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1908

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An C. G. Jung

Wien IX, Berggasse 19, 18. Februar 1908

Lieber Freund

Erschrecken Sie nicht: ich verspreche Ihnen dafür eine lange Pause. Das ist heute nur ein Nachtrag, um meinen gestrigen Vorschlag, Bleuler das Präsidium in Salzburg anzubieten, zu unterstreichen. Sie tun mir einen großen Gefallen, wenn Sie ihm diesen meinen Wunsch als Bitte vortragen. Ich halte es für durchaus angemessen und selbst für würdiger, wenn er als wenn ich den Vorsitz führe. Es hat doch einen komischen Beiklang, daß ich selbst als geächteter Ritter den privaten Reichstag leiten soll, der zur Verteidigung meiner Rechte gegen Kaiser und Reich einberufen wird. Es ist dagegen durchaus ehrenvoll für mich und wird auch draußen größeren Eindruck machen, wenn er als der älteste und gewichtigste meiner Anhänger sich an die Spitze der Bewegung zu meinen Gunsten stellt.

Auch meine Wiener werden unter seinem Präsidium besser parieren; kurz es wird alles am schönsten, wenn er sich dazu versteht. Ich bitte Sie, mir Ihre Zustimmung zu schenken und Ihren Einfluß bei ihm aufzubieten.

Ich habe mir vorgenommen, über nichts Anderes zu schreiben. Darum herzlichen Gruß und Dank für Ihre Bemühungen von

Ihrem Freud

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An Mathilde Freud

Wien IX, Berggasse 19, 26. März 1908

Meine liebe Mathilde

Es ist das erste Mal, daß Du Hilfe von mir verlangst, und diesmal machst Du es mir nicht schwer, denn es ist leicht zu sehen, daß Du Dein Leiden sehr überschätzest und Folgerungen daran knüpfest, die nach meinem Wissen und Erkundigungen recht überflüssig sind. Ich will Dir keine schönen Illusionen geben, weder jetzt noch ein anderes Mal, ich halte sie für schädlich und weiß, daß die Ahnung, es seien Illusionen, den Genuß an ihnen aufhebt. Aber es braucht auch keine. Meran soll Dich körperlich kräftigen, wozu es gewiß der richtige Ort ist; für die lokale Affektion hilft es natürlich nicht; die muß man vorläufig sich selbst überlassen. Sie wird Dir gewiß noch Monate lang Schmerzen machen (übrigens kann man den Verdacht haben, daß Dein letzter Anfall Wandernieren war), aber sie ist an sich harmlos, ist dazu bestimmt, immer mehr zu schrumpfen und Dich endlich ganz zu verlassen. Frauen haben sehr oft ähnliche Dinge nach einem Wochenbett und verlieren sie, ohne darum an ihrer Existenz Schaden zu leiden. Bis die Frage der Heirat für Dich in Betracht kommt, wirst Du längst befreit davon sein. Du weißt, ich habe mir immer vorgenommen, Dich wenigstens bis zum vierundzwanzigsten Jahr zu Hause zu behalten, bis Du für die Aufgaben der Ehe und vielleicht des Kinderhabens ganz erstarkt bist und die Schwächungen repariert hast, die die drei großen lebensgefährlichen Erkrankungen während Deines jungen Lebens Dir hinterlassen haben. In unseren sozialen und materiellen Verhältnissen heiraten Mädchen mit Recht nicht in der ersten Jugend; sie werden sonst zu früh mit der Ehe fertig. Du weißt, daß Deine Mutter fünfundzwanzig bei ihrer Hochzeit war.

Du knüpfest wahrscheinlich an den gegenwärtigen unzureichenden Anlaß eine alte Sorge, von der ich gerne einmal mit Dir sprechen wollte. Ich ahnte längst, daß Du bei all Deiner sonstigen Vernünftigkeit Dich kränkst, nicht schön genug zu sein und darum keinem Mann zu gefallen. Ich habe lächelnd zugeschaut, weil Du mir erstens schön genug schienst, und weil ich zweitens weiß, daß in Wirklichkeit längst nicht mehr die Formenschönheit über das Schicksal des Mädchens entscheidet, sondern der Eindruck ihrer Persönlichkeit. Dein Spiegel wird Dich darüber beruhigen, daß nichts Gemeines oder Abschreckendes in Deinen Zügen liegt, und Deine Erinnerung wird Dir bestätigen, daß Du Dir noch in jedem Kreis von Menschen Respekt und Einfluß erobert hast. Somit war ich über Deine Zukunft, soweit sie von Dir abhängt, beruhigt, und Du kannst es auch sein. Daß Du meine Tochter bist, wird Dir auch gerade nicht schaden. Ich weiß, daß es für meine Wahl entscheidend war, bei meiner Frau einen ehrenvollen Namen und eine warme Atmosphäre im Hause zu finden, und es werden gewiß noch andere so denken wie ich, als ich jung war.

Die Verständigen unter den jungen Männern wissen doch, was sie bei einer Frau zu suchen haben, die Sanftmut, die Heiterkeit und die Fähigkeit, ihnen das Leben schöner und leichter zu machen. Es täte mir schrecklich leid, wenn Du Dich mit Deiner Verzagtheit auf einen anderen Weg begeben würdest, aber es ist hoffentlich nur ein flüchtiger Anfall in einer Situation, zu welcher vielerlei zusammengetroffen ist. Du hast Dein Körperliches von zwei Tanten, denen Du ähnlicher bist als Deiner Mutter. Ich sähe Dich lieber Tante Minna nachgeraten als Tante Rosa.

Du armes Kind hast zum ersten Mal den Tod in einer Familie einbrechen gesehen oder davon gehört und vielleicht bei der Idee gezittert, daß das Leben keines von uns besser gesichert ist. Das wissen wir alten Leute alle, und darum hat es für uns besonderen Wert zu leben. Wir haben vor, uns in heiterer Tätigkeit durch das unvermeidliche Ende nicht beirren zu lassen. Gesteh nur zu, daß Du, die Du so jung bist, noch gar keinen Grund zur Verstimmung hast. Ich freue mich doch sehr zu hören, daß die Sonne Merans Dir sonst so wohltut. Wir hätten ein schönes Gesicht gemacht, wenn Du so wiedergekommen wärst. Du sollst lieber dort bleiben, so lange Raabs bleiben und es mit Dir aushalten, also hoffentlich bis tief in den Mai. Ich grüße Dich herzlich und hoffe bald wieder von Dir zu hören.

Dein liebender Vater

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An Stefan Zweig

Wien IX, Berggasse 19, 3. Mai 1908

Sehr geehrter Herr Doktor

Ich war in den ersten Tagen der verflossenen Woche von Wien abwesend und fand heimgekehrt so viel zum Aufarbeiten vor, daß sich der Dank für Ihre liebenswürdige Zusendung so lange verzögert hat. Ich weiß aus der Lektüre der ›Frühen Kränze‹, daß Sie ein Dichter sind, und die schönen, mächtig fließenden Verse, die mir entgegentönen, wenn ich das Buch aufschlage, versprechen mir eine Stunde hohen Genusses, die ich der aufdringlichen Arbeit nächstens entreißen werde. Ich ahne den Zusammenhang und merke, daß Sie so erbarmungsvoll sind, den Mann sterben zu lassen, der nach der alten Dichter Kunde heil von Troja heimgekehrt ist.

Nehmen Sie nochmals meinen besten Dank!

Ihr herzlich ergebener
Freud

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An Oscar Pfister

Wien IX, Berggasse 19, 18. Januar 1909

Hochgeehrter Herr Doktor

Ich kann mich nicht damit begnügen, Ihnen für die Zusendung Ihres Aufsatzes ›Wahnvorstellung und Schülerselbstmord‹ zu danken, ich muß noch meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß unsere psychiatrischen Forschungen bei einem Seelsorger Aufnahme gefunden haben, dem der Zugang zu soviel Seelen jugendlicher und vollwertiger Individuen freisteht. Wir pflegen unserer Psychoanalyse halb scherzhaft, doch eigentlich auch im Ernst vorzuwerfen, daß sie eines Normalzustandes bedarf, um ihre Anwendung zuzulassen, und daß sie an den organisierten Abnormitäten des Seelenlebens eine Schranke findet, so daß sie eigentlich das Optimum ihrer Bedingungen dort antrifft, wo man sie nicht braucht, beim Gesunden, und nun sollte ich meinen, daß dieses Optimum unter den Verhältnissen, in denen Sie wirken, realisiert wird.

Unser gemeinsamer Freund, C. G. Jung, hat mir oft Ihren Namen genannt; ich bin froh, jetzt bestimmteren Inhalt mit ihm verbinden zu können, und hoffe, daß Sie mir auch Ihre weiteren Arbeiten nicht vorenthalten werden.

Ihr dankend ergebener
Freud

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An C. G. Jung

Wien IX, Berggasse 19, 25. Januar 1909

Lieber Freund

Ich weiß es, für jeden kommt, nachdem er die ersten Erfolge überwunden hat, eine bitterböse Zeit in der Psychoanalyse, in der er sie und ihren Urheber verflucht. Aber es legt sich dann später, und man bringt es zu einem modus vivendi. Das sind die Wirklichkeiten! C'est la guerre. Vielleicht hilft der Aufsatz über Methodik (den ich eben nicht zu Ende schreibe) dem Gröbsten ab, aber gewiß nicht sehr viel. Indes lernt man nur im Kampf mit Schwierigkeiten, und ich bin gar nicht böse darüber, daß Bleuler Ihnen einen Lehrauftrag weggenommen hat. Zum Lehrer sind Sie ohnedies bestimmt, werden früher oder später genug davon bekommen, während man in die psychoanalytische Erfahrung getrieben werden muß. Es ist gut, nicht anders zu können.

»Sein Bestes tut nur, wer nicht anders kann«, so ungefähr läßt C. F. Meyer den Mann auf der Ufenau sagen. Ich sage mir oft zur Beschwichtigung des Bewußten: Nur nicht heilen wollen, lernen und Geld erwerben! Das sind die brauchbarsten bewußten Zielvorstellungen. Von Pfister habe ich seither einen gescheiten, an Inhalt überreichen Brief bekommen. Ich und die protestantischen Monatshefte, man denke! Aber es ist mir recht. In manchen Stücken stehen die geistlichen Psychoanalytiker unter besseren Bedingungen, sie haben auch wohl mit dem Geld nichts zu schaffen. Die Lehrer sollten alle unsere Dinge wirklich kennen, schon dem gesunden Kinde zuliebe. Zu Ihrem Lehrerkurs sage ich Ihnen darum ein frohes Prosit! Meine Verschreibung anerkenne ich lachend. Vorsätze helfen gegen diese kleinen Teufeleien des Dämons nichts, also muß man sie sich gefallen lassen...

Mit herzlichen Grüßen, auch an die jetzt vollständige Familie

Ihr Freud

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An Oscar Pfister

Wien IX, Berggasse 19, 10. Mai 1909

Lieber Herr Doktor

Das Matterhorn deckt nun meine Briefschulden auf dem Schreibtisch. Ich lasse mir das Partikelchen Schweiz gerne gefallen in dem symbolischen Sinne, zu dem Sie mich angeleitet, als eine Huldigung des einzigen Landes, in dem ich reich begütert bin, Sinn und Gemüt starker und guter Männer mir geneigt weiß. An persönliche Verteidigung denke ich nicht. Mit Absicht habe ich meine Person immer nur als Exempel vorangestellt, nie als Modell, geschweige denn als Venerabile.

Ist es doch leicht, dem Matterhorn einen anderen und weniger erhebenden Sinn zu geben. Der Maßstab 1:50 000 mag ungefähr der sein, in dem das Schicksal unsere Wünsche erfüllt, und wir selbst unsere Vorsätze durchführen. Nebenbei gesagt, es ist mir aufgefallen, wie wenig Zahlen für unsere Vorstellung bedeuten, ich habe die größte Schwierigkeit, daran zu glauben, daß man nur 50 000 solcher Plättchen übereinander zu stellen brauche, um die Höhe eines Bergriesen zu erreichen; ich hätte auf mehr als eine Million geraten.

Auch einer dritten Bedeutung des Matterhorns will ich gedenken. Es erinnert mich an einen merkwürdigen Mann, der mich eines Tages besuchte, einen wahren Diener Gottes, dessen Begriff und Existenz mir recht unwahrscheinlich waren. In dem Sinne nämlich, daß es ihm ein Bedürfnis ist, jedem, den er trifft, etwas Gutes auf seelischem Wege zu erweisen. So haben Sie auch mir wohlgetan. Nach Ihrem Zureden fragte ich mich, warum ich mich denn wirklich nicht glücklich fühlte, und ich habe bald die Antwort gefunden. Ich verzichtete auf den undurchführbaren Vorsatz, auf ehrliche Weise reich zu werden, beschloß nach dem zufälligen Austritt eines Patienten keinen Ersatz für ihn anzunehmen, und seither bin ich wohl und heiter und gebe Ihnen recht. Diesem Vorsatz aber bin ich seither schon dreimal treu geblieben; ohne Ihren Besuch und Ihre Einwirkung hätte ich mich nie dazu gebracht; mein eigener Vaterkomplex – wie Jung sagen würde –, das heißt das Bedürfnis, meinen Vater zu korrigieren, hätte es nicht zugelassen.

Ihre Bemerkungen über Übertragungen und Kompensationen werden die Erwägung bei mir finden, die sie verdienen. Ich glaube, Sie haben recht; es ist die Bedingung des Dauererfolges. Besonders ein Typus von Frauen lehnt jeden Ersatz durch Ideelles ab und fordert etwas Glückähnliches im Leben oder die festgehaltene Übertragung. Es sind solche, von denen der Dichter sagt, sie hätten nur Verständnis für »Suppenlogik mit Knödelargumenten«.

Nun seien Sie herzlich bedankt. Schreiben Sie tapfer weiter und lassen mich immer mehr von Ihren Kämpfen und Erfolgen hören. Ich grüße Sie herzlich

Ihr Freud

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An Else Voigtländer

Wien IX, Berggasse 19, 1. Oktober 1911

Geehrte Frau Doktor

Vielen Dank für Ihre Zusendung. Es hat mich sehr interessiert zu erfahren, wie sich ein philosophisch geschulter Geist zu meinen ›wilden‹ Funden stellt, und ich war angenehm überrascht zu sehen, daß Sie – trotz der Unbekanntschaft mit den empirischen Grundlagen der Theorien – so vieles für brauchbar und bedeutsam ansehen.

Manche Einwendungen verstehe ich nicht voll zu würdigen, weil mir das Verständnis für den Inhalt gewisser philosophischer Kunstworte abgeht. In einem Punkte glaube ich, Sie aber ganz verstanden zu haben, und auf diesen möchte ich antworten.

Sie meinen, daß ich die Bedeutung akzidenteller Einflüsse auf die Charakterbildung überschätze, und heben dagegen die Bedeutung des konstitutionellen Faktors hervor, der Anlage, welche sich die Erlebnisse auswählt und sie zur Geltung kommen läßt. Alles, was Sie darüber sagen, ist vortrefflich. Allein der polemischen Verwendung scheint ein Mißverständnis zugrunde zu liegen. Wir sagen das Nämliche, mit einer kleinen Modifikation.

Wir finden in der Psychoanalyse, daß nicht eine Anlage jedesmal zu berücksichtigen ist, sondern daß unendlich viele Anlagen vorliegen, die durch die akzidentellen Schicksale entwickelt und fixiert werden. Die Anlage ist sozusagen polymorph. Wir glauben auch, daß hier wieder ein Fall vorliegt, in dem die wissenschaftlich denkenden Menschen eine Kooperation zu einem Gegensatz entstellen. Die Frage, was bedeutsamer ist: Konstitution oder Erleben, welches der beiden Momente den Charakter bestimmt, läßt sich, meine ich, nur dahin beantworten, daß δαίμων χαι τύχη daímon kaí tychae und nicht eines oder das andere maßgebend sind. Warum sollte auch ein Gegensatz bestehen, da die Konstitution doch nichts anderes ist als der Niederschlag des Erlebens der Ahnenreihe, und warum sollte dem eigenen Erleben kein Anteil neben dem Erleben der Ahnen zugestanden werden? In den einzelnen Fällen scheinen sich nun alle Möglichkeiten der Variation zu realisieren, indem bei jedem Individuum bald dies bald jenes Stück der Anlage so dominierend auftritt, daß es sich die Erlebnisse auswählt und andere abwehrt, während andererseits die akzidentellen Einflüsse hier und dort so mächtig einwirken, daß sie dies oder jenes Stück der ursprünglich indifferenten Anlage wachrufen und fixieren.

Wenn wir in unseren psychoanalytischen Arbeiten mehr von den akzidentellen Einflüssen als von den konstitutionellen Bedingungen handeln, so hat dies zwei Gründe. Erstens, weil die ersteren übersehen werden und jetzt zu beweisen sind, während die letzteren nur zu bereitwillig zugestanden werden, zweitens, weil wir von den ersteren auf Grund unserer Erfahrungen etwas zu sagen wissen, von den anderen aber noch so wenig wissen wie die – Nichtanalytiker. Diese Bevorzugung des Akzidentellen will aber keineswegs die Leugnung des Konstitutionellen bedeuten. Wir sind eher auf Überdeterminierung und weniger auf Gegensatz vorbereitet als andere Beobachter.

Wir sind auch der Meinung, daß wir mit der Würdigung der Schicksalsmomente den richtigen Weg zur Erkenntnis der Konstitution genommen haben. Es ist der korrekte Instanzenzug. Was nach Durchforschung der Akzidentien als unerklärlich erübrigt, das darf der Konstitution zugeschoben werden.

Die Ausführungen in der ›Sexualtheorie‹ und im ›Leonardo‹ (der ein besonders grelles Beispiel von der Wirkung der zufälligen familiären Konstellation aufzeigen will) sind durchweg von diesen Gesichtspunkten getragen.

Ich werde mich sehr freuen zu merken, daß Sie Ihr Interesse nicht von der Psychoanalyse abgewendet haben.

Ihr in Hochachtung ergebener
Freud


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