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1921

*

An Hereward H. L. Carrington

Badgastein, 24. Juli 1921

Sehr geehrter Herr Doktor

Ich gehöre nicht zu denen, die ein Studium der sogenannten okkulten psychischen Phänomene als unwissenschaftlich, als unwürdig oder gar als gefährlich von vorneherein ablehnen. Wenn ich zu Beginn einer wissenschaftlichen Laufbahn stände, anstatt wie jetzt am Ende, würde ich mir vielleicht trotz aller Schwierigkeiten kein anderes Arbeitsgebiet wählen.

Trotzdem bitte ich Sie, bei Ihrem Unternehmen auf meinen Namen zu verzichten, und das aus mehreren Gründen.

Erstens, weil ich auf dem Gebiet des Okkulten vollkommener Laie und Neuling bin und nicht das Recht habe, hier irgendeinen Schimmer von Autorität zu beanspruchen.

Zweitens, weil mir daran liegen muß, die Psychoanalyse, an der nichts Okkultes ist, scharf von diesem noch nicht eroberten Wissensgebiet abzugrenzen, und keinen Anlaß zu Mißverständnissen in dieser Hinsicht zu geben.

Endlich, weil ich gewisse skeptisch-materialistische Vorurteile nicht loswerden kann, und diese in die Erforschung des Okkulten mitbringen würde. So bin ich ganz unfähig, das ›Überleben der Persönlichkeit‹ nach dem Tode auch nur als wissenschaftliche Möglichkeit in Betracht zu ziehen, und nicht viel besser ergeht es mir mit dem ›Idroplasma‹.

Ich meine also, es ist besser, wenn ich mich weiterhin auf die Psychoanalyse beschränke.

Hochachtungsvoll

Ihr ergebener
Freud

*

An Oscar Rie

Badgastein, 4. August 1921

Lieber Oscar

Ich habe Deinen Brief bei einunddreißig Grad Réaumur erhalten und beantworte ihn bei siebeneinhalb. Kaum, daß der Wunsch nach Veränderung eingetroffen ist, bedauert man seine Erfüllung. Ob es nicht oft so geht?

Die unerwartete Hitze in Gastein hat auch mir eine Woche großer Müdigkeit gebracht, die aber schon vor dem Wettersturz überwunden wurde. Die Bäder deuten ihre Wirkung an durch die Erweckung der Beschwerden, gegen die man sie gebraucht, was ja ordnungsgemäß ist. Ein großer Triumph hat mich hier aufgesucht, die erste französische Übersetzung, die der fünf ›Vorlesungen‹, herausgegeben von der ›Revue de Genève‹. Direktere Anknüpfungen mit Paris versprechen, daß wir bald auch in dem spröden Frankreich Gehör finden werden.

Am 31. Juli kündigte ein Telegramm von Ernst die Geburt eines Sohnes an, von dem bis aufs Gewicht, siebeneinhalb Pfund, die weiteren Nachrichten fehlen. Mutter und Kind sollen wohl sein. Die Ausseer sind mit Nachrichten nicht freigebig, am Vierzehnten wollen wir auf dem Weg nach Innsbruck zusammentreffen, um tags darauf nach Seefeld zu fahren.

Dort hoffe ich Dich für einige Tagesgespräche in Anspruch zu nehmen. Ich finde es unrecht, daß Du Dich kasteist. Die Zeit verlangt alle unsere Kräfte, die Mobilmachung unserer Reserven, und dazu ist unser armer Konrad (unser Physikum) nur bei guter Behandlung bereit. An Regentagen finden wir uns dann auch zu einer Tarockpartie zusammen.

...

Deine freundlichen Worte über mich haben mir sehr wohlgetan, obwohl sie mir nichts Neues gebracht haben, denn seit länger als einem Menschenalter betrachte ich Deine Freundschaft als einen gesicherten Besitz. Ich habe sonst vielen etwas geben dürfen im Leben, von Dir hat mich das Schicksal nur annehmen lassen. Ich vertraue auf Deine Stärke, daß Du Dich auch der gegenwärtigen Situation überlegen zeigst.

Mein letztes kleines Buch, die ›Massenpsychologie‹, befindet sich wohl längst in Deinem Besitz? Ich habe wenigstens vor der Abreise Auftrag dazu gegeben.

Minna, der Gastein wiederum sehr wohltut, läßt Dich herzlich grüßen. Ich schließe mit der Zuversicht auf Wiedersehen in diesem Monat.

Herzlich
Dein Freud

*

An Ernst und Lucie Freud

Wien IX, Berggasse 19, 20. Dezember 1921

Lieber Ernst und liebe Lux

Heute früh ist Frau Lou abgereist, so ist heute abend der erste Termin, an dem ich Deinen erfreulichen Brief vom 30. November bis 7. Dezember beantworten kann. Sie war ein reizender Gast, wie doch überhaupt eine hervorragende Frau. Anna hat mit ihr analytisch gearbeitet, Besuche bei vielen interessanten Persönlichkeiten gemacht und sehr viel von ihrem Umgang genossen. Mama hat sie sehr liebenswürdig besorgt, ich hatte bei neunstündiger Arbeit nicht viel Zeit für sie, aber sie benahm sich diskret und anspruchslos. Nebstbei war die Unruhe dieser Zeit sehr groß, ich habe nicht gewußt, daß man umsomehr zu tun bekommt, je älter man wird. Das ruhige Alter scheint auch so eine Fabel zu sein, wie die glückliche Jugend. Viel Zeit kosten mich die Absagen und Auskünfte nach allen Weltrichtungen, alles will sich von mir analysieren lassen, und dabei wird bis Ende Februar niemand abgehen.

Von bedeutsameren Erfolgen nenne ich Euch das Erscheinen der französischen und der italienischen (I. Teil) Übersetzung der Vorlesungen und die Ernennung zum Ehrenmitglied der Niederländischen Gesellschaft für Psychiatrie (auf Vorschlag eines Gegners). Die gegenwärtige Ausbreitung der Analyse läßt sich aus der Tatsache beurteilen, daß in einer Woche zwei Anträge zur Bildung neuer Ortsgruppen des Internationalen Vereins eingetroffen sind, und zwar aus Kalkutta und aus Moskau! Der letztere Brief war mit zehntausend Rubeln frankiert, ein Blick in unsere Zukunft, vielleicht auch in Eure.

In dem Zimmer, das Frau Lou bewohnt hat, werden wir früh im Januar bald nacheinander Abraham und Ferenczi aufnehmen, die unseren Amerikanern Vorlesungen halten sollen. Ersterer soll Euch Mamas Weihnachtsgeschenk für Gabriel mitbringen, das Ihr also von anderer Seite refüsieren sollt, einen silbernen Querlöffel, gut brauchbar zur Schonung seiner gelehrten Mutter.

...

Von Euch brauche ich keine besseren Nachrichten, als sie der letzte Brief enthielt. Hoffentlich bringt der nächste ähnliches.

Ich grüße Euch herzlich zu Weihnachten und Neujahr

Papa


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