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1929

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An Israel Spanier Wechsler

Wien IX, Berggasse 19, 8. Mai 1929

Dear Dr. Wechsler

Ich sehe der Ankunft Ihres neuen Buches in der Erwartung entgegen, daß es das in jenem Kapitel Ihres früheren Buches gegebene Versprechen voll einlösen wird.

In betreff Ihres Wunsches, daß ich die Handschriften meiner Publikationen unserer Universität in Jerusalem überlassen soll, kann ich mich nicht so einfach äußern. Ihre Annahme, daß mir diese Universität lieb und teuer ist, trifft zu, in der Einschätzung solcher Manuskripte sind wir vielleicht nicht einig. Mir bedeuten sie nichts, es wäre mir ja nie eingefallen, sie der Universität als Geschenk anzubieten. Ich pflegte sie nach dem Abdruck in den Papierkorb zu werfen, bis mich einmal jemand auf eine andere Art der Verwendung aufmerksam machte. Er sagte mir, daß es unter den Reichen Narren gäbe, die, falls ich durch irgendein Ungefähr berühmt würde, bares Geld für solche beschriebene Papiere zahlen könnten. Seither bewahrte ich sie auf und warte auf so erfreuliche Konsequenzen meines Ruhms in der Erwägung, daß ich unseren eigenen Institutionen wie Verlag, Wiener Institut, Berliner Sanatorium auf keinem anderen Weg etwas schenken oder hinterlassen kann, ja daß ein solches Legat auch für meine sieben Enkel nicht unerwünscht wäre. Wirklich hörte ich vor Kriegsausbruch, daß ein bekannter Makulatursammler auch an die Erwerbung meiner Lappen denke. Aber dann kam der Krieg, und seither habe ich nichts Ähnliches mehr gehört. Da es nichts kostet, warte ich noch immer und denke, vielleicht steigen diese meine Schätze einige Zeit nach meinem Tod so sehr an Wert, daß sich ihre Aufbewahrung gelohnt haben wird.

Ein pretium affectionis kann ich diesen Schriften also nicht zuerkennen, habe auch nicht die Empfindung, daß ich die Universität in Jerusalem um etwas beraube, wenn ich sie ihr nicht zum Geschenk mache. Nur (um) einen allerdings jetzt noch sehr zweifelhaften Warenwert. Denkt die Universität in Jerusalem anders darüber, so kann ich dem Rechnung tragen, indem ich den Wunsch hinterlasse, daß die Manuskripte derselben ausgefolgt werden, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Jahren nach meinem Tod keinen Käufer gefunden haben.

In kollegialer Ergebenheit
Ihr Freud

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An Romain Rolland

Berchtesgaden, Haus Schneewinkl, 14. Juli 1929

Verehrtester Freund

Ihr Brief vom 5. Dezember 1927, Ihre Bemerkungen darin über ein von Ihnen »ozeanisch« genanntes Gefühl, hat mir keine Ruhe gelassen. Es hat sich so gefügt, daß ich in einer neuen Arbeit, die noch unvollendet vor mir liegt, von Ihrer Anregung ausgehe, das ozeanische Gefühl erwähne und es im Sinne unserer Psychologie zu deuten versuche. Der Aufsatz geht zu anderem über, behandelt Glück, Kultur und Schuldgefühl, ich erwähne Ihren Namen nicht, gebe aber immerhin einen Wink, auf Sie zu raten.

Es ist mir nun ein Zweifel gekommen, ob ich das Recht habe, Ihre private Mitteilung in solcher Weise vor der Öffentlichkeit zu verwerten. Es sollte mich nicht verwundern, wenn das Ihrem Wunsch zuwiderliefe, und wenn es auch nur andeutungsweise so wäre, müßte ich es vermeiden. Mein Essay kann ohne Schaden eine andere Einleitung bekommen; er ist vielleicht überhaupt nicht sehr notwendig. Ich bitte Sie also, mich durch ein freundliches Wort von solchem Mißbrauch zurückzuhalten, wenn Sie ihn mir nicht ganz ohne Einschränkung freigeben können.

Indem ich Sie bitte, sich zu erinnern, daß ich immer unter den Gefühlen respektvollster Freundschaft an Sie denke,

Ihr herzlich ergebener
Freud

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An Romain Rolland

Berchtesgaden, Haus Schneewinkl, 20. Juli 1929

Verehrter Freund

Herzlichen Dank für Ihre Erlaubnis! Ich will sie aber nicht annehmen, ehe Sie Ihren Brief vom Jahre 1927 eingesehen haben, den ich hier beilege. Ich besitze so wenig Briefe von Ihnen, daß ich auf die Rücksendung dieses ersten nicht verzichten mag. Ich bin sonst kein Reliquienjäger, verzeihen Sie die Schwachheit!

Gerne hörte ich, daß Ihr Werk vor meiner kleinen Schrift erscheinen wird, die kaum vor Februar – März gedruckt sein kann. Erwarten Sie von ihr aber keine Würdigung des »ozeanischen« Gefühls, ich versuche mich nur an einer analytischen Ableitung desselben, räume es mir sozusagen aus dem Weg.

In welchen mir fremden Welten bewegen Sie sich doch! Die Mystik ist mir ebenso verschlossen wie die Musik. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß ich das lese, was Sie nach Angabe Ihres Briefes studiert haben. Und dabei können Sie doch in der menschlichen Seele lesen, müheloser als wir.

Mit herzlichen Wünschen für Ihr Wohlbefinden

Ihr treu ergebener
Freud

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An Lou Andreas-Salomé

Schneewinkl, 28. Juli 1929

Liebste Lou

Sie werden mit gewohntem Scharfsinn erraten haben, warum ich Ihnen so lange nicht geantwortet. Anna hat Ihnen bereits mitgeteilt, daß ich etwas schreibe, und heute habe ich den letzten Satz niedergeschrieben, der die Arbeit, soweit es hier ohne Bibliothek möglich ist, beendigt. Sie handelt von Kultur, Schuldgefühl, Glück und ähnlichen hohen Dingen und kommt mir, gewiß mit Recht, sehr überflüssig vor, zum Unterschied von früheren Arbeiten, hinter denen doch immer irgendein Drang steckte. Was sollte ich aber tun? Man kann nicht den ganzen Tag rauchen und Karten spielen, im Gehen bin ich nicht mehr ausdauernd, und das meiste, was man lesen kann, interessiert mich nicht mehr. Ich schrieb, und die Zeit verging mir dabei ganz angenehm. Ich habe die banalsten Wahrheiten während dieser Arbeit entdeckt.

Der Aufsatz von Thomas Mann ist ja sehr ehrenvoll. Er machte mir den Eindruck, als ob er grade einen Aufsatz über die Romantik bereit hatte, als die Aufforderung kam, über mich zu schreiben, und so hat er diesen halben Aufsatz vorne und rückwärts mit Psychoanalyse fourniert, wie die Tischler sagen: die Masse ist aus anderem Holz. Immerhin, wenn Mann etwas sagt, hat es Hand und Fuß.

Was Sie zur Analyse meiner Produktion vorbringen, hat mein volles Interesse und trifft mich urteilslos. Ich weiß nur, daß ich mich abscheulich geplagt habe, worauf das übrige selbstverständlich war. Es hätte auch sehr viel besser sein können. Ich empfand nur das Objekt, vom Subjekt merkte ich nichts. Meine schlimmsten Eigenschaften, eine gewisse Weltwurstigkeit darunter, haben an dem Ergebnis gewiß gleichen Anteil gehabt wie die guten, zum Beispiel trotziger Mut zur Wahrheit. Im tiefsten Inneren bin ich ja doch überzeugt, daß meine lieben Mitmenschen – mit einzelnen Ausnahmen – Gesindel sind.

Gerne hätte ich mich mit Ihnen in unserem idyllisch schönen, ruhigen Schneewinkl darüber länger unterhalten, wenn es nur möglich gewesen wäre, Sie hieher zu bitten. Aber im Hause selbst ist kein Platz, und in Berchtesgaden kein Kämmerchen zu haben. Wir hatten alle möglichen – auch wenig erwünschte – Besucher, der Reihe nach meine drei Söhne, von denen zwei in ziemlichen Entfernungen endlich Unterkunft fanden. Ernst und Lux haben Annas Abwesenheit ausgenützt und wohnen bei uns. Anna plagt sich sehr in Oxford, nach ihren telegraphischen Berichten; heute abends muß sie ihren Vortrag losgeworden sein, und nimmt es dann hoffentlich leichter. Über die Unterbringung äußerte sie bezeichnenderweise: Mehr Tradition als Bequemlichkeit. Sie wissen, daß die Engländer, nachdem sie den Begriff Comfort geschaffen, dann nichts mehr mit der Sache zu tun haben wollen. Ich kann so wenig wie Wolf erwarten, daß sie wiederkommt. Ich schreibe, und er liegt den halben Tag apathisch auf seinem Lager.

Ich grüße Sie und Ihren alten Herrn herzlich und hoffe doch auf ein Wiedersehen. Vielleicht in Berlin, wenn ich zu Schröder muß.

Ihr alter
Freud

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An Max Eitingon

Wien IX, Berggasse 19, 1. Dezember 1929

Lieber Max

Wir haben Ihre traurige Nachricht gestern mit jener Ergriffenheit aufgenommen, die endlich in die Erwägung ausklingt, eine Beschleunigung des Ablaufs sei angesichts der hoffnungslosen Lage nur als Wohltat einzuschätzen. Ich soll Ihnen und den Ihrigen allen unser ernstes Mitgefühl ausdrücken und will keinen Trostversuch unternehmen. Der Verlust der Mutter muß etwas ganz Merkwürdiges, mit anderem Unvergleichbares sein und Erregungen erwecken, die schwer zu fassen sind. Ich habe selbst noch meine Mutter, und sie sperrt mir den Weg zur ersehnten Ruhe, zum ewigen Nichts; ich könnte es mir gewissermaßen nicht verzeihen, daß ich vor ihr sterben sollte. Sie aber sind jung, haben das eigentlich schönste und inhaltreichste Jahrzehnt, das von fünfzig bis sechzig, noch vor sich, und Ihre Freunde dürfen hoffen, daß Sie sich bald mit einem Unglück aussöhnen werden, das die Geleise des normalen Schicksals nicht überschreitet. Ich nehme an, daß Ihre Mirra, mit der ich manchmal – Sie wissen es – in Gedanken hadere, auch diesen Anlaß benutzt hat, sich in ihrer vollen Leistungsfähigkeit zu zeigen, als Helferin und Trösterin, wie sie es im Ernstfalle immer kann.

Mit herzlichem Gruß und in der Hoffnung, Sie bald wiederzusehen

Ihr Freud


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