihnen der Vater genommen hatte. Ueberdieß sicherte er die Grenzen des Reichs gegen die slavischen Völker und gegen die Basken in Spanien, zwang auch den Herzog von Benevent zum Gehorsam.

Ueber Italien herrschte Bernhard, seines verstorbenen Bruders Pipin Sohn, unter Oberhoheit Ludwig's, und zu Rom, nach dem Tode Leo's, der Papst Stephan IV. Dieser ließ, als er den päpstlichen Stuhl bestieg, sein Volk dem Kaiser schwören und kam im Jahre 816 selber zu ihm nach Deutschland, um ihm zu huldigen. Da gewahrte er mit großen Freuden Ludwig's Frömmigkeit und Demuth und beredete ihn, daß er sich die Kaiserkrone, die er einst selbst vom Altare genommen, nun von der Hand des Papstes aufsetzen ließ. Dieß geschah zu Rheims. Von der Zeit an ergab sich Ludwig immer mehr dem Einflusse der Geistlichkeit und bald sehnte er sich nach einem zurückgezogenen, frommen, beschaulichen Leben, zumal als er auf wunderbare Weise aus einer Todesgefahr gerettet ward. Denn als er einst nach vollendetem Gottesdienste aus der Kirche nach Hause zurückkehren wollte und über eine hölzerne Galerie ging, deren Balken verfault waren, stürzte diese zusammen und mehr als zwanzig Menschen stürzten mit hinab, auch der Kaiser, aber der nahm keinen Schaden. Um nun ungestörter mit religiösen Dingen sich beschäftigen zu können, theilte er das Reich unter seine drei Söhne, Ludwig, Pipin und Lothar. Lothar, dem ältesten, gab er den Kaisertitel und nahm ihn zum Reichsgehülfen, dem Pipin verlieh er die Herrschaft über Aquitanien und Ludwig das Regiment über Baiern, die avarischen und slavischen Länder.

Dadurch schuf er aber überall Mißvergnügen, besonders in Italien. Dort stellten die Bischöfe und Großen dem König Bernhard vor, wie arg ihn sein Oheim, der Kaiser, bei der Theilung übervortheilt habe, und reizten ihn, sich von dem Frankenreich unabhängig zu machen. Aber bevor noch Bernhard zu solchem Endzweck seine Heeresmacht gesammelt hatte, zog Ludwig gegen ihn aus, und nun verließen die Wälschen zaghaft ihren König. Da warf sich dieser zutrauensvoll seinem Oheim zu Füßen und gab sich dessen Gnade anheim. Aber Irmengard, die Kaiserin, wollte Italien einem von ihren Söhnen verschaffen und lag ihrem schwachen Gemahl an, daß er seinen Neffen blenden ließ. Als dieser nun drei Tage nach dem Verlust des Augenlichts an den Folgen der Mißhandlung starb, hatte Ludwig nicht mehr Rast und Ruh', und als die Kaiserin bald darauf starb, zitterte er vor dem Strafgericht Gottes. Da schenkte er mit vollen Händen an die Kirche und an die Armen, um Gottes Barmherzigkeit für seine Sünde zu erwerben. Seinem Sohne Lothar aber gab er das Reich Italien, welches der verstorbene Bernhard bisher verwaltet hatte.

 

2. Der Kampf mit den Söhnen.

So bußfertig nun der verwittwete Kaiser auch war, so widerstand er doch der Begierde nicht und hielt gar bald Rundschau über die schönsten Frauen seines Reichs. Am besten gefiel ihm Judith, die Tochter des Welf, aus einem edlen Geschlecht, das in Schwaben und Baiern gar reich an Gütern war. Und er nahm die schöne Judith zur Gemahlin. Diese hatte ihn bald so sehr durch Liebe gefangen, daß er ihr Alles zu Willen that, was sie verlangte. Nur an ihr und an der Geistlichkeit hingen alle seine Gedanken und darüber vergaß er sein weltliches Reich. Da merkten die Völker, die an der Grenze wohnten, daß Karl's des Großen Schwert in der Scheide roste, und sie stürmten von allen Seiten her wider das Reich. Die Normannen kreuzten an den Küsten Flanderns, im Süden schweiften die Araber mit Mord und Brand durch die spanische Mark und im Osten droheten die Slaven. Zu gleicher Zeit unterdrückten und mißhandelten daheim die Grafen und Edeln das Volk, rissen das Land an sich, trieben Zölle für sich selber ein, schlugen eigne Münze und thaten, als wären sie die Herren und kein König und Kaiser mehr über ihnen. Bei solcher Willkür kam Jeder darauf, sich selber Recht zu verschaffen; da ward das Land voll Raub und wilder Gewalt. Der Kaiser aber griff nicht zum Schwert, sondern suchte den Zorn Gottes durch Buße und Gebet zu versöhnen.

Im Jahre 823 hatte ihm seine zweite Gemahlin einen Sohn geboren, Karl (der Kahle zubenannt), den liebte er nun über Alles und Judith beredete ihn, daß er zu Gunsten ihres Söhnleins die Theilung zwischen den drei Söhnen aus erster Ehe umstieß. Da ergrimmten die drei Brüder Lothar, Pipin und Ludwig und vergaßen, daß der, welcher ihr Recht beugen wollte, ihr Vater sei. Sie zogen als Feinde wider ihn aus; das Volk entsetzte sich über den Frevel, aber die Großen frohlockten im Stillen. Der Kaiser brachte auch ein Heer zusammen, aber die Söhne hatten es ihm abtrünnig gemacht und als er losschlagen wollte, gingen alle seine Truppen zu den Söhnen über und diese nahmen den Vater gefangen. Nun ward die Judith in ein Kloster verstoßen und Lothar, der ruchloseste von den Brüdern, übergab seinen Vater den Geistlichen, daß sie ihn überreden sollten, dem Reiche zu entsagen und Mönch zu werden. Aber die Geistlichen dachten, wie der Kaiser ihnen immer ergeben gewesen war und es auch künftig sein werde; darum bewegten sie die Herzen der zwei andern Brüder, Pipin und Ludwig, und auch das Mitleid des Volkes für den unglücklichen Kaiser, und also kam dieser wieder auf den Thron. Da verbannte er den Lothar von seinem Angesichte nach Italien und gönnte ihm wohl dies Reich, doch nicht mehr den Kaisertitel.

Doch die Noth hatte ihn nicht klug gemacht und die Liebe zu seinem jüngsten Sohne Karl verführte ihn bald wieder zu neuer Ungerechtigkeit gegen Pipin und Ludwig; er theilte ihre Reiche, um Karl ausstatten zu können. Darüber vereinigten sich nun Pipin und Ludwig plötzlich wieder mit Lothar und der Papst Gregor IV. heiligte den Bund. Bei Colmar erwarteten die drei feindlichen Söhne ihren Vater, den Kaiser Ludwig. Dieser aber stand mit seinem Heere bei Worms. Dorthin kam der Papst, um den Vater zu bereden, sich den Söhnen zu unterwerfen. Zugleich wichen alle seine Krieger treulos von ihm, bis auf wenige, welche noch Ehre und Gewissen hatten. Zu diesen sprach er in seinem bittern Herzeleid: »Warum harret ihr noch aus bei mir altem verlassenen Mann? O, geht zu den Glücklichen, damit euch die Treue nicht verderbe!« Darauf ging er selbst zu seinen Söhnen hinüber und sie nahmen ihn wieder gefangen. Das geschah auf einem Felde im Elsaß, nicht weit von Thann, das wird das »Lügenfeld« genannt zum ewigen Andenken der Untreue. Der ruchlose Lothar führte seinen Vater nach Soissons und sperrte ihn da wieder in ein Kloster. Dort drängten sich nun, auf Lothar's Geheiß, viele Geistliche an den tiefgebeugten Kaiser und bestürmten Tag und Nacht sein schwaches Gewissen und seinen schwachen Verstand so lange, bis daß er endlich zerknirscht dem Willen seines Sohnes sich fügte.

Im Gewande eines Büßers schritt er in die Kirche, dort knieete er auf einem härenen Sacke und las unter heißen Thränen ein Verzeichniß seiner Sünden vor allem Volke ab. Hierauf ward er des Waffenschmucks entkleidet und damit er der ganzen Herrschaft verlustig werde, wollte ihm Lothar sogar das Haupthaar scheeren lassen und ihn zum Mönche machen. Da flammte die Scham in dem herabgewürdigten Kaiser noch einmal auf und die Liebe zu seinem Sohne Karl, um dessentwillen er dies Alles gelitten hatte, gab ihm Kraft, sich des Ansinnens zu erwehren. Auch fürchteten seine zwei anderen Söhne, Ludwig und Pipin, daß ihr Bruder Lothar, wenn dies Aeußerste vollbracht sei, die Alleinherrschaft ergreifen möchte, denn sie kannten sein treuloses Gemüth. Darum kamen sie jetzt zur Rettung ihres Vaters und das Volk, über Lothar's Frevel empört, stand ihnen bei. So wurde der alte Kaiser abermals befreit und Herr im Reich.

Doch sein erstes Geschäft war abermals – das Reich wieder zu theilen; und hieran dachte der thörichte Greis, nicht an die Araber und Normannen, nicht an die treulosen Sendboten, welche das Volk bedrückten, anstatt es vor den Bedrückungen der Großen zu schützen. Er dachte nicht daran, wie die geistliche Macht der weltlichen über den Kopf wuchs, befreiete vielmehr die Güter der Geistlichkeit von allen Abgaben und bewilligte auch dem Klerus eigene Gerichtsbarkeit. Dafür empfing er den Beinamen »des Frommen«, aber Karl der Große, der auch fromm war, hätte doch sein Recht besser gewahrt.

Im Jahre 838 starb Ludwig's Sohn Pipin. Da wollte der Kaiser, von seiner Gemahlin verführt, zwischen Lothar, dem er Alles verziehen hatte, und seinem Liebling Karl theilen; Pipin's Söhne sollten ausgeschlossen sein und Ludwig, der Sohn, bloß Baiern erhalten. Aber die Aquitanier erhoben sich für den Sohn ihres gestorbenen Königs Pipin und Ludwig zog gegen seinen Vater in's Feld (840). Da ward der alte Kaiser plötzlich krank und starb auf einer Insel im Rhein, Ingelheim, so kläglich, wie er gelebt hatte. Im Irrsinn glaubte er den bösen Feind vor seinem Todtenbette zu sehen und wollte ihn verscheuchen. Der böse Feind war aber die Zwietracht, die goß an seiner Leiche den Fluch der Ohnmacht aus über sein Geschlecht dafür, daß er Land und Leute wie ein Stück Ackerland zerstückelte und selber nicht zu regieren wußte.

 

3. Der Kampf der Brüder.

Nach dem Tode Ludwig's des Frommen kam die Treulosigkeit Lothar's erst recht an den Tag und dessen Bruder Karl erkannte, daß Lothar es mit ihm eben so falsch meine, wie mit seinem andern Bruder Ludwig, welcher »der Deutsche« hieß. Lothar, weil er den Kaisertitel führte, wollte auch alle Länder weiland Karl's des Großen für sich haben. Darum verbanden sich nun die Brüder Karl und Ludwig gegen Lothar, dieser aber schloß mit seinem Neffen, dem jungen Pipin von Aquitanien, Bundesfreundschaft. So standen sich die Könige eines Blutes feindlich gegenüber. Bei Fontenaille, im Jahre 841, ward eine große Schlacht gekämpft, da mußten 40,000 Menschen für die bösen Gelüste der Könige ihr Leben lassen. Lothar ward geschlagen, floh aber nach Deutschland, welches Ludwig beherrschte, um diesen in seinem eigenen Reiche zu verderben. Zum Deckmantel seiner Bosheit mißbrauchte Lothar die Freiheitsliebe des Sachsenvolkes und erklärte, daß alle Adeligen dort im Lande keine Güter mehr haben, die Freien und Freigelassenen (Frilinge und Lite), welche zur Zeit Karl's des Großen meist hörige (dienstbare) Leute geworden waren, ihre alten Rechte jetzt wieder bekommen sollten. In heller Freude erhoben sich nun jene und es ward ein großer Bund geschlossen, der Bund der »Stellinger«, d. i. der Wiederhersteller der alten sächsischen Stammverfassung und der Unabhängigkeit von den Franken. Diese vertrieben nun die wegen des Zehnten ihnen verhaßten christlichen Priester und auch viele Edelinge (Adelige). Darüber wurden die Bischöfe und der Adel dem Lothar feind, denn dieser hielt es mit dem Volke, und so gingen sie von seiner Partei zu seinen Brüdern Ludwig und Karl. Diese Beiden kamen mit ihren Heeren bei Straßburg zusammen; die Deutschen, unter Ludwig, standen am rechten Ufer des Rheinstroms, die Westfranken, unter Karl dem Kahlen, am linken Ufer, und die Fürsten und Völker schwuren sich wechselweis einen Bundeseid zum Kampfe gegen den Kaiser Lothar. Als nun dieser einsah, daß er allein einer solchen vereinigten Macht nicht widerstehen konnte, bat er um Frieden. Um diesen aber zu erhalten, verließ und verrieth jetzt der ehrlose Mann das Sachsenvolk. Nun brach König Ludwig gegen dasselbe auf und flugs zogen die Edelinge freudig mit ihm, um die Freien wieder zu unterdrücken. Leider gelang's auch ihrer Uebermacht und Ludwig verfuhr mit unmenschlicher Strenge gegen die Besiegten. Einhundertundvierzig von den Stellingern wurden hingerichtet, viele andere grausam verstümmelt. So büßten sie es, daß sie, auf ein Fürstenwort vertrauend, ihre alte Verfassung und Unabhängigkeit herzustellen unternommen hatten.

 

4. Der Vertrag zu Verdün.

Nun erst vereinigten sich Ludwig und Karl mit Lothar zum Frieden und in der Stadt Verdün schlossen sie 843 einen Theilungsvertrag. Ludwig bekam alle Länder diesseits des Rheinstroms, wo Deutsch geredet ward, des guten Weines willen aber auch die Städte Mainz, Speier und Worms mit ihren Gebieten jenseits des Rheins und das Alles als ein eigenes, selbstherrliches Königreich. Die Länder am andern Ufer des Rheins, nämlich Burgund und die Niederlande, dazu Italien mit der Kaiserwürde, empfing Lothar. Alles westfränkische Land aber, das hinter Lothar's Reich lag, fiel dem Karl zu, welcher »der Kahle« hieß, und dessen Reich zwischen Rhone, Saone, Maas und Schelde, dem Mittelmeere und den Pyrenäen, ward später Frankreich genannt. Seitdem schieden sich die Deutschen von den Westfranken (Franzosen) mehr und mehr, und Deutschland ging seinen eigenen Weg.


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