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1933

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An Oscar Pfister

Wien XIX, Hohe Warte 46, 28. Mai 1933

Lieber Herr Doktor

Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Beileid zu Ferenczis Hinscheiden. Ich verdiene es, denn der Verlust ist sehr schmerzlich. Er kam freilich nicht plötzlich. Unser Freund war schon in den zwei letzten Jahren nicht mehr er selbst, er litt an perniziöser Anämie mit motorischen Störungen und war psychisch sehr verändert; er starb dann an einer Atemlähmung. Er wird in unserem Gedächtnis bleiben, wie er die zwanzig Jahre vorher war. – Ich meine, einige seiner Leistungen, zum Beispiel seine ›Genitaltheorie‹, werden sein Andenken lange erhalten.

Von Ihnen so Gutes zu hören, hat mich sehr erfreut. Unser Horizont ist durch die Vorgänge in Deutschland sehr verdüstert. Drei meiner Familien, zwei Söhne und ein Schwiegersohn, suchen ein neues Heim und haben noch keines gefunden. Zu den gastlichen Ländern gehört die Schweiz nicht. Mein Urteil über die Menschennatur, speziell die christlich-arische, zu ändern war wenig Anlaß. Mein Briefwechsel mit Einstein ist gleichzeitig deutsch, französisch und englisch ausgegeben worden, er kann nur in Deutschland weder angezeigt noch vertrieben werden.

Martin wird bald wieder nach Zürich kommen.

Ich grüße Sie herzlich

Ihr Freud

*

An Judah Leon Magnes

Wien IX, Berggasse 19,
5. Dezember 1933

Hochgeehrter Herr Kanzler

Ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift vom Siebenundzwanzigsten und beeile mich, die in ihr gestellte Frage zu beantworten.

Die Ansicht, ein Lehrstuhl für Psychoanalyse sei eine Voreiligkeit, solange keiner für Psychologie besteht, fordert eine Erörterung der Beziehung zwischen beiden Wissenschaften heraus. Ich denke darüber folgendermaßen: Psychoanalyse ist auch Psychologie, und zwar als Wissenschaft von den unbewußten Seelenvorgängen, während, was als akademische Psychologie gelehrt wird, sich auf die Berücksichtigung der bewußten Phänomene beschränkt. Zwischen den beiden brauchte kein Gegensatz zu bestehen, Psychoanalyse könnte als Einführung in die Psychologie vorgetragen werden; der Gegensatz stellt sich in Wirklichkeit aber dadurch her, daß die Akademiker von der Psychoanalyse nichts wissen wollen.

Eine Nötigung, den Unterricht in der Psychologie mit der Tradition der akademischen Psychologie zu beginnen, besteht nicht. Im Gegenteile, alle Anwendungen der Psychologie auf Medizin und Geisteswissenschaften gehen von der tiefgreifenden Psychoanalyse aus, während sich die akademische Psychologie als steril erwiesen hat.

Ich sehe keine Veranlassung anzunehmen, daß Professor Kurt Lewin der Mann sein wird, die Synthese von Psychoanalyse und Psychologie durchzuführen. Unter diesen Umständen bedeutet der Vorsatz, einen Lehrstuhl für Psychologie einzurichten, eine wenig verhüllte Ablehnung der Psychoanalyse, und die Universität von Jerusalem würde dem Beispiel der anderen offiziellen Lehranstalten gefolgt sein. Es tut dann wohl, daran zu denken, daß Dr. Eitingon entschlossen ist, die Pflege der Psychoanalyse in Palästina auch unabhängig von der Universität zu betreiben.

In vorzüglicher Hochachtung
Ihr Freud


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