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1927

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An Werner Achelis

Wien IX, Berggasse 19, 30. Januar 1927

Hochgeehrter Herr Doktor

Sie haben mir als Ausdruck einer bei deutschen Gelehrten seltenen Höflichkeit einen Aufsatz zugeschickt, der meine Arbeit behandelt, von dem Sie annehmen durften, daß er mein Interesse erregen wird. Ich danke Ihnen dafür wie für den begleitenden Brief und werde das Manuskript ehestens zurückschicken.

Was ich über meinen Eindruck von Ihren Ausführungen sagen kann, wird Sie nicht überraschen, da Ihnen meine Einstellung zur Philosophie (Metaphysik) bekannt zu sein scheint. Die sonstigen Defekte meiner Anlage haben mich gewiß gekränkt und bescheiden gemacht, mit der Metaphysik stehe ich anders, ich habe nicht nur kein Organ (›Vermögen‹) für sie, sondern auch keinen Respekt vor ihr. Im geheimen – laut darf man es ja nicht sagen – glaube ich daran, daß die Metaphysik einmal als ›a nuisance‹, als Mißbrauch des Denkens, als ›survival‹ aus der Periode der religiösen Weltanschauung verurteilt werden wird. Ich weiß genau, wie sehr mich solche Denkart dem deutschen Kulturkreis fremd macht. Somit werden Sie leicht verstehen, daß das meiste, was ich bei Ihnen gelesen, ungewürdigt von mir abgeglitten ist, wenngleich ich manchmal den Eindruck hatte, es handle sich um recht ›geistreiche‹ Gedanken. Andere Male, zum Beispiel, wenn Sie zur Bewunderung von Blühers Genie auffordern, stellte sich die Überzeugung her, es handle sich um zwei Welten, die durch eine nicht überbrückbare Kluft getrennt bleiben.

Wie immer dem sein mag, es ist gewiß einfacher, sich im Diesseits der Tatsachen als im Jenseits der Philosophie zurechtzufinden. Gestatten Sie mir darum eine Berichtigung, die aus meinen verschiedenen Schriften leicht zu bestätigen ist. Ich habe niemals behauptet, daß alle Träume sexuellen Inhalt haben, oder daß die Triebfeder aller Träume sexuelle Regungen sind. Ich habe vielmehr, wenn mir eine solche Ansicht zugeschoben wurde, energisch widersprochen. Ich darf also damit unzufrieden sein, daß auch Sie diesen Irrtum wiederholen. Endlich ein Wort zur Übersetzung des Mottos, das die ›Traumdeutung‹ trägt, auch zu seiner Deutung. »Acheronta movebo« übersetzen Sie »die Festen der Erde bewegen«. Aber es heißt doch vielmehr: die Unterwelt aufrühren. Ich hatte das Zitat von Lassalle entlehnt, bei dem es gewiß persönlich gemeint war und sich auf soziale – nicht psychologische – Schichtung bezog. Bei mir sollte es bloß ein Hauptstück aus der Dynamik des Traumes hervorheben. Die Wunschregung, die von den oberen seelischen Instanzen zurückgewiesen wird (der verdrängte Traumwunsch) setzt die seelische Unterwelt (das Unbewußte) in Bewegung, um sich zur Geltung zu bringen. Was können Sie daran ›prometheisch‹ finden?

In vorzüglicher Ergebenheit
Ihr Freud

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An Arnold Zweig

Wien IX, Berggasse 19, 20. März 1927

Hochgeehrter Herr

Ich nehme das Anerbieten des Dichters der ›Novellen um Claudia‹, mir eines seiner neuen Werke zu widmen, mit Dank und voller Schätzung der mir erwiesenen Ehre an.

Ich hätte es auch sonst getan, umsomehr jetzt, da ich aus Ihrem Briefe weiß, daß Sie die Analyse zu schätzen wissen, und daß Sie ein persönliches Verhältnis zu ihr gefunden haben.

Machen Sie das Versprechen wahr, mich eines Tages zu besuchen. (Warten Sie damit nicht zu lange, ich bin bald einundsiebzig Jahre).

Ihr herzlich ergebener
Freud

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An George Sylvester Viereck

Semmering, 20. Juli 1928

Dear Mr. Viereck

Ich bin in der Anerkennung Ihrer freundlichen Zusendungen längst im Rückstand, und es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn ich Sie länger warten ließe. Die ›Days in Doorn‹ habe ich nicht gleich beantwortet, weil – – ja weil etwas an diesem Buch mich recht geärgert hat. Ich will Ihre Empfindlichkeiten gerne schonen, wiewohl ich zugestehe, daß Sie in Ihrem Verkehr mit mir auffällig wenig Empfindlichkeit gezeigt haben. Beweis einer großen Toleranz und liebenswürdigen Natur.

Ihr ›Clemenceau‹ hat mir außerordentlich gefallen. Man verspürt es, so ist der merkwürdige Mann, großartig und unbekümmert um das, was die Menschen Größe heißen. In einem langen Gespräch, das ich mit Georg Brandes im Jahr vor seinem Tode hatte, kam die Rede auch auf den Tiger. Ich ließ mich hinreißen, ihn den größten heute lebenden Verbrecher an der Menschheit zu nennen. Ich wußte damals nicht, daß er und Brandes intime Freunde gewesen waren, bis, ich glaube der Weltkrieg, sie voneinander riß. Der weise alte Mann wies mich nicht zurecht, er drückte mit freundlicher Miene meine Hand und ging auf anderes über. Ich verstand, daß er sagen wollte: Laß das, mein Lieber, das verstehst du nicht. Bei der Lektüre Ihres Interviews wurde ich zu meinem Erstaunen inne, daß ich für diesen gehaßten Feind eine tiefe Sympathie empfinden könnte, als fiele es mir gar nicht schwer, mich in ihn hineinzufühlen, was mir bei anderen Despoten wie Lenin, Mussolini, nie gelingen will. Ich glaube, die Gemeinsamkeit der Weltanschauung hat mich überwältigt. Kein Groll darüber, daß er von der Psychoanalyse nie gehört haben will ...

Die Memoiren Ihres ›Ewigen Juden‹ sind meines vollsten Interesses sicher. Ich werde sie besonders nach den Richtungen, die Sie selbst andeuten, studieren. Mein Urteil darüber wird nicht viel taugen, denn erstens fallen mir literarische Einschätzungen überhaupt schwer, und andererseits wird meine Sympathie für den Autor gewiß meine Kritik fälschen.

Es tut mir leid, daß Sie mich in diesem Jahr nicht besuchen werden. Ich hätte Ihrer lieben Frau ein Bouquet der schönsten in unserem Garten wachsenden Rosen überreicht. Sie hätten die Fortschritte feststellen können, die das Alter in der Zerstörung meiner wertvollen Persönlichkeit zustande gebracht hat. Meine Frauen, auch Ihre angebliche Feindin, hätten Sie beide herzlich empfangen.

With kindest regards

Yours sincerely,
Freud

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An Richard Dyer-Bennett

Wien IX, Berggasse 19, 9. Dezember 1928

Dear Major

Lassen Sie mich mein Englisch mit dieser Überschrift enden. Die Vorstellung, daß Havelock Ellis Ihnen bei der Übersetzung dieses Briefes beistehen wird, macht mir das Schreiben leichter. Es gibt nur wenig Menschen, mit denen ich lieber verkehre – oder verkehren würde.

Ich schließe aus Ihrer Schrift wie aus Ihren Briefen, daß Sie eine enthusiastische Natur sind, weiß also, daß ich Sie enttäuschen werde.

An Ihrem ›Gospel of Living‹ hätte ich nur wenig auszusetzen. Gestatten Sie also, daß ich das wenige namhaft mache. Ich würde nicht als Ziel hinstellen, daß die Menschen Götter und die Erde Himmel werden soll. Das erinnert zu sehr an ›vieux jeu‹, trifft auch nicht recht zu. Wir Menschen fußen auf unserer tierischen Natur, wir werden nie göttergleich werden können. Die Erde ist ein kleiner Planet, eignet sich nicht zum ›Himmel‹. Wir können dem, der uns folgen will, keinen vollen Ersatz versprechen für das, was er aufgibt. Ein schmerzliches Stück Verzicht ist unvermeidlich. Ich wende auch gegen Sie ein, daß Sie nicht mit uns das Hindernis gegen die uns vorschwebende Änderung des Lebens in der ›Unwissenheit‹ erblicken. Ich meine, diese Bedeutung kommt dem Intellekt gar nicht zu. Die Hindernisse liegen vielmehr in der Triebkonstitution und in den Interessen der Menschheit.

Allzu optimistisch scheinen Sie mir auch im Urteil, daß die Menschheit weit genug fortgeschritten ist, um auf einen Appell wie den Ihrigen zu reagieren. Eine sehr dünne Oberschichte mag Ihren Erwartungen entsprechen, sonst sind alle alten Kulturniveaus – das des Mittelalters, das der animistischen Vorzeit, selbst das der Steinzeit – in großen Menschenmassen lebendig. Optimistisch sind Sie auch aus Anlaß Ihres einzigen positiven Vorschlags Ihres ›Gospels‹. Die Mittel zur Beherrschung der menschlichen Fruchtbarkeit sind lange nicht vollkommen, das heißt sicher und psychisch harmlos.

Was man also tun soll, um das Leben zu bessern? Ich meine, Geduld haben und annehmen, daß noch ein weiter Weg bis dahin ist. Unterdes mit der eigenen Arbeit an jener Stelle einsetzen, für die man am tauglichsten ist. Also entweder Unwissenheit und Vorurteil bekämpfen oder die Herrschaft des Menschen über die Natur steigern, und dergleichen. Wer nicht blind und hart genug ist, um an staatsmännischen Experimenten mit Menschenmassen teilzunehmen, der versuche nicht, sich dazu zu zwingen. Wahrscheinlich ist es auch gut, daß es solche Männer der Tat gibt, die nicht durch Bedenken und Mitleid beirrt werden. Aber ebenso wahrscheinlich, daß uns die Bemühungen dieser Männer zunächst Enttäuschungen bereiten werden.

Ich verstehe es sehr gut, daß Ihre menschenfreundliche Schrift nichts von der Veröffentlichung zu erwarten hat. Meine ›Zukunft einer Illusion‹ hat mir fast nur Abweisungen, oft entrüstete Zurückweisungen eingetragen.

Ihr sehr ergebener
Freud


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