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V. Angelsachsen und Normannen.

 

1. Alfred der Große (880 n. Chr.).

 

1. Alfred's Jugend.

Egbert, der zuerst alle Königreiche Englands unter seiner Herrschaft vereinigte, hatte zwei Söhne, von denen Ethelstan zum Könige, Ethelwolf aber für die Kirche erzogen wurde. Als aber der ältere Bruder starb, mußte doch der milde und friedliebende Ethelwolf die Regierung übernehmen. Er hatte mit seiner Frau Osburga fünf Söhne, deren jüngster der Liebling beider Eltern war. Sein Name war Alfred und er war im Jahre 849 geboren. Weil Ethelwolf den Knaben um der herrlichen Gaben seines Leibes und seiner Seele willen über Alles liebte, so gedachte er ihm schon im zarten Alter diejenige Segnung zuzuwenden, welche man damals über Alles hoch schätzte, als sich Karl der Große vom Papste in Rom zum Kaiser hatte krönen lassen, nämlich die Salbung durch den Papst. Mit dem erst fünfjährigen Knaben fuhr der Vater über das Meer und zog mit ihm weiter bis über die Alpen nach Rom. Dort hatte der Papst Leo seine Freude an dem herrlichen Knaben und salbte und krönte ihn auf die Bitte seines Vaters.

Dann kehrte Ethelwolf mit seinem Sohne wieder heim und verweilte auf der Rückkehr längere Zeit am Hofe Karl's des Kahlen in Frankreich. Er verheirathete sich zum zweiten Male mit dessen Tochter Judith und nahm diese mit nach England. Aber Osburga, die Mutter Alfred's, lebte noch und hatte nach wie vor Einfluß auf seine Erziehung. Sie liebte sehr die alten Lieder und Heldengesänge des Volkes der Angelsachsen und lehrte sie ihrem kleinen Alfred, der sie mit großer Aufmerksamkeit vernahm. Einst traten alle ihre Söhne zu ihr und fanden ihre Mutter lesend, da sprach sie zu ihnen: »Demjenigen von euch will ich dies Buch schenken, der es zuerst auswendig lernt!« Da erwachte in dem Knaben Alfred die Begierde, lesen zu lernen, und als er das Buch besah, lockten ihn die schönen großen Anfangsbuchstaben und er hätte das Buch um jeden Preis gern das seinige genannt. Darum fragte er noch einmal, ob es denn wirklich Ernst sei, daß derjenige das Buch erhalten sollte, der es zuerst ihr vorlesen könnte, und als ihm solches bejaht wurde, entschloß sich Alfred rasch und lernte nicht allein lesen, sondern auch noch manche andere Kenntnisse, wodurch er sich später über alle Zeitgenossen erhob.

 

2. Raubzüge der Dänen.

Nicht minder aber übte sich Alfred in den Waffen, und es kam die Zeit heran, wo diese Uebung ihm Früchte tragen sollte. Denn alljährlich brachen die Normannen in's Land, die man in England »Dänen« nannte, und verheerten Alles mit entsetzlicher Grausamkeit. Ihre Schiffe waren nur klein, aber desto zahlreicher, so daß oft eine Flotte von 300 Schiffen zusammen auf einen Raubzug ausging. Denn Rauben und Plündern war für sie die ehrenvollste Beschäftigung, sie verachteten den Mann, der auf dem Bette starb; »nur der Tod durch's Schwert« – sagten sie – »ist des Mannes würdig«, und ihre größte Kraft zeigten sie darin, unter quälenden Wunden lachend zu sterben. Diese Grausamkeit, die sie standhaft zu erdulden vermochten, zeigten sie auch gegen Andere, und nicht zufrieden damit, ihre unschuldigen Opfer zu berauben und zu morden, quälten sie dieselben auch auf martervolle Weise.

Sie drangen tief hinein in die Länder; denn ihre Schiffe waren klein und wie sie mit ihnen auf der stürmischen See der Gewalt der Wellen trotzten, so fuhren sie mit eben denselben Fahrzeugen die Ströme hinauf bis tief in das Land, und wenn sie an eine Stelle kamen, wo das seichte Wasser sie nicht mehr tragen konnte, so hoben sie ihre Schiffe auf den Rücken und trugen sie hinüber. Dasselbe geschah auch, wenn sie aus einem Flusse in den andern wollten, auch dann trugen und schleppten sie ihre leichten Fahrzeuge über das Land. Wo sie nahten, da ging Schrecken vor ihnen her; denn ihre Wuth war nicht zu versöhnen. Sie wollten nicht herrschen, nicht Land erwerben, wie es doch vordem die wandernden Stämme gewollt hatten; nein, sie wollten nur rauben und nach dem Raube auch noch zerstören. Darum bewahren noch bis auf den heutigen Tag alle Küsten der westeuropäischen Länder grauenvolle Erinnerungen an die Normannen, und nicht bloß die Küsten, sondern auch die Städte, wie Paris und Köln, wurden von ihnen heimgesucht. Darum betete man in allen Kirchen: a furore Normannorum libera nos, domine! Beschütze uns, Herr, vor der Wuth der Normannen!

 

3. Feindseligkeit gegen das Christenthum.

Zur Zeit von Alfred's Jugend brachen diese Normannen alljährlich in England ein und verheerten, was sie in ihre Gewalt bekommen konnten. Wenige Jahrhunderte waren erst vergangen, als auch die nach England eingewanderten Sachsen durch ihre Räubereien den Küstengegenden sich furchtbar gemacht hatten. Aber sie hatten in ihrer neuen Heimath bald den Einfluß erfahren, welchen der Ackerbau auf die Gesittung der Menschen ausübt, und zugleich hatte das Christenthum ihre Sitten gemildert und ihnen zum Bewußtsein gebracht, wie unrecht Raub und Plünderung sei. Freilich verschwindet mit der wachsenden Gesittung auch gar leicht die Kraft und Lust zum Kampfe, und so griffen die Angelsachsen nicht mehr an, sondern vertheidigten sich nur nothgedrungen gegen die Angriffe der Dänen. Besonders grausam und unternehmend war der Dänenkönig Inguar, der bekam sogar den angelsächsischen König Edmund in seine Gewalt. Da forderte er von diesem, daß er sich vom Christenthume lossagen sollte. Aber Edmund weigerte sich standhaft. Da ließ ihn Inguar an einen Baum binden und mit Pfeilen auf ihn schießen. Auch da noch blieb Edmund standhaft und unerschüttert, bis Inguar, durch solche Festigkeit aufgebracht, ihm das Haupt abschlagen ließ. Da wurde Edmund in der Sage und im Liede verherrlicht und seine Verehrung hat viele Jahrhunderte überdauert.

 

4. Alfred wird König.

Alfred's vier ältere Brüder stritten muthig gegen diese entsetzlichen Feinde; aber einer nach dem andern erlag in dem Kampfe, bis zuletzt Alfred im Alter von 22 Jahren nach dem Wunsche des gesammten Volkes auf den Thron berufen wurde. Denn wenige Monate vor dem Tode Ethelred's, des letzten seiner Brüder, hatte sich Alfred in einem Treffen die Liebe und Achtung aller Sachsen erworben. Es war an einem Sonntage und die Heiden rückten schon in ihre Schlachtordnungen, da ging Ethelred noch in die Kirche, um dem Gottesdienste beizuwohnen. Vergebens baten ihn seine Anführer, daß er doch für diesmal den Besuch der Kirche aufgeben möchte. Ethelred erwiederte, daß nichts ihn vom Gottesdienste abhalten solle und daß er nicht eher lebendig den Ort verlassen würde, bis die Messe geendigt sei. Da warf sich Alfred, der die andere Heeresabtheilung anführte, mit kühnem Jugendmuthe auf die Feinde, die den Angriff noch nicht erwarteten, und brachte sie in Verwirrung. Zwar leisteten sie noch einige Zeit Widerstand, weil Alfred's Haufe zu klein war; aber als nun auch Ethelred nach Beendigung der Messe mit seiner Schaar anrückte, konnten die Dänen das Feld nicht mehr behaupten, sondern suchten in wilder Flucht ihr Heil. Bald darauf wurden sie noch einmal geschlagen, aber Ethelred starb in diesem Treffen 871. Nun ward Alfred König.

Trotz seines Jugendmuthes schlug Alfred die Gefahr, welche von den Dänen her das Land bedrohete, nicht geringer an, als sie wirklich war; auch gedachte er wohl seiner Krankheit, die ihn oft unerwartet faßte. Die Aerzte wußten gegen das Uebel – man vermuthete einen innern Krebs – keinen Rath und als er sich in seinem zwanzigsten Jahre verheirathete, brach gerade am Hochzeitstage die Krankheit wieder aus. Von da an kehrte der Schmerzanfall fast täglich wieder, doch Alfred's mächtiger Geist überwand die Krankheit, so daß er an Leib und Seele der Erste seines Volks blieb, denn an Uebung in den Waffen kam ihm eben so wenig einer gleich, als an Wissenschaft und Kenntniß.

 

5. Alfred baut eine Flotte.

Während Alfred die Leiche seines Bruders nach Winburn in die Gruft begleitete, drangen wiederum die Dänen so vor, daß Alfred von diesem Zuge ablassen mußte, um ihnen mit einer kleinen Schaar entgegentreten zu können. Er besiegte die Feinde dennoch und sie mußten ihm mit einem Eide versprechen, daß sie fortan sich friedlich und ruhig verhalten wollten. Aber die Zügellosen kehrten sich weder an den Eid, noch an die Geiseln und brachen bald wieder hervor. Da kam Alfred auf den Gedanken, lieber mit den Dänen zu Wasser zu kämpfen, als sich ihnen erst nach der Landung entgegen zu stellen. Er erinnerte die Angelsachsen daran, daß auch ihre Vorfahren groß und mächtig zur See gewesen waren, und forderte sie auf, in allen Häfen Schiffe zu bauen, damit sie mit ihnen die Mündungen der Ströme bewachen und die Dänen vor ihrer Landung zurückschlagen könnten. Dies ward ausgeführt und eine ganze Flotte der Dänen zurückgeschlagen.

Während dies im Westen, in Westsex, geschah, fiel aber eine andere Dänenschaar unter ihrem Anführer Hubbas in's nördliche England ein, aber auch diese erlitt eine schwere Niederlage und verlor sogar ihre Fahne. In diese Fahne hatten die drei Schwestern des Inguar und Hubbas den Vogel Odin's gewebt, einen Raben, den die Dänen für lebend ansahen und auf den sie ihre Blicke richteten, wenn eine Unternehmung sie lockte. Schien der Rabe zu flattern oder seine Flügel zu heben, so bedeutete es Heil und Sieg für die Dänen; wenn er sie aber senkte, so stand ihnen Unglück bevor.

 

6. Alfred im Elend.

Aber dennoch kam das Unglück über Alfred's Haupt. Sein Heer wurde wiederholt geschlagen und er mußte mit wenigen Begleitern in den Sümpfen und Marschen der Grafschaft Somerset seine Zuflucht suchen. Viele der Angelsachsen flohen über's Meer in andere Länder, noch andere hielten es mit den Dänen und verließen ihren König, der mit der größten Noth kämpfte. Einmal hatte er bei einem Kuhhirten einen sichern Zufluchtsort gefunden und saß am Herde desselben und schnitzte Bogen und Pfeile. Die Hausfrau aber, welche nicht ahnte, wer ihr Gast sei, hatte ihm anbefohlen, auf das Brod zu achten, das sie buk und in den Ofen geschoben hatte. Aber Alfred's Gedanken blieben nicht beim Brode, sondern schweiften hinaus in's Weite, denn er sann auf Mittel, sein Volk zu schützen gegen die Dänen. Da verbrannte das Brod und als die Hausfrau herzu kam, rief sie zornig: »Du träger Mensch! Brod verschlingen kannst du, aber zum Backen bist du zu dumm!«

Ein anderes Mal, erzählt die Sage, saß Alfred allein im Hause, während seine Begleiter auf den Fischfang ausgegangen waren, und las in den Geschichten seines Stammes und Landes. Da klopfte ein Bettler an die Thür und bat ihn um einen Bissen Brod. Es war aber nur noch ein Stück da, das letzte; dieses nahm Alfred, zerbrach es in zwei Hälften und gab dem Bettler die eine Hälfte. Darauf schlief er ein und während des Schlafes hatte er ein Traumgesicht, das ihm verkündete, bald würde er sein Reich wieder erobern. Er theilte den Traum seiner treuen Mutter Osburga mit, die ihn auch in seiner Verbannung nicht verlassen hatte, und Beide schöpften neuen Muth.

Nachdem einige Zeit verflossen war und die Dänen in ihren Nachforschungen ermüdet waren, ging Alfred mit seinen Begleitern aus seiner Zufluchtsstätte hervor und suchte sich eine andere. Diese lag in derselben Grafschaft Somerset und war durch zwei Flüsse, die sich dort vereinigten, zu einer völligen Insel gemacht. Alfred nannte sie »Ethelingsey,« d. i. Insel der Edelinge oder Edeln. Nur eine einzige Zugbrücke führte zu ihr und diese war leicht zu beschützen. Ueber sie hinaus eilten oft die Angelsachsen, um sich Nahrung zu verschaffen, oder auch um kleine Trupps der Dänen anzugreifen und dann eiligst wieder in den sichern Versteck zu fliehen.

Wenn nun aber auch diese Angriffe gelangen, so halfen sie doch nicht gegen die große Macht der Dänen. Darum entschloß sich Alfred zu einem kühneren Schritte. Er war ein Meister im Gesange und Saitenspiele und die Kunst gedachte er zu nützen, sowohl um die Macht der Dänen zu erforschen, als auch im Lande selbst zu erkunden, wo er auf Hülfe zu rechnen habe. So machte er denn als Harfner verkleidet sich auf und ging in's Lager der Dänen, die sich gern an seinem Spiele und Gesange ergötzten, ja ihn selbst in das Zelt des Königs Guthrum führten. Da sah er die Beschaffenheit ihres Heeres, alle ihre Zurüstungen, er sah, wie sie sorglos und fahrlässig an keinen Feind und keinen erheblichen Widerstand mehr dachten, sondern nur auf Raub und Plünderung ausgingen und selbst die Bewachung ihres Lagers versäumten.

 

7. Alfred gewinnt sein Reich wieder.

Dann erforschte Alfred auch die Stimmung der Bewohner der drei zunächst gelegenen Grafschaften und da er glaubte, sich auf ihren Eifer und Muth verlassen zu können, so kehrte er wieder in seine Wasserburg zurück. Sieben Wochen hatte sein Häuflein sich hier gehalten, da berief Alfred um die Pfingstzeit alle seine Getreuen nach dem östlichen Ende des Seelwood, d. i. Weidenwald, in Somerset. Sie erschienen zahlreich und hießen mit Jubel ihren König willkommen. Nun rückten die Sachsen auf das Lager der Dänen los. Es war ein heißer Kampf gegen den an Zahl überlegenen Feind; aber die Sachsen kämpften für ihr Vaterland und ihre Freiheit und wurden von einem Könige geführt, der an Muth, Klugheit und Tapferkeit es Allen zuvor that. Die Dänen wurden geschlagen und zogen sich in ihr festes Lager zurück. Aber Alfred rückte nach und umschloß sie eng von allen Seiten. Da gingen den Dänen die Lebensmittel aus und sie schickten zu Alfred und erboten sich, das Land zu verlassen und nimmer wieder zu kehren, wenn ihnen freier Abzug bewilligt würde. Alfred gewährte ihnen die Bitte und diesmals hielten die Dänen den Vertrag. Ja, ihr König that noch mehr. Alfred's herrlicher Sinn hatte tiefen Eindruck auf Guthrum gemacht und als dieser mehrmals mit dem Sachsenkönig sich unterredet hatte, gelobte er, ein Christ zu werden. Nicht lange darauf wurden mit Guthrum dreißig seiner Mannen getauft und Alfred selbst war Pathe. Dann beschenkte er den Dänenkönig mit reichen Gaben und gab ihm das Land Ostangeln zu Lehen.

Von da blieb dem Alfred immer der Sieg. Es kamen zwar noch neue Schaaren, aber der wackere König hatte für Schiffe gesorgt, ging ihnen schon auf dem Meere entgegen und schlug sie dort. Einmal traf er eine Dänenflotte, die er zur Hälfte aufrieb, so daß die Dänen in den übrigen Schiffen ihre Waffen weglegten, auf ihre Kniee fielen und um Gnade flehten. Die gewährte ihnen Alfred und von da an hatte England längere Zeit Ruhe. Denn die Dänen wandten sich nun lieber den anderen Küsten zu, wo sie nicht so tapfere Gegenwehr fanden, wie bei Alfred. Namentlich waren den Normannen auch die Schiffe Alfred's furchtbar, denn er hatte sie größer bauen lassen, als es damals Sitte war, mit sechzig Rudern, während die Fahrzeuge der Dänen nur klein waren. Auch die Angelsachsen konnten die neue Bauart Alfred's nicht gleich lieb gewinnen, darum ließ er Seeleute aus Friesland kommen, das schon damals seegeübte Bewohner hatte.

 

8. Schöpfungen im Frieden.

Nachdem Alfred sein Reich nach Außen gesichert hatte, war die ganze Sorgfalt des jungen Königs darauf gerichtet, es auch innerlich zu befestigen und ihm eine neue Verfassung durch gute Gesetze zu geben. Darum ließ er eine Sammlung guter Gesetze veranstalten, welche bereits früherhin weise Könige hatten niederschreiben lassen; diese prüfte er nun mit seinen Räthen. Er änderte nicht viel darin, denn er sagte, er wüßte nicht, wie solche Abänderungen dem Volke gefallen würden, dem das Gesetz durch langen Brauch schon vertraut war. Namentlich lag ihm die Rechtspflege am Herzen und er prüfte deshalb die Urtheile der Richter, ob sie mit den Gesetzen und dem Herkommen ihres Volkes übereinstimmten oder nicht. Einmal soll er in einem Jahre vierundvierzig Richter mit dem Tode bestraft haben, weil ihnen bewiesen war, daß sie falsches Urtheil gesprochen hatten. Darum verlangte er auch von den Richtern, daß sie fleißig in den Gesetzen ihres Volkes forschen sollten. Als wichtigsten Rechtsgrundsatz bei allen Vergehen aber hielt er die alte deutsche Ueberlieferung fest, daß Jedermann nur von seines Gleichen gerichtet werden dürfe. Darum sollten zwölf Männer, die Volks- und Standesgenossen des Angeklagten wären, den Wahrspruch fällen, ob schuldig oder nicht. Dieses Gesetz, das ursprünglich auch bei den andern deutschen Völkerschaften galt, ist nun Jahrhunderte lang der Stolz des englischen Volks gewesen, weil es in ihm die sicherste Schutzwehr gegen alle Willkür erblickt, und es ist Alfred's unsterblicher Ruhm, dieses Gesetz bei seinem Volke ausgebildet zu haben.

Aber Alfred wollte auch Ruhe und Sicherheit schaffen, ohne daß der Angelsachse zum Gericht seine Zuflucht nehmen müßte, und darum sann er darüber nach, wie er am besten allen Gewaltthätigkeiten und Räubereien steuern könnte. Das sicherste Mittel schien ihm zu sein, wenn er seine Angelsachsen selbst verantwortlich machte, und dies geschah auf folgende Weise. Er theilte England in Grafschaften ein, diese Grafschaften wieder in Hundertschaften ( hundreds) und die Hundertschaften wieder in Zehnschaften. Zehn bei einander liegende Häuser machten eine Zehnschaft aus und ihre Bewohner waren zusammen verantwortlich für alles Unrecht, das bei ihnen vorfiel. Sie richteten auch unter einander über kleine Dinge; aber wichtigere wurden vor das Gericht der Hundertschaft gebracht. Wenn ein Mann unterließ, seinen Namen in eine Zehnschaft einschreiben zu lassen, so wurde er als einer betrachtet, der außerhalb dem Gesetze stand, er ward für vogelfrei erklärt. Von dem Gerichte der Hundertschaft ging man weiter an das Gericht der Grafschaft und von diesem an den König. So kam es dahin, daß man sagte, der Reisende, welcher seine Börse auf der Straße verloren hätte, könne sich ruhig schlafen legen, weil er sie sicher wiederfinden würde. Alfred selber – erzählt man – ließ goldene Armbänder am Scheidewege aufhängen und Niemand wagte, sie hinwegzunehmen. Aber nicht genug, daß Alfred so den innern Frieden sicherte, er begründete durch diese Eintheilung auch die beste Wehr gegen den Feind nach Außen. Denn jede Zehnschaft und jede Hundertschaft mußte ihre bestimmte Anzahl Krieger stellen, und der Graf oder Alderman der Grafschaft war auch zugleich ihr Kriegshauptmann, der auf den ersten Ruf die Seinen bald versammeln konnte.

Ferner sorgte Alfred für die Bildung seines Volkes und leuchtete auch darin wieder als das erhabenste Muster eines guten Königs seinem Volke voran. Vor allen Dingen hielt er auf seine Muttersprache, das Angelsächsische, und sorgte dafür, daß die Jugend seines Volkes die alten Heldenlieder lernte und sich am Gesange derselben erfreute. Dann berief er die ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit zu sich und sie kamen willig und gern zu dem Könige, der wie kein anderer die Wissenschaften ehrte und liebte. Alfred erlernte noch in seinem 36sten Lebensjahre die lateinische Sprache, um aus den guten Schriften der Römer seinem Volke das Zweckmäßigste auswählen und in der Muttersprache vorführen zu können. Er stiftete Schulen, wie und wo er nur konnte, und auch die Söhne der Adeligen mußten Lateinisch lernen. In einem Briefe, den Alfred an die Bischöfe Englands schrieb, als er ihnen seine Uebersetzung der Reise des heiligen Gregor schickte, heißt es: »Die Gelehrsamkeit war bei meiner Thronbesteigung so in Verfall gekommen, daß es nördlich vom Humberflusse wenig Priester gab, welche die Gebete so weit verstanden, daß sie ihre Bedeutung in angelsächsischer Sprache wiedergeben konnten, oder welche überhaupt einen lateinischen Satz übersetzen konnten. Auch im Süden waren nur sehr Wenige. Gott dem Allmächtigen sei aber Dank, daß es jetzt doch einige Bischöfe gibt, die sogar im Stande sind, selbst Latein zu lesen!«

 

9. Other aus Norwegen.

Auch in andern Dingen wirkte Alfred für die Bildung seines Volkes. Einmal kam zu ihm ein Mann, Namens Other, und erzählte dem Könige, daß er im nördlichen Theile des Landes Norwegen wohne, dort wo das Eismeer die norwegische Küste im Westen bespült. Er beschrieb dem Könige das Land, wie es öde und verlassen sei und wie nur hier und da zerstreut einige Finnen wohnten, die sich mit Jagd und Fischerei beschäftigten. Er selbst habe aber einmal erforschen wollen, wie weit sich das Land noch nach Norden und Osten ausdehne, und darum sei er nordwärts gefahren, wobei zur rechten Hand ihm immer Land geblieben sei. Dann aber habe er wieder abwarten müssen, bis der Wind von Nordwest geweht habe, und zuletzt habe er völligen Nordwind haben müssen. Alsdann habe er einen großen Fluß gesehen, der sich dort in's Meer ergieße; aus Furcht vor den Anwohnern habe er jedoch nicht gewagt, diesen Fluß hinaufzuschiffen; er habe die Fahrt nur eingeschlagen, um Walroßzähne zu holen. Solche brachte er auch dem Könige Alfred zum Geschenk. Other war ein sehr reicher Mann in seiner Heimath; denn er besaß 600 Rennthiere und unter ihnen sechs Lockrennthiere zum Fangen der wilden; aber nur zwanzig Rinder, zwanzig Schafe und zwanzig Schweine. Dagegen bestand sein hauptsächlicher Reichthum in dem Tribute, den ihm die Finnen bezahlten, nämlich in Pelzwerk, Flaumfedern der Vögel, Walfischbarden und Stricken, die aus der Haut der Walfische und Seekälber gemacht wurden.

Dieser Bericht Other's von seiner Heimath war dem König Alfred sehr lieb, und als er wieder ein lateinisches Geschichtsbuch in's Angelsächsische übersetzte, erzählte er darin auch das, was er von Other vernommen hatte. Aber er selbst war auch angeregt zu neuen Forschungen und entsandte deshalb einen Seefahrer, Namens Wulfstan; dieser schiffte ostwärts, bis er durch das Kattegat und den kleinen Belt in die Ostsee kam. Dort suchte er die Völker und ihre Sitten zu erforschen, um seinem Könige darüber Bericht erstatten zu können. Er fuhr bei der Insel Burgundaland (Bornholm) vorbei bis zum Ausfluß der Weichsel. Was er bekundete, schrieb Alfred für sein Volk nieder.

 

10. Staatshaushalt.

Wahrlich, wir müssen staunen ob der rastlosen Thätigkeit dieses Mannes. Er konnte aber viel mehr leisten, als andere Menschen, weil er mit seiner Zeit so sparsam und haushälterisch war. Da man noch keine Uhren hatte und der Gebrauch der Sonnenuhren wegen der häufigen Nebel in England nicht immer zweckmäßig ist, so war er selbst darauf bedacht, einen Zeitmesser zu erfinden. Er nahm dazu sechs Lichter, von denen jedes in einer vor Luftzug geschützten Kapsel brannte und zwar genau vier Stunden lang. Die Kapsel war von durchsichtigen Häuten eingeschlossen, denn der Gebrauch des Glases war in den Dänenkriegen untergegangen.

So haushälterisch wie mit seiner Zeit ging Alfred auch mit seinen Einkünften um. Denn obwohl diese nicht so groß waren und mancher Kaufmann in unserer Zeit viel mehr einnimmt, als dieser große König, so war doch Alles auf das Genaueste vertheilt, und dadurch wußte Alfred viel zu schaffen. Die eine Hälfte seiner Einnahmen war für weltliche, die andere für geistliche Zwecke bestimmt. Die erste zerfiel wieder in drei Theile, von denen einer für seine Krieger bestimmt war; denn abwechselnd mußten die Krieger seiner Leibwache je einen Monat im Vierteljahr bei ihm sein und während der beiden andern Monate konnten sie ihren Geschäften nachgehen. Das zweite Drittheil der ersten Hälfte war für die unzähligen Bauleute und Künstler, welche Alfred aus allen Gegenden zu sich her berief, damit sie sein Reich durch herrliche Gebäude verschönerten und seinem Volke die nöthige Anleitung gäben, sich selbst weiter fortzubilden. Das dritte Drittheil der ersten Hälfte war den Zwecken der Gastfreundschaft geweiht für alle diejenigen Fremden, welche aus weiter Ferne den König besuchten. Die andere Hälfte seiner Einkünfte war für geistliche Zwecke bestimmt und in vier Theile getheilt. Von diesen war das eine Viertel für die Armen bestimmt, das zweite für die beiden Klöster, welche er selbst gestiftet hatte, das dritte für die Schule für den jungen Adel seines Landes, welche er mit großer Mühe in's Leben gerufen hatte, das vierte Viertel war für die gelegentlichen Unterstützungen aller andern Kirchen und Klöster bestimmt, die sich bittend an ihn wandten.

 

11. Neuer Einfall der Dänen.

Lange Zeit hindurch genoß Alfred Frieden; aber noch am Abend seines Lebens drangen die Dänen wieder in's Land und hausten nach ihrer alten Weise. Sie waren von dem kräftigen deutschen Könige Arnulf im September des Jahres 891 bei Löwen auf's Haupt geschlagen worden, und wie sie sich früher nach den Siegen Alfred's ganz auf das gegenüberliegende Festland von Frankreich und Deutschland geworfen hatten, so wollten sie nach dieser Niederlage umgekehrt wieder England heimsuchen. Aber Alfred empfing sie und nach manchem harten Kampfe kehrte die Mehrzahl der Dänen heim, die wenigen Zurückbleibenden konnten leicht abgewehrt werden. Nun war auch Alfred darauf bedacht, die alten Briten mit den Seinigen zu versöhnen. Von den britischen Ureinwohnern wohnten noch viele in dem gebirgigen Wales im Westen von England und von da aus machten sie nur zu oft gemeinschaftliche Sache mit den Dänen gegen die Angelsachsen. Aber der Charakter Alfred's gewann ihre Achtung und ihr letzter König kam freiwillig zu Alfred, der ihn ehrenvoll aufnahm und als seinen Sohn behandelte.

 

12. Alfred's Charakter.

Ein wahrhaft religiöser Sinn schmückte sein Leben. In früher Jugend war er, der kräftige Jüngling, von heftigen Versuchungen zu sinnlicher Lust heimgesucht; aber er wußte sie durch Wachen und Gebet zu bekämpfen. Oft stand er auf beim ersten Hahnschrei, eilte in eine Kirche, warf sich vor den Stufen des Altars nieder und flehete inbrünstig zu Gott, daß er ihm eine Krankheit senden wolle, durch welche die Gluth unreiner Begierden in ihm gedämpft werden möchte. Auch in seinem späteren Leben suchte er sich durch fleißiges Beten zur Ausübung seiner Pflichten zu stärken. Er widmete täglich einen Theil seiner Zeit frommen Andachtsübungen, nie versäumte er den öffentlichen Gottesdienst und immer trug er ein Büchlein bei sich, welches Gebete und Psalmen enthielt, an welchen er sich schon in seiner Jugend erbaut hatte. Er war wohlthätig gegen die Armen, ehrerbietig gegen die Bischöfe, doch sah er auch darauf, daß sie die Pflichten ihres heiligen Amtes gewissenhaft erfüllten.

Nicht unbemerkt darf es bleiben, daß Alfred's schöne Seele in einem schönen Körper wohnte. Die Würde seines Aeußeren, die Anmuth seines einnehmenden, offenen Gesichts und die Stärke seines Gliederbaues ließ leicht in ihm den großen Mann vermachen; aber noch höher mußte die Achtung für ihn steigen bei denen, die es fühlten, wie er Tapferkeit mit Wohlwollen, Gerechtigkeit mit Milde, Liebe zu den Wissenschaften und Künsten mit wahrhaft religiösem Leben verband.

Der Abend seiner Tage war ruhig. Seitdem er im Jahre 897 zuletzt mit den Dänen gekämpft hatte, störte kein neuer Krieg seine Anstalten für den innern Wohlstand seines Reichs. Und so starb er im Glanze eines fleckenlosen Ruhmes und geliebt von seinem durch ihn beglückten Volke im dreißigsten Jahre seiner Regierung und im dreiundfunfzigsten seines Lebens, den 28. Oktober 901. Von seiner Gemahlin Alswitha, der Tochter eines Grafen von Mercia, hinterließ er drei Töchter und eben so viele Söhne, von denen der zweite, Eduard, ihm in der Regierung folgte. Aber keiner seiner Nachkommen hat ihn an Größe erreicht.

 

2. Edmund Ironside und Kanut der Große.

 

1.

In dem Kampfe mit Kanut dem Großen bewährte Edmund den gewaltigen und ausdauernden Muth, der ihm den Namen »Ironside« oder »Eisenseite« erwarb. Schon bei Lebzeiten seines Vaters, des feigen und ehrlosen Ethelred, übernahm er die Vertheidigung und Erhaltung der angelsächsischen Herrschaft und eifrig fuhr er in diesem Streben fort, als er nach Ethelred's Tode den angestammten Thron bestieg.

Höchst bedenklich war seine Lage. Seine ganze Herrschaft war eigentlich nur auf das damals feste London beschränkt, alles Uebrige lag in Kanut's, des Dänenkönigs, Händen. Die Hülfsquellen zur Vertheidigung waren verstopft, der Muth der Engländer gebrochen. Nur er zagte nicht. Gleich seinem großen Ahnen Alfred, dessen Beispiel ihn begeisterte, brauchte er List und Gewalt, um den Dänen Abbruch zu thun. Fünfmal belagerte Kanut London, aber vergebens; fünf Feldschlachten wurden in einem Jahre (1016) geliefert, ohne daß dadurch der Kampf um die Krone Englands entschieden wurde.

 

2.

Dem langen und vergeblichen Blutvergießen wollte der menschenfreundliche Edmund mit einem Male ein Ende machen. Als die feindlichen Heere abermals einander gegenüberstanden, forderte er den Dänenkönig zum Zweikampf auf. Kanut aber schlug den Zweikampf aus. »Es fehle ihm,« ließ er zurücksagen, »keineswegs an Muth; allein er fühle sich nicht groß und stark genug, um gegen Edmund's Riesengestalt mit Erfolg zu kämpfen. Da sie aber Beide auf England, als das Erbe ihrer Väter, Ansprüche hätten (Kanut's Vater, Swen, hatte eine Zeit lang über England geherrscht), so schlage er vor, dieses Reich zu theilen.« Dieser Vorschlag ward von beiden Heeren mit vielem Beifall aufgenommen.

Der Fluß Severn theilte die beiderseitigen Heere. Am westlichen Ufer stand Edmund mit den Seinen, Kanut aber am östlichen, und zwischen beiden, mitten im Fluß, befand sich die kleine Insel Olanege. Dort kamen beide Helden zusammen, nachdem sie sich gegenseitig Geißeln zugeschickt hatten. Beide schwuren einander Friede und Freundschaft, umarmten und küßten sich und theilten darauf das Reich so, daß die nördlichen Gegenden, namentlich Mercia und Northumberland, dem Dänenkönig, die südlichen Gegenden, sammt der Stadt London, dem Edmund verbleiben, Beide aber unabhängig von einander regieren sollten. Hierauf vertauschten sie, gleich den homerischen Helden, ihre Waffen und Gewänder und trennten sich.

 

3.

Bald darauf ward Edmund auf Anstiften des schändlichen Grafen Edrick meuchlings ermordet. Nun nahm Kanut dessen Gebietstheil auch noch in Besitz und ließ sich zum König von ganz England krönen. Demnach vereinigte er auf seinem Haupte die Kronen von Dänemark und England und späterhin brachte er auch Norwegen und einen Theil von Schweden an sich, so daß er der mächtigste Monarch des Nordens wurde und den Beinamen »des Großen« erhielt.

Er verdiente sein Glück durch die Umsicht und Mäßigung, womit er besonders über England regierte. Um die Engländer für sich zu gewinnen, ließ er den verrätherischen Edrick, den das Volk haßte, hinrichten. An der alten Verfassung des englischen Reichs änderte er nichts. Engländer und Dänen behandelte er nach gleichen Gesetzen und den Nationalhaß unter ihnen suchte er auf alle Weise zu mildern. Deshalb heirathete er selbst die Wittwe Ethelred's, Emma, aus der Normandie gebürtig. Auch bezeigte er der Geistlichkeit sehr große Ergebenheit. Er hielt darauf, daß ihr der Zehent ordentlich entrichtet ward, erneuerte und beschenkte die Kirchen und Klöster, die in den vorigen Kriegen viel gelitten hatten, und gründete zu Assendon, wo zwischen ihm und Edmund die letzte Schlacht vorgefallen war, ein Kloster, in welchem für die Seelen der erschlagenen Angelsachsen und Dänen Messen gelesen werden mußten. Hiermit nicht zufrieden, unternahm er im funfzehnten Jahre seiner Regierung eine Pilgerreise nach Rom. Er zog durch Flandern, Frankreich und Italien und bezeichnete seinen Weg durch Büßungen und Wohlthaten. In Rom selbst betete er auf dem Grabe Petri um Vergebung seiner Sünden und errichtete ein Gasthaus für dänische und englische Pilger.

Die Andachtsübungen ließen ihn immer mehr das Eitle irdischer Herrlichkeit empfinden. Als einst einige seiner Schmeichler seine Größe rühmten und versicherten, daß ihm nun Alles unterworfen sei, setzte er sich an den Meeresstrand. Die Ebbe war zu Ende und er sprach zu dem anschwellenden Meere: »Die Erde ist mein, darum befehle ich dir, daß du nicht weiter vordringst und meine Füße benetzest.« Aber das Meer kehrte sich nicht an diesen Befehl, kam näher und überschwemmte seine Füße. Da sprang er auf und sagte: »Es ist Niemand groß als der, welchem Erde und Winde und Meere gehorchen!«


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