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CASELLA

Der sonne pfeile allerseiten flogen.
Sie hatten schon mit ihrer heissen traufe
Den Steinbock fortgejagt vom mittagsbogen:

Da hob vor uns das haupt der neue haufe
Und redete uns an: Wenn ihrs verstehet
So lehrt uns wie man auf zum berge laufe.

Drauf gab Vergil zur antwort: Vielleicht sehet
Ihr uns als kundige an in diesem teile –
Wir stehn als fremdlinge wie ihr hier stehet.

Wir kamen vor euch an nur eine weile.
Wir sahn ein spiel nur in dem hier gestreckten
So war der frühere pfad von wilder steile.

Als nun die seelen ● näher uns ● entdeckten
An meinem hauch dass ich noch lebend wäre
Da bebten und erbleichten die geschreckten.

Wie zu dem boten mit der neuen märe
Die menschen stürzen und sein wort erwarten
Und keiner um sich schaut wen er gefähre:

So drängten diese sich heran und starrten
Mir in das angesicht nicht mehr bedenkend
Dass noch der läutrung werke auf sie harrten.

Und eine sah ich mir entgegenlenkend
Dass sie mit grossem eifer mich umarme
Das ähnliche verlangen in mich senkend.

O nur der anblick war dem leeren schwarme!
Dreimal umschlang ich sie am gleichen flecke
Und dreimal kehrten mir zur brust die arme.

Ich glaube ich entfärbte mich vom schrecke.
Sie aber lächelte im rückwärts-schweben
Und ich ihr folgend ging dieselbe strecke.

Sie wehrte darauf sachte: Lass dies streben!
Da kannt ich wer er war und bat: Verbleibe
Um eine weile antwort mir zu geben!

Und die gestalt: Wie ich im irdischen leibe
Dich liebte werd ich auch gelöst dich lieben –
Ich warte gern ● doch künde was Dich treibe!

O mein Casella! ich muss noch verschieben
Die lezte reise bis zu spätern tagen.
Doch was hielt dich so lang von hier vertrieben?

Und er: Ich habe nur mein recht ertragen
Wenn Jener der hier nach belieben schlichtet
Die überfahrt mir mehrmals abgeschlagen.

Doch da er nur nach höherem wunsche richtet
Darf grade seit drei monden jeder kommen
Zu seinem nachen ohne dass er sichtet.

So ward ich der ich lang am strand geschwommen
Wo sich der Tiber giesst mit salz durchdrungen
Von jenem engel gültig aufgenommen.

Der hat nun dorthin sich zurückgeschwungen ●
Denn alles sammelt sich an dieser rille
Was nicht vom höllenflusse wird verschlungen.

Ich sagte ihm: Wenn nicht ein neuer wille
Dir nimmt des liebessanges brauch und wissen
Der einst mein sehnen hob in heilige stille:

So spende dieses trostes einen bissen
Der seele die mit ihrem leibe dringet
Hierher so voll von grossen kümmernissen.

›O Liebe die zu meinem geiste singet‹
Begann er darauf in so süssem tone
Dass noch die süssigkeit im ohr mir klinget.

Mein Meister ich und was in dieser zone
Von geistern schwebte horchten mit entzücken
Als ob kein andrer wunsch mehr in uns wohne.

FEGEFEUER ● II. GESANG ● 55–117.

 


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