Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Die Liebe Gottes.

Wer auf fröhlichcr Sommerreise nach dem grünen Königssee das malerisch gelegene Gebirgsstädtchen Berchtesgaden berührte, hat wohl auch einen Blick in die alte gotische Kirche und in die schönen Kreuzgänge des ehemaligen Stiftes geworfen. Dieses Kloster, welches 1803 säkularisiert wurde, hatte eine große, bunt bewegte Vergangenheit. Wer in den alten Chroniken und Urkunden Berchtesgadens blättert, glaubt Romankapitel zu lesen, in denen auch dramatische Aktschlüsse nicht fehlen. Um die Mitte des zwölften Jahrhunderts wurde die bescheidene »Martinsklause« gegründet und nahm vorerst nur einen langsamen Aufschwung. Als aber durch einen Zufall die reichen Salzlager entdeckt wurden, begann in dem stillen Thal ein reges Leben und Treiben. In dem als Lehen zum Stifte gehörigen Markte Schellenberg wurde ein Sudhaus errichtet, das sich gar bald als Goldschmiede des Klosters bewährte und die Dukaten in so schöner Menge lieferte, daß sich die arme Augustinerklause in kaum zweihundert Jahren zum reichsten Kloster weit und breit entwickelte. Alle Fürsten zankten sich um die Hoheitsrechte über die reiche Probstei.

Berchtesgaden war kein Kloster im landläufigen Sinne des Wortes, sondern ein freies Chorherrnstift, dessen adelige Mitglieder es nicht gar zu genau mit der Regel des heiligen Augustinus nahmen. »Sie beobachteten den gebührenden Gehorsam gegen den Probst und eine anständige Klausur,« schrieb der Salzburger Domherr Kaspar v. Stubenberg im Jahre 1473 an Papst Sixtus, »und führten bei gemeinschaftlichem Schlafhaus und Speisesaal ein ordnungsgemäßes Leben (in communi dormitorio et refectorio regularem vitam ducunt).« Im Übrigen hatte jeder Chorherr im Stift, späterhin auch außerhalb desselben, seine eigene Wohnung, welche aus einer guten Stube und einer Schlafkammer bestand. Auch war es den Kapitularen unbenommen, an Feiertagen Gäste in ihrer Wohnung zu empfangen und zu bewirten.

Diese, der Klosterregel nicht ganz entsprechende Sitte führte zu einem tragischen Vorfall, welcher vom Chronisten des Stiftes ausführlich berichtet wird.

Da kam im Jahre 1583, zur Sommerszeit, ein Laienpriester aus Ebersberg in der Freisinger Diözese, der Kaplan Kaspar Pritzner, als Gast in das Chorherrnstift Berchtesgaden. Das war ein junger Mann von lebhaftem Temperament und flammendem Gotteseifer, hoch gewachsen, mit dunklen feurigen Augen und einem kühngeschnittenen Gesicht. Er war im Kloster gar wohl gelitten, und namentlich der Kapitular Georg v. Weissenburg,Georg v. Weissenburg verwaltete das Amt eines Bergmeisters und machte sich um die Hebung des Salzbaues so verdient, daß ihm ein Denkstein im Salzwerk errichtet wurde. ein schon bejahrter Herr, schloß innige Freundschaft mit dem jungen Kaplan. Lange Stunden oft wanderten die Beiden durch das herrliche Bergthal und führten geistliche Disputationen, bei denen sie sich zuweilen heiß ereiferten; aber sie kamen schließlich doch immer wieder zu einem Punkte, bei welchem ihre auseinandergehenden Meinungen sich versöhnen konnten.

Nun wurde am 24. August, am Tage des heiligen Bartholomäus, das Fest des Schutzheiligen der Bartholomäer Klause gefeiert. Dem Gast des Klosters wurde die Ehre zugedacht, an diesem Tage die Predigt zu halten. Am frühen Morgen fuhr Kaspar Pritzner, begleitet von Georg v. Weissenburg und einigen anderen Kapitularen, über den herrlichen Königssee. Die steigenden Frühnebel begannen just die ringsum ragenden Berge zu entschleiern, deren Zinnen umfunkelt waren vom goldenen Glanz der Sonne. Weihevolle Stille lag auf dem regungslosen, wie matte Seide schimmernden Wasser; man hörte nur das sachte Plätschern der Ruder und das leise Rauschen der von allen Felshöhen weiß herniederrinnenden Quellen.

»Wovon willst du predigen?« fragte Herr Georg v. Weissenburg.

»Von der Liebe Gottes!« erwiderte der Kaplan, der mit leuchtenden Augen umherschaute in all der Pracht und Herrlichkeit, mit welcher die Hand des Schöpfers diesen Fleck Erde gesegnet hatte.

Zustimmend nickte der Chorherr. »Ja, Kaspar, sag' es unseren Bauern nur, wie groß, wie unerschöpflich Gottes Liebe ist. Das Völklein, das in unseren Bergen haust, ist arm und hat ein gar hartes Leben. Ohne Gottes Liebe wäre da kein Auskommen. Sag' es ihnen nur, weißt du, so recht warm aus dem Herzen heraus, damit sie heimgehen können mit einem guten Trost. Sieh nur, wie viele gekommen sind!« Er deutete nach dem nahen Ufer, welches von Kähnen und Menschen wimmelte.

Aus allen Thälern waren die Bauersleute herbeigeströmt, Männer, Weiber und Kinder. Von den Almen waren die Senner und Sennerinnen niedergestiegen, und auch die Jäger in ihren verwilderten Trachten und mit den plumpen Radbüchsen fehlten nicht. Auf der großen Wiese vor dem Klösterlein waren Buden errichtet, in denen es Heiligenbilder, geweihte Wachsstöcke und allerlei weltlichen Kram zu kaufen gab. Im Schatten der Bäume stand auch eine Wirtsbude, denn an die kirchliche Feier schloß sich ein fröhliches Volksfest.

Das altersgraue Kirchlein, welches zur Zeit unserer Geschichte bereits vierhundert Jahre stand, faßte die Menge der Andächtigen nicht. So war unter freiem Himmel eine Kanzel errichtet worden.

Das gab nun ein wundersames Bild: der grüne See und rings umher die schwindelnd hohen Wände, der dunkle, sanft rauschende Bergwald, hoch über allem der blaue Himmel mit seiner leuchtenden Sonne, auf der weiten Wiese Mensch an Mensch gedrängt, alle mit entblößten Häuptern und andachtsvoll dem Prediger lauschend, dessen Wort wie eine helle Glocke von der Kanzel tönte.

Im Schatten der Kirche saßen die anwesenden Chorherren auf einer mit rotem Sammet überdeckten Bank. Herr Georg v. Weissenburg hielt das Kinn in die Hand gestützt und folgte mit aufmerksamer Spannung jedem Worte der Predigt. Oft nickte er, zufrieden lächelnd, vor sich hin, dann wieder schien er verwundert zu lauschen und schüttelte mißbilligend den Kopf. Einmal wurde er ganz unruhig, seufzte und murmelte: »Die Jugend! Ach, die Jugend! Da brennt allweil das Herz mit dem Verstande durch!«

Als Predigt und Messe vorüber waren, wurde im Klösterlein das Festmahl gehalten, zu welchem See und Berge mit Fisch und Wild die feinsten Bissen steuerten. Auch edle Weine zierten die Tafel, denn das Stift zu Berchtesgaden besaß in der Gegend von Krems und Klosterneuburg ausgedehnte Weinberge. Herr Georg verhielt sich während des Mahles merkwürdig stille; er begleitete auch die anderen Chorherren nicht, als sie mit dem Prediger nach Tisch ins Freie traten, um dem jungen Volke zuzuschauen, das sich bei den Klängen einer Sackpfeife in luftigem Tanze wirbelte.

Ehe der Abend zu dämmern begann, brachen die Herren auf. Bei sinkendem Dunkel wurde das Stift erreicht.

»Willst du nicht noch ein Stündlein bei mir einkehren?« fragte Herr Georg den Kaplan. »Du kannst das Nachtmahl bei mir nehmen, und für einen Krug WeinEine vom 28. Juli 1567 datierte Verfügung des Probstes Jakob II. sicherte jedem Chorherrn täglich »fünf berchtesgadische Maß Wein«. ist auch gesorgt.«

Der Kaplan nahm die Einladung nur zögernd an, denn er hatte wohl gemerkt, daß der Chorherr mit seiner Predigt nicht einverstanden war. Aber er wollte ihn nicht verletzen und sagte zu.

Bald darauf saßen sie am gedeckten Tisch in der freundlichen Stube, welche mit geschnitzten Möbeln aus rötlichem Zirbenholz ausgestattet war.

Eine Weile führten sie ein immer wieder versiegendes Gespräch über gleichgültige und fern liegende Dinge. Aber je länger sie um die Sache herumgingen, welche unausgesprochen zwischen ihnen blieb und doch nach Aussprache drängte, desto erregter wurden sie. Und dabei griffen sie häufiger nach dem Becher, als es sonst wohl ihre Gewohnheit war. Sie saßen sich schon mit heißen Köpfen gegenüber, als Herr Georg endlich losplatzte:

»Sag' mir, Kaspar, wie hast du denn das heute gemeint . . . mit der Liebe Gottes?«

»Weshalb fragt Ihr? Da Ihr doch mit eigenen Ohren gehört habt, wie ich es meinte!«

»Freilich, freilich hab' ich es gehört. Und da hab' ich mir gedacht: es ist nur gut, daß unsere Bauern nicht alles verstanden haben, was du sagtest!«

»So glaubt Ihr, ich hätte Unrechtes gesagt?« erwiderte der Kaplan gereizt.

»Laß' meinen Glauben aus dem Spiel,« sagte Herr Georg unwillig, »hier handelt es sich nur um deine Worte.«

»Nein, nicht um meine Worte, nur um die Liebe Gottes, an deren ewigem Wesen weder meine, noch Eure Worte etwas ändern.«

»Da hast du Recht. Und deshalb war es in den Wind gesprochen, als du in deiner Predigt sagtest, daß auch die Liebe Gottes ein Ende haben könne.«

»Ja, das hab' ich gesagt und das glaub' ich auch!«

»Ich aber sage und glaube, daß die Liebe Gottes unerschöpflich ist, unversiegbar, allgegenwärtig über all unserem Denken und Fühlen, Thun und Lassen.«

»Nein, nein! Das wäre ein Widerspruch Gottes in sich selbst; er ist die ewige Harmonie, er ist das Gute in seiner höchsten Vollkommenheit und Reine, und was er ausgeschlossen hat aus seinem eigenen Wesen, alles Böse und Schlechte, das kann auch nie und nimmer Anteil haben an seiner Liebe!«

»Falsch, Kaspar, falsch! Gottes Liebe ist wie die Sonne, welche ihr Licht und ihre Wärme niederstrahlt, auf Gerechte und Ungerechte.«

»Falsch, falsch! Denn Gott ist nicht allein die Liebe, er ist auch die Allgerechtigkeit. Und er kann nicht lieben, wo er zürnen und strafen muß!«

Herr Georg schlug entsetzt die Hände in einander: »Kaspar! Besinne dich! Wie darfst du sagen, daß die Liebe Gottes nicht auch in das Herz des Sünders quillt, wie Balsam in brennende Wunden.«

»Nur in das Herz des Reuigen.«

»Nein, Kaspar . . .«

»Ja, ja und tausendmal ja!« schrie der Kaplan und schlug die Faust auf den Tisch, daß die zinnernen Schüsseln und Becher klirrten. »Nur über dem reuigen Sünder waltet die Liebe Gottes. Denn er verlor sie nie, Gott entzog sie ihm nicht, denn seine Allwissenheit sah nicht nur des Sünders Sünde voraus, sondern auch die folgende Reue!«

»Und dem Verstockten wäre die Liebe Gottes ganz entzogen?«

»Ja, ja, ja, vom Anbeginn! Denn Gott sah voraus, daß dieser Sünder verstockt sein würde und mußte seine Liebe von ihm wenden, noch eh' er geboren war!«

»Das ist Irrlehre, Kaspar!«

»Nein, das ist reiner, tiefer Glaube!«

»Wenn du solches glaubst, dann bist du kein Sohn der Kirche!«

»Ja, ja, ich bin ein Sohn der Kirche, und einer, der getreuer ist, als Ihr!«

»Nein, dann bist du ein Lutheraner, noch schlimmer: ein Calvinist!«

»Das lügt Ihr!« schrie der Kaplan mit zuckenden Lippen.

Herr Georg v. Weissenburg sprang erblassend auf: »Ein Priester und Edelmann lügt nicht! Nimm dieses Wort zurück!«

»Nein, nein, und tausendmal nein! Die Liebe Gottes . . .«

Da traf ein klatschender Schlag seine Wange.

Kaspar Pritzner stand einen Augenblick wie versteinert. Dann aber, in höllisch aufflammendem Zorne . . . »ex instinctu diabolico,« sagt der Chronist . . . ergriff er ein auf dem Tische liegendes Brotmesser und stieß es dem Chorherrn in die Brust.

»Die Liebe Gottes . . .«, stammelte Herr Georg, dann sank er blutüberströmt zu Boden und war eine Leiche.

* * *

»Der Mörder wurde festgenommen,« erzählt der Chronist, »und man sendete über diese causa sacrilega einen Bericht an den Papst, der das Gericht über Kaspar Pritzner dem Erzbischof von Salzburg übertrug. Der Kaplan wurde der geistlichen Würde entkleidet und zu fünfjährigem Kerker mit schweren geistlichen Bußübungen verurteilt. Nach dreijähriger Haft gelang es Kaspar Pritzner, aus dem Kerker zu entfliehen.«

Über die weiteren Schicksale des Flüchtigen schweigt die Chronik.

 


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