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Achtunddreißigstes Kapitel.

Am frühen Morgen kam Herr Gryce; er wollte das Ergebnis des gestrigen Tages hören. Ich erzählte ihm alles genau, wobei ich ihn scharf beobachtete, und ich glaubte zu bemerken, daß, so gleichmütig er auch das von ihm schon einmal mißhandelte Filigrankörbchen nach allen Seiten drehte und besah, er doch sich all dem Verwunderlichen gegenüber in ungefähr derselben Verlegenheit befand, wie ich, – wenn er es natürlich auch nicht eingestehen wollte. Und diese Beobachtung gab mir den Mut, ihm von all dem zu erzählen, was mir heute nacht eingefallen war. Zu Anfang schien mir das Lächeln, das er dem Filigrankörbchen schenkte, etwas Spöttisches zu haben, als mache er sich über die Verunstaltung lustig, die er selbst ihm doch zugefügt hatte. Aber je weiter ich kam, desto ausgeprägter wurde der Spott, und ich konnte schließlich nicht mehr daran zweifeln, daß er meinen Ueberlegungen galt. Trotzdem erzählte ich weiter, bis ich zu dem Punkt kam, da mir die Gleichzeitigkeit des Erscheinens des Wagens von Fräulein Spicer und des Zusammenschreckens von Ruth Oliver aufgefallen war. Hier hielt er einen Augenblick das Körbchen ganz still in der Hand, wenn er es nachher auch gleich wieder in um so schnellere Drehung versetzte. Ermutigt fuhr ich in meiner Erzählung fort, wie ich mir Ruth Olivers Gedanken während der Fahrt zum Polizeipräsidium zurechtgelegt hatte, und schloß mit meiner Befürchtung, daß sie das Fest bei Fräulein Spicer besuchen würde, nur dort den Skandal zum Ausbruch kommen zu lassen. Da wurde sein Lächeln noch höhnischer, aber ich sah wohl, daß er auch nachdenklich geworden war. Aber als ich die Frage aufwarf, ob es nicht besser wäre, etwas zu tun, um Fräulein Spicer und das Brautpaar vor dieser unangenehmen Störung zu bewahren oder gar direkt zu warnen, sah er mich so ernst und entrüstet an, daß ich mir sofort ganz schuldbewußt erschien. Er mußte das auch bemerkt haben, denn ich fühlte, ich war ganz rot geworden. Damit begnügte er sich jedoch nicht, sondern mahnte mich eindringlich, nichts zu tun, was gegen sein und des Kriminalinspektors an Ruth Oliver gegebenes Versprechen ging, wonach nichts geschehen sollte, was irgendwie ihre Absichten bis zu dem von ihr angegebenen Datum durchkreuzen könnte.

Von meinen Phantastereien, die mir dann weiter gekommen waren, besonders bezüglich Herrn Stone, wagte ich natürlich gar nicht zu sprechen. Und ich tat recht daran, denn an seine Ermahnung schloß er noch ein paar Bemerkungen an, die etwa den Sinn hatten, daß er alles, was ich ihm bisher erzählte, für Hirngespinste hielte, wenn er das auch etwas höflicher ausdrückte. Mit dem Verstand mußte ich ihm ja recht geben, aber ich hatte doch das Gefühl, daß ich mich mit meinen Mutmaßungen auf dem rechten Wege befände. Doch sah ich ein, daß ich mich im Augenblick nicht auch mit dem Verstande davon überzeugen konnte und völlig untätig jenen Tag herankommen lassen mußte, um so mehr, als Herr Gryce sich in keiner Beziehung zu Aeußerungen über das, was er dachte und in der Angelegenheit tat, herbeiließ.

Aber soviel glaubte ich doch zu empfinden, daß meine Worte nicht so spurlos an ihm vorübergegangen waren, als er mich glauben lassen wollte. Ich meinte das vor allem daraus entnehmen zu können, daß er sich, während wir noch sprachen, ganz plötzlich erhob und in einer Weise verabschiedete, die mir zeigte, daß er Eiliges vorhatte.

Bei einem so vielbeschäftigten Detektiv wie Herrn Gryce war das nicht verwunderlich; aber ich bildete mir durchaus ein, daß es mit der uns gemeinsam beschäftigenden Angelegenheit in Zusammenhang stehen, ja sogar von dem, was ich eben von meinen nächtlichen Ueberlegungen erzählt hatte, beeinflußt sein müßte.

In welcher Stimmung ich zurückblieb und die nächsten Tage verbrachte, kann sich jeder wohl vorstellen. Das quälendste war, daß der Gedanke, die Katastrophe würde auf dem Fest bei Fräulein Spicer stattfinden, in mir zu immer größerer Gewißheit anwuchs. Und mehr als einmal war ich im Begriff, die Ermahnung des Herrn Gryce in den Wind zu schlagen und doch etwas zu tun, um Fräulein Spicer zu warnen. Und wenn ich heute daran zurückdenke, so muß ich sagen, es wäre vielleicht besser gewesen, ich hätte meinem Gefühl gefolgt, denn auch auf andere Weise wäre die Wahrheit schließlich an den Tag gekommen.

Von allem, was weiter vorfiel, erfuhr ich also bis dahin gar nichts. Da Ruth Oliver mich nicht wieder bitten ließ sie zu besuchen, ging ich natürlich auch nicht hin. Erst nachträglich habe ich den Bericht einer Geheimagentin gelesen, die bei Frau Desberger das Zimmer neben dem des jungen Mädchens gemietet hatte und durch eine in der Tür angebrachte Oeffnung sie, ohne daß sie es merkte, bis zu jenem Abend beobachtete.

Danach verbrachte Ruth Oliver die ersten Tage damit, mit einem finsteren, starren Gesichtsausdruck durch das Zimmer auf und ab zu schreiten, indem sie sich nur dann und wann eine kleine Ruhe vergönnte. So ging es bis in die späte Nacht hinein, und früh am Morgen war sie schon wieder auf. Einmal verließ sie das Haus mit einer älteren Dame, wie es in dem Bericht heißt, und das war ich. Sie kam mit Paketen zurück, wie wir ja schon wissen, verschloß diese sorgsam in einem Schrank, nachdem sie sie lange mit einem merkwürdig schmerzlichen Ausdruck von außen betrachtet hatte und zu schwanken schien, ob sie sie öffnen sollte. Nur ein Paket, das kleinste, behielt sie draußen, machte sich auch in einer Ecke damit zu schaffen, ohne daß die Beobachterin sehen konnte, was es war, und versteckte es dann offenbar unter ihrem Kopfkissen. Die nächsten Tage schien sie äußerlich ruhiger zu sein, trotzdem ihr Gesichtsausdruck immer härter und unheimlicher wurde. Manchmal setzte sie sich nieder und begann zu schreiben. Meist zerriß sie das Geschriebene wieder. Von Tag zu Tag wurde sie dann unruhiger; immer erregter lief sie im Zimmer auf und ab. Manchmal schien sie Verzweiflungsanfälle zu bekommen, kniete vor dem Bett nieder und betete. Allmählich wurde sie von großer Ungeduld erfaßt, als ob sie auf etwas Bestimmtes wartete. Sie sah fortwährend auf ihre kleine Taschenuhr, dann wieder nach der Turmuhr, die sie von ihrem Fenster aus erblicken konnte, und verglich die beiden Uhren. Zum Ueberfluß fragte sie auch noch Frau Desberger jedesmal, wenn diese ihr die Mahlzeiten brachte, wie spät es sei.

Das alles steigerte sich immer noch von Stunde zu Stunde. Die Geheimagentin erklärte in ihrem Bericht, daß sie sich die beiden letzten Tage kaum noch vor Ermüdung aufrecht halten konnte; denn so aufgeregt war Ruth Olivers ganzes Benehmen, so schreckenerregend der Ausdruck ihres Gesichts, so verzweifelt sank sie manchmal auf die Knie nieder und rang die Hände, daß die Agentin nicht wagte, ihren Beobachtungsposten zu verlassen, weil sie fürchtete, Ruth Oliver würde Selbstmord begehen.

Die letzte Nacht schlief Ruth gar nicht, und frühmorgens, als es kaum hell wurde, nahm sie die Papiere, auf denen sie manchmal in den letzten Tagen geschrieben hatte, überflog sie flüchtig, um sie dann wieder zu zerreißen. Schließlich setzte sie sich an den Tisch und begann abermals zu schreiben. Und das dauerte diesmal den ganzen Tag. Die Feder ruhte kaum; sie sah keines der beschriebenen Blätter durch und zerriß nichts mehr. Nur alle halbe Stunden etwa sah sie furchtsam auf die neben ihr liegende Uhr.

Am Spätnachmittag schloß sie mit einem Seufzer, versiegelte sorgfältig die Papiere und legte sie in den Schrank, aus dem sie gleichzeitig die Pakete nahm, die sie kürzlich hineingelegt hatte.

Als sie sie öffnete, stieß sie ein hartes, gellendes Lachen aus, das in ein Schluchzen überging, so daß die Beobachterin glaubte, eine Geistesstörung hätte sich ihrer bemächtigt. Darin wurde sie noch bestärkt, als sie erkannte, was Ruth Oliver nun aus den Paketen herausnahm, – die Balltoilette nämlich, die ich mit ihr besorgt hatte – und als sie sich in diese zu kleiden begann. Die Agentin erklärte, sie hätte noch nie so etwas Unheimliches gesehen, wie die schöne junge Frau, die sich in diese festlichen Gewänder hüllte. Als sie fertig war und sich noch einmal genau im Spiegel betrachtete, hob sie plötzlich die Hände und schlug sie vors Gesicht, wankte und sprach zum ersten Male Worte, die die Beobachterin von ihrem Posten aus deutlich vernehmen konnte. Es war, als drängten sie sich wider Willen über ihre Lippen: »Ich fühle nur Haß, nichts als Haß! Wenn ich mir nur sagen könnte, daß ich bloß meine Pflicht tue!«

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Dann beruhigte sie sich wieder, legte einen großen Schal um ihre Schultern, so daß er das Kleid verhüllte, und klingelte. Als Frau Desberger kam, begrüßte das junge Mädchen sie mit einem liebenswürdigen Lächeln; um die neugierigen Blicke, die Frau Desberger auf den unter dem Tuch hervorschimmernden Atlas des Kleides warf, schien sie sich nicht zu kümmern.

Sie sind immer so gut zu mir gewesen, Frau Desberger, sagte sie, daß ich Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen möchte. Ich kann mich doch darauf verlassen, daß Sie es bewahren?

Frau Desberger gab natürlich die lebhaftesten Versicherungen, daß sie es ruhig könnte.

Da sagte Ruth Oliver: Ich gehe heute abend aus, Frau Desberger. Ich gehe zu einem Fest.

Frau Desberger erging sich in Ausrufen der Ueberraschung und des Beifalls zu diesem Entschluß, bis Ruth Oliver sie unterbrach und hinzufügte: »Ich möchte aber nicht, daß jemand es weiß, und möchte mich deshalb aus dem Hause stehlen, ohne gesehen zu werden. Außerdem brauche ich einen Wagen; vielleicht holen Sie mir einen? Und sagen es mir, wenn er da ist? Wissen Sie, die Leute machen mich mit ihrer Neugierde ganz verrückt, und Sie wissen ja, in welcher Stimmung ich mich befinde, und daß ich auch nicht ganz wohl bin.« Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: »Wenn Sie mir helfen, mich aus dem Hause zu stehlen, zeige ich Ihnen auch nachher meine Toilette.«

Das gab natürlich den Ausschlag, denn damit hatte sie ja Frau Desberger an ihrer schwachen Seite gefaßt. Die Geheimagentin aber ließ so schnell als möglich eine Nachricht an das Polizeipräsidium gelangen, so daß man rechtzeitig da war, als sie in den Wagen stieg, und ihr folgen konnte.

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