Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1884

*

An Martha Bernays

Wien, Samstag, 29. März 1884

Geliebter Schatz

Wenn's nicht gegen die Erziehung wäre, würde ich Dir schreiben, Du brauchst mir nicht zu sagen, wenn Du unwohl bist – (merke aber, ich schreibe es nicht) – so genau weiß ich es immer aus Deinen Briefen zu entnehmen. Als Du Deinen letzten Brief schriebst, warst Du auch noch nicht gesund, denn Dein Phantasiebild gleicht so genau jenen garstigen Träumen, von denen man nur gequält wird, wenn man sich den Magen verdorben hat. Erwacht man dann, so freut man sich, daß es nicht so ist, und so wollen wir's auch tun, von allen Unwahrscheinlichkeiten, daß Du nämlich gewiß einen anderen Mann, ich aber keine Professorstochter gefunden hätte, abgesehen.

Und Himmel, Weibchen, bist Du arglos und gutmütig! Merkst Du nicht, daß diese Wissenschaft unser ärgster Feind werden kann, daß der unwiderstehliche Reiz ohne Entgelt und Anerkennung sein Leben für die Lösung irgendwelcher für unser beider persönliches Befinden irrelevanter Probleme zu verwenden, unser Zusammenleben aufschieben und aufheben kann, wenn ich, ja wenn ich die Besonnenheit verliere? Nun damit wird's nichts, ich bin kraftvoll beisammen und gedenke die Wissenschaft auszubeuten, anstatt mich zu ihren Gunsten ausbeuten zu lassen. In diesen Wochen habe ich es nur gefürchtet, weil die Hirnanatomie meine einzige Arbeit war. Wenn Du dies liest, bin ich wieder im Dienst, mit den Kranken beschäftigt, und die neuen elektrischen Apparate werden auch beitragen, mich an die Klinik zu fesseln.

Mit der Arbeit geht es übrigens gut, ich sehe mich imstande, eine Reihe von wichtigen Angaben zu machen, teils Bestätigungen von bestrittenen Entdeckungen Meynerts, teils neue Aufklärungen, die sich gewiß noch vermehren werden, und es soll eine Zahl von guten Arbeiten geben. In Verlegenheit bin ich nur, was ich mit Holländer machen soll; wir haben von Anfang an verabredet, es mitsammen zu publizieren, nun hätte ich aber soviel davon, es allein zu tun, und er steht an Brauchbarkeit bei dieser Arbeit nicht nur weit hinter mir zurück, er ist überhaupt nicht brauchbar. Er ist nicht imstande, sich in die Dinge hineinzufinden, kommt alle zwei Wochen zwei Tage, legt sich ein Präparat vor, zündet sich eine Zigarre an, was man bei der Arbeit nie tun soll, liest im Buch, was man auch nicht tun soll, dann findet er, daß die Sachen sehr schwer sind – das sind sie Gott (sei) Dank, sonst würde es jeder leisten können – oder daß das Licht zu schlecht ist, legt alles wieder hin und geht stolzen Schrittes weg. So ein guter Kerl er ist, sein Musikantentum ist sehr wenig respektabel. Dazu benimmt er sich als Grandseigneur, nimmt keinen Teil an der Technik, während ich fast allabendlich bis elf oder zwölf arbeite, und nicht nur, daß ich ihn nicht brauchen kann, ich brauche ihn auch nicht.

Da wir so in der Wissenschaftlichkeit drin sind, noch ein Wort über die Dozentur. Ein Gehalt ist nicht damit verbunden, aber zweierlei Vorteile. Erstens das Recht (gleichzeitig die einzige Pflicht), Kurse zu lesen, von denen, wenn sie gut besucht sind – wovon das wieder abhängt! – man notdürftig leben kann, so daß ich also meinen armen geplagten Freund Breuer schonen könnte. Sodann ist man gesellschaftlich unter den Ärzten und dem Publikum auf ein hohes Niveau gehoben und kann eher erwarten, Patienten zu bekommen, besser gezahlt zu werden, kurz, man hat es leicht, zu einem gewissen Ruf zu kommen. Es gibt freilich auch Dozenten ohne Patienten, und unsere ganze Zukunft schaut ja trotz der guten Erfolge meiner Arbeiten noch recht dunkel aus. Wenigstens wollen wir alles tun, was in unserer Macht steht, es wird doch gehen.

...

Montag, 31. sind es drei Jahre, daß ich promoviert bin, es hat sich bis jetzt nicht eingebracht, aber ein Arzt geht schwer zugrunde, besonders wenn er ein süßes Liebchen hat, das ihn vor Nichtstun und dummen Streichen schützt.

Mit den besten Wünschen für Prinzeßchens Gesundheit
Dein Sigmund

*

An Martha Bernays

Wien, Dienstag, 15. April 1884. Am Journal

Mein süßes Liebchen

Wie seltsam jetzt alles kommt. Wie Du schreibst, es muß sich alles, alles wenden. Deiner Zuversicht komme ich mit Nachrichten entgegen, die wohl eine Wendung bedeuten – das Pathos steht mir gar nicht, obwohl ich so nachdenklich gestimmt bin. Sagen wir also, es scheint, daß wir im zweiten Band unseres hochinteressanten Familienromanes stehen (›Riches‹). Denke Dir also – es klingt wirklich wie ein Kapitel aus Dickens – Paneth und seine Braut haben ein Kapital von fünfzehnhundert Gulden für mich angelegt, dessen Zinsen von vierundachtzig Gulden jährlich zu einer Reise nach Wandsbek verwendet werden sollen, das aber selbst mir jederzeit zu Gebote steht, insbesondere wenn ich einen für unsere Vereinigung entscheidenden Schritt unternehme, wie mich als Arzt hier oder auf dem Lande niederzulassen oder nach Amerika zu gehen und so weiter. Von dieser ›Stiftung‹, deren erste Zinsen vom 1. April mir bereits angeboten wurden, darfst nur Du erfahren. Auch Schwab wissen nichts davon. Er hat es mir heute mitgeteilt, und wir haben dabei einige herzliche Worte gewechselt. Die Absicht ist, uns ein halbes oder ein ganzes Jahr früher die Vereinigung zu ermöglichen. Es ist so viel darüber zu sagen, was ich Dich, Liebchen, erraten lasse. Ich bin jedenfalls sehr belastet mit Verpflichtungen gegen andere Menschen, so sehr, daß es mich recht drückt. Aber ist es nicht schön, daß ein sonst karger Mensch – durch die Macht einer treuen Liebe hier und dort – warm und opferwillig wird? Und ist es wieder nicht schön, daß ein Reicher die Ungerechtigkeit unserer Geburt und die Unrechtmäßigkeit seiner Bevorzugung zu lindern sucht? Und werde ich nicht glücklicher und arbeitsfähiger sein, wenn ich Dich neben mir habe und soviel arbeiten und erwerben können (werde), bis ich mich gar nicht mehr zu schämen brauche. Paneth hat damit den Anspruch erhoben, mir freundschaftlich näher zu stehen – von irgendeiner Provokation des Darlehens war wirklich nichts –, und ich muß nur bedauern, daß ich ernstlich glaube, ich würde die neue Freundschaft nicht sehr lange genießen können. Ihr muß ich mündlich oder schriftlich danken. Wie es nun in jedem Roman zwei oder mehrere Paare und Intrigen (›Plots‹) gibt, so ist auch gerade heute mit Schönberg was Neues vorgegangen, was Gutes und eigentlich Ehrenvolleres als mit mir. Bühler hat ihm gesagt, daß Professor Monier Williams in Oxford ihn schon Mitte Mai bei sich haben will, und so muß er in größter Eile sein Doktorat machen, wobei ihm Bühler alle möglichen Erleichterungen verschafft. Ich glaube doch, er wird einige Wochen zugeben müssen, um sich nicht zu überarbeiten. Sein Gehalt soll bis hundertfünfzig Pfund Sterling betragen, auch eine Möglichkeit sein, daß sein Name auf dem Titel des Wörterbuches, das er arbeiten mithilft, genannt wird. Er wird Euch noch früher sehen als ich. Minna mag sich jedenfalls freuen und sich erinnern, daß das seltene Glück auch keinen gewöhnlichen Menschen getroffen hat.

Und nun Dein Brief, der bravste, schönste, den Du mir je geschrieben, der wertvollste, der meinen Zweifeln allen ein Ende macht. Wir wollen uns lieben und arbeiten.

Sei herzlichst gegrüßt
von Deinem Sigmund

*

An Martha Bernays

Wien, Samstag, 19. April 1884. Am Journal

Mein teures Marthchen

Du darfst gewiß ernst nehmen, was ich gesagt habe und sollst nicht glauben, daß ich Dir irgendwelche Opfer bringe, an die Du nicht mit freiem Herzen denken magst. Glaube mir, es ist nur natürlich, daß ich das überlange Warten weniger mag als Du; ich vertrage es schlechter, es ist allgemein so, daß die Bräute glücklicher sind als die Bräutigame. Also mehr meinetwegen gebe ich meiner Karriere einen kurzen Termin, und dann bin ich auch ganz überzeugt, daß Deine Augen – es steht ja nur als Teil für's Ganze – daß Du mein Liebchen mir sehr viel ersetzen wirst; Du sollst es auch glauben. Und was gebe ich dagegen auf? Ich habe es zu nichts Besonderem gebracht und in den zwei Jahren, die noch zu erwarten sind, wird nichts Entscheidendes vor sich gehen. Eine Schattierung von Rang in der Gesellschaft mehr oder weniger. Es wird mich gar keine Überwindung kosten, nein, ich werde es freudig tun, daß ich etwas Nichtiges, von unsicherem Wert und Ausgang aufgebe gegen das, was so menschenwürdig, erquickend und inhaltsvoll ist, das Zusammenleben mit der Geliebten, die nicht bloß eine Hausverwalterin und Köchin, sondern ein teurer Freund und ein süßes Liebchen sein wird. Dazu kommt, wie ich Dir oft gesagt und geschrieben habe, daß ich auf einem Felde der Wissenschaft selbständig genug bin, um ohne weiteren Verkehr und Anleitung Beiträge zu liefern, ich meine in der Kenntnis des Nervensystems, und ich freue mich, daß Du mir dabei wirst helfen können. So werden die Leute immer noch meinen Namen nicht vergessen dürfen. Aber ich bin so wenig ehrgeizig. Ich weiß, daß ich was bin, ohne der Anerkennung zu bedürfen.

Unter einer deutschen Gegend dachte ich mir natürlich Niederösterreich, Mähren oder Schlesien.

Zunächst bin ich ja noch sehr kampflustig und denke gar nicht daran, die Werbung um eine Zukunft in Wien aufzugeben. Der ›Kampf ums Dasein‹ heißt für mich noch ein Kampf ums ›Dableiben‹. Diese Woche zwar kam es mir wie fern entrückt vor, daß ich im Winter Dozent werden will. Ich habe fast gar nichts arbeiten können, dank meiner ärztlichen Tätigkeit bei Frau Sch. Nun gut, ich kann dann für die fünfzig Gulden oder so Kleider haben, aber ich möchte lieber diese Zeit knapp leben und mehr arbeiten können. Bettelheim hat die Apparate gebracht; ich habe selbst heute einen andern gekauft, das heißt, die Hälfte gezahlt, ich denke, Montag wird die Sache losgehen. Die Hirnanatomie ist aber greulich vernachlässigt worden, und die Vorarbeiten für meine nächste Publikation sind auch noch gar nicht weit gediehen. Frau Sch. geht es heute wieder gut, ich hoffe, sie doch in einer Woche wieder soweit herzustellen, daß ich sie freilassen kann. Unangenehm ist nur ein alter, aber verdächtiger Lungenkatarrh mit Ergriffensein einer Spitze. Wenn das jetzt Fortschritte macht, oder wenn die Erkrankung überhaupt damit zusammenhängt, dann geht es schlecht. Doch erwarte ich es nicht und denke mir, das restaurierte Herz hält eine Weile aus, bis einmal wieder ein Schwächeanfall sie niederwirft. Das kann aber Jahre brauchen.

Ich muß Dich um Entschuldigung bitten, daß ich erst so spät auf Deine Verhältnisse zu sprechen komme. Die tun mir so leid. Wechselst Du nicht wenigstens mit Minna ab und lüftest Dich ein wenig? Marthchen, wenn Du mir dabei krank wirst, mache ich großen Lärm, und Du wirst sehen, daß nicht bloß die Kranken, auch die Liebenden sehr egoistisch sind. Die Aussprüche des Consiliarius imponieren mir nicht sonderlich, ich sehe gar nicht ein, warum die Geschichte ewig dauern oder wiederkommen muß. Auch nicht warum der Consiliarius wiederkommen muß ohne gerufen zu werden, das Sich-Ankündigen ist gar nicht Sitte.

Soll ich Dir jetzt was von Fritz Reuter schicken? Das Vorlesen hilft Dir vielleicht über einige schwere Stunden hinweg?

Schreib mir bald wieder, mein Liebchen, und laß mich hören, daß Du ausgegangen bist, wenn Euer Wetter nicht so entsetzlich ist wie das unsrige.

Mit herzlichem Gruß
Dein Sigmund

*

An Martha Bernays

Wien, Montag, 21. April 1884. Am Journal

Du staunst gewiß, mein Liebchen, daß ich wieder da sitze, nachdem ich Dir erst Samstag von demselben Fleck aus geschrieben habe, das sind die Folgen meiner Versäumnisse während der Krankheit, und recht unangenehm sind sie mir. Überhaupt fehlt mir jetzt etwas, ich kann der glücklichen Praxis wegen nicht im Laboratorium arbeiten, die Arbeiten, von denen ich also ein bißchen Ehre erwarte, feiern. – Heute gab es mir einen Stich, als meine Korrektur der methodischen Mitteilung von Leipzig ankam, ich habe seither außer zwei kleinen Funden gar nichts gearbeitet. Sonst bin ich aber sehr wohl, frisch wie kaum je zuvor, hab auch Dich rechtschaffen lieb, wie in unseren schönsten Tagen hier nie, und wenn ich Dir so selten schreibe, so ist das zuwidere Zusammentreffen von Dienst und Journal in diesen letzten Tagen – auch gestern, Sonntag, war ich eingespannt – daran schuld. Paneth war heute bei mir und teilte mir mit, ich würde vielleicht nach Schwechat zu einem Nervenfall gerufen werden. Alois Schönberg hat mir eine Berufung nach Pest in Aussicht gestellt. Es sind lauter Ansätze, aus denen nicht viel zu werden braucht, aber es sind doch Ansätze. Frau Sch. geht es nun sehr viel besser, ich würde mich sehr freuen, wenn nur kein Zwischenfall käme, und ich sie in einer Woche aus der Behandlung entlassen könnte. Ich schicke sie dann gleich aufs Land.

Mit einem Projekt und einer Hoffnung trage ich mich jetzt auch, die ich Dir mitteilen will; vielleicht wird's ja auch nichts weiter. Es ist ein therapeutischer Versuch. Ich lese von Cocain, dem wirksamen Bestandteil der Cocablätter, welche manche Indianerstämme kauen, um sich kräftig für Entbehrungen und Strapazen zu machen. Ein Deutscher hat nun dieses Mittel bei Soldaten versucht und wirklich angegeben, daß es wunderbar kräftig und leistungsfähig mache. Ich will mir nun das Mittel kommen lassen und auf Grund naheliegender Erwägungen es bei Herzkrankheiten, ferner bei nervösen Schwächezuständen, insbesondere bei dem elenden Zustande bei der Morphiumentziehung (wie bei Dr. Fleischl) versuchen. Vielleicht arbeiten schon viele andere damit, vielleicht taugt es nichts. Aber das Versuchen will ich nicht unterlassen und Du weißt, was man oft versucht und immer will, das gelingt dann einmal. Mehr als einen solchen glücklichen Wurf brauchen wir nicht, um an unsere Hauseinrichtung denken zu dürfen. Setz Dir, Weibchen, aber nicht zu fest in den Kopf, daß es diesmal gelingen muß. Du weißt, das Temperament des Forschers braucht zwei Grundeigenschaften: Sanguinisch beim Versuch, kritisch bei der Arbeit.

Nachdem ich mir so alles weggesprochen habe, was mich betrifft, komme ich zu Dir, mein teures Mädchen. Nein, ich bin noch hier, ich denke nicht daran, Dich noch im Frühjahr zu sehen, ich möchte gerne was Schönes noch gemacht haben bis wir uns wiedersehen. Und darauf freue ich mich so unendlich.

Ich erwarte heute den Zeitungsdiener mit dem Paket und mit Geld; es scheint zwar, daß er nicht kommen will, aber Deine Visitkarten und Dein Petschaft sollen darum doch nicht lange auf sich warten lassen. Es ist so schön von Dir, daß Du Dir was wünschest, auch daß Du im Gehölz spazierengehst, freut mich herzlich. Allein, mein Marthchen? Dolfi sagte gestern, es würde sehr schön sein, wenn Du einmal sagen würdest, stolz sagen natürlich: »Auf meinen Mann habe ich vier Jahre gewartet.« Nebenbei, Marthchen, was sagst Du dazu, daß die kleine Pauli bereits eine glückliche Liebe hat? Mit dem achtundzwanzigjährigen Bruder ihrer Freundin Glaser, bei der sie die Feiertage zuzubringen pflegte. Er ist Dr. juris und Advokaturskonzipient in unserer Stadt Neutitschein in Mähren. Also doch schon ein ernsthafter Mensch. Was denkst Du dazu? Laß Dir nichts merken, ich will auch noch gar nicht sagen, daß die Kleine definitiv vergeben ist, aber hat es nicht den Anschein, als ob die dummen Mädel ›reißend‹ abgehen würden? Dolfi ist die einzige noch freie, sie sagte gestern – ich hatte sie zu einer Jause gebeten, um meinen schwarzen Rock zu korrigieren –: »Es muß wunderbar sein, die Braut eines gebildeten Mannes zu werden, aber ein gebildeter Mann wird mich nicht nehmen, glaubst Du?« Ich mußte über diese Kategorie sehr lachen.

Eben, Marthchen, ist der Zeitungsdiener gekommen, er brachte nur sehr wenig schöne Sachen, aber einen Brief mit achtundzwanzig Gulden. Wie schön, wenn der Mensch Geld hat, Liebchen, jetzt hast Du von mir noch zehn Gulden zu bekommen, ich behalte sie noch ein wenig, weil ich kein anderes Geld habe, aber sie gehören Dein. Was soll nun mit Deiner Toilette werden? Jerseyjäckchen, sind sie noch modern?

Ich behalte sie mir noch, nicht weil ich geizig bin, sondern weil das Cocain Geld kosten wird und weil ich mich gestern, wo ich zehn Gulden für einen elektrischen Apparat gezahlt habe, arm gemacht habe.

Jetzt sind alle Apparate beisammen, und morgen fangen wir zu arbeiten an. Zu Frau Sch. gehe ich doch nur einmal im Tag. Schönberg plagt sich mit Kant und Horaz, sieht aber gut aus und ist guter Laune. Marthchen, das alles zusammen sieht doch nach dem zweiten Band aus?

Geh, schreib mir jetzt so viel von Dir, als ich von mir schreibe. Und auch ob Du sehr wohl, ganz wohl bist. Ob Dir das Eisen wohltut und ob Du Wein trinkst. Ich werde bös, wenn Du nicht beides tust.

Du wolltest auf manches in einem meiner letzten Briefe zurückkommen. Was war es denn?

Mit herzlichem Gruß
Dein Sigmund

*

An Martha Bernays

Wien, 30. September 1884, nachts

Mein süßes Weibchen

So bist Du mir also noch zuvorgekommen, ich danke Dir herzlich für das teure Briefchen, das mich eben überrascht hat. Die Post weiß jetzt, daß ich wieder hier bin. Es ist hier alles so komisch, ich bin wirklich nicht mehr bei Dir! Es war so schön, und es soll wieder einmal so schön werden und bleiben, nein noch schöner.

Ich habe einen Sack voll Neuigkeiten für Dich, großen und kleinen, aber es wäre vergeblich, es Dir jetzt alles sagen zu wollen. Es ist halb zwölf Uhr, und ich bin ganz müde, nicht geistmüde aber, eher sehr frisch und sehr froh. Gar keinen Katzenjammer, ich empfinde nichts als eine unendliche Dankbarkeit gegen Dich, Du Gute, Glückverheißende. Ich finde mich mit Erstaunen ganz heiter, mutiger, edler möchte ich es fast nennen, als bisher. Ich weiß, daß ich wacker arbeiten, alles Schwere ertragen und mich durch die Erinnerung an unser Zusammenleben für lange Zeit reich belohnt halten werde.

Nur wenige Worte, betrachte diesen Brief als nicht vollendet, ich will Dir nur überhaupt Nachricht geben. Ich hatte die angenehmste Reise, habe mich im Spital wieder installiert, war bei Hammerschlag und zu Hause, und jetzt gehe ich zu Bette und grüße Dich warm und herzlich.

Dein Sigmund

Brauche ich Dir zu sagen, daß ich morgen jede freie Viertelstunde zum Schreiben verwenden will?

Viele tausend Grüße. Ich schreibe auf einem Zettel und altem Kuvert, wie ich sie eben in dem Zustand meiner Dinge gefunden habe.

*

An Martha Bernays

Wien, Montag, 17. November 1884

Mein süßes Weibchen

Zum Siebzehnten meinen herzlichen Gruß. Es sind bald zweieinhalb Jahre, daß wir einander angehören, so lange schon, daß wir aufeinander warten. Ich möchte traurig werden, wenn ich nicht wüßte, daß die Tatsache, daß Du mein bist, noch viel mehr erfreulich ist als die andere, daß es nicht im greifbaren Sinne ist. Du bist so lieb und Du bist so fern, ich halte mich doch an das erstere.

Dr. Leslie
Dr. Darling
Dr. Montgomery
Dr. Giles
Dr. Green
Dr. Campbell

Weißt Du, was das bedeutet, mein Schatz? Hast Du Don Quijote gelesen und erinnerst Du Dich der Bedingung, die der Held allen überwundenen Rittern auferlegt? Sie müssen nach Toboso wandern und der unvergleichlichen Dulcinea die Hand küssen. Nun meine sechs Kursisten küssen Dir die Hand. Ja, mein Kurs ist Wahrheit geworden. Heute habe ich gelesen, das heißt Englisch gesprochen eine Stunde lang und eine Kranke demonstriert, und das kleine Kästchen, das ich auf dem Speersort gekauft, enthält hundert selbstverdiente Gulden, von denen ich Dir eine Probe einschicke. Wie das schmeckt, Mädchen! Einer hat nicht gezahlt, es ist der Veranstalter des ganzen Kurses, Dr. Leslie, den ich natürlich sehr gerne frei ausgehen lasse. Aber er war heute abend noch bei mir und hat mir Lobsprüche gespendet, und das ist mir verdächtig. Am Ende verlangt er Prozente, glaubst Du? Ich glaube es nicht.

Was ich mit dem Geld tue? Marthchen und Minna werden jetzt Porter trinken, mein Monatsbeitrag kommt nach Hause; eine Winterhose kann bestellt werden und der Rest, wenn es mich in den Stand setzt, im Dezember noch Breuer zu entlasten, wie schön! Weißt Du, ein einmaliger solcher Verdienst macht nicht viel Unterschied in meiner Ökonomie, aber wenn sich die Kurse regelmäßig folgen, Mädchen, dann ist es das Ende des Schnorrertums und der Anfang vom Ende des ›Dalles‹.

Aber ich bin jetzt auch so beschäftigt, denke Dir: die Abteilung, der Kurs und die schwere Vorbereitung dafür, die Hirnarbeiten und das Ecgonin, an dem in vergangener Woche gar nichts geschehen ist, wie geht das nur zusammen? Ich werde jetzt an Zeit und Geld sparen und rüstig und wacker darauf losarbeiten, wo ich jetzt Aussichten sich mehren sehe, vorwärts zu kommen.

Lustgarten ist zurück, und zwar als großer Herr mit einer großen Entdeckung, aber sehr herzlich. Er war nur einen Tag in Hamburg und damals sehr verstimmt, weil er seine Entdeckung verloren glaubte, darum ist er nicht zu Dir gekommen. Ach, an Ruhm haben sie mich alle überflügelt, aber nicht an Glück und nicht an Zufriedenheit, wenn Du mein wirst.

Dein Sigmund


 << zurück weiter >>