Ludwig Ganghofer
Fliegender Sommer
Ludwig Ganghofer

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Wasser . . .

Gedicht in Prosa.

Weithin über die ebene Fläche, aus welcher zuweilen nur ein niederer Hügel sich emporwölbt, zuweilen nur ein rötlicher Steinklotz aufragt aus dem gelben Sande, weithin, schier endlos, dehnt sich der Himmel. Kein Lufthauch regt sich, keine Wolke zieht. Ein roter Feuerball, so steht die Sonne im Zenith. Unter den zuckenden Strahlen, welche ausschießen von ihrem lohenden Kerne, verschwindet das Blau der Lüfte, verwandelt in alle Farben des Feuers. Die Sonne brennt, und der ganze Himmel scheint in Flammen zu stehen. Feuer fließt nieder auf die Erde, und Feuer steigt wieder empor aus allem Grunde. Denn aus dem regungslosen Sande, der leise knistert unter der Glut, die ihn durchsetzt, geht ein Zittern und Weben, ein Zucken und Züngeln, wie von Myriaden farbloser Flammen. Und dieses Zucken und Zittern, der siedende Wellentanz des Äthers, es ist das einzige, was sich bewegt, was lebt in dieser toten Stille.

So weit die Augen reichen, kein grünes Blatt, kein Strauch, kein Baum, nur Sand, glühender Sand. Kein Falter gaukelt über den Grund, um die einsamen Steine pispert kein Laut und flattert kein Vogel. Tot die Lüfte, ohne Leben die Erde. Und dennoch war eine Zeit, in welcher das Leben wandelte an dieser Stätte, nur wandelte, um hier seinen Weg zu enden in Graus und Qualen. Auf einer felsigen Platte, welche gleich einer hohen Stufe sich emporhebt aus der öden Fläche, liegt, vom Sande schon halb verweht, ein Haufen bleichender Gebeine. War es ein Tier, das hier verröchelte? War es ein Mensch, der einsam und verlassen, im letzten Atemzug, mit letzter Kraft noch diesen Fels erstieg, um mit brennenden Augen auszublicken nach Rettung und Hilfe? Oder ist diese Stätte das Reich des Todes, der diesen Fels erkor zu seinem Thron, darauf er nun sitzt und herrscht, eine Feuerkrone auf dem kahlen Schädel, ein Flammenschwert in der knöchernen Faust, die bleichen Glieder halb eingehüllt in das gelbe Leichentuch der Wüste? Er sitzt und starrt mit leeren Augenhöhlen und wartet seines Opfers . . .

Fern am Horizont der Wüste, wo der brennende Sand und der flammende Himmel verschwimmen zu einem einzigen Glutmeer, taucht ein dunkles Etwas auf. Es scheint an der Erde zu kleben und scheint zu kriechen. Es nähert sich und wächst, es wird zu einem Wesen mit Haupt und Gliedern. Inmitten der Wüste . . . ein Mensch. Seine Hand führt einen Stab, ein brauner Mantel umhüllt die Schultern und schützt das Haupt vor der Glut der Sonne. Mit keuchendem Atem und wankenden Ganges schreitet er durch den heißen Sand darein seine Füße versinken bis über die Knöchel. Zuweilen hält er inne und hebt das Haupt. Aus den Falten des Mantels blickt ein Antlitz hervor, bleich, zerfallen und verzehrt, mit welken Lippen und fiebernden Augen. Seine Blicke irren ins endlos Leere. Wo ist der Weg, den er gehen soll? Wo liegt das Ziel, nach dem er sich sehnt mit Sehnen und Dürsten? Vor ihm kein Pfad und keine Straße . . . nur Sand, endloser, glühender Sand. Und dennoch weiter, nur immer weiter! Denn hinter ihm liegt Tod und Grauen. Kaum wagt er die Blicke zurückzuwenden nach jener Ferne, in welcher der erste seiner Schar verschmachtend niedersank. Und einer um den anderen fiel; er sah das Leben erlöschen in ihren Augen und konnte nicht retten, nicht helfen. Es fiel das Tier, das ihn getragen . . . und das warme Blut, das er in Gier und Ekel schlürfte, löschte nicht seinen glühenden Durst, mehrte nur den Brand in seiner Kehle. Und jetzt . . . verlassen, auf sich allein gestellt, und dennoch nicht allein, denn Schritt um Schritt geleitet ihn ein grinsendes Gespenst. Wohin er sich wendet, es wandert an seiner Seite. Wohin er blickt, es fällt ihm in die Augen. Wenn seine Hoffnung es verschwinden macht für die Dauer eines Herzschlages, seine Furcht beschwört es wieder in tausendfältiger Gestalt.

Er taumelt weiter, immer weiter, bis seine letzte Kraft verrinnt, wie ein Tropfen im Sande. Die Sprache ist ihm längst erloschen . . . wer auch sollte in dieser toten Öde seinen Hilfeschrei vernehmen? Nur stumm bewegen sich seine welken Lippen, wie von einem einzigen, immergleichen Worte. Es wird nicht laut, obwohl er es aufzuschreien glaubt aus verzweifelter Seele: »Wasser . . . Wasser . . .«

Dort . . . eine schattige Stelle für kurze Rast! Er wankt dem Felsen entgegen, der sich schräg hervorschiebt aus dem Sande. In den spärlichen Schatten will er sich lagern und ruhen . . . Da fällt sein glühender Blick auf die bleichen Gebeine, die so still vor seinen Augen liegen und dennoch eine Sprache reden, furchtbar und entsetzlich. In Grausen will er sich wenden . . . doch ihm fehlt die Kraft, seufzend bricht er in die Knie, seine Glieder versinken im heißen Sand, und an den Fels gelehnt, zerrt er mit müden, langsamen Händen noch den Mantel über das Antlitz . . .

Die Sonne glüht, es zittern alle Lüfte, und leise rinnen die Stunden dahin über den stillen, regungslosen Schläfer. Kein Zucken mehr in seinen Gliedern. Aber noch immer schlägt sein Herz, noch träufelt das Blut in seinen Adern, noch im Erlöschen spinnen seine Gedanken ein schimmerndes Netz, und seine Träume leben und weben . . .

Da steigt es auf vor seinen Augen in prangendem Grün, aus allem Grunde wuchert das schwankende Gras, dieser Teppich Gottes, mit schlanken Stämmen heben sich die Palmen, und ein sanfter Windhauch rührt die grünen Fächer, damit ihr Schatten wandere von Platz zu Platz. Und durch das leise Rauschen der mächtigen Blätter quillt ein Laut, bald silbern hell, dann wieder mit geheimnisvollem Raunen . . . die murmelnde Stimme einer Quelle. Der Träumer hört sie, aus seiner jubelnden Seele fließt es wie neues Leben durch seine Glieder, mit schlürfenden Lippen richtet er sich auf, mit sehnenden Augen sucht er umher im Kreise . . . dort . . . weiß und schimmernd blinkt es ihm entgegen wie ein Silberspiegel, von grünen Flechten umrankt, von kühlem Tau umhaucht. Mit zitternden Händen reißt der Träumer das Gewand von seinem Leibe . . . nicht trinken nur, nein, er will zugleich genießen mit Mund und Gliedern, zugleich den verzehrenden Durst seiner Kehle füllen, den glühenden Brand seines Körpers löschen. Ach, schon dieses Vorgefühl ist Wonne, dieses Denken: wie der zögernde Fuß sich niedertaucht in die krystallene Welle, wie die kalten Tropfen aufwärts sprühen über die erschauernden Glieder, wie die erfrischende Kühlung jede Fiber umschmeichelt, jeden Nerv belebt, wie sie höher und höher steigt, bis an die Brust, bis ins Herz, bis in die Seele, wie die Arme das plätschernde Naß umschlingen, als wäre jeder Tropfen eine Perle von unermeßlichem Wert, und wie die gierigen Lippen sich neigen, wie sie schlürfen, schlürfen und schlürfen . . .

So träumt der stille Schläfer, im Traume wankt er dem rettenden Quell entgegen, er streckt die Arme . . . und da flieht vor ihm das trügerische Bild zurück in endlose Fernen. Zwei brechende Augen folgen ihm, sie sehen das Bild verharren in unerreichbarer Weite . . . erst nur wie eine winzig leuchtende Scheibe, doch sie beginnt sich zu dehnen und wächst, sie wird zum rinnenden Bache, zum rauschenden Strom, zum flutenden See. Unermeßlich weit sind seine Ufer gezogen, und in schäumenden Wogen wälzen sich seine Wasser. Aus jeder Welle steigt es auf in seinen Dünsten, sie kräuseln sich empor und sättigen die Lüfte, sie spinnen sich aus zu langen, breiten Schleiern, den Himmel verhüllend und seine Sonne, sie ballen sich zu schwerem, finsteren Gewölk und ziehen näher, näher, immer näher . . .

Mit dürstenden Blicken starrt der Träumer ihrem Flug entgegen, er breitet die Arme nach ihnen und verwünscht den lahmen Sturmwind, der sie treibt. Und näher kommen sie und füllen schon den ganzen Himmel zu seinen Häupten. Da geht ein Rauschen durch die Lüfte, ein Tropfen fällt, der erste, dem tausend andere folgen, es rieselt hernieder wie zarter Staub, dann stürzt es aus den Wolken zur Erde mit Gießen und Strömen. Mit gespannten Armen steht der Träumende, jede Perle sucht er aufzufangen, er fühlt das Fallen der Tropfen auf seinen Händen und Armen, auf seiner Brust und seinem Haupte, doch keine Kühlung, keine Nässe. »Wasser, Wasser!« schreit er auf mit gellender Stimme, er schlürft und saugt, was seine Lippen trifft, er fühlt das Rinnen der Tropfen in seiner Kehle, doch keine Stillung seines glühenden Durstes, kein Versiegen des Feuers, das in seinem Innern brennt. »Wasser, Wasser!« gellt es von seinen Lippen, er sieht, wie der Regen sich wandelt zu stürzender Flut, er fühlt, daß es herfällt über seinen Körper, wie aus tausend Eimern, bald rauscht und gurgelt es rings um seine Füße, es schwillt und steigt, die ganze Wüste ist verwandelt in ein Meer mit donnernden Wogen, die sich türmen und überschlagen, und immer noch schreit der Träumende in unersättlicher Gier und unstillbarem Dürsten: »Wasser . . . Wasser!«

Die Wogen rauschen und fluten, sie heben ihn empor und tragen ihn, eine Welle wirft ihn der anderen zu, und auf den lebenden Wassern gleitet er dahin, ins Endlose, ins Unermeßliche. Sein Traum geht unter in Flut und Wogen, allmählich schleicht es über seine ringenden Glieder wie sanfte Ruhe, seine Lippen stehen offen, und all diese Wasser ergießen sich, rauschend und unaufhaltsam, in seine schmachtende Seele. Sie bringen ihm das Ende, er fühlt es kommen, doch er trinkt und trinkt, mit jedem Zuge fühlt er den Brand erlöschen und den Durst versiegen, der ihn gemartert . . . dieses trinkende Sterben ist ihm Wonne, Wollust dieser Tod . . .

Die Sonne wandert, und mit glühender Röte taucht sie nieder in den Dunst der Ferne. Über die Wüste zieht die Nacht einher, die Sterne blitzen auf, und mit schleichenden Tritten sucht der Schakal seinen Weg und seine Beute.

Die Sonne wandert . . . sie steigt empor über waldige Berge, über schneebedeckte Felsenhäupter, und da sie den jungen Tag, der ihrem Wege voraneilt auf rosigen Schwingen, aussendet über ein herrliches Land, sieht sie den Traum der Wüste verwandelt in schreckensvolle Wirklichkeit.

Aus drängenden Wolken flutet der Regen, durch Tage und Wochen. Von allen Bergen strömt es nieder in die Thäler, jedes Wehr und jede Mauer sinkt vor dem tosenden Wildbach, die Bäche sammeln sich im brausenden Strom, der alle Dämme bricht und alle Ufer überflutet. Nach allen Seiten senden die Wasser ihre grauen, unheimlichen Polypenarme; sie jagen das Wild aus Wald und Dickung, verheeren die Flur mit ihrer Saat; jeden Baum umgurgeln die Wellen, aufgreifend bis zu den Ästen, und um bedrohte Häuser führen sie ihren Totentanz. In Grauen und Jammer fliehen die Menschen, Hab und Gut verlassend, um das nackte Leben zu retten. In den Zweigen der Bäume suchen sie Zuflucht, auf den Dächern der wankenden Häuser, in Verzweiflung ausspähend, ob nicht endlich der rettende Kahn sich nahe.

Und die Wasser wachsen und steigen; tobend und brausend ziehen sie ihres Weges, hier eine Mauer fällend, dort eine Brücke brechend und ein Haus verschlingend mit allem, was es barg an Gut und Leben. Ihn verschlingen sie, der um Hilfe schreit, und ihn, der Hilfe bringen will. Und wenn die Opfer niedersinken, erstickt von den alles umschlingenden Armen des Wassers, wenn ihr letzter Schrei erlosch im Gurgeln der Wellen, und wenn im letzten Seufzer vor ihren brechenden Augen noch ein Bild emporsteigt wie ein tröstender Traum . . . was ist es dann, wovon sie träumen. Ein sonniger Himmel ohne Wolken? Ein Land, das keinen Regen kennt? Die Wüste ohne Wasser? . . .

 


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