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1934

*

An Ernst Freud

Wien IX, Berggasse 19, 20. Februar 1934

Lieber Ernst

Dank dem leitenden Prinzip aller journalistischen Berichterstattung, möglichst viel Lärm zu schlagen, ist es gewiß nicht leicht, aus Zeitungen zu erfahren, was in einer Stadt vorgeht, in der geschossen wird. Uns traf es am meisten, daß wir fast vierundzwanzig Stunden kein elektrisches Licht hatten. (Es war ein Trost, daß wenigstens die Zündhölzchen noch angegangen sind.) Aber im übrigen war es Bürgerkrieg und nicht schön. Der Hergang der Sache ist nicht klargestellt, man behauptet, daß ein gewisser mächtiger M(ussolini) verlangt hat, die Erledigung des lange lauernden Konflikts jetzt in Angriff zu nehmen. Irgendeinmal war es vielleicht unvermeidlich. Natürlich sind jetzt die Sieger die Helden und die Retter der heiligen Ordnung, die anderen die frechen Rebellen. Aber im Falle eines Sieges der anderen wäre es auch nicht schöner geworden und hätte militärische Invasion ins Land gebracht. Man darf die Regierung nicht zu schwer beurteilen, mit der Diktatur des Proletariats, die das Ziel der sogenannten Führer war, ist doch auch nicht zu leben. Natürlich werden die Sieger jetzt keinen der Fehler unterlassen, die man in solchen Situationen begehen kann. Dollfuß wird kaum Schuld daran haben, er kann die gefährlichen Narren in der Heimwehr wahrscheinlich nicht bändigen.

Die Zukunft ist ungewiß, entweder ein österreichischer Fascismus oder das Hakenkreuz. Im letzteren Falle müssen wir weg; vom heimischen Fascismus wollen wir uns allerlei gefallen lassen, da er uns kaum so schlecht behandeln wird wie sein deutscher Vetter. Schön wird er auch nicht sein, aber in der Fremde ist es auch nicht schön, was ich Euch nicht zu sagen brauche, die Ihr es doch noch gut getroffen habt. Unser Verhältnis zu den beiden politischen Möglichkeiten der österreichischen Zukunft kann nur den Ausruf Mercutio's in ›Romeo und Julia‹ zitieren: »A plague on both your houses.«

Eben – Mittwoch, 21.2. früh – ist das Standrecht aufgehoben worden. Unsere Regierung und unser Kardinal erwarten viel von Gottes Hilfe.

Herzlichen Gruß für Dich und Lux

Papa

*

An Arnold Zweig

Wien XIX, Straßergasse 47, (nicht mehr lange), 30. September 1934

Lieber Meister Arnold

Ich antworte unmittelbar unter dem Eindruck der Sorge, daß Ihr Bonapartestück sich auf der Reise verloren haben könnte. Aber es kann wohl noch kommen.

Sie wollen wissen, warum ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe? Nein, Sie wissen es nicht. Vielleicht vermuten Sie – und dann nicht ganz mit Unrecht – daß ich Sie durch meinen fortgesetzten Einspruch gegen Ihren Nietzsche-Plan nicht länger stören wollte, aber der Hauptgrund war doch ein anderer. Ich habe nämlich in einer Zeit relativer Ferien aus Ratlosigkeit, was mit dem Überschuß an Muße anzufangen, selbst etwas geschrieben, und das nahm mich gegen ursprüngliche Absicht so in Anspruch, daß alles andere unterblieb. Nun freuen Sie sich nicht, denn ich wette, Sie werden es nicht zum Lesen bekommen. Aber lassen Sie sich erklären, wie das zugeht.

Der Ausgangspunkt meiner Arbeit ist Ihnen vertraut; es war derselbe wie für Ihre ›Bilanz‹. Angesichts der neuen Verfolgungen fragt man sich wieder, wie der Jude geworden ist, und warum er sich diesen unsterblichen Haß zugezogen hat. Ich hatte bald die Formel heraus: Moses hat den Juden geschaffen, und meine Arbeit bekam den Titel: Der Mann Moses, ein historischer Roman (mit mehr Recht als Ihr Nietzscheroman). Das Zeug gliederte sich in drei Abschnitte, der erste romanhaft interessant, der zweite mühselig und langwierig, der dritte gehalt- und anspruchsvoll. An dem dritten scheiterte das Unternehmen, denn er brachte eine Theorie der Religion, nichts Neues zwar für mich nach ›Totem und Tabu‹, aber doch eher etwas Neues und Fundamentales für Fremde. Die Rücksicht auf diese Fremden heißt mich dann den fertigen Essay sekretieren. Denn wir leben hier in einer Atmosphäre katholischer Strenggläubigkeit. Man sagt, daß die Politik unseres Landes von einem Pater Schmidt gemacht wird, der in St. Gabriel bei Mödling lebt, der Vertrauensmann des Papstes ist, und zum Unglück selbst ein Ethnolog und Religionsforscher, der in seinen Büchern aus seinem Abscheu vor der Analyse und besonders meiner Totemtheorie kein Geheimnis macht. In Rom hat mein braver Edoardo Weiß eine psychoanalytische Gruppe gegründet und mehrere Nummern einer ›Rivista italiana di Psicoanalisi‹ herausgebracht. Plötzlich wurde ihm diese Veröffentlichung untersagt, und obwohl Weiß einen guten Zugang zu Mussolini hatte und von ihm eine günstige Zusage erhielt, konnte das Verbot nicht aufgehoben werden. Es soll direkt vom Vatikan ausgehen, und der Pater Schmidt dafür verantwortlich sein. Nun darf man wohl erwarten, daß eine Publikation von mir ein gewisses Aufsehen machen und der Aufmerksamkeit des feindlichen Paters nicht entgehen wird. Damit würde man ein Verbot der Analyse in Wien und die Einstellung aller unserer Arbeiten hier riskieren. Beträfe die Gefahr nur mich, so würde sie mir wenig Eindruck machen, aber alle unsere Mitglieder in Wien erwerblos zu machen, ist mir eine zu große Verantwortlichkeit. Und dahinter steht, daß mir meine Arbeit weder so sehr gesichert scheint noch so sehr gut gefällt. Es ist also nicht der richtige Anlaß zu einem Martyrium. Schluß vorläufig!

Von meiner sogenannten Gesundheit will ich lieber nicht viel sagen. Sie gestattet mir wenigstens, meine bisherige Berufstätigkeit fortzusetzen. Wenn diese herrlichen Herbsttage vorüber sind, ziehen wir in die Berggasse.

Die Kostprobe aus Ihrer Analyse ist recht schmackhaft; hoffentlich bleibt es nicht bei solchen Proben. Wenn Ihr Stück ankommt, werde ich die daran geknüpfte Frage der Verwertung Martin vorlegen. Viel Beziehungen zu Theaterkreisen haben wir nicht. Ihre persönliche Anwesenheit wird da kaum zu entbehren sein.

Es schaut freilich nicht gut aus in unseren Zeiten, aber denke ich unter dem Eindruck Ihrer Bemerkungen an die Zeit zurück, in der ich aufwuchs, so bringe ich es auch zu keinem rechten Bedauern, daß sie vorüber ist. »Gehupft wie gesprungen« pflegt man zu sagen.

Bis ich wieder von Ihnen höre, werde ich mich freuen anzunehmen, daß es Ihnen und den Ihrigen wohl geht.

Herzlich
Ihr Freud


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