Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Die Zitherspieler.

Der Abend sank über die Berge, ein dämmerig blauer, vom letzten Sonnenlicht durchflirrter Himmel spannte sich über die weißen Zinnen und grünen Kuppen, leise klang das Murmeln und Glucksen der in langer Hitze fast versiegten Bäche, und das sanfte Läuten der fernen Almenglocken mischte sich in das sachte Flüstern und Rauschen des dunkelnden Waldes.

Von dem Steige, der die Höhe des Waldes quer durchzog, klang ein fester, eilender Schritt und das Klirren ein Bergstockes. Nun trat der einsame Wanderer unter den Bäumen hervor auf den freien Pfad. Es war ein dreißigjähriger Bursche in sonntäglichem Gewand, mit einem verwitterten Rucksack hinter den Schultern. Der schlanke, sehnige Körper war leicht gebeugt von schwerer Arbeit. Unter dem breiten Rande des blumenbesteckten Filzhutes sah ein sonngebräuntes, erhitztes Gesicht hervor, mit freundlichen Zügen, mit zwei blauen, stillen Augen und einem lächelnden Munde, darüber ein weißblondes, zerzaustes Bärtchen saß.

Einen Augenblick hielt der Bursche inne, atmete tief auf und schaute mit zerstreuten und verträumten Blicken um sich. Dann stieg er weiter auf dem schmalen, nicht ungefährlichen Pfad, der sich zwischen ansteigenden Felsen und abstürzendem Geschröff über den steilen, nur von magerem Gras, kümmernden Latschensträuchern und zerstreuten Almrosenbüschen bewachsenen Hang hinüberwand. Da waren zuweilen hohe Felsstufen zu überklimmen, und wenn der Bursche von ihrer Höhe wieder niedersprang auf den gesenkten Pfad, dann klirrte leise die Zither, die er im Rucksack trug. Nach etwa einer Viertelstunde erreichte er eine breite, aufwärtssteigende Waldzunge, und als er sie durchschritten hatte und die offenen Almfelder betrat, lag schon tiefe Dämmerung über dem Gehänge, und am tiefblauen Himmel blitzten die ersten Sterne. Scharf zog der Wind thalabwärts, mit weißlichem Schimmer leuchteten die zerstreuten Steine aus dem kurzgeweideten Rasen, hier und dort im Grase lag ein wiederkäuendes Rind, dessen Glocke sacht erklang, wenn es in behäbiger Neugier den dicken Grind nach dem späten Wanderer drehte.

Raschen Ganges stieg der Bursch empor über das dunkle Hügelfeld und ihm voraus eilten seine sehnsüchtigen Blicke. Nun plötzlich verhielt er den Schritt und richtete lauschend den Kopf empor . . . aber die unklaren Töne, die der Wind von der Höhe herab ihm zugetragen hatte, waren schon wieder verklungen und verweht. Er stieg weiter mit eilig überhasteten Schritten, als wäre eine Sorge hinter ihm her, die ihn trieb. Als er die Höhe des nächsten Hügels erreichte, funkelte ihm der matte, rötliche Lichtschein einer Hütte durch das Dunkel entgegen . . . und da trug ihm nun auch der Wind verständlich und klar den Schall eines mehrstimmigen Gelächters zu, den Hall einer singenden Stimme, die Klänge einer Zither.

»Wieder der andere! . . . Wieder!« glitt es in stammelnden Lauten über die Lippen des Burschen. Lange stand er regungslos und starrte zu der dunklen Hütte und ihrem lockenden Feuerschein empor. Unschlüssig neigte er das Gesicht und zwirbelte mit zitternden Fingern an seinem Schnurrbart. Dann plötzlich warf er den Kopf zurück, stieg mit raschen Schritten vollends über den Hang empor und trat in die Hütte.

»Grüß Gott bei'nander!«

Er hatte die niedere, geräumige Sennstube betreten, an deren schwarzen Holzwänden die Kupfergeschirre im Wiederschein des Feuers funkelten, welches auf dem offenen Herd in hoher Flamme loderte und seinen dünnen Rauch in das berußte Sparrenwerk des Daches emporschickte. Zwischen den zwei kleinen Fenstern war in einem eisernen Ring an der Wand eine brennende Kienfackel befestigt; sie warf ihr zuckendes Licht über den Klapptisch, zu dessen Seite die junge Sennerin saß, die nackten Arme über der Brust gekreuzt, eine schmuckgewachsene, bildsaubere Dirn mit fröhlichen Augen und lachendem Mund; gleich einem Krönlein ruhte das Nest der braunen Flechten über ihrer Stirne, die von lockigen Zaushärchen halb verschleiert war. Ihr gegenüber saß ein Bursche mit blitzendem »G'schau« und keck aufgedrehtem Schnurrbart, ein Urbild derber Kraft und strotzender Gesundheit. Er hatte vor sich die Zither stehen, die er mit seltener Gewandtheit spielte; im Takt der schwirrenden Tanzweise, die aus den Saiten klang, drehten sich zwei junge Paare jauchzend und stampfend im Kreise.

»Grüß Gott bei'nander!«

Der Spieler blickte auf, und als er den Burschen gewahrte, brach er mitten im Takte ab, schob die Zither von sich und musterte den neuen Gast mit spöttischem Lächeln und zwinkernden Augen. Die beiden Paare standen still, und einer der Tänzer lachte: »Je, da kommt gar noch einer daher!«

»Ein Überzähliger,« meinte seine Tänzerin. »Wir sind schon unser Sechse auf g'rade Füß'.«

»Hörst es, Pauli?« lachte der andere Tänzer. »Wie g'fallt dir denn der Zenzl ihr' Rechnung?«

»Na ja, an' einschichtigen Platz wird's ja dengerst noch geben für mich? . . . Oder net, Nannei!« Und mit heißen Blicken hingen Paulis Augen an dem Gesichte der Sennerin.

Das Mädchen nickte, und ein leises Lächeln zuckte um die roten Lippen. »Freilich, Platz is g'nug. Es gehen viel geduldige Schaf' in ein' Stall.« Lautes Gelächter folgte diesen Worten; und während Pauli, an seinem Schnurrbart nagend, den Bergsack abnahm und an einen Wandnagel hängte, erhob sich Nannei, um neues Holz über das Feuer zu legen. Dann schlug sie die Hand auf die Schulter des Burschen, der am Tische saß, und sagte: »Geh' zu, Toni, spiel weiter!«

»Ah na! Für an' jeden spiel' ich net. Er kann 's ja selber – soll sich selber ein' aufspielen.«

Diese Antwort war nun freilich nicht nach dem Geschmack der beiden tanzlustigen Paare, und als der Bursche trotz aller Bitten auf seiner Weigerung beharrte, wandte sich ihr ganzer Groll gegen Pauli.

»No mein, wann ich Schuld bin, will ich's ja gut machen,« meinte Pauli. Er nahm den Platz ein, welchen Nannei verlassen hatte. »Mit Verlaub?« sagte er, zog Tonis Zither an sich und begann zu spielen. Es war ein fröhlicher Ländler, den er anstimmte . . . aber sei es, daß ihn der Empfang bedrückte, den er gefunden hatte, oder daß sich die fremde Zither den gewohnten Griffen seiner Hand nicht fügen wollte, oder sei es, daß ihn der Gedanke an die Meisterschaft seines Gegners störte, der ihm mit spöttischen Blicken auf die Finger sah und zu jedem unklaren Ton die Lippen verzog . . . Pauli spielte schlecht und war so unsicher im Takte, daß die Tanzenden immer wieder aus dem Schritt gerieten. Und als ihm nun gar das Unglück passierte, einen falschen Akkord zu nehmen, griff Toni mit beiden Armen über den Tisch herüber und riß ihm die Zither unter den Händen weg . . . »Gieb her, du Lapp – kannst ja nix!«

Eine brennende Röte flog über Paulis Gesicht, doch bevor er noch ein Wort der Erwiderung fand, hatte Toni die Zither vor sich zurechtgestellt, und als er zugriff mit seinen geübten, kecken Händen, da gab es ein Schwirren und Klingen, als wären alle Saiten mit einem Schlag ins Tanzen geraten.

»Kreuzsaxen, da is halt a Schneid drin!« lachte der eine der beiden Tänzer, warf den Hut in einen Winkel und faßte Nannei mit einem hellen Jauchzer um die Mitte. Der andere Bursche that es ihm nach, zwischen den beiden Paaren drehte sich Zenz mit fliegenden Röcken . . . und jauchzender Wirbel, Klatschen und Gestampf, Schnalzen und schwirrender Saitenklang erfüllten die Stube. Als Nannei endlich des Tanzes müde wurde, trat sie hinter Tonis Stuhl, legte die eine Hand auf die Lehne, stemmte die andere in die Hüfte, und so stand sie mit glühenden Wangen, mit leuchtenden Augen und wiegte den hübschen Kopf im Rhythmus der schwingenden Töne.

Mit blinzelnden Augen schaute Toni zu ihr auf; er wußte, was es galt – und nun erst gab er sein Bestes. Seine Hände gaukelten und sprangen über das Griffbrett und die Saiten, daß es scheinen wollte, als hätte jede Hand zehn Finger; die schwierigsten Griffe warf er hin mit spielender Leichtigkeit, und je staunender Nanneis Augen an seinen Händen hingen, desto beflügelter schienen seine Finger. Unter schnatternden Akkorden schwirrten und wirbelten die Drei- und Vierklänge durcheinander, wie Schwalben im Sonnenschein, wie Blätter im lustigen Winde. Die beiden Paare hatten das Tanzen eingestellt und drängten sich um den Tisch . . . das war ja auch kein »Tanz« mehr, was aus den dreißig Saiten dieser Zither klang . . . es war ein ganzer, toller Kirchtag mit seinem Gelächter und Gekicher, mit seinen Tänzen, Liedern, Märschen und Jauchzern.

In dieser ganzen Zeit saß Pauli regungslos in seiner Ecke, die eine Faust auf dem Tisch, die andere auf den Knien. Mit unverwandten Blicken hing er an Nanneis Antlitz, und was er von ihren glühenden Wangen, aus ihren leuchtenden Augen las, das trieb ihm alle Farbe aus dem Gesicht und legte sich mit bitterem Zug um seine herb geschlossenen Lippen. Und als nun Toni den tollen Wirbel seiner jauchzenden Weisen mit einem vollen, schwirrenden Akkord schloß, als die lauschende Stille in Jubel, Lachen und Geplauder sich löste, erhob sich Pauli und nahm die Zither aus dem Rucksack. Auf den Knien stimmte er sie mit bebenden Händen, dann legte er sie auf den Tisch und dabei war ein Ausdruck in seinen Zügen und Augen, als gelte es für ihn einen Kampf um Glück und Leben.

Er begann zu spielen . . . aber niemand achtete seiner, ungehört verklangen die zarten, schwebenden Töne seiner Saiten unter all dem Gelächter und Geplauder. Er spielte und spielte . . . und da war es Nannei zuerst, welche aufmerksam den Kopf erhob. Dann wurde eines nach dem anderen still . . . nun standen sie alle lauschend . . . und hätte nicht das niederglimmende Feuer leise geknistert, es wäre außer dem Klang der Saiten in der Hütte kein Ton gewesen. Nur von draußen hörte man zuweilen den gedämpften Laut einer Glocke, und hörte, wie der Nachtwind mit sachtem, geheimnisvollem Rascheln über die Schindeln des Daches strich. Und diese Laute fügten sich zu den Klängen der Saiten fast wie ein unentbehrlicher Akkord. Es war ein weichgetragenes, schwermutsvolles Lied, was Pauli spielte, eine schmucklose, volkstümliche Weise . . . und was an diesem Lied auf die Lauschenden wirkte und ihre Herzen ergriff, das war nicht die Weise selbst und nicht die Kunst des Spielers, es war die redende Sprache des einzelnen, leise schwebenden Tones, aus der es überquoll von Sehnsucht, Schmerz und Liebe . . .

Nannei hatte den Platz hinter Tonis Stuhl verlassen, es hatte sie näher und näher gezogen, nun stand sie dicht am Tisch, und als sie eine der Dirnen flüstern hörte: »Es is ja g'rad, wie wann a arme Seel' drin wär' im Holz, die unsern Herrgott anbettelt um Gnad' und Erlösung« . . . da nickte sie mit verlorenem Lächeln vor sich hin, und ihre Blicke tauchten in Paulis Augen. Und während die weichen, süßen Töne ihr Ohr umschmeichelten, begannen diese blauen, tiefen, stillen Augen plötzlich redend zu werden für ihre Blicke. Was sie erzählten von Hoffen und Sehnen, von Treu' und Liebe, das alles, alles verstand sie . . . die Saiten klangen es nach in zitternden Tönen . . . und was sie sangen, das schlich ihr so warm in das Herz, so traulich in die Seele. Liebliche Bilder gaukelten vor ihr empor . . . sie sah sich heimwärtsziehen von der Alm mit brüllenden Rindern und läutenden Glocken . . . aus herbstlichen Bäumen sah sie ein freundliches Häuschen aufwärtstauchen mit rotem Dach und weißen Mauern . . . und aus all den blinkenden Fenstern guckte das lachende Glück. Zwei schimmernde Zähren rannen über ihre glühenden Wangen, um ihre Lippen aber spielte ein fröhliches Lächeln.

Da störte ein grobes Wort das Spiel und die Stille. Toni hatte sich erhoben: »Jetzt hab' ich 's aber g'nug . . . die ewige Dudlerei!«

Nannei streifte den Burschen mit einem zornigen Blick, dann legte sie die Hand auf Paulis Hände, und sagte: »Hörst es Pauli . . . der Toni hat g'nug. Thu' ihm halt den G'fallen und wart', bis er fort is!«

Toni stand mit verdutztem Gesicht und offenem Munde. Nun sprang auch Pauli auf. »Nannei!« stammelte er, und aus seinen Augen leuchtete die Freude des jähen Glückes.

 


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