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1902

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An Wilhelm Fliess

Wien IX, Berggasse 19, 11. März 1902

Teurer Wilhelm

Was so eine Exzellenz alles zustande bringt! Sogar, daß ich wieder einmal Deine traute Stimme in einem Brief vernehme. Da Du aber so schöne Dinge an die Nachricht knüpfest, von Anerkennung, Meisterschaft et cetera, fühle ich mich im gewohnten schädlichen Aufrichtigkeitsdrang verpflichtet, Dir zu schreiben, wie es denn endlich doch gegangen ist.

Mein Verdienst nämlich. Als ich von Rom zurück kam, war die Lust am Leben und Wirken etwas gesteigert, die am Martyrium etwas verringert bei mir. Meine Praxis fand ich recht eingeschmolzen, meine letzte Publikation zog ich vom Druck zurück, da ich kurz vorher an Dir meinen letzten Publikum verloren hatte. Ich konnte mir denken, daß das Warten auf Anerkennung noch ein ziemliches Stück meiner Lebenszeit in Anspruch nehmen würde und daß sich unterdes kein Nebenmensch um mich bekümmern würde. Und ich wollte doch Rom wiedersehen, meine Kranken pflegen und meine Kinder bei guter Stimmung erhalten. So beschloß ich denn, mit der strengen Tugend zu brechen und zweckmäßige Schritte zu tun, wie andere Menschenkinder auch. Von etwas muß man sein Heil erwarten können und wählte den Titel zum Heiland. Vier Jahre lang hatte ich auch nicht ein Wort für ihn aufgewendet, jetzt kündigte ich mich bei meinem alten Lehrer Exner an. Er war so unliebenswürdig als möglich, fast grob, wollte mir von Gründen für meine Zurücksetzung nichts verraten, warf sich ganz in die Rolle des hohen Beamten. Erst nachdem ich ihn durch einige spöttische Bemerkungen über die Tätigkeit des hohen Ministeriums in Aufruhr gebracht, verriet er etwas Dunkles von persönlichen Einflüssen, die bei Seiner Exzellenz gegen mich tätig seien, und riet mir, einen persönlichen Gegeneinfluß zu suchen. Ich konnte ihm ankündigen, daß ich meine alte Freundin und frühere Patientin, die Frau des Hofrates Gomperz, ansprechen könnte. Das schien ihm selbst zu gefallen. Frau Elise war sehr liebenswürdig und nahm sich der Sache warm an. Sie besuchte den Minister und bekam eine erstaunte Miene zur Antwort: Vier Jahre? Und wer ist das? Der Fuchs tat, als sei ich ihm unbekannt. Jedenfalls sei ein neuer Vorschlag notwendig. Ich schrieb nun an Nothnagel und Krafft-Ebing, der kurz vor seinem Rücktritt war, und bat sie, ihren damaligen Vorschlag zu erneuern. Beide benahmen sich reizend. Nothnagel schrieb nach einigen Tagen: Wir haben den Vorschlag eingebracht. Der Minister wich aber Gomperz hartnäckig aus, und die Sache schien wieder zu verlaufen.

Da trat eine andere Kraft in Aktion, eine meiner Patientinnen... hatte von der Sache gehört und begann auf eigene Faust zu wühlen. Sie ruhte nicht, bis sie die Bekanntschaft des Ministers in einer Gesellschaft gemacht, verstand es, sich ihm zu empfehlen und ließ ihn dann durch eine gemeinsame Freundin versprechen, daß er ihren Arzt, der sie gesund gemacht, zum Professor ernennen werde. Genügend aufgeklärt darüber, daß ein erstes Versprechen von ihm soviel wie nichts bedeute, stellte sie ihn dann persönlich, und ich glaube, wenn ein gewisser Böcklin sich in ihrem Besitz befände anstatt in dem ihrer Tante ..., wäre ich drei Monate früher ernannt worden. So wird sich Seine Exzellenz mit einem modernen Bild für die Galerie begnügen müssen, die er jetzt, natürlich nicht für die eigene Person, schaffen will. Endlich also, als der Minister zu Tische bei meiner Patientin war, machte er ihr gnädigst die Mitteilung, der Akt befinde sich schon beim Kaiser, und sie werde die erste sein, der er von dem Vollzug der Ernennung Kunde gebe.

Sie kam dann auch eines Tages strahlend und einen pneumatischen Brief des Ministers schwingend zur Arbeit. Es war also erreicht. Die Wiener Zeitung hat die Ernennung noch nicht gebracht, aber die Nachricht, daß sie bevorstehe, hat sich von der amtlichen Stelle aus rasch verbreitet. Die Teilnahme der Bevölkerung ist sehr groß. Es regnet auch jetzt schon Glückwünsche und Blumenspenden, als sei die Rolle der Sexualität plötzlich von Seiner Majestät amtlich anerkannt, die Bedeutung des Traumes vom Ministerrat bestätigt, und die Notwendigkeit einer psychoanalytischen Therapie der Hysterie mit zwei Drittel Majorität im Parlament durchgedrungen.

Ich bin offenbar wieder ehrlich geworden, die scheu gewordensten Verehrer grüßen auf der Straße von weitem.

Ich selbst gebe noch immer je fünf Gratulationen für einen anständigen Fall zur längeren Behandlung. Ich habe gelernt, daß diese alte Welt von der Autorität regiert wird wie die neue vom Dollar. Ich habe meine erste Verbeugung vor der Autorität gemacht, darf also hoffen, belohnt zu werden. Wenn die Wirkung auf die ferneren Kreise so groß ist wie auf die näheren, so dürfte ich mit Recht hoffen.

In der ganzen Geschichte gibt es eine Person mit sehr langen Ohren, die in Deinem Brief nicht genügend gewürdigt wird, das bin: Ich. Wenn ich die paar Schritte vor drei Jahren unternommen hätte, wäre ich vor drei Jahren ernannt worden und hätte mir mancherlei erspart. Andere sind ebenso klug, ohne erst nach Rom kommen zu müssen. Das also ist der ruhmreiche Vorgang, dem ich unter anderen auch Deinen freundlichen Brief verdanke. Ich bitte Dich, behalte den Inhalt dieses Schreibens für Dich.

Ich danke Dir und grüße Dich herzlich

Dein Sigm.


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