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1899

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An Heinrich Gomperz

Wien IX, Berggasse 19, 15. November 1899

Hochgeehrter Herr Doktor

Ich habe gegen die Annahme Ihres Vorschlages nur ein Bedenken, dessen Zurückweisung Ihnen zufallen wird. Wenn Sie auf so erhebliche Schwierigkeiten bei der Deutung Ihrer Träume stoßen, also so starke Widerstände gegen eine Reihe der in Ihnen vorfallenden Seelenregungen in sich aufgerichtet haben, so kommt eine Unterweisung in der Deutung Ihrer Träume einem Ansatz zur Selbstanalyse gleich. Hat diese einmal angefangen, so hört sie wohl nicht gleich wieder auf, und Sie sind vielleicht in Arbeiten begriffen, die eine Störung und Unterbrechung nicht gut vertragen. Können Sie sich über diese Gefahr hinaussetzen und mir die Indiskretion verzeihen, mit der ich in Ihnen spüren und forschen muß, und die peinlichen Affekte, die ich wahrscheinlich in Ihnen werde erwecken müssen, kurz wollen Sie die unerbittliche Wahrheitsliebe des Philosophen auch gegen Ihr Inneres wenden, so werde ich sehr erfreut sein, Ihnen bei dieser Arbeit den ›Anderen‹ zu ersetzen. Ihre Meinung, zur Psychologie müßten einige Kapitel hinzugefügt werden, wenn diese Auffassung des Traumlebens richtig ist, deckt sich ganz mit der meinigen, die natürlich die beigefügte Bedingung überwunden hat. Die Aussicht, Sie in irgendeinem Grade von der Richtigkeit meiner Ermittlungen zu überzeugen, hat zu viel des Verlockenden für mich, und Ihre Andeutung, Sie würden vielleicht dem Thema wissenschaftlich nähertreten, bedeutet mir geradezu eine Wunscherfüllung. Meine Zustimmung kann darum auf die zweite Verlockung, daß ich Ihre Träume als Material für eine vollständigere Traumaufklärung verwenden könnte, völlig verzichten. Ich glaube nicht, daß es gelänge, das Gedanken- und Erinnerungsmaterial, das hinter Ihren Träumen steckt, für das Publikum unkenntlich zu machen, und ich halte Sie auch für einen Hysteriker, der ja sehr wohl gesund und widerstandsfähig sein kann.

Auf Schwierigkeiten werden wir jedenfalls stoßen, ich weiß nicht welche, denn eine Person von Ihrer intellektuellen Konstitution hat sich mir noch nie zur Verfügung gestellt.

Ich bin noch lange nicht voll beschäftigt. Um sechs Uhr abends bin ich fast regelmäßig frei und werde mich freuen, Sie zum Beispiel morgen, Donnerstag, um diese Zeit bei mir zu sehen oder Ihre Vorschläge für eine andere Zeit zu empfangen.

Hochachtungsvoll und mit aufrichtigem Dank für Ihr Schreiben

Ihr Dr. Freud


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