Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Das Truden-Auge.

In einem stillen Bergwinkel war's, genau drei Tage vor Lichtmeß, und an einem Sonntag dazu. Die Mierl hatte drinnen im »Markt« das Hochamt besucht, hatte darnach ein paar kleine Einkäufe besorgt, und nun kam sie zwischen entblätterten Kastanienbäumen die beschneite Straße einhergegangen. Ein recht sonntäglicher Ernst lag auf ihrem gesunden Gesicht, das von der Kälte etwas bläulich angehaucht war. Der leichte Wind spielte mit ihren grünen Hutquasten, mit den bunten Fransen ihres seidenen Fürstecktuches, mit den glitzernden Schaumünzen ihrer silbernen Miederkette, und recht ungezogen pluderte er die dunkelbraunen Röcke auf, als hätte er den kahlköpfigen Straßensteinen verraten wollen, wie viele, viele Hasenwolle die Mierl zu ihren Wadenstrümpfen brauchte.

Auf ihrem Gesichte lag, wie schon bemerkt, ein gar sonntäglicher Ernst – nachdenklicher Ernst, das wäre schon etwas zu viel gesagt, denn ihre Haselnußaugen schauten weniger mit gedankenvoller Klugheit, als mit hülfloser Traurigkeit, mit richtigen Dulderblicken in den schönen Wintertag, an dem die weißen Berge im Sonnenscheine funkelten, als hätte sie der liebe Herrgott aus purem Silber gegossen, als hätte er sie eben erst aus der Form genommen und so glänzend und gleißend zur Freude der Menschen hingestellt unter den blauen Himmel. Von all dieser winterlichen Herrlichkeit aber schien die Mierl kaum ein Schimmerchen zu sehen; sie schnitt zu ihren trübseligen Blicken mit den roten Lippen ein Schnoferl, als wäre ihr irgend etwas, an das sie gerade recht langsam dachte, aber auch schon gar nicht recht, und als wären ihr dabei die gleißenden Reize der Natur so zuwider wie »Dampfnudeln in der Schleifersbrüh'« – denn mit diesen konnte man die Mierl, seit sie sich an der schönen Gottesgabe einmal krank gegessen, von jedem Tische treiben.

Jetzt ging sie an dem langgestreckten Wiesengarten des Försters vorüber und näherte sich dem Gatter, das den sauber gekehrten, zum Forsthause führenden Kiesweg versperrte. An dieser Stelle war vor langen Jahren der Vater des jetzigen Försters von einem meuchlerischen Wilddieb erschossen worden, und zum Gedächtnis des Ermordeten hatte man hier ein »Marterl« errichtet, ein steinernes Kreuz mit einem hölzernen Betstuhl davor.

Als nun die Mierl an dem heiligen Bilde vorüberschritt, machte sie ein paar fromme Augen und bekreuzigte sich das blaue Näschen. Einige Schritte ging sie noch weiter, dann blieb sie plötzlich stehen, schaute nachdenklich über die Schulter zurück, kehrte um, ließ sich auf den verwetzten Schemel nieder und begann zu beten. Dazu seufzte sie ein um das andere Mal tief aus dem Herzen, als wäre das heimliche Anliegen, um dessentwillen sie die Hände faltete, ein gar bedenkliches. Wohl rührte sie nur wortlos die Lippen; aber droben über den Wolken ist Einer, der allhörende Ohren hat, und so konnte er auch deutlich vernehmen, was die Mierl im stillen betete. Und das lautete ungefähr folgendermaßen: »Du lieber, guter Herrgott du, schau, ich thu' dich bitten, sei doch ein bisl gescheidt und mach', daß es mit mir und dem Bichler-Steffel bald richtig wird. Freilich bin ich nur eine arme Dirn', und er hat Haus und Hof, aber wir thäten halt doch so gut zusammenpassen – weißt, im G'müt – ja, und weil ich ihn halt gar so viel gern haben thu' – gar so viel! Und weißt es ja, lieber Herrgott, daß mich der Steffel auch net ungern sieht – das hab' ich ja lang schon g'merkt – aber 's Reden wird ihm halt gar so schwer, so fürchtig schwer. Ja, schau, lieber Hergott, da könnt'st dein' Güt' jetzt grad einmal recht schön beweisen, wenn du halt dem Steffel sein' Zung' ein bisl heben thät'st – denn daß ich dir's sag' – schau, wann er net bald zum Reden kommt – ich halt's ja nimmer aus. Gewiß wahr, bevor ich den Kummer noch lang in mir umeinandertrag', da thu' ich schon lieber meinem Bauern an Lichtmeß kündigen und such' mir einen andern Dienst, weit fort, ja, weiß Gott wo in der Welt. Und schau', lieber Himmelvater, so was wirst ja doch net wollen . . .«

So ähnlich betete die Mierl weiter und bewies ihrem Herrgott auf ein Haar, daß er aus diesen und jenen Gründen eigentlich verpflichtet wäre, diesem stockstummen Steffel je eher je lieber die schwere Zunge zu lösen.

Mit einem lauten, energischen »Amen« erhob sie sich endlich, getröstet von der sicheren Hoffnung, daß ihrem Herrgott so schlagenden Gründen gegenüber doch wohl nichts anderes übrig bleiben werde, als eben »ein bisl gescheit« zu sein.

Schon wollte sie heimzu wandern, als ihr plötzlich ein funkelndes Etwas, das hart am Zaune halb im Schnee vergraben lag, den Schritt verhielt. Sie bückte sich, hob das kleine Ding von der Erde und reinigte es mit der Schürze; je länger sie es dann betrachtete, desto ratloser schüttelte sie den Kopf, desto weiter fielen ihr die Lippen auseinander, desto staunender öffneten sich ihre Lider. Was sie in ihren Händen hielt, sah sich an wie eine kleine, gläserne Kugel – und dennoch war es unverkennbar ein richtiges, wirkliches Auge. Das schaute ihr inmitten eines bläulichen Weiß aus dem schiefen Schlitz des rostfarbenen Sternes so grünlich funkelnd, so schielend, falsch und feindselig entgegen, daß ihr völlig unheimlich zu Mute wurde. Ein Frösteln packte sie bei den Schultern, und bereits erhob sie die Hand, um das unheimliche Ding zurückzuschleudern in den Schnee, als knirschende Tritte sie aufblicken machten. Auf der Straße kam ihr ein altes, gebücktes, ruppig gekleidetes Weiblein entgegengehumpelt, dem trotz des Sonntags das Grauhaar in zerzausten Büscheln über die Schläfen hing. Das war die Kohlenbrenner-Margaret, die »weise Frau« des Dorfes, von der die Rede ging, daß sie so klug wäre, als hätte sie dem lieben Herrgott bei Erschaffung der Welt über die Schultern geguckt, das sie alles wüßte, was Menschenverstand nur zu wissen vermöchte, und daß sie sogar in finsterer Nacht die Mondstäubchen fliegen sähe – denn am hellen Tage die Sonnenstäubchen tanzen zu sehen, dazu gehört kein ausnahmsweiser Grad von Gescheitheit. Das »Viehdoktern« verstand sie wie niemand im Lande, und besonders bewandert war sie im Geisterfach – wer in Bezug auf Hexen, Wechselbälge, Billwizschneider, Holimänner, Grenzsteinrücker und sonstige Haus-, Wald- und Wiesengeister ein Anliegen hatte, fand bei der alten Margaretl immer den besten Rat.

Nun standen die beiden vor einander, und eh' es noch zu einem Gruße kam, streckte Mierl schon der Alten die Hand mit dem seltsamen Ding entgegen und flüsterte: »Du, da schau Margaretl, was ich gefunden hab'!«

Die Alte machte ein wichtiges Gesicht, griff zu, hob die Glaskugel dicht vor die rotunterlaufenen Augen, betrachtete sie von allen Seiten, kratzte mit den Fingernägeln daran und beschloß ihre Untersuchung damit, das sie an der Kugel roch. »Ah ja! Ahan!« meinte sie und nickte dazu vielsagend mit dem Kopfe.

»Geh', du, was kann denn das jetzt sein?«

»Ja bist denn gar so dumm?« flötete die Alte durch ihre Zahnlücken. »Kannst denn das nicht selber sehen, daß das ein Aug' ist?«

»Ein Aug'? Ja freilich! Aber von wem denn?«

»Von wem? No ja, von wem denn anders, als wie von einer Trud!«

»Jesus, Maria – von einer Trud!« stotterte Mierl und bekreuzigte sich erblassend.

»So? Gelt? Das weißt, was eine Trud ist?«

»Und ob ich's weiß! So eine hat mich weiters nicht allweil druckt in der letzten Zeit – g'rad da am Herzen, weißt im Schlaf!«

Die Margaretl kicherte, und das klang, wie wenn der Buntspecht an einer hohlen Fichte hämmert. »No schau, da ist vielleicht gar das Aug' da von der deinigen. Wo hast es denn gefunden?«

»G'rad da, beim Kreuz!«

»No also, da ist ja nachher gar kein Zweifel mehr. Weißt, die dumme Trud, die hat sich halt beim Drucken versäumt, hat in der Eil' den falschen Weg troffen, und wie 's ans Kruzifix angerumpelt ist, da ist ihr vor Schrecken das Aug' ausgefallen und ist versteinert. Ja, so was kann ihnen passiren, den Truden, wann 's nicht Obacht geben.«

Daraufhin erging sie sich in einer detaillirten Schilderung der Lebensweise, der Beschäftigung und des Aussehens der Truden, und erzählte der mit offenem Munde staunenden und mit Gruseln lauschenden Mierl, daß die Truden nur ein einziges Auge mitten auf der Nase hätten, und daß sie an den Stellen, an denen bei den Menschen die Augen lägen, gleich den Maikäfern zwei lange Fühler trügen, mit denen sie sich in der Nacht zum Bette ihres Opfers tasten. Der Umstand, daß Mierl von einer Trud als von einer Hexe sprach, entrüstete sie ordentlich. Aufs genaueste erklärte sie dem unwissenden Mädchen den Unterschied, wobei sie von dem Haupt- und Kardinalsatz ausging, daß man das Hexen lernen könne, während das Truden angeboren sein müsse. Weiterhin verbreitete sie sich über die Hilfsmittel, welche den Menschen gegen diese Quälgeister zu Gebote stünden – und wie wirksam diese Mittel wären, das wußte sie an einem Beispiele zu erweisen. Ihr Seliger wäre einmal Nacht für Nacht von einer Trud geplagt worden, und auf seine Klagen hätte sie ihm geraten, sobald er den Druck wieder verspüre, mit einem in Weihwasser getauchten Hölzchen das Schlüsselloch zu verstopfen, durch das die Trud ihren Weg in die Kammer genommen. Das hätte er gethan, und so wäre die Trud von ihm gefangen worden. Wie er sie dann greifen wollte, hätte sie sich in ein bildsauberes Dirnlein verwandelt, um sein Mitleid zu erregen; er aber wäre »kein solcher« gewesen, sondern hätte sich kurz entschlossen der Trud auf den weißen Rücken geschwungen, hätte sie zur Schmiede geritten und sie hufgerecht auf allen Vieren beschlagen lassen.

»Und von der Stund' an hat er seine Ruh' gehabt,« berichtete die Margaretl. »Und auch sonst hat's ihm gar viel geholfen, denn er hat der Trud ihr Haar abgeschnitten – und wer von Geistern 'was in Händen hat, der kann sich g'rad' wünschen, was er mag. Ja, Mierl, darfst mir's glauben, du kannst von Glück sagen, daß du so 'was gefunden hast. Aber verschwiegen mußt sein, keinem Menschen darfst 'was sagen davon – ja, schau – wer weiß, leicht kannst am End' gar noch einen Schatz damit finden!«

»Einen Schatz?« stammelte Mierl, während sie bis hinter die Ohren errötete. »Ich – ich thät' mir schon einen wissen.«

»Was? Geh'! Ja wo denn? Sag'!«

»Droben im Bichlerhof – den Steffel!«

Die Margaretl machte ein dummes Gesicht; dann aber platzte sie los und lachte, daß ihr die Schultern wackelten.

Weiter konnten die beiden nicht miteinander reden; ein paar Leute, die des Weges gekommen, hatten sich zu ihnen gesellt und wollten durchaus wissen, weshalb die Margaretl so lustig wäre. Die kluge Alte erzählte ihnen irgend ein kleines Geschichtlein, machte der Mierl noch ein geheimes Zeichen des Stillschweigens und humpelte kichernd davon.

Als hätte dieses Zeichen der Dirne Feuer unter die Sohlen gelegt, so eilig rannte sie nun heimzu, dem Bauernhof entgegen, in dem sie bedienstet war. Stirn und Wangen brannten ihr in heller Glut, und wie ein Hammer schlug ihr das Herz unter dem Mieder. Jetzt kam ihr der Steffel nicht mehr aus, jetzt hatte sie ihn in der Tasche – beim Truden-Auge, das seine Zauberkraft an ihm erweisen mußte. Aber – – ja, dieses verflixte Aber! Wie ein eisiger Frost fuhr ihr die Wirkung dieses einzigen Wörtleins durch alle Glieder. Sie marterte ihr Gehirn, sie grübelte sich ordentlich in Schweiß, aber es gähnte doch immer eine böse Lücke in den Antworten, die sie auf die erschöpfenden Fragen des bekannten lateinischen Spruches zu geben wußte: Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando? Da war ihr Alles klar, bis auf eines – das Wichtigste. Quis (wer)? Der Steffel natürlich. Quid (was)? Ihm die Zunge lösen. Ubi (wo)? Auf dem bewußten Bänklein hinter dem Bühel. Quibus auxiliis (durch welche Mittel)? Durch die Zauberkraft des Truden-Auges. Cur (warum)? Weil sie es länger nicht mehr aushielt. Quando (wann)? Noch heute Abend. Das quomodo aber, das Wie – das war und blieb ihr dunkel. Und sie konnte auch niemand um Rat fragen, da sie ja zu niemand mehr von ihrem Funde sprechen durfte, wenn er seine Wirkung nicht verlieren sollte. Ob es wohl das richtige wäre, wenn sie dem Steffel die Zauberkugel in der Herzgegend hinter die Weste schmuggeln würde? Oder sollte sie das Truden-Auge im Mörser zerstoßen und dem Steffel das Pulver in den Maßkrug schütten? Schließlich gab sie das Fragen auf und tröstete sich mit ihrem Herrgott, den sie helfend an ihrer Seite wußte; er war es ja gewesen, der ihr Gebet so stracks erhört und sie gleich einem Wunder das kostbare Kleinod hatte finden lassen. Der würde ihr das Wie schon eingeben im rechten Augenblick.

Der Abend kam – und mit ihm der Steffel zum gewissen Bänklein hinter dem Bühel, auf dem die Mierl schon seiner harrte. Es war ein hübscher, gut gewachsener Bursche, dem man es an den harmlosen wasserblauen Augen auf den ersten Blick schon ansah, daß er »im G'müt« vortrefflich zur Mierl paßte. Diese staunte pflichtschuldigst über den Zufall des Zusammentreffens, obwohl sich derselbe seit langen Wochen allsonntäglich wiederholte. Sie rückten hart aneinander und fingen nun zu reden, oder richtiger gesagt, zu schweigen an. Die Worte fielen so spärlich, wie die Tröpflein von einem Dache, fünf Stunden nach einem Regen. Und wenn sie sprachen, so sprachen sie vom Wetter, darauf von den Kühen, und dann fingen sie wieder von vorne an. Dabei war Steffel eigentlich noch schweigsamer als sonst; Mierls Benehmen machte ihn stutzig und gab ihm zu denken, und das Denken natürlich, das ist eine »stade Sach'«. Sie rückte aber auch so seltsam unruhig hin und her, in ihren Augen war ein eigentümlich scheuer Blick, manchmal zitterte sie, und Röte und Blässe wechselten auf ihrem Gesichte.

Einmal schon hatte er sie gefragt: »Bist denn marodi, Mierl?«

Sie aber hatte zur Antwort so heftig den Kopf geschüttelt, daß ihr fast die Zöpfe losgegangen waren.

Nun schielte er schweigend schon eine Weile nach ihrer linken, festgeschlossenen Faust, und als er sah, daß sich unter diesen Blicken Mierls Unruhe noch steigerte, raffte er sich zu der Frage auf: »Hast dich am End' heut' Mittag beim Tränken überhoben, weil dir die Finger gar so krämpfig sind?«

Erschrocken schaute sie auf und barg die Faust in den Falten ihres Rockes.

»Geh, laß anschauen, was hast denn?« sagte er, und streckte die Hände.

»Jesus, Maria – Steffel!« stotterte die Dirne in heller Angst. »Laß gut sein – schau – ich hab' ja nichts – und ich darf dir's ja nicht sagen!«

Er aber hielt schon mit allen zehn Fingern ihre Faust gefangen, und je heftiger sie sich wehrte, desto fester griff er zu und suchte ihr mit Gewalt die Hand zu öffnen. Dieses Ringen, bei dem sich immer wieder die Wangen berührten und die Schultern so fest aneinanderwuchsen, schien ihm zu gefallen, und er lachte dazu mit einem etwas dümmlich verlegenen Gesichte. Vor seinem Ungestüm sah Mierl bald keinen Ausweg und keine Hilfe mehr. Der Versuch, die Faust in die Tasche zu retten, war ihr mißglückt. Dem Steffel aber war es schon gelungen, zwei ihrer Finger aufzuzwingen.

Mit dem Aufgebot ihrer ganzen Kraft befreite Mierl ihre Hand und fuhr damit, um das zaubermächtige Kleinod vor Steffel's tappenden Händen in Sicherheit zu bringen, unwillkürlich nach dem Munde! Kaum aber fühlte sie die glatte Kugel auf der Zunge, als ihr einfiel, was sie eigentlich im Munde hielt: ein Gespensterauge, das eine Trud in der Nase getragen – und da überkam sie jählings ein haarsträubender Ekel. Sie wollte das abscheuliche Ding ausspucken, verschluckte sich dabei, und schlupp, rutschte ihr die Kugel in den Hals. Bis in die Lippen erblaßte sie, riß sperrangelweit die Augen auf, griff mit den zuckenden Händen in die Luft und rang unter gurgelnden Lauten nach Atem.

Auch dem Steffel war das Lachen vergangen, auch er war in Schreck und Sorge erblaßt. »Ja mein Gott, Schatzerl, ja um Gotteswillen, was ist dir denn, sag', was hast denn!« stammelte er, schüttelte Mierl heftig am Arme und bearbeitete dazu mit der anderen Faust ihren Rücken.

Damit hatte er das beste Mittel gefunden; ein heftiger Hustenanfall überkam die Dirne, ein paar Augenblicke würgte sie noch, daß ihr die Backen dunkelblau anliefen, dann plötzlich schoß ihr die Glaskugel zwischen den Zähnen hervor und beschrieb einen Bogen durch die dunkelnde Luft, um irgendwo im Schnee zu versinken.

»Ah!« seufzte Mierl unter Thränen auf und schlang, als wäre sie so schwach geworden, daß sie einer Stütze bedurfte, die Arme um Steffel's Hals. »Jetzt wär' ich aber schier erstickt.«

»Aber so was!« stotterte er und drückte sie noch fester an seine Brust. »Was da jetzt passiren hätt' können! Du lieber Herrgott, ich wär' ja selber gestorben dazu, wann dir was geschehen wär' – kannst es glauben – so gern thu' ich dich mögen, so arg viel gern! Aber so sag' doch, geh', was hat dich denn eigentlich anpackt – so auf einmal?«

»Ich kann's ja nicht sagen!« lachte und weinte Mierl. »Und du kannst dir ja gar nicht de . . . denk . . .«

Weiter brachte sie das Wort nicht heraus, denn seine zweite Hälfte hatte Steffel in des Wortes wirklichster Bedeutung aufgeschnappt. Da war es nun freilich zu Ende mit allem Reden, denn eines hielt mit seinen Lippen den Mund des anderen fest geschlossen. So saßen sie eng umschlungen und halsten und küßten sich, bis jählings irgend ein verdächtiges Geräusch sie aus ihrem Liebestaumel aufscheuchte und nach verschiedenen Seiten in die Flucht trieb.

Nun stand das Bänklein leer, hinter den verschneiten Büschen aber klang es hervor wie das Hämmern eines Spechtes. Oder war es das Kichern der alten Margaret?

Gleichviel, Steffel hörte nichts mehr. Der sprang schon hinter dem Bühel mit brennendem, glückselig verklärtem Gesichte über die Straße. Als er dann auf dem Heimweg den Hof des Försterhauses kreuzte, vernahm er aus der erleuchteten Stube eine scheltende Männerstimme und ein jämmerliches Weinen. »Was ist denn? Beutelt der Förster seine Buben?« fragte er die Magd, die gerade mit einem Eimer zum Brunnen kam.

»Ja, weißt, über Tag ist er fortgewesen, und wie er jetzt heimgekommen ist, hat er gemerkt, daß ihm seine Buben ein paar von den Glasaugen vertragen haben, die er zum Tierausstopfen braucht.«

Drinnen in der Stube wurde das Weinen zu lautem Geheul.

»Geschieht ihnen ganz recht, sie sollen ihrem Vater seine Sachen in Ruh' lassen!« meinte Steffel, und wanderte lachend in die sinkende Nacht hinein.

Vielleicht aber würde seine Meinung anders gelautet haben, wenn er hätte ahnen können, wie sein junges Liebesglück mit den feuerroten Ohrwascheln der Förstersbuben in so innigem Zusammenhange stand.

 


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