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1926

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An Romain Rolland

Wien IX, Berggasse 19, 29. Januar 1926

Unvergeßlicher, durch welche Mühen und Leiden haben Sie sich wohl zu solcher Höhe der Menschheit emporgeschwungen!

Lange Jahre, ehe ich Sie sah, hatte ich Sie als Künstler und als Apostel der Menschenliebe geehrt. Der Menschenliebe hing ich selbst an, nicht aus Motiven der Sentimentalität oder der Idealforderung, sondern aus nüchternen, ökonomischen Gründen, weil ich sie bei der Gegebenheit unserer Triebanlagen und unserer Umwelt für die Erhaltung der Menschenart für ebenso unerläßlich erklären mußte, wie etwa die Technik.

Als ich Sie dann endlich persönlich kennenlernte, war ich überrascht zu finden, daß Sie Stärke und Energie so hoch einzuschätzen wissen, und daß in Ihnen selbst so viel Willenskraft verkörpert ist.

Möge Ihnen das nächste Jahrzehnt nur Erfüllungen bringen.

Herzlichst
Ihr Sigm. Freud, aetat. 70

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An die Mitglieder des Vereins B'nai B'rith

6. Mai 1926

Hochwürdiger Großpräsident, würdige Präsidenten, liebe Brüder Dank für die Ehren, die Sie mir heute erwiesen haben! Sie wissen, warum ich nicht mit dem Ton der eigenen Stimme antworten kann. Sie haben einen meiner Freunde und Schüler von meiner wissenschaftlichen Arbeit sprechen hören, aber das Urteil über diese Dinge ist schwierig und vielleicht noch lange Zeit nicht mit einiger Sicherheit zu fällen. Erlauben Sie mir, etwas zur Rede des anderen hinzuzufügen, der auch mein Freund und mein sorgsamer Arzt ist. Ich möchte Ihnen kurz mitteilen, wie ich B.B. geworden bin und was ich bei Ihnen gesucht habe.

Es geschah in den Jahren nach 1895, daß zwei starke Eindrücke bei mir zur gleichen Wirkung zusammentrafen. Einerseits hatte ich die ersten Einblicke in die Tiefen des menschlichen Trieblebens gewonnen, manches gesehen, was ernüchtern, zunächst sogar erschrecken konnte, andererseits hatte die Mitteilung meiner unliebsamen Funde den Erfolg, daß ich den größten Teil meiner damaligen menschlichen Beziehungen einbüßte; ich kam mir vor wie geächtet, von allen gemieden. In dieser Vereinsamung erwachte in mir die Sehnsucht nach einem Kreis von auserlesenen, hochgestimmten Männern, die mich ungeachtet meiner Verwegenheit freundschaftlich aufnehmen sollten. Ihre Vereinigung wurde mir als der Ort bezeichnet, wo solche Männer zu finden seien.

Daß Sie Juden sind, konnte mir nur erwünscht sein, denn ich war selbst Jude, und es war mir immer nicht nur unwürdig, sondern direkt unsinnig erschienen, es zu verleugnen. Was mich ans Judentum band, war – ich bin schuldig, es zu bekennen – nicht der Glaube, auch nicht der nationale Stolz, denn ich war immer ein Ungläubiger, bin ohne Religion erzogen worden, wenn auch nicht ohne Respekt vor den ›ethisch‹ genannten Forderungen der menschlichen Kultur. Ein nationales Hochgefühl habe ich, wenn ich dazu neigte, zu unterdrücken mich bemüht, als unheilvoll und ungerecht, erschreckt durch die warnenden Beispiele der Völker, unter denen wir Juden leben. Aber es blieb genug anderes übrig, was die Anziehung des Judentums und der Juden so unwiderstehlich machte, viele dunkle Gefühlsmächte, umso gewaltiger, je weniger sie sich in Worten erfassen ließen, ebenso wie die klare Bewußtheit der inneren Identität, die Heimlichkeit der gleichen seelischen Konstruktion. Und dazu kam bald die Einsicht, daß ich nur meiner jüdischen Natur die zwei Eigenschaften verdankte, die mir auf meinem schwierigen Lebensweg unerläßlich geworden waren. Weil ich Jude war, fand ich mich frei von vielen Vorurteilen, die andere im Gebrauch ihres Intellekts beschränkten, als Jude war ich dafür vorbereitet, in die Opposition zu gehen und auf das Einvernehmen mit der »kompakten Majorität« zu verzichten.

So wurde ich also einer der Ihrigen, nahm Anteil an Ihren humanitären und nationalen Interessen, gewann Freunde unter Ihnen und bestimmte die wenigen Freunde, die mir geblieben waren, in unsere Vereinigung einzutreten. Es kam ja gar nicht in Frage, daß ich Sie von meinen neuen Lehren überzeuge, aber zu einer Zeit, da in Europa niemand auf mich hörte und ich auch noch in Wien keine Schüler hatte, schenkten Sie mir eine wohlwollende Aufmerksamkeit. Sie waren mein erstes Auditorium.

Etwa zwei Drittel der langen Zeit seit meinem Eintritte hielt ich gewissenhaft bei Ihnen aus, holte mir Erfrischung und Anregung aus dem Verkehr mit Ihnen. Sie waren heute so liebenswürdig, es mir nicht vorzuhalten, daß ich Ihnen in diesem letzten Drittel ferngeblieben bin. Die Arbeit wuchs mir dann über den Kopf, Anforderungen, die mit ihr zusammenhingen, drängten sich vor, der Tag vertrug nicht mehr die Verlängerung durch den Sitzungsbesuch, bald darauf auch der Leib nicht die Verspätung der Mahlzeit. Zuletzt kamen die Jahre des Krankseins, das mich auch heute abhält, bei Ihnen zu erscheinen.

Ob ich ein richtiger B.B. in Ihrem Sinne gewesen bin, weiß ich nicht. Fast wollte ich es bezweifeln, es waren zuviel besondere Bedingungen in meinem Falle ausgebildet. Aber daß Sie mir viel bedeutet und viel geleistet haben in den Jahren, da ich zu Ihnen gehörte, dessen darf ich Sie versichern. Und so empfangen Sie für damals wie für heute meinen wärmsten Dank.

In W.B. & E.
Ihr Sigm. Freud

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An Romain Rolland

Wien IX, Berggasse 19, 13.Mai 1026

Verehrter Freund

Ihre Zeilen gehören zu dem Kostbarsten, was diese Tage mir zugetragen haben. Haben Sie Dank für Anrede und Inhalt!

Ich darf nicht wie Sie auf die Liebe vieler Menschen rechnen. Ich habe sie nicht erfreut, getröstet, erhoben. Ich hatte es gar nicht in Absicht, wollte nur forschen, Rätsel lösen, ein Stückchen Wahrheit aufdecken. Dies mag vielen wehe, manchen wohlgetan haben, beides nicht meine Schuld und nicht mein Verdienst. Es scheint mir ein des Verwunderns würdiger Zufall, daß neben meiner Lehre meine Person überhaupt etwas Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Aber ein besonderer Ehrgeiz findet bei mir Befriedigung, wenn Menschen, die ich aus der Ferne geliebt habe, wie Sie, mir freundliche Worte sagen. Ich erfreue mich dessen, ohne zu untersuchen, ob ich es auch verdiene, genieße es wirklich als Geschenk. Sie gehören zu denen, die zu schenken verstehen.

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlbefinden

Ihr getreu ergebener
Freud


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