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1906

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An Karl Kraus

Wien IX, Berggasse 19, 12. Januar 1906

Hochgeehrter Herr

Die teilweise Übereinstimmung zwischen Ihren Anschauungen und Bestrebungen und den meinen, ist wohl die Ursache gewesen, daß ich meinen Namen wiederholt in der ›Fackel‹ erwähnt finden konnte. Auf diese unpersönliche Bekanntschaft gestützt, erlaube ich mir, Ihre Aufmerksamkeit für einen Vorfall in Anspruch zu nehmen, dessen Weiterungen wahrscheinlich bald die Beiträge Ihrer Zeitschrift in Miterregung versetzen werden. –

Dr. Fließ in Berlin hat durch R. Pfenning eine Broschüre gegen O. Weininger und H. Swoboda veröffentlichen lassen, in welcher beide jungen Autoren des gröblichsten Plagiats beschuldigt und auf die grausamste Weise mißhandelt werden. Die Glaubwürdigkeit des Machwerks mag sich daraus ergeben, daß ich, der langjährige Freund Fließ', als derjenige angeklagt bin, der den beiden (W. u. Sw.) aus seinem Verkehr mit Fließ die Nachricht zugetragen hat, welche zur Grundlage ihrer unrechtmäßigen Veröffentlichungen dienten.

Ich hoffe es nicht notwendig zu finden, daß ich mich ausführlich gegen so absurde Anwürfe verteidige. Der lebende Dr. Swoboda wird seine Verteidigung selbst besorgen und sie leicht finden, für den verstorbenen Weininger werden wahrscheinlich seine Freunde eintreten und Sie, geehrter Herr, den letzteren wie bei früheren Gelegenheiten Ihr Organ zur Verfügung stellen. Es kommt nun auch in Betracht, daß ich selbst nicht in der Lage bin, die in der ›Fackel‹ vertretene Hochschätzung Weiningers zu teilen. Diesmal muß ich mit den Freunden Weiningers gemeinsame Sache machen und vor einer Gefahr warnen, die nun gerade durch den abstoßenden Charakter der Anklageschrift nahe gerückt wird. Die in dieser Broschüre mitgeteilte und durch unerlaubten Mißbrauch meiner Privatbriefe erhärtete Behauptung, daß Weininger seine Grundidee der Bisexualität nicht selbst gefunden, sondern auf einem Umweg, der über Swoboda und mich zu Fließ leitet, erfahren, beruht nämlich auf Wahrheit. Ein Vorwurf gegen den gewiß hochbegabten Jüngling ist nicht abzuweisen, daß er diese Abkunft seiner Zentralidee nicht mitgeteilt, sondern diese als seinen Einfall ausgegeben hat. Inwieweit der Vorgang eine Milderung gegen die harte Form zuläßt, die in dem unrechtmäßig zur Publikation gelangten Privatbrief an Fließ ausgedrückt ist, kann erst nach sorgfältiger Vernehmung des Dr. Swoboda entschieden werden, ich selbst habe Weininger vor der Niederschrift seines Buches nicht gekannt.

Ich möchte, daß nach diesen Briefen Sie die Freunde des Verstorbenen bewahren, keine unhaltbare Position zu seiner Verteidigung zu beziehen. Es bleiben Punkte genug übrig, in denen sein Name erfolgreich gegen die Schmähungen von Fließ-Pfenning verteidigt werden kann.

Ich hoffe, geehrter Herr, daß Sie in diesem Schreiben nichts anderes erblicken werden als ein Zeichen meiner Hochachtung und der Voraussetzung Ihres Interesses für eine Angelegenheit der Kultur. Es gilt die Abwehr der Überhebung einer brutalen Persönlichkeit und die Verweisung des kleinlichen persönlichen Ehrgeizes aus dem Tempelbezirk der Wissenschaft. Wollen Sie diese Zeilen als private Mitteilung entgegennehmen und versichert sein, daß ich Ihnen jederzeit, wenn Sie es wünschen, mit Äußerungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollen, zu Gebote stehen werde.

Ihr in Hochachtung ergebener
Dr. Freud

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An Arthur Schnitzler

Wien IX, Berggasse 19, 8. Mai 1906

Verehrter Herr Doktor

Seit vielen Jahren bin ich mir der weitreichenden Übereinstimmung bewußt, die zwischen Ihren und meinen Auffassungen mancher psychologischer und erotischer Probleme besteht, und kürzlich habe ich ja den Mut gefunden, eine solche ausdrücklich hervorzuheben (Bruchstück einer Hysterieanalyse, 1905). Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objektes erworben, und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundert.

Nun mögen Sie erraten, wie sehr mich die Zeilen erfreut und erhoben, in denen Sie mir sagen, daß auch Sie aus meinen Schriften Anregung geschöpft haben. Es kränkt mich fast, daß ich fünfzig Jahre alt werden mußte, um etwas so Ehrenvolles zu erfahren.

Ihr in Verehrung ergebener
Dr. Freud


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