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Elftes Kapitel.

Nun wurde eine in der New Yorker Gesellschaft allgemein bekannte Dame aufgerufen. Sie war mit den Van Burnams befreundet und kannte Howard von seiner Kindheit an. Seine Verheiratung hatte sie nicht gern gesehen, und sie hatte eigentlich noch zur Entfremdung Howards von seiner Familie beigetragen. Am Montag abend nun kam die junge Frau Van Burnam zu ihr und bat sie, bei ihr übernachten zu dürfen; da konnte sie es nicht übers Herz bringen, ihr die Bitte abzuschlagen. Die Nacht vom Montag zu Dienstag verbrachte Frau Van Burnam somit in ihrem Hause.

Man befragte die Dame über das Wesen und das Aussehen ihres Gastes, und sie sagte aus, die junge Frau sei unnatürlich heiter gewesen, hätte viel gelacht und sich äußerst lebhaft bewegt; über die Ursache ihrer fröhlichen Stimmung hatte sie nichts gesagt und auch nichts darüber, was sie in New York wollte. Sie hatte sogar wohl absichtlich vermieden, davon zu sprechen.

Wie lange blieb Frau Van Burnam bei Ihnen?

Bis zum nächsten Morgen.

Wie war sie gekleidet?

Genau so, wie Miß Fergusson gesagt hat.

Brachte sie ihre Handtasche mit?

Ja! Sie ließ die Handtasche auch bei mir zurück. Ich fand die Tasche in ihrem Zimmer, als sie fortgegangen war.

Wie erklären Sie sich das?

Sie war wohl zerstreut. Sie schien entschieden besorgt; mir war ihre Lebhaftigkeit gleich erzwungen vorgekommen.

Wo ist die Tasche jetzt?

Herr Van Burnam hat sie zu sich genommen.

Begleiteten Sie Frau Van Burnam bis zur Tür, als sie fortging?

Das tat ich.

Achteten Sie auf ihre Hände? Erinnern Sie sich vielleicht, von welcher Farbe ihre Handschuhe waren?

Sie trug die Handschuhe in der Hand; es war sehr heiß. Beim Fortgehen wandte sie sich noch einmal um, und da sah ich ihre Ringe glitzern.

O, Sie haben ihre Ringe gesehen!

Ganz deutlich!

Also Frau Van Burnam trug ein schwarz-weiß karriertes Seidenkleid, einen blumengeschmückten Hut und Ringe an den Fingern?

Jawohl!

Der Coroner entließ die Dame. Nun mußte etwas ganz Besonderes kommen, denn er sah so befriedigt aus, und die Gesichter seiner Protokollführer waren ganz erwartungsvoll. Mit größter Ungeduld wartete ich auf die Aussage des nächsten Zeugen, eines jungen Mannes namens Calahan, der Prokurist bei der Firma Altman war.

Seine Aussage war kurz, aber außerordentlich wichtig. Am 17. September hatte, wie aus den Geschäftsbüchern hervorging, die Firma Altman den Auftrag bekommen, für Frau James Pope im Hotel D. am Broadway eine vollständige Damenausstattung gegen Barzahlung zu liefern. Die Maße waren genau angegeben, auch einige geringfügige Details. Die Bestellung war als eilig bezeichnet, so hatten mehrere Kommis bei der Zusammenstellung geholfen. Ein Bote hatte dann die Sachen nach dem Hotel gebracht.

Haben Sie die Bestellung mitgebracht? fragte der Coroner.

Ja, ich habe sie mitgebracht.

Könnten Sie die gelieferten Artikel identifizieren?

Gewiß!

Der Coroner gab einem Polizisten ein Zeichen, worauf ein Bündel Kleider dem Zeugen vorgelegt wurde. Die Erregung war allgemein. Jeder erkannte – oder glaubte zu erkennen – daß das die Kleider der Ermordeten waren.

Der junge Mann nahm ein Kleidungsstück nach dem andern in die Hand und untersuchte es genau. Während er damit beschäftigt war, beugten sich alle Anwesenden vor; hundert durchdringende Blicke verfolgten jede seiner Bewegungen, spähten nach dem Ausdruck seines Gesichts.

Sind das die Kleidungsstücke, die Sie geliefert haben? fragte der Coroner.

Ohne im geringsten zu zögern, erwiderte der Zeuge:

Diese Kleidungsstücke wurden von uns geliefert.

Endlich eine Spur in diesem unentwirrbar scheinenden Geheimnis! Ein lautes Aufatmen der Erleichterung zeigte deutlich, wie groß die allgemeine Befriedigung war. Gleich aber wandten wir unsere Aufmerksamkeit wieder dem Coroner zu; er deutete auf die Unterröcke und die Wäsche der Toten und fragte, ob auch diese vom Haus Altman geliefert worden wäre.

Der Kommis zauderte ebensowenig wie früher. Er erkannte jedes einzelne Stück. Sie können sehen, sagte er, daß kein Stück davon gewaschen worden ist, und daß noch die Bleistiftzeichen zu sehen sind.

Sehr gut, erwiderte der Coroner. Aber beachten Sie bitte, daß dieses Stück hier auf der Rückenseite eingerissen ist. Haben Sie es so geliefert?

Was wir lieferten, war intakt.

War alles in ordentlichem Zustand?

Ganz gewiß!

Sehr gut! Sehr gut! Ich ersuche die Herren Geschworenen, sich daran genau zu erinnern, es könnte Ihre späteren Schlüsse beeinflussen. Und nun, Herr Calahan, fehlt unter diesen Gegenständen einer, den Sie geliefert haben?

Nein!

Und doch fehlt ein sehr wichtiger Bekleidungsartikel.

Sie meinen wohl die Schuhe? Wir sandten auch ein Paar Schuhe, aber sie paßten nicht und wurden zurückgeschickt!

Ach so! Ich verstehe! Man zeige dem Zeugen die an der Leiche gefundenen Schuhe.

Das geschah, und nachdem Herr Calahan sie untersucht hatte, fragte der Coroner, ob sie aus seinem Geschäft wären. Er verneinte die Frage.

Die Schuhe wurden den Geschworenen gereicht und ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß sie zwar ziemlich neu aussahen, aber sicher schon etliche Mal getragen waren. Von allen anderen Kleidungsstücken konnte das nicht behauptet werden. Als das festgestellt war, setzte der Coroner das Verhör fort.

Wer brachte die Kleidungsstücke an die angegebene Adresse?

Einer unserer Angestellten namens Clapp.

Brachte er den Betrag der Rechnung zurück?

Jawohl! Nur die fünf Dollar für die Schuhe waren abgezogen!

Wie hoch belief sich die Rechnung?

Hier in unserem Kassabuch sehen Sie, daß der von Frau James Pope, Hotel D., am 17. September erhaltene Betrag gleich fünfundsiebzig Dollar und fünfundachtzig Cent ist!

Wollen Sie so freundlich sein, den Geschworenen das Kassabuch und den Bestellzettel zu zeigen?

Beides wurde den Geschworenen eingehändigt. Die Herren schienen an diesen Schriftstücken ein großes Interesse zu nehmen und sie sehr genau zu prüfen. Sie flüsterten miteinander und warfen sich verständnisinnige Blicke zu. Schließlich sagte einer von ihnen:

Die Schrift der Bestellung ist aber merkwürdig! Ist es eine Frauen- oder eine Männerschrift?

Darüber erlaube ich mir keine bestimmte Meinung, antwortete der Zeuge. Die Schrift ist leserlich, um weiteres kümmere ich mich nie.

Die zwölf Männer bewegten sich unruhig auf ihren Sitzen und blickten alle auf den Coroner. Worauf wartete der? Sein Vorgehen war ihnen augenscheinlich nicht rasch genug. Erst nach einer Pause fragte der Coroner die Beschworenen: Wollen Sie noch eine Frage an den Zeugen richten?

Die Erregung der Geschworenen wuchs, aber keiner folgte der Aufforderung. Wie ungeschickt doch diese Geschworenen sind! dachte ich. Ich hätte eine Reihe von Fragen an den Zeugen richten mögen. Jetzt meinte ich, würde Kommissionär Clapp aufgerufen werden, aber ich wurde enttäuscht. Man rief den Namen Henshaw. Der aufgerufene Zeuge war ein großer, gebückt gehender Herr mit krausem, schwarzem Haar. Er war ein Angestellter des Hotels D.

Seine Aussage beschränkte sich zunächst auf folgendes: Im Hotelbuch war der Name Pope eingetragen. Ein Herr und eine Dame waren am 17. September gegen Mittag ins Hotel gekommen. Die Dame nannte den Namen ihres Gatten. Dem Paar wurde ein Zimmer im zweiten Stock angewiesen, das nach dem Broadway zu lag.

Haben Sie den Mann gesehen? Ist die Schrift in Ihrem Buch die seine?

Nein. Er kam zwar in das Bureau, trat aber nicht an das Schreibpult. Die Frau schrieb den Namen hinein, und sie war es auch, die sich um alles kümmerte. Das wunderte mich, aber ich nahm an, daß der Mann krank sei, denn er hielt den Kopf gesenkt; seine Haltung war die eines sich ungemütlich fühlenden oder besorgten Menschen.

Haben Sie ihn genau gesehen? Könnten Sie ihn wiedererkennen?

Nein, das könnte ich nicht. Ich sehe täglich hundert ähnliche Männer. Er war mittelgroß, mit braunem Haar und Schnurrbart; gar nichts Außergewöhnliches – abgesehen von seiner deprimierten Haltung und dem offenbaren Wunsch, nicht beachtet zu werden.

Aber Sie haben ihn doch später wiedergesehen?

Nein! Er ging gleich auf das Zimmer und verließ es nicht, bis beide wieder fortfuhren. Niemand hat ihn gesehen. Die Frau zahlte die Rechnung, er kam nicht wieder ins Bureau.

Die Frau haben Sie doch genau gesehen? Die könnten Sie wiedererkennen?

Vielleicht, obgleich ich es eigentlich nicht glaube. Sie trug einen dichten Schleier, so daß ihr Gesicht kaum zu sehen war. Nur ihrer Stimme kann ich mich genau entsinnen.

Können Sie ihre Kleidung beschreiben?

O, die war sehr einfach. Sie trug einen Staubmantel, der ihre ganze Gestalt bis zu den Füßen herab einhüllte. Der Hut war ganz von einem blauen Schleier bedeckt.

Konnten Sie nicht sehen, was für ein Kleid sie unter dem Staubmantel trug?

Nein!

Und wie sah der Hut aus?

Er war groß und breit.

Haben Sie vielleicht auf ihre Hände geachtet?

Nein, ich kann mich wenigstens nicht daran erinnern.

Hatte sie Handschuhe an?

Auch das kann ich nicht sagen. So genau habe ich sie mir nicht angesehen.

Das ist sehr schade. Aber ihrer Stimme entsinnen Sie sich noch?

Ja, ganz genau.

War es die Stimme einer Dame? Drückte die Frau sich gebildet aus?

Jawohl.

Wann hat das Paar das Hotel verlassen?

Sie verließen es noch am selben Abend, ich glaube, es war etwa elf Uhr.

Verließen sie das Hotel zu Fuß, oder nahmen sie einen Wagen?

Sie nahmen einen Wagen. Es warten stets Wagen vor dem Hotel.

Hatten die Leute Gepäck?

Nein!

Auch beim Weggehen nicht?

Beim Weggehen trug die Frau ein Paket.

Wie sah das Paket aus?

O, es war ein ganz gewöhnliches Paket, braunes Packpapier. Es waren wohl Kleider darin.

Und der Mann?

Ich sah ihn nicht.

War die Frau beim Weggehen ebenso gekleidet wie bei der Ankunft?

Soweit ich das sehen konnte, ja. Mit Ausnahme des Hutes. Der war kleiner.

Sie hatte also wieder den Staubmantel an?

Ja.

Und trug wieder einen Schleier?

Ja, denselben.

Was dachten Sie von dem veränderten Hut und dem Paket?

Ich dachte mir gar nichts dabei und kann auch jetzt, bei näherem Nachdenken, nichts daran finden. Man brachte der Frau einige Pakete ins Hotel.

Erinnern Sie sich der näheren Umstände, wie die Pakete der Frau gebracht wurden?

Ja. Der Mann, der die Pakete brachte, sagte, sie seien nicht bezahlt. So ließ ich ihn die Pakete selbst nach dem Zimmer der Frau Pope bringen. Als er das Hotel wieder verließ, hatte er nur ein kleines Paket bei sich.

Ist das alles, was Sie über das sonderbare Paar aussagen können? Nahmen die beiden keine Mahlzeit im Hotel ein?

Nein. Der Mann, oder vielmehr die Frau, denn es war ihre Stimme – bestellte zwei Dutzend Austern und eine Flasche Ale. Man brachte es auf ihr Zimmer. In den Speisesaal kamen sie nicht herunter.

Ist der Kellner, der die Austern dem Ehepaar brachte, anwesend?

Ja, er ist hier!

Und das Stubenmädchen, das sie bediente?

Sie ist ebenfalls hier.

Noch eine letzte Frage. Wie war der Mann gekleidet?

Er trug einen Leinenmantel und einen Filzhut.

Ich bitte die Herren Geschworenen, sich diese Details genau zu merken. Ich danke Ihnen. – Ist Richard Clapp hier?

Jawohl, hier bin ich! antwortete eine fröhliche Stimme. Ein lebhafter junger Mann mit aufgeweckter Miene und durchdringenden Augen drängte sich durch die Menge und kam rasch vor. Einige nebensächliche Fragen wurden an ihn gestellt, ehe die von uns erwartete wichtige Frage kam.

Erinnern Sie sich, Frau James Pope im Hotel D. einige Pakete überbracht zu haben?

Ich erinnere mich ganz genau daran.

Haben Sie die Pakete der Dame selbst übergeben? Haben Sie die Dame gesehen?

Nein, ich habe sie nicht gesehen. Sie ließ mich nicht ins Zimmer treten. Sie bat mich, die Sachen vor die Tür zu legen und draußen zu warten, bis sie mich rufen ließe.

Haben Sie das auch getan?

Nun freilich!

Sie haben aber gewiß die Tür nicht aus den Augen gelassen?

Natürlich nicht!

Und was sahen Sie dann?

Die Tür wurde ein klein wenig geöffnet, und eine Hand nahm die Pakete herein.

Eine Frauenhand?

Nein, eine Männerhand! Ich sah die weiße Manschette.

Wie lange dauerte es, bis man Sie wieder rief?

Ungefähr fünfzehn Minuten. Dann rief eine Stimme: »Junger Mann!« Die Tür war einen Spalt weit offen. Ich eilte hin. Ehe ich bei der Tür anlangte, war sie wieder geschlossen. Die Dame verhandelte nun mit mir durch die geschlossene Tür. Sie sagte, sie wäre mit allen Sachen zufrieden, nur die Schuhe paßten nicht. Ich möchte doch die Rechnung unter der Tür ins Zimmer schieben. Ich tat es. Bald darauf öffnete sich die Tür wieder ein klein wenig, und eine Männerhand reichte mir das abgezählte Geld heraus. Der Betrag für die Schuhe war abgezogen. Die Dame rief mir zu: »Sie brauchen die Rechnung nicht zu quittieren. Hier sind die Schuhe.« Die Schuhe wurden mir auf dieselbe geheimnisvolle Art eingehändigt, wie früher das Geld, und ich entfernte mich.

.

Haben die Herren Geschworenen noch Fragen an den Zeugen zu richten?

Natürlich wieder nicht! Diese Dummköpfe! Aber wider mein Erwarten nahm doch noch einer seinen ganzen Mut zusammen und riskierte die Frage, ob in der weißen Manschette, die der Zeuge beim Oeffnen der Tür gesehen hatte, ein Knopf steckte.

Eine enttäuschende Antwort. Der Zeuge hatte nicht darauf geachtet.

Der verschüchterte Geschworene wagte nun nichts mehr zu fragen, aber ein anderer erhob sich, durch das gute Beispiel ermutigt, und fragte nun seinerseits:

Welche Farbe hatte der Rockärmel? Daran werden Sie sich doch erinnern?

Eine neue Enttäuschung. Er hatte keinen Rock an. Clapp sah bloß einen Hemdärmel.

Ein Hemdärmel! Ein schönes Indizium! Die Leute im Saal tauschten Blicke der Entmutigung aus, und erst als ein neuer Zeuge auftrat, begann man wieder zu hoffen.

Es war ein Hotelboy. Seine Aussage war nur kurz und brachte uns nicht weiter. Das geheimnisvolle Paar hatte mehrmals nach ihm geschellt, ihm aber die Aufträge immer nur durch die verschlossene Tür erteilt. Er hatte das Zimmer nicht betreten.

Ihm folgte das Zimmermädchen. Sie war einmal in dem Zimmer des Paares gewesen. Sie hatte aber beide nur von rückwärts gesehen. Herr Pope stand am Fenster, halb hinter dem Vorhang verborgen, und Frau Pope machte sich in dem Schrank zu schaffen. Der Herr hatte noch seinen Leinenmantel an und die Frau ihren Staubmantel; die beiden waren erst wenige Minuten in ihrem Zimmer.

Das Zimmermädchen wurde noch gefragt, ob sie später irgend etwas Besonderes im Zimmer gefunden habe. Sie hatte nur eine Menge Packpapier vorgefunden, auf dem der Name der Firma Altman stand.

Keinen Briefumschlag? Kein Stückchen beschriebenes Papier? Keine Hutnadel?

Soweit ich mich erinnern kann, nicht das geringste. Ich suchte auch nicht weiter. Die Leute waren mir zwar merkwürdig erschienen, aber im Hotel haben wir oft so sonderbare Gäste. Ich sehe mir die Leute nur daraufhin an, ob sie Trinkgelder geben oder nicht. Das Paar gehörte zu den Leuten, die keine Trinkgelder geben.

Nachdem die Leute fortgegangen waren, haben Sie wohl das Zimmer gefegt?

Na selbstverständlich! Das tue ich immer. Aber da es schon spät war, habe ich es erst am nächsten Morgen gefegt.

Sie haben den Kehricht gleich fortgeschüttet?

Soll ich den Kehricht wie etwas Rares aufheben?

Vielleicht wäre es ganz gut gewesen, brummte der Coroner. Schon allein ein paar Haare der Frau hätten uns geholfen, sie zu identifizieren!

Nun war die Reihe am Portier des Hotels, der am Abend des 17. September Dienst hatte. Er sah das Paar beim Fortgehen. Beide trugen Pakete. Der lange, altmodische Leinenmantel des Herrn war ihm aufgefallen, und ebenso die Bemühungen beider, von niemandem gesehen zu werden. Die Frau war dicht verschleiert. Der Mann trug das Paket so, als wolle er sein Gesicht dahinter verbergen.

Sie könnten ihn daher wohl nicht wiedererkennen? fragte der Coroner.

Es wäre mir ganz unmöglich, erklärte der Zeuge.

Als er entlassen war, sagte der Coroner zu den Geschworenen: Meine Herren, beachten Sie, daß nach der letzten Aussage sowohl Herr als auch Frau Pope, als sie das Hotel verließen, in lange Mäntel gehüllt waren, die sie gewiß vor dem Erkanntwerden schützen sollten. Wir wollen dem Paar jetzt folgen und sehen, was aus diesen Verkleidungsstücken geworden ist. Seth Brown trete vor.

Diesem Zeugen sah man sogleich an, daß er Kutscher war. Das Paar hatte beim Hotel D. seinen Wagen genommen. Aus guten Gründen erinnerte er sich des Paares genau. Der Mann bezahlte ihn, ehe beide in den Wagen stiegen; er sollte sie nach dem Madison Square fahren und an der Nordseite des Squares absetzen.

Sahen Sie das Gesicht des Mannes, als er Sie bezahlte? fragte der Coroner.

Die Antwort konnte man im voraus wissen: er hatte es natürlich nicht gesehen. Es sei bereits dunkel gewesen, außerdem habe er sich gar nicht nach dem Fahrgast umgesehen.

Schien Ihnen das nicht sonderbar, im voraus bezahlt zu werden?

Gewiß; aber was nachher kam, war noch viel sonderbarer. Bevor der Mann in den Wagen stieg, trat er ganz dicht an mich heran und sagte leise: »Meine Frau ist sehr nervös. Fahren Sie daher ganz langsam, und wenn wir angekommen sind, achten Sie auf Ihre Pferde, daß sie auch ganz ruhig stehen, wenn wir aussteigen, sonst könnte meine Frau vor Schreck einen Anfall bekommen.« Die Frau sah aber ganz ruhig und gesund aus; deshalb schienen mir die Worte sonderbar. Jetzt wollte ich mir den Mann genauer ansehen; doch er war flink im Wagen, ehe ich mich noch umwandte.

Und hatten Sie mehr Glück, als die Leute ausstiegen? Haben Sie da nicht eines von ihnen genauer gesehen?

Nein, durchaus nicht! Der Mann hatte mir doch gesagt, ich solle gut auf die Pferde achten. Ich wollte doch nicht, daß die junge Frau durch meine Schuld einen Anfall bekam.

Wissen Sie, nach welcher Richtung das Paar ging?

Sie gingen in östlicher Richtung weg. Als ich langsam weiterfuhr, hörte ich die beiden noch lange hinter mir lachen. Es war gewiß ein komisches Paar. Trotzdem hätte ich nicht weiter an die Leute gedacht, wenn ich nicht am nächsten Morgen zwei Staubmäntel säuberlich zusammengelegt unter den Rückpolstern meines Wagens gefunden hätte; dieses Geschenk freute mich sehr, aber meine Freude dauerte nicht lange, denn gestern hat die Polizei – –

Schon gut, schon gut! Das interessiert uns nicht. Hier ist ein Leinenmantel und ein Damenstaubmantel. Sind das die Mäntel, die Sie in Ihrem Wagen gefunden haben?

Ich kann es am Staubmantel erkennen. Der, den ich gefunden habe, hatte unter dem Kragen ein kleines Loch, als ob jemand ein Stückchen Stoff herausgeschnitten hätte. Vielleicht stand da der Name der Besitzerin.

Oder der Name des Geschäfts, wo der Mantel gekauft wurde, warf der Coroner ein, der den Mantel so hielt, daß alle das Loch unter dem Kragen sehen konnten.

Das ist er, das ist er bestimmt, rief der Kutscher. Eine solche Verschwendung, einen neuen Mantel so zu verderben!

Wieso sagen Sie: »einen neuen Mantel?«

Na, weil keine Spur von Staub und kein einziger Fleck am Mantel ist. Meine Frau und ich haben ihn genau untersucht, und wir kamen zur Ueberzeugung, daß er noch vor kurzem im Laden gelegen haben muß. Ein ganz hübscher Fund für einen armen Teufel wie ich, und wenn nicht die Polizei – –

Eine neue Frage unterbrach ihn:

Nicht weit von der Stelle, wo Sie die Leute absetzten, befindet sich eine große Uhr. Haben Sie vielleicht darauf geachtet, wie spät es war, als das Paar aus dem Wagen stieg?

Jawohl. Ich weiß zwar nicht, weshalb ich mich ganz genau daran erinnere. Aber ich weiß, daß, als ich den Wagen wandte, um zum Hotel zurückzufahren, es halb zwölf war.

*


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