Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Der Sonnenstrahl.

Rauschende Musik erfüllte die von strahlendem Kerzenglanz durchfluteten Räume. Lachen und Geplauder mischte sich in den Wirbel der Töne, und vom Büffet hörte man das Knallen der Champagnerpfropfen. Auf allen Wangen glühte der Abglanz heiteren Genusses, und die Freude leuchtete aus jedem Auge. Nur einer von allen Gästen zeigte ein ernstes, beinahe finsteres Gesicht. Einsam stand er, in eine Fensternische gelehnt, mit gekreuzten Armen, und seine brennenden Blicke folgten einem tanzenden Paare. Ein stolzer, stattlicher Mann. In den fünfzig Jahren, die er hinter sich hatte, waren ihm wohl schon die dichten Haare ein wenig ergraut; aber aus den festen Zügen seines Gesichtes und aus dem scharfen Blick seiner Augen sprach noch die ungebrochene Kraft des Lebens. Und dennoch stand er in sich zusammengesunken, fast gebeugt, als läge eine Sorge drückend auf seinen Schultern.

Eine Sorge? Konsul Eduard Rottenbach, der reichste Mann der Stadt, der Chef eines Welthauses . . . und eine Sorge? Auf goldenen Säulen ruhte sein Besitz, auf ehernen Pfeilern sein Haus. Was konnte ihn so sehr bedrücken, daß es ihm aus den Mauern seines Comptoirs in die Lichtfülle dieses Saales folgte und ihn nicht verließ inmitten der rauschenden Freude dieses Abends, welcher, halb schon ein Frühlingsfest, die Geselligkeit des Winters beschließen sollte. Eduard Rottenbach . . . und eine Sorge! Fast schien es unglaublich. Aber diese Sorge sprach allzu deutlich aus dem leisen Beben seiner farblosen Lippen, aus der erregten Spannung seiner Züge und aus dem heißen, trockenen Glanz seiner Augen. Und diese Augen suchten immer das gleiche Ziel . . . ein junges Weib von blühender, mädchenhafter Schönheit. Auf einem schlanken, geschmeidigen Körper von entzückendem Ebenmaß und wundersam zarten Formen saß ein Köpfchen von sonnigem Liebreiz, mit einem Blondhaar, das in schimmernden Wellen über den weißen Nacken floß, mit einem Gesichte, wie in Farben auf Marmor gehaucht. Aber dieser Marmor hatte Leben, sprühendes Leben. Diese roten, feingeschwungenen Lippen lachten und lachten, wie trunken vor Freude und Genießen leuchteten diese großen schwärmerischen Augen, und als wäre der Tanz der höchste aller Genüsse, so hing die junge, schöne Frau mit willenloser Hingebung in den Armen ihres Tänzers. Das war ein junger Künstler, dessen Name seit einem Jahr von aller Welt genannt wurde. Auch seine Augen und Wangen glühten, und während des Tanzes sprach er in fliegenden Worten zu seiner Tänzerin nieder.

Rastlos folgten diesem Paare die finsteren Blicke des stillen einsamen Mannes. Zuweilen aber auch die Blicke anderer Gäste. Zwei junge Männer, die an der Säule standen, schienen nur von diesem Paar zu sprechen; und auf ein Wort des einen mußte der andere so laut auflachen, daß ihn alle Umstehenden mit erstaunten Augen betrachteten. Da zog er den Freund am Arme mit sich fort, und so wollten sie unter lachendem Geplauder in eine Fensternische treten. Nun plötzlich verstummten sie . . . Eduard Rottenbach stand vor ihnen . . . alle beide wurden verlegen, und der eine errötete sogar, während er sich und den Freund unter einem stammelnden »Pardon!« von der Nische zurückzog. Kichernd gingen sie davon, blickten noch einmal zurück und verschwanden zwischen den Gästen, welche das Büffet umdrängten.

Der Einsame erblaßte, und seine geballten Hände sanken. Hatte er ein böses Wort gehört . . . oder hatte er geahnt, was diese beiden gesprochen! Ungestüm richtete er sich auf und trat aus der Nische hervor. Soeben war der Tanz zu Ende, und als der Konsul seine Blicke an den Wänden entlang über die gepolsterten Sitzreihen gleiten ließ, sah er in einer Ecke des Saales die schöne, junge Frau – und an ihrer Seite wieder jenen Anderen; er sprach und lachte und sie schaute zu ihm auf mit strahlenden Augen.

Es zuckte etwas über das Gesicht des Konsuls, als möchte er auf diese beiden zustürzen und sie auseinanderreißen mit zornigen Fäusten. Aber nur ein herbes Lächeln flog um seine schmalen Lippen; dann wandte er sich ab und verließ den Saal, als ginge es über seine Kräfte, den quälenden Anblick länger zu ertragen. Erst kam ein großer, von plaudernden Gruppen erfüllter Salon, dann zwei Räume, in denen gespielt wurde, dann das nach türkischem Geschmacke ausgestattete Rauchzimmer; eine kleine Gesellschaft älterer Herren war hier in lebhaftem Gespräch versammelt; die Ankunft des Konsuls schien ihnen willkommen, und bevor er noch Platz genommen hatte, war er schon in eine Debatte über irgend eine wichtige Erscheinung des geschäftlichen Lebens verwickelt.

Er sprach mit lauter Stimme und mit unermüdlichem Eifer, als hätte er so betäuben und ersticken können, was in ihm tobte mit schmerzender Gewalt. Ob in solchem Gespräch eine Minute oder eine Stunde vergangen war . . . er wußte es nicht . . . er fühlte nur plötzlich, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte. Da sprang er auf und starrte in das verdrossene, harte Gesicht seines Bruders.

»Ich will dir einen guten Rat geben,« hörte er den Bruder flüstern, »es wäre besser, wenn du Renate nach Hause führen würdest. Sie benimmt sich . . . ich will es nicht mehr länger mit anhören, wie schon alle Mäuler darüber sprechen!«

»Robert!« flog es mit einem scharfen, zornigen Laut über Eduards Lippen; doch als seine Augen dem kalten Blick des Bruders begegneten, fiel ihm das Kinn auf die Brust; er nickte nur und ging schweigend davon, um Renate zu suchen. Im Salon fand er sie nicht, auch nicht im großen Saal . . . weder sie, noch ihn. Er eilte durch eine Reihe offener Gemächer, aus deren letztem eine kleine, von Palmfächern überdachte Treppe in den Wintergarten führte. Nun hörte er die leidenschaftlich bebende Stimme jenes anderen:

»Sprechen Sie, Renate, sprechen Sie!«

Atemloses Schweigen füllte den kühlen, feuchten Raum.

»Sprechen Sie, Renate, sprechen Sie!«

Ihre Wangen glühten, ihr Busen hob und senkte sich unter glühenden Atemzügen . . . schon lag ein Wort auf ihren Lippen, da hörte sie im Sand die knirschenden Tritte. Sie schaute empor; ein jähes Erblassen flog über ihre Züge, und ein Schauer rann ihr über die nackten Schultern. Was sie erblassen und schaudern machte . . . war es der brennende Blick ihres Gatten, oder war es die kalte Nachtluft, welche durch ein offenes Fenster ihr glühendes Gesicht überhaucht hatte?

»Renate,« stieß der Konsul mit heiserer Stimme hervor, »ich wünsche nach Hause zu fahren.«

Sie erwiderte keine Silbe, aber in das bleiche Wachs ihrer Wangen schoß ein zorniges Rot. Doch gleich wieder lächelte sie, und während sie ihrem Tänzer die Hand zum Kusse reichte, nickte sie ganz leise mit dem Kopfe und ließ die Lider über ihre strahlenden Augen sinken. Das Gesicht des Konsuls wurde fahl; aber schweigend reichte er seiner Frau den Arm.

* * *

In dem schaukelnden Coupé fuhren sie durch die stille Nacht ihrem Hause zu. Keines von ihnen sprach ein Wort. Nur als Renate unter einem ungestümen Atemzuge den weichen Pelz von ihren Schultern streifte und hastig, als würde ihr zu schwül in dem engen Raum, das Fenster niederließ, mahnte er sie, der kühlen, gefährlichen Nachtluft zu denken.

»Lass' mich!« stieß sie hervor. Dann befiel sie ein Hustenreiz, den sie mit ihrem Spitzentuch erstickte.

Da griff er über ihren Schoß hinweg und schloß das Fenster. Sie rührte sich nicht; und auch er lehnte sich wieder in seine Ecke zurück . . . und dachte . . . an alles . . .

Wechselnde Bilder flogen vor seinen brennenden Augen vorüber, all' die Pein dieser Nacht, all' die bangenden Zweifel dieser letzten Wochen, alles Glück des vergangenen Jahres. Hatte er dieses Glück denn auch verdient? Was hatte er gethan, um es zu gewinnen. Ein Scherflein von seinem Reichtum hatte er hingegeben, um einen ruinierten Mann zu retten – um der Tochter willen. Und wie war ihm Renate so dankbar gewesen. Nach diesem Dank zu greifen mit seinen Händen . . . wohl hatte man ihn gewarnt, der Bruder und auch eine Stimme in der eigenen Brust. Aber sie war so schön, so unsagbar lieblich. Wie ein warmer leuchtender Sonnenstrahl war sie in sein dunkles einsames Haus gekommen; sein Reichtum bekam erst Wert für ihn, als er die Freude sah, die es der jungen Frau bereitete, dieses Gold zu verschleudern, mit beiden Händen. Sie wußte so wundersam zu lachen . . . und sie verstand es so gut, aus seinem Herzen hinauszulachen, was sich kalt und schleichend darin schon einzunisten drohte . . . das Alter. Und dieses Lachen sollte nun ausgeklungen haben . . . für ihn! Nun sollte kommen, »was kommen mußte« . . . wie der Bruder sagte! Nein! Nein! Das würde er nicht überleben. Alles lieber verlieren, Haus und Besitz, das Leben, Alles, Alles . . . nur nicht sein Weib, nicht seine Sonne!

»Renate!«

»Lass' mich!«

Mit dumpfem Knattern rollte der Wagen unter ein hellerleuchtetes Thor. Als der Konsul die Schwelle seines Hauses betrat, flog Renate schon die teppichbelegte Treppe empor. Er wollte, er mußte mit ihr sprechen; doch ihre Thür blieb verschlossen. Noch lange Stunden wanderte er in seinem Gemache auf und nieder; der Morgen graute schon, als endlich der Schlaf auf seine brennenden Augen fiel.

* * *

Es war heller Tag, als der Konsul geweckt wurde. Und zu Tod erschreckte ihn die Nachricht, die ihm der Diener brachte: Die gnädige Frau wäre erkrankt, sie scheine im Fieber zu liegen.

Zugleich mit dem Arzte betrat er das Krankenzimmer, und niederschmetternd wirkte auf ihn, was er hörte: eine Lungenentzündung im Anzug.

Kaum einen Schritt mehr wich er von ihrem Bette. Sie lag schon in Fieberphantasien und erkannte ihn nicht mehr. Im Fieber sprach sie . . . von jenem anderen; im Fieber lachte sie . . . jenem anderen galt es; und er saß dabei, hielt ihre glühenden Hände gefaßt und betete zu Gott um ihre Genesung.

Drei Tage und drei Nächte rang sie um ihr junges, schönes Leben. Dann erlosch es. Eine Stunde zuvor hatte sie noch einmal das Bewußtsein gefunden und hatte erkannt, wie es um sie stünde. Da hatte sie die Arme um den Hals ihres Gatten geschlungen und in Verzweiflung aufgeschrien: »Hilf mir, Eduard, hilf mir!«

Wenn er es nur gekonnt hätte, er hätt' es gethan, auch um den Preis seiner Seele und seiner Ehre.

Nun lag sie aufgebahrt zwischen brennenden Kerzen. Und die ganze Nacht saß er an ihrer Seite und starrte auf das kleine, stille, wächserne Gesichtchen und auf die dünnen Lider, durch welche die großen, dunklen Augensterne noch leise hindurchschimmerten.

Als es Morgen wurde, ging er an die Arbeit . . . um zu vergessen. Unter den hundert Briefen, welche gehäuft auf seinem Schreibtisch lagen, fand er einen . . . der Stempel war schon zwei Tage alt . . . und der Brief war an Renate gerichtet. Ein zierliches Couvert und ein Apiskopf als Siegel. War jener Andere nicht ein Jahr in Egypten gewesen? . . . ja . . . man erzählte sich von dem Kram, den er von dort mit heimgebracht.

Er zitterte, daß ihm das Blatt schier aus den Fingern fiel, und es kam ihm die Lust an, diesen Brief mit Händen und Zähnen zu zerreißen . . . Dann aber richtete er sich auf, schwer atmend stieg er die Treppe empor und schob den Brief unter die bleichen, kalten Hände, für die er bestimmt war. Lange stand er vor ihr, bis sich eine Hand auf seine Schulter legte.

»Tröste dich, Eduard,« klang die harte, kühle Stimme des Bruders . . . »es ist besser so!«

Er aber schüttelte den Kopf . . . und als gerade am trüben Himmel das ziehende Gewölk die Sonne freigab und durch das Fenster ein goldiger Streif in das Zimmer und über die Bahre fiel, da griff er mit beiden Händen nach dem leuchtenden Strahl und brach in heftiges Schluchzen aus.

 


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