Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Eine alte Geschichte.

Bei welchem Anlaß ich die beiden kennen lernte, ich weiß es nicht mehr. Fünf oder sechs Jahre mag es wohl her sein. Auch blieb meine Bekanntschaft mit ihnen eine recht oberflächliche. Sah ich sie in einer Theaterloge oder begegnete ich ihnen auf der Straße, so grüßte ich höflich, und höflich wurde mein Gruß erwidert. Traf ich sie in Gesellschaft oder auf einem Balle, so wechselte ich mit dem bejahrten, kränklichen Mann ein paar konventionelle Redewendungen und verplauderte einige Minuten mit der jungen schönen Frau. Was hätte ich mit ihm auch reden sollen? Für all jene geschäftlichen Dinge, die sein einziges Interesse bildeten, fehlte mir das Verständnis, und er hinwieder hatte keinen Sinn für dasjenige, was mir aus Beruf und Neigung geläufig ist. Da hatte ich mit der schönen Frau noch immer ein besseres Plaudern. Ihre feine Bildung und ihr reifes Urteil konnte fesseln und anregen. Und ihre Schönheit weckte Bewunderung in jedem Auge. Eine herrliche Gestalt von seltenem Ebenmaß; unbewußte Grazie in jeder Bewegung, besonders in der Art, wie sie das stolze Haupt gegen die linke Schulter zu neigen liebte, als wäre es leicht ermüdet unter dem Druck der schweren, goldroten Haare. Ihr Gesicht war von zartem, durchsichtigem Weiß; dazu dieser rote Mund, dessen sinnliche Fülle ein leiser, herber Zug um die Lippen dämpfte, und diese stillen, großen, tiefschwarzen Augen.

Und dennoch gewährte ihr Anblick, der Verkehr und das Plaudern mit ihr keinen rechten Genuß, keine rechte Freude. Ein eigenartiger Hauch von Kälte wehte um dieses schöne Weib. Es schien keine Seele in ihr zu sein – oder diese Seele lag in einem schmerzvollen Innern tief verschlossen, wie mit eisernen Banden gefesselt. Nur manchmal schien die Gefangene sich in ihrer Haft zu regen, bei irgend einem unscheinbaren Vorfall, und dann ging mit flüchtiger Hast eine zitternde Bewegung über den ganzen Körper des schönen Weibes und über die sonst so ruhigen Züge – das war . . . wie soll ich nur sagen! . . . ja, ich wüßte wohl ein Bild: man steht bei völliger Windstille im herrlichen, schattenkühlen, geheimnisvollen Hochwald – und da geht durch die stillen Bäume unerwartet ein kurzes, eigentümliches Rauschen, alle Zweige bewegen sich, auf dem Grunde rühren sich alle Gräser, das währt nur wenige Sekunden, dann plötzlich herrschte wieder Stille rings umher. Ein alter Jäger, in dessen Gesellschaft ich einmal diesen Vorgang erlebte, meinte dazu: Der Wald hätte »aufgeschnauft«, weil die schwere, gewitterschwüle Luft ihn drückte.

Wie diese beiden, welche so wenig zu einander paßten, wohl zu einander kamen? Die Leute meinten, sie hätte ihn um seines Reichtums willen genommen, der nach hunderttausenden zählte. Aber das vermochte ich nicht zu glauben, es war kein unedler Zug in ihrem Wesen. Auch sonst hätte sich die Klatschsucht gerne an die schöne Frau gewagt. Aber ihr Leben war ein tadelloses, es fand sich nicht der leiseste Anlaß, an den ein Gerede sich hätte knüpfen können. Und so schrie man sie schließlich aus als ein »Bild ohne Gnade«.

Für ihren Gatten, der seinen Jahren nach ihr Vater hätte sein können, hatte sie, soweit die Außenwelt das beobachten konnte, eine immer gleiche, ruhige Freundlichkeit. Er wieder umgab sie mit einer Galanterie von beinahe kindischer Geschäftigkeit, schaute mit scheuer Verehrung zu ihr empor und schien glücklich und stolzzufrieden, wenn auf der Straße alle Augen, im Theater alle Gläser sich nach der herrlichen Erscheinung richteten, oder wenn auf einem Balle stumme Bewunderung den Platz umringte, auf welchem die schöne Frau – sie tanzte niemals einen Schritt – durch lange Stunden geduldig ausharrte.

Was man von ihrer Vergangenheit wußte, war wenig genug – und dennoch alles, was von dieser Vergangenheit dem Anscheine nach überhaupt zu wissen war. Sie hieß mit ihrem Geburtsnamen Rosa Klopfer und war die Tochter eines angesehenen Kaufmanns in einer kleinen Universitätsstadt, von welchem man allerdings sagte, daß seine Vermögensverhältnisse eine Zeit lang nicht die besten gewesen. Mit neunzehn Jahren hatte sie geheiratet und noch während des ersten Jahres ihrer Ehe einem Knaben das Leben geschenkt. Das Kind starb wenige Tage nach seiner Geburt, und bald darauf verließ die junge Frau, nachdem sie eine schwere Krankheit überstanden, die Heimat, und zog mit ihrem Manne in die Residenz. Sechs Jahre war sie schon vermählt, als ich sie und ihren Gatten kennen lernte.

Wie diese beiden, welche so wenig zu einander paßten, wohl zu einander kamen? Das hatte ich mich häufig schon gefragt . . .

Eines Tages erhielt ich nun den Besuch eines Jugendgenossen, mit dem ich mein letztes Studienjahr gemeinsam in einer Norddeutschen Universitätsstadt verbracht und den ich seit einem Jahrzehnt nicht wieder gesehen hatte. Ich fand ihn wenig verändert. Nur sein blonder Bart war dichter geworden, sein Gesicht noch ernster und furchiger. Furchen – bei seinen zweiunddreißig Jahren! Aber ich wunderte mich nicht darüber. Er war von je ein ernster, schwermütiger Bursche gewesen, der eine Jugend mit tollen Streichen und ausgelassenem Frohsinn niemals gekannt zu haben schien.

Eine Prozeßangelegenheit – Freund Benno war Advokat – hatte ihn hiehergebracht, und als die paar Tage vorüber waren, die er zur Erledigung seiner Geschäfte brauchte, nahm ich seinen Arm unter den meinen und durchwanderte mit ihm die Stadt, ihm alles Schöne zeigend, was es da zu sehen und zu bestaunen gab. Und schließlich, damit er neben den Herrlichkeiten der Stadt auch den Prunk ihres gesellschaftlichen Lebens und die Schönheit ihrer Frauen kennen lernen möchte, beredete ich ihn, einen der großen Elitebälle mit mir zu besuchen.

Wir trafen in dem von Menschen erfüllten, von Lichtwogen überfluteten Saal gerade zu rechter Zeit ein, um die Ankunft des Hofes sehen zu können. Als das Gedränge ein wenig sich zerteilte, führte ich meinen Freund die Kreuz und Quer im Saal umher und zeigte ihm nach bestem Wissen alle Persönlichleiten von politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Und da ich auf einem der roten Polster, welche den Saal umringten, Frau Rosa mit ihrem Manne gewahrte, sagte ich: »Komm, ich will dich mit einer schönen Frau bekannt machen, mit der schönsten dieser Stadt!«

Doch ehe wir Frau Rosa noch erreichten, sah ich sie erschrocken aufspringen. Alles Leben wich aus ihren schönen Zügen, mit weit offenen Augen starrte sie uns entgegen, nun tastete sie mit den Händen in die Luft, wie nach einer Stütze suchend, und ohnmächtig sank sie in die Arme ihres Mannes. Sofort bildete sich um sie ein Kreis von Hilfsbereiten und Neugierigen, ich wollte hinzueilen, – da fühlte ich auf dem Arme die zitternde Hand meines Freundes. »Fort, fort – laß uns gehen!« hörte ich ihn mit heiseren Worten stammeln, und sah sein Gesicht von einer fahlen Blässe überzogen, seine Augen in Thränen schwimmen.

Ich wußte kaum, wie wir das Freie erreichten. Benno zog mich hinter sich her, Schritt um Schritt, und als wir auf der Straße standen, murmelte er: »Komm, führe mich irgendwohin, ich will trinken – betrinken muß ich mich, wenn ich nicht sterben soll in dieser Nacht – nach diesem Wiedersehn!«

Wenig später saßen wir einsam in einem kleinen Zimmer, Benno trank in gierigen Zügen den perlenden Sekt, und dazu sprach er unaufhörlich, hastig, von hundert ferneliegenden Dingen, als möchte er durch seine lauten, sprudelnden Worte die schreiende Stimme seines Herzens übertäuben. Dann plötzlich verstummte er, warf sich über den Tisch, drückte das Gesicht in die Arme und brach in schmerzvolles Schluchzen aus. Ich suchte ihn zu beruhigen, aber zu all meinem Troste schüttelte er wortlos den Kopf. Ich brachte keine Silbe aus ihm heraus, doch als wir endlich gingen, als wir durch die stillen Straßen dahinwanderten in sternenheller Winternacht, da stieg ihm das Herz auf die Zunge.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie ewig neu . . .

Studentenzeit! Du schöne Zeit mit deinen Tollheiten und Schwärmereien, deinen Hoffnungen und deiner ersten traumseligen Liebe! Wer vermag es in Worten zu sagen, was alles in dieser Zeit die fliegende Seele füllt, wer weiß es zu schildern, das erste süße Regen und trunkene Stammeln des erwachenden Herzens! Welch ein wonnevoller Reiz, welch ein Vorgefühl des kommenden, höchsten Glückes: dieses schüchterne, hoffende Sichsuchen, dies errötende Sichfinden, der scheu gewagte erste Gruß, dies bange Stammeln und Verstummen, und dies traute Spiel der mutigeren Augen. Und dann der erste heimliche Kuß – dieses Aufstürmen in des Himmels Räume, dieses Untergehen in einem Meer voll Seligkeit!

Das war bei diesen beiden die gleiche alte und ewig neue Geschichte, wie bei tausend anderen. In der Tanzstunde hatten sie sich kennen gelernt, mein Benno, der das rote Käpplein so keck über dem blonden Kraushaar trug, und »Prinzessin Rothaar«, wie Rosa Klopfer von den Idealisten der Tanzstunde, die »schöne Jüdin«, wie sie von den Realisten genannt wurde – und als der Winter zur Neige ging, da waren sie eins in ihren Herzen.

Und mitten in ihrem seligen Hoffen, ohne Übergang, ohne Fürchten und Bangen, kam das Ende ihres verschwiegenen Glückes. Eines Abends erhielt Benno, nachdem er Rosa durch mehrere Tage nicht gesehen, die heimliche Nachricht, daß sie im »Stadtwäldchen« an einer ihm wohlbekannten Stelle seiner warte. Als er den Platz erreichte, fand er eine geschlossene Kutsche vor.

»Hier bin ich!« hörte er Rosa mit leiser Stimme rufen. »Steig' ein!«

Nun saß er an ihrer Seite und der Wagen rollte davon. Es war so dunkel, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber der Klang ihrer Stimme erschreckte ihn, als sie auf seine Frage bitter auflachte: »Ich entführe dich.« Weiter sprach sie kein Wort, sie preßte ihn mit zittemden Armen an sich und schloß seinen stammelnden Mund mit ihren heißen Lippen.

Nach halbstündiger Fahrt hielt der Wagen vor einem kleinen Landhaus. Durch den beschneiten Garten führte Rosa den Geliebten, der in stummer Verwirrung folgte, in das dunkle Haus, Thüre um Thüre öffnete sie vor ihm, und endlich traten sie in ein matt erleuchtetes, wohnliches Zimmer, dessen Tisch gedeckt und bestellt war, als hätte jemand die beiden zu einem behaglichen Nachtmahl erwartet.

»Da sind wir, Benno! Nun komm' und setze dich zu mir, wir wollen plaudern und wollen essen und trinken, als wären wir zu Hause – als wären wir in dem lieben Heim, das wir uns ersehnt haben für Glück und Leben!«

So sagte sie mit schwankender Stimme, er aber starrte wortlos in ihr bleiches, verstörtes Gesicht – und da zog sie ihn an ihre Seite und strich ihm die Haare aus der Stirne. »Was bist du nur gar so stumm? Da muß ich mit dem Plaudern wohl den Anfang machen – ich weiß dir ja auch eine Neuigkeit zu sagen. Seit einer Woche bin ich Braut, und morgen, um diese Stunde schon, trag' ich einen anderen Namen.«

»Rosa!« schrie er auf, und preßte ihre Hände, daß sie vor Schmerz die Stirn furchte.

Schweigend ließ sie den ersten Sturm seiner Thränen und seines Zornes vorübergehen, dann gestand sie ihm, daß ihr Vater vor dem Bankerott stünde und daß ihre Hand der Kaufpreis seiner Rettung wäre.

»Ich mußte ihn retten!« sagte sie, und wie sie es sagte, daraus konnte Benno wohl ahnen, daß für Rosas Vater mit dem Bankerotte noch Schlimmeres verknüpft sein möchte als nur der Verlust seines Vermögens. »Wie sehr ich dich liebe, Benno, das ahnst du kaum. Ich schließe mein Leben ab mit dieser Nacht. Aber ich liebe auch meinen Vater, ich, als sein Kind, habe kein Recht, sein Thun und Handeln zu richten, nur lieben darf ich ihn – er hat mir das Leben geschenkt, und so kann er es wieder fordern von mir, gleichviel, ob ich es willig gebe oder mit brechendem Herzen.«

Das schneidende Weh, das aus dem Ton dieser Worte sprach, machte jede Klage, jeden Vorwurf auf Bennos Lippen verstummen. Er schlang die Arme um ihren Leib, drückte das Gesicht in ihren Schoß und schluchzte. Mit zitternden Händen streichelte sie sein zuckendes Haupt und blickte mit schmerzlichem Lächeln auf ihn nieder, während flimmernde Thränen über ihre bleichen Wangen rollten.

Und als sein Schluchzen verstummte, als er wieder Worte fand, sein Leben verloren und zerrissen nannte und in seinem Schmerze zu einer harten Rede wider ihren Vater sich hinreißen ließ, legte sie die Hand auf seinen Mund und sagte: »Schilt ihn nicht – er hat geweint über mich. Und er weiß auch, daß ich hier bin – und bei dir. Er sprach kein Wort dagegen, als ich ihm sagte, daß ich lebendigen Leibes nicht sterben will, bevor ich gelebt habe, und wär' es auch nur eine einzige Stunde! Daß ich dieses häßliche, freudlose Dasein nicht beginnen will, ohne einen Trost, ein Gedenken an mein zerstörtes Glück mit hinüberzunehmen in diese tode Zeit! Ich weiß, es ist ein Betrug an jenem anderen, aber er betrügt ja auch mich um mein Leben. Und von dir, Benno, von dir konnte ich nicht Abschied nehmen für ewig, ohne dir zu geben, was dem eigen ist, um unserer Liebe willen. Weißt du –« und flüsternd neigte sie ihren Mund zu seinem Ohr, »diese Nacht soll unser Leben sein . . .«


Sie verging, diese Nacht, und als der Morgen graute, huschte ein blasser Mensch mit verstörten Zügen und taumelnden Sinnen aus dem stillen Haus und durch den einsamen Garten, um dessen Mauern der laue Südwind fegte. Der Föhn war gekommen mitten in der Nacht, um den Schnee zu sengen, um alle Dächer und Bäume triefen zu machen – gekommen als erster Bote des nahenden Frühlings.

In den lenzblühenden Herzen zweier Menschen aber war es Winter geworden –

* * *

Seltsames Zusammentreffen! Als Benno in jener Winternacht, in welcher wir durch die stillen Straßen wanderten, mit seiner Geschichte zu Ende kam, da graute auch der Morgen, und von den Häusern ging ein leises Tropfen nieder, als wäre der warme Frühling nicht mehr ferne.

Wir schieden, ohne von einander Abschied zu nehmen. Er sagte kein Wort, daß er mit dem kommenden Tage schon die Stadt zu verlassen gedenke. Doch als ich ihn zu Mittag im Hotel besuchen wollte, erfuhr ich, daß er abgereist wäre.

Wirklich abgereist? Eine Woche später meinte ich an dieser Nachricht zweifeln zu dürfen. Ein planloser Spaziergang hatte mich in einen entlegenen Stadtteil geführt und da rasselte in einer engen Straße ein Coupé an mir vorüber, und in dem Herrn, der in die Kissen zurückgelehnt saß, glaubte ich Benno zu erkennen.

Wohl kann ich mich getäuscht haben – denn gerade in jenem Augenblick, in welchem der Wagen an mir vorüberfuhr, waren meine Gedanken bei dem Freunde und seiner Geschichte.

Frau Rosa habe ich seit jenem Eliteball nicht gesprochen. Nie wieder traf ich sie in einem der Salons, in denen ich ihr sonst zu begegnen pflegte. Ein einzigesmal nur sah ich sie im Theater, und da schien sie meinen Gruß nicht zu gewahren – mit ruhigen Augen blickte sie über mich hinweg ins Leere.

 


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