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Einunddreißigstes Kapitel.

Die Ueberraschung über diese einfache Frage drückte sich bei den beiden Männern in verschiedener Weise aus. Der Inspektor, der mich heute zum erstenmal sah, starrte mich bloß an, während Herr Gryce mit seiner wunderbaren Selbstbeherrschung unbeweglich blieb; nur sah ich, wie ein kleines Eckchen meines Filigrankörbchens zu Boden fiel, so grimmig hatte Herr Gryce das Körbchen angefaßt.

Ich nahm an, antwortete er völlig ruhig, nachdem er das beschädigte Körbchen hingestellt hatte und sich brummend entschuldigte, – ich nahm an, daß, wenn Sie Howard nicht verdächtigten, Sie den wirklich Schuldigen gefunden haben mußten. Und soweit ich es beurteilen kann, hat bei diesem Mord außer den beiden Brüdern niemand die Hand im Spiel.

Nicht? Ja, da erwartet Sie noch eine große Ueberraschung, Herr Gryce! Das Verbrechen, das Sie mit solcher Gewandtheit und, wie ich zugeben muß, mit einem großen Anschein von Wahrscheinlichkeit Franklin zuschreiben wollen, wurde weder von ihm, noch von irgend einem andern Mann begangen. Eine Frau hat den Mord verübt!

Eine Frau?

Beide Herren hatten das einstimmig ausgerufen: der Inspektor, als ob er mich für wahnsinnig hielt, und Herr Gryce, als ob auch er das gern angenommen hätte.

Jawohl, eine Frau! Wiederholte ich und machte ihnen gleichzeitig eine kleine Verbeugung. Und ich kenne die Frau, in einer halben Stunde kann ich, wenn ich will, die Hand auf sie legen lassen. Es ist ein junges Mädchen, meine Herren, ein schönes junges Mädchen, die Besitzerin eines der beiden Hüte, die am Tatort gefunden wurden.

Wäre eine Bombe vor ihm geplatzt, der Inspektor hätte nicht entsetzter dreinschauen können. Der Detektiv beherrschte sich besser, aber auch er war verblüfft, denn er warf mir ganz gegen seine Gewohnheit einen langen Blick zu.

Die Hüte gehören beide der Frau Van Burnam, protestierte er. Den einen hatte sie aufgehabt, als sie Haddam verließ; den zweiten hatte sie bei Altman bestellt.

Frau Van Burnam hat nie etwas bei Altman bestellt, erklärte ich kategorisch. Die Frau, die ich in das Van Burnamsche Haus eintreten sah, dieselbe Frau, die im Hotel D. gewesen war, ist nicht Frau Van Burnam. Sie ist aber die Rivalin dieser Dame gewesen und, soweit ich vermute, auch ihre Mörderin. O, Sie brauchen nicht so bedeutungsvoll den Kopf zu schütteln, meine Herren. Ich habe Beweise, und bessere als Sie. Ich werde es Ihnen schon zeigen!

Herr Gryce sah mich noch immer an, als ob ich ihn fasziniert hätte.

Worauf gründen Sie diese ganz ungeheuerliche Behauptung? Lassen Sie hören, welche Beweise Sie haben.

Ich werde Ihnen alles sagen. Aber zuerst muß ich die falschen Behauptungen, die Sie für Franklins Schuld angeführt haben, widerlegen. Sie nehmen an, er habe das Verbrechen begangen, weil Sie in einem Geheimfach seines Schreibtisches einen Brief fanden, der am Tage vor dem Morde in Frau Van Burnams Hand gesehen worden war. Es ist ganz natürlich, daß Sie bei Ihrer Voreingenommenheit glaubten, Franklin konnte nur durch ihre Ermordung in den Besitz des Briefes gelangt sein. Sie haben an eine andere Möglichkeit gar nicht gedacht. Aber konnte der Brief nicht sich vielleicht in der Handtasche befinden, die Frau Van Burnam bei Frau Parker gelassen hatte? Sobald Frau Parker die Tasche Howard übergeben hatte, versuchte Franklin, in den Besitz des Briefes zu gelangen. In größter Hast durchwühlte er die Tasche und zerknitterte dabei den Brief. Er hat ihn nicht Frau Van Burnam selbst entrissen.

An eine solche Möglichkeit habe ich wirklich nicht gedacht, gab der Detektiv zu.

Und was den Schuldbeweis betrifft, den Sie darin sehen, daß die Ringe über seinem Schreibtisch hängend gefunden wurden, so muß ich Ihnen leider auch diese Illusion rauben. Die Ringe waren von dem Mädchen im grauen Kleid nicht unter den Briefen entdeckt, sondern erst dorthin gehängt worden!

Was sagen Sie? Die Ringe wurden von Ihrem Dienstmädchen hingebracht und aufgehängt? Von Ihrer Lena, die doch so augenscheinlich in Ihrem Interesse gehandelt hat? Was sollen diese Bekenntnisse heißen, Miß Butterworth?

Oh, Herr Gryce! sagte ich in leise tadelndem Tone, nicht nur Lena trägt graue Kleider. Die Frau, die im Hotel D. gewesen war, hat Ihnen diesen Streich gespielt. Lena ist an jenem Tage gar nicht ausgegangen.

Herr Gryce ließ sich in einen Stuhl fallen. Sprechen Sie, was wissen Sie von dieser Frau? sagte er.

Ich antwortete nicht gleich. Ich besann mich noch einmal auf die Gründe, die es mir ermöglichten, in der graugekleideten Frau Ruth Oliver wiederzuerkennen und die Motive klarzulegen, die sie zu diesem gewiß ungewöhnlichen Schritt getrieben hatten. Sie mußte die Ringe doch bei sich getragen und gefürchtet haben, man könnte sie bei ihr entdecken. Andererseits war ihr daran gelegen, den Verdacht, der auf Howard gefallen war, noch zu verstärken. Sie hatte wahrscheinlich geglaubt, an Howards Schreibtisch zu stehen, während es der Schreibtisch Franklins war. Sie hatte die Schuld auf Howard schieben wollen, indem sie die Ringe an seinem Schreibtisch zurückließ, aber das war ihr nicht gelungen. Mir fiel jetzt noch ein, wo Ruth Oliver die Ringe wahrscheinlich zuerst versteckt hatte. Ich erinnerte mich ihres Entsetzens, als sie mich das Strickzeug in die Hand nehmen sah, und ich erinnerte mich auch, nach ihrer Flucht aus dem Hause des Fräulein Spicer das Strickzeug ganz verwirrt und zerrissen gefunden zu haben. Ich war überzeugt, daß die Ringe in dem Knäuel verborgen gewesen waren, das ich natürlich gar nicht näher untersucht hatte.

Das alles überdachte ich noch einmal, ehe ich zu erzählen begann, wie verdächtig mir von allem Anfang an Frau Boppert erschienen war, wie ich sie aufsuchte und erfuhr, daß sie bereits am Nachmittag die junge Frau Van Burnam in das Haus hereingelassen hatte. Dabei schielte ich nach Herrn Gryce hin und wartete, daß er seinem Aerger in irgendeiner besonderen Weise Luft machte. Und so sah ich, wie er meinem schönen Filigrankorb noch ein Eckchen abbrach, diesmal ohne zu bemerken, welche Zerstörung er anrichtete.

So, so! Nun ja, ich habe immer gesagt, daß das ein ganz merkwürdiger Fall ist, brummte er. Zwei Frauen sind im Spiel, und die eine war schon im Hause, als das Paar hinkam. Was sagen Sie dazu, Herr Inspektor? Zeit genug haben wir gebraucht, um das herauszufinden.

Ja, das scheint mir auch etwas lange gedauert zu haben, antwortete der Inspektor kurz. Das Gesicht des Detektivs wurde bei diesen Worten immer länger. Halb beschämt, halb spöttisch sagte er:

Eine Frau hat mich überlistet. Es ist ein ganz sonderbares Gefühl, von einer Frau, noch dazu einer Aufwartefrau, überlistet worden zu sein! Sie müssen schon entschuldigen, Herr Inspektor, wenn es einige Minuten währt, bis ich mich gefaßt habe. Das ist hart. Das ist wirklich hart!

So sehr ich Herrn Gryce bewunderte und achtete, so leid er mir jetzt tat, weil er über seine Niederlage ganz niedergedrückt war, ich konnte doch nicht anders als mit immer triumphierenderen Blicken und siegesfroher Stimme meinen Bericht weiterzuführen. Hin und wieder unterbrach mich Herr Gryce mit bewundernden Ausrufen über meine Findigkeit.

Ich schloß meinen Bericht mit der Erklärung, daß die Unbekannte, die Frau Van Burnams Kleider trug, Ruth Oliver hieß und jetzt bei Fräulein Spicer wohnte.

Durch diese Erklärung lieferte ich mein Geheimnis ganz in die Hände der beiden Herren. Ich merkte ihnen auch an, wie ungeduldig sie jetzt waren, von mir loszukommen und Ruth Oliver aufzusuchen. Noch einige Minuten hielt ich sie zurück, indem ich ihnen erzählte, wie ich die Banknoten in Ruth Olivers Schuhen eingenäht gefunden hatte, und wie mir diese Tatsache hinreichend schien, um zu erklären, daß sie im Hotel D. nicht auch die Schuhe gewechselt hatte.

Das war der letzte Schlag, den ich gegen des Detektivs Eigenliebe führte. Er zitterte vor Aerger, hatte sich aber bald wieder soweit in der Gewalt, daß er erklären konnte, ihn freue diese erneute Bestätigung seiner Ansicht, es handle sich hier um einen ganz merkwürdigen Fall.

Ich bat jetzt die Herren noch, sich von dem Chinesen, Frau Desberger und Frau Boppert die Richtigkeit meiner Aussagen bestätigen zu lassen. Denn ich wollte gar nicht, daß Herr Gryce mir auf mein bloßes Wort glaubte; ich konnte alles beweisen, wenn das auch gar nicht mehr nötig war, da er wirklich das größte Vertrauen zu mir zu haben schien.

Als der Inspektor sich zum Gehen wandte und schon bei der Tür stand, trat Herr Gryce ganz nahe an mich heran und sagte in warmem, aufrichtigem Tone:

Sie haben mich verhindert, eine große Dummheit zu machen, geehrtes Fräulein Butterworth. Hätte ich Franklin Van Burnam heute verhaften lassen und all das hätte sich erst morgen herausgestellt, nie wieder hätte ich den Kopf erheben können. So werden nur meine Kollegen und Untergebenen bei jeder Gelegenheit sagen: Herr Gryce wird alt, ja, seine Zeit ist um.

Das ist ja alles Unsinn, erwiderte ich hitzig. Sie haben nur nicht die richtige Spur gefunden. Mir haben nur der Zufall und überaus günstige Umstände geholfen; ich war gar nicht besonders scharfsinnig. Also bangen Sie nicht um Ihre Lorbeeren; und noch ist die Sache nicht ganz aufgeklärt, noch manches bleibt zu erfahren; es wird eines großen Detektivs nicht unwürdig sein, jetzt noch alles ans Licht zu ziehen. Wenn uns auch die Van Burnams nicht schuldig scheinen, so bleibt doch noch aufzuklären, ob unsere Annahmen stimmen, und das wird gewiß nicht leicht sein. Und wenn auch Ruth Oliver das Verbrechen begangen hat, welcher der beiden Brüder ist dann ihr Mitschuldiger? Die Tatsachen scheinen gegen Franklin zu sprechen, aber sie sind nicht deutlich genug, es bleiben noch Zweifel bestehen.

Ja, das ist wahr. Das Geheimnis ist noch nicht aufgeklärt, – es ist eigentlich noch undurchdringlicher geworden. Aber jetzt vor allem, Miß Butterworth, müssen Sie mich zu Fräulein Spicer begleiten.

*


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