Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Der Kamerad des Frühlings.

(Ein modernes Ostermärchen.)

Ein brausender Sturm war ihm vorangeflogen, hatte die Bäume gezaust und die weiße Last von ihren Ästen geschüttelt, hatte mit Heulen die Dächer umfahren und den Schnee davon geweht. Dann hatte sich die Macht des Sturmes zu einem lauen, leisen Lüftchen gedämpft, und da wußten nun die Leute, daß er kommen würde.

Mit leichten Sohlen stieg er, von Süden her, über den Grat des Gebirges, ein schöner Jüngling in wallendem Blondhaar. Einen blühenden Lilienstengel führte er als Wanderstab, sein Gewand war aus duftenden Blüten mit Sonnenstrahlen genäht, und bunte Schmetterlinge umgaukelten ihn als sein Geleit. Singend wandelte er über die Berggehänge nieder, und wo er ging, da schmolz in weiter Runde der Schnee hinweg, es färbte sich der welke Rasen grün, die Blumen sproßten auf, um ihre Kelche summten die Bienen, die Blätter sprangen aus den Bäumen, und zwitschernd suchten sich in allen Büschen die verliebten Vögel.

Nun hatte er das ebene Land erreicht und wanderte singend die weiße Straße dahin. Erschrocken aber hielt er plötzlich inne, denn der holde Zauber, der von ihm ausging, schien jählings gebrochen. In weitem Umkreis sah er das Land verwüstet, den Rasen verkohlt, die Gesträuche niedergestampft, die Bäume gefällt. Kein singender Vogel war zu hören, zwei schwarze Raben nur durchflatterten mit heiserem Krächzen die von Rauch und Dunst erfüllte Luft. Und inmitten dieser Verwüstung, auf dem qualmenden Schutte einer niedergebrannten Hütte, sah er einen riesengroßen Mann gelagert; ein blitzender Stahlhelm deckte das Haupt und die Stirne, ein brauner, blutbefleckter Mantel mit verbrannten Säumen verhüllte die Gestalt und das Gesicht, so daß allein die düster glühenden Augen zu sehen waren. Als der Unheimliche den schönen Jüngling erspähte, rief er ihm mit dröhnenden Worten zu: »Bist du der Frühling?«

»Ja, ich bin der Frühling,« antwortete der Jüngling mit glockenweicher Stimme.

»Weshalb nur säumtest du so lange?«

»Mich hielt der Eisriese gefangen; doch als ich die Osterglocken läuten hörte, hab' ich meine Fesseln mit Gewalt gebrochen und meine frohe Fahrt begonnen. Wer aber bist du?«

»Ich bin der Krieg. Doch komm', ich habe nur auf dich gewartet. Unser Weg ist der gleiche, geh' du voran, ich will dir folgen als dein Kamerad.«

Er sprang empor und schlug den Mantel auseinander. Bläuliches Erz umschloß den riesigen Leib, am Kettengürtel hing ein blitzendes Schwert und eine blutige Geißel, bleich und hager starrte das schreckliche Gesicht, Schlangen waren die Locken, die es umringelten, und sein Bart war eine rote Flamme, die zur Erde züngelte. Knatternde Blitze fuhren aus den Schienen seines Panzers, Rauch qualmte unter seinen Sohlen hervor, und wo er stand, ging ein Regen von zahllosen Tropfen nieder, die sich zu rinnenden Bächen sammelten.

»Was sollen diese Bäche, die ich zu deinen Füßen rinnen sehe?«

»Es sind die Thränen, die um meinetwillen fließen.«

Schaudernd wandte sich der Frühling ab und schritt voran; er hörte, wie der Krieg ihm folgte mit Tritten, welche klirrten, wie fallendes Eisen und schleifende Ketten. Und wo der Frühling ging, da blühte im Glanz der Sonne das weite Land, um unter den Schritten des Krieges in Wüstenei sich zu verwandeln.

So waren sie eine Weile gewandert, als der Frühling am Straßenrain ein junges Mädchen sitzen sah, das mit beiden Händen sein Gesicht verhüllte und bitterlich weinte. »Schließe deinen Mantel,« sagte der Frühling zum Krieg, »vor deinem Anblick möchte das arme Kind zu Tod erschrecken!« Dann ging er auf die Weinende zu und streute Blumen in ihren Schoß. Und als sie dieser Gabe nicht achtete, frug er sie: »Warum weinest du?«

»Ich weine, weil ich so verlassen bin seit langen Jahren. Wie ich noch ein Kind war, hat der Krieg meinen Vater getötet, und meiner Mutter ist darüber das Herz gebrochen.«

Traurig blickte der Frühling dem Krieg in die glühenden Augen. »Willst du nicht umkehren? Rührt dieser Jammer nicht dein Herz?«

»Mein Herz ist Stein und Eisen,« sagte der Krieg. »Den ganzen langen Winter hab' ich auf dich gewartet, nun will ich dir auch folgen.«

Sie wanderten weiter und kamen zu einem schmucken Dorf. Hart an der Straße stand die Kirche, an deren hohen Fenstern die Sonne sich spiegelte. Wundersame Glockenklänge schwebten vom Turm hernieder, die Orgel rauschte, und von hundert frommen Stimmen gesungen erscholl das heilige Osterlied vom Heiland, der aus Tod und Grab erstanden.

»Willst du nicht umkehren?« bat mit sanften Worten der Frühling. »Beuge dich vor ihm, der den Menschen den Frieden und die Liebe brachte.«

»Mein Recht ist älter als das seine,« murrte der Krieg, »denn ich wurde geboren, als Kain den Abel erschlug.«

Während sie noch sprachen, war die Messe zu Ende und die Leute strömten aus dem Thor der Kirche. »Verhülle dein Gesicht,« so bat der Frühling seinen Begleiter. Und kaum daß er gesprochen hatte, eilten schon die Burschen und Mädchen herbei; sie hatten gesehen, daß der Frühling gekommen war, und begrüßten den lang Erwarteten mit Tanz und Liedern. Der Frühling aber konnte sich ihres Jubels nicht von Herzen freuen, und dann auch schien es ihm, als klänge ihr Lachen nicht so frei und heiter, ihr Gesang nicht so hell und jubelnd wie sonst, wenn er zu kommen pflegte.

»Weshalb begrüßt Ihr,« frug er sie, »mein Kommen in diesem Jahr mit so gedrückter Freude?«

»Weil bange Sorge auf unseren Herzen lastet,« gaben sie zur Antwort, »und weil wir fürchten, daß du nicht allein kommst und daß ein böser Kamerad dir folgen wird.«

Da lachte der Krieg und ließ den Mantel fallen. Jählings verstummten die Lieder, im Tanz erstarrte jeder Fuß, ein gellender Wehschrei hallte von jeder Lippe, die Weiber umklammerten ihre Männer und Söhne, die Mädchen ihre Liebsten . . . der Krieg aber streckte die eherne Hand, riß die Schluchzenden aus einander, hauchte Tod und Vernichtung aus seinem Munde und schüttelte den Bart, daß Feuer auf alle Dächer flog.

Klagend eilte der Frühling von dannen, doch er hörte hinter sich den Schritt des Krieges, klirrend wie fallendes Eisen und rasselnd wie schleifende Ketten. So kamen sie in einen dunklen Wald. In diesem lag, dicht an der Straße, ein kleiner See mit klarem Spiegel. Quer über die Straße schien die Grenze eines Landes zu ziehen, denn ein in Streifen bemalter Schlagbaum sperrte den Weg.

»Geh' nur voran,« sagte der Krieg und zog sein blitzendes Schwert, »dort drüben ist mein Ziel.«

»Willst du nicht umkehren?« bat der Frühling. »Dort drüben liegt mein schönstes Land, darin ich am liebsten meinen Einzug halte! Soll ich es verwüstet sehen unter deinen Schritten? Sollen sie alle, die meiner in Sehnsucht harren, meinem Kommen fluchen, weil du mir folgst?«

»Verliere keine Zeit,« murrte der Krieg, »sie wissen, daß ich komme.«

»Wie bist du schrecklich!« sagte der Frühling. »Hast du schon einmal dein eigenes Antlitz gesehen? Komm – ich will es dir zeigen.« Er führte den Krieg dicht an den See heran und hieß ihn niederblicken in das stille, tiefe Wasser. Und als der Krieg in dem glatten Spiegel nun sein grauenvolles Abbild sah, von Flammen umlodert und von Blut umronnen, erschrak er so heftig vor sich selbst, daß seiner Hand das Schwert entfiel. Zischend fuhr es in die Flut – doch als es schimmernd niedersank zur Tiefe, da zitterte durch die Lüfte ein wundersamer Laut – es war, als hätte die Erde freudig aufgeseufzt, jählings erlöst von banger Sorge.

Wie zu Stein verwandelt kauerte der wehrlose Krieg am Ufer – der Frühling aber umwandelte singend den ganzen See, und hinter seinen Schritten stiegen Rosen in dichter Hecke aus dem Grunde, höher und höher wuchs die grüne, blühende Mauer und hielt den Krieg gefangen mit ihren Dornen.

Sanft aus der Ferne tönten die Osterglocken, im Walde rauschten die Wipfel, und zwitschernd schwangen sich die kleinen Sänger von Zweig zu Zweig.

Singend zog der Frühling von dannen, das Land, in dem er Einzug hielt, mit Blüten überstreuend.

 


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