Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Die Blüten des Lebens.

Ein Märchen.

Wie ein verschwommener Hall, wie ein Laut aus weiter Ferne war es in seinen Ohren, als hätte eine weiche, mahnende Stimme ihm nachgerufen: »Bleibe, bleibe!« Er aber hörte nicht mehr. Mit heißer Stirn und brennenden Wangen eilte er über seines Hauses Schwelle und stürmte hinaus in die frostige Nacht. Planlos irrte er durch die Straßen der schlummernden Stadt, und als er das offene Land erreichte, wanderte er queraus über die fahlen Wiesen und brachen Felder, in deren Furchen ein letzter Schnee noch seine kleinen Nester hielt. Die bleiche Sichel des Mondes tauchte über den Wald empor der in dämmerumsponnener Ferne gleich einer schwarzen Mauer sich dehnte; zwischen kahlen, rührsamen Weiden gurgelte ein müder Bach, Staub und morsche Blätter, ein Spiel des Windes, glitten raschelnd über die Erde, und durch die hohen Lüfte zogen in lautlos eilendem Flug die wandelsüchtigen Wolken, so daß die wenigen Sterne bald erstickten, bald wieder aufleuchteten in zitterndem Glanz, um abermals zu erlöschen hinter treibendem Gewölk.

Er wanderte und wanderte . . . er hörte nicht, was aus dem Gurgeln des Baches, aus dem Raunen des Windes zu ihm sprach, er sah nicht, was rings um ihn die klare Nacht nur halb verschleierte . . . nach einwärts waren seine Augen gekehrt und tauchten in die Tiefen seiner Seele. Und was da emporstieg vor seinen Blicken an gaukelnden und lockenden Bildern, das schien ihm ersehnenswerte Wirklichkeit, das wollte er fassen und halten mit beiden Händen . . . doch immer wieder zerflossen sie in wirrem Nebel, alle Bilder seiner träumenden Wünsche . . . und seine Arme griffen mit zuckenden Fingern in die leere Luft, als könnte er noch einen letzten Schimmer des verschwimmenden Glanzes erhaschen, und mit bebenden Lippen schrie er auf: »Ich will, ich will!«

»Wollen mußt du . . . und du wirst können!« schlug jählings eine Stimme an sein Ohr. Woher? Aus seiner nächsten Nähe . . . aus unermeßlich weiter Ferne? Er konnte den geisterhaften Klang nicht fassen. Mit wirren Augen sah er empor, und Grauen faßte seine Sinne.

Vor seinen Blicken stand ein Etwas . . . nicht Mensch und auch nicht Tier, nicht fester Stoff und auch nicht luftiges Gebilde . . . und dennoch alles zugleich. Bald riesengroß, mit seinem Scheitel in die Wolken ragend, bald winzig, wie ein kriechendes Insekt. Bald strahlend in Gewändern von gleißendem Gold und übersäet mit blitzendem Gestein, bald grau von Lumpen und von starrenden Fetzen, die im Kothe schleiften. Dichte Schleier lagen vor dem Gesicht, dessen Züge keinem Blick erfaßbar waren . . . durch alle Schleier aber brannten mit heißer Glut zwei unergründlich tiefe Rätselaugen. Einen Becher trug es in der einen Hand, eine Geißel in der anderen. Seine Lenden waren gegürtet mit einem ehernen Dorngeflecht, und von jedem Dorn hing eine Kette nieder, deren Glieder anzusehen waren wie zwergenhafte menschliche Gestalten, welche mit in Schmerz verschlungenen Armen ineinander griffen.

Und mit einer Stimme, welche klang wie ferner Donner, den der Sturm verwehte, fragte das Wesen: »Wer bist du?«

Er stammelte: »Ein Mensch!«

»Was abertausende von sich glauben . . . und so wenige sind? Auch du nicht! Und dein Name?«

Er stammelte: »Valens!«

»Valens? Der seine Kräfte fühlt? Und wohin dein Weg?«

Er stammelte: »Zur Höhe des Lebens!«

»So komm'! Ich will dir die Wege weisen. Sie alle hab' ich ausgegangen in meiner Zeit. Und wählen sollst du unter ihnen.«

Mit der Geißel gab es ihm die Richtung an. Er ging voraus, das Wesen folgte, und wenn im Schreiten die Ketten klirrten, die es an den Lenden über die Erde schleifte, das klang wie dumpfes Ächzen und Stöhnen, wie erlöschende Seufzer und ersticktes Schluchzen.

Durch wüste Heide ging der Weg, durch öden Wald und dann empor über steiles, wild zerklüftetes Felsgehäng, aus dessen Fugen nur ab und zu ein grüner Strauch seine mageren Ranken streckte. An diese Ranken klammerte sich Valens, um sich emporzuziehen, Schritt um Schritt. In keuchenden Zügen ging sein Atem, seine Glieder zitterten, und in dicken Perlen rann ihm der Schweiß von den Schläfen. Mit starren Blicken waren seine Augen zur Höhe gerichtet, denn er wagte keinen Blick mehr in die zu allen Seiten gähnende Tiefe, aus deren bodenlosen Schlünden ungeheuerliche Gestalten ihre Zangenarme, ihre Sauger und Fänge emporstreckten nach seinem Herzen. Wenn ein Schwindel seine Sinne überkam und seine Kräfte zu erlahmen drohten, reichte ihm das Wesen den erquickenden Becher und trieb ihn weiter mit klatschenden Geißelhieben.

Und nun erreichten sie die Höhe. Tief atmend hielt Valens inne, und neue Kräfte begannen in ihm aufzuleben. Er stand in heller Sonne, und als er die Blicke nach rückwärts kehrte, lag ihm zu Füßen das Thal im grauen Morgenschatten . . . Wälder, Wiesen und Flüsse, Dörfer und Städte durcheinander gewürfelt wie Kinderspielwerk.

»Komm!« sagte das Wesen.

»Wohin? . . . Ich bin am Ziel!«

»Auf ödem Gestein . . . mit leeren Händen? Komm. Und wähle deinen Preis!«

Sie schritten auf der Höhe dahin, und da lag vor ihnen, unabsehbar wie das Meer, ein blühender Garten; bewehrte Zinnen umschlossen ihn und einer Porta triumphalis glich sein Thor. Sie traten ein, Trompetenschall begrüßte ihr Kommmen, und das Wesen sagte: »Hier stehen sie alle, die bunten Blüten, welche sprossen auf der Höhe des Lebens. Wähle dir, als Dank deines Weges, die Blüte, welche dich lockt.«

Und Valens griff nach der Sonnenblume des Reichtums. Seine Hand berührte die leuchtende Blüte . . . und in Strömen rollte das Gold um seine Füße, Paläste stiegen vor ihm empor, seines Rufes gewärtig stand eine Schar von Dienern, Wohlleben umschmeichelte seine Glieder, und jedem seiner Wünsche winkte die Erfüllung. Schon wollte er die Blüte brechen . . . da wurden seine Augen sehend für allen Schweiß und Jammer, für alles Blut und Elend, das am Golde klebte. Aus den rollenden Schätzen stieg es empor an seine Ohren wie Seufzer und Flüche . . . Angst und furchtsame Sorge umklammerten seine Seele, schnürten ihm die Kehle zu und erstickten die Gier seiner Wünsche. Valens taumelte zurück in Grauen und Entsetzen, und mit erblaßten Lippen schrie er auf: »Nein, nein . . . ich habe schlecht gewählt!«

Und das Wesen lächelte: »So wähle besser!«

Und Valens griff nach der feuerglühenden Schwertlilie der Heldengröße. Seine Hand berührte die Blüte . . . und da sah er sich auf wieherndem Rosse über die dampfende Erde reiten, der Sturmschritt der ihm folgenden Kolonnen machte den Grund erbeben, aus ihren Feuerschlünden flammte der Tod, es wehte der Sieg aus ihren flatternden Fahnen, und röchelnd sanken die Reihen des Feindes in den Staub, wie unter des Schnitters Sense die Schwaden des Getreides. Unter den Hufen seines Pferdes sproßte der Lorbeer auf, mit blitzendem Schwerte schnitt er sich die höchsten Zweige, und seine stolze, siegestrunkene Seele wiegte sich auf den Wogen brausenden Jubels und auf den Klängen dröhnender Fanfaren. Schon wollte er die Blüte brechen . . . da sah er in stiller Nacht sich einsam liegen auf dem Lager seines Zeltes. Er atmete den Rauch verbrannter Dörfer, und wenn ihn dürstete, verwandelte das Wasser sich in Blut. Ohne Schlummer wälzte er sich auf seinem Pfühl, und wenn ihm die müden Lider sanken, sah er im Traum die Witwen und verwaisten Kinder an sein Lager treten, und ihre brennenden Zähren fielen auf sein Herz. Bleichende Gebeine sah er sich beleben, die Massengräber thaten sich auf, in unabsehbarem Zuge kamen sie heran, die Geister der Erschlagenen, Freund und Feind . . . ihre bleichen Lippen waren stumm, doch ein Jeder deutete mit starrem Arm nach oben . . .

Valens taumelte zurück in Grauen und Entsetzen. »Nein, nein, ich habe schlecht gewählt!«

»So wähle besser!« lächelte das Wesen.

Valens griff nach der Aloë des Künstlerruhmes, und an seine rauschenden Erfolge sah er die Scheelsucht und den Neid gekettet; das Gift der Schmähung verbitterte ihm die Weihe seiner schaffenden Stunden, Unverstand zerstörte seine Werke, es überholte ihn die jagende Zeit, in ohnmächtigem Zorne stand er an der Grenze menschlichen Könnens, und in nagender Pein erkannte er das Erlöschen seiner Kraft. Er wollte besser wählen, griff nach der Blume der Macht . . . und sah sich einsam stehen auf kalter Höhe, im Busen einen Stein und die Verachtung für das niedere Gewürm, das um die Purpursäume seines Mantels kroch. Er wollte besser wählen, griff nach der Blüte der Gelehrsamkeit . . . und hinter all den stolzen Freuden, die ihm das Wissen bot, kam das Schaudern vor dem gähnenden Nichts, dessen ehernes Thor die Schlüssel der Erkenntnis ihm erschlossen hatten. »Was möcht' ich noch . . . was noch!« so schrie er auf und griff mit gierigen Händen nach der glühenden Rose des Genusses. Und aus dem Herz der Rose stieg es auf mit weißen Brüsten und schwellenden Gliedern, in klingenden Kelchen perlte der Wein, im Fluge riß es ihn von Land zu Land, von süßem Taumel zu bakchantischem Rausch, bis die Ernüchterung kam, die Stumpfheit aller Sinne, bis ihm der Ekel auf die Lippen quoll und das schleichende Gift in seinen Knochen brannte.

Und wieder lächelte das Wesen: »Wähle besser!«

Valens aber stürzte nieder auf seine Knie, und stehend rang er die Hände. »Eine Wahl noch, nur eine vergönne mir! Führe mich zurück und laß mich heimwärtskehren in die Tiefe, aus der ich emporgestiegen!«

Und siehe . . . von den Lenden des Wesens fielen alle Ketten ab, von seinem Anblick lösten sich alle Schrecken, es stand verwandelt, in leuchtendem Gewande, mit lächelndem Mund und träumerischen Augen . . . der gute Genius des Lebens! Ein brausender Sturm ging über die Höhe hin, und welk zerfielen alle Blüten des prangenden Gartens. Valens fühlte, daß es um seine Sinne sich legte wie sanfter Schlummer . . . und erwachend sah er sich im stillen Thal, zu Füßen einer Eiche. Die warme Morgensonne löste sein Herz, die Blätter flüsterten, und die Vögel sangen in allen Zweigen. Der Frühling war gekommen über Nacht.

Valens erhob sich lächelnd, und da sah er am Rain ein Veilchen blühm. Er pflückte die Blume und schlürfte , den wundersamen Duft, der ihrem Kelch entstieg. In stillen Träumen wanderte er heimwärts über die sprossenden Felder. Am Straßenrande kauerte ein Bettler und streckte die zitternde Hand . . . und Valens gab, was er zu geben hatte. Ein altes Mütterchen quälte sich mit der Last des gesammelten Holzes . . . und Valens trug ihr die Bürde bis zur Hütte. Auf dem Felde traf er hinter dem Pflug einen weinenden Knaben, dem die störrigen Rinder nicht gehorchen wollten . . . und Valens ergriff den treibenden Stab und ging in seinem Schweiße hinter dem Pflug einher, bis die letzte Furche gezogen war. Dann wanderte er der Stadt entgegen, und immer fröhlicher wurde sein Herz. Ein Träumender, wandelte er durch den Lärm der Straßen, staunend blickte er empor an der prunkvollen Zier der schimmernden Paläste, mit genießendem Bewundern stand er vor den ragenden Monumenten, und als ein Trupp Soldaten mit klingendem Spiel seine Straße kreuzte, sang er mit trällemder Stimme die heitere Weise mit.

Dann zog es ihn heimwärts in eilendem Gange. Nun war sein Haus erreicht. Er trat in die helle, sonnige Stube, mit liebevollem Gruße hieß ihn sein junges Weib willkommen, und mit jubelnden Stimmen drängten seine Kinder sich um ihn her. Er wollte der Mutter die Blume reichen, die er gepflückt . . . aber die Blüte hatte sich vom Stengel gelöst und war verschwunden. Und als er die verlorenen Blätter suchte, fand er sie wieder in den blauen Augen seiner Kinder.

 


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